Leitsatz (amtlich)

1. Der Vermerk nach § 4 Abs. 2 VwZG a. F. ist auch dann gültig, wenn er nicht mit dem Handzeichen des zuständigen Bediensteten versehen ist.

2. Für die Berechnung der Frist nach § 4 Abs. 1 VwZG ist die tatsächliche Aufgabe des Briefes zur Post maßgebend. Zur Feststellung dieses Zeitpunktes kann das FG außer dem Vermerk nach § 4 Abs. 2 VwZG auch andere Beweismittel verwerten.

2. Eine Rechtsmittelbelehrung ist auch dann nicht fehlerhaft, wenn sie nicht selbst die Bezeichnung des Sitzes der Stelle, bei der das Rechtsmittel anzubringen ist, enthält, aber Anlage zu einer Rechtsbehelfsentscheidung ist, aus welcher sich der Sitz ergibt.

2. Unterließ das FG eine gebotene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, so ist das Revisionsgericht in der Lage, die Wiedereinsetzung selbst zu gewähren. Es ist insoweit an Feststellungen der Vorinstanz nicht gebunden und kann eigene Feststellungen treffen und Beweise würdigen.

2. War zu der Zeit, als das Gericht über eine Wiedereinsetzung ohne Antrag hätte entscheiden können, die Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO noch nicht abgelaufen, so bleibt eine Wiedereinsetzung möglich, auch wenn bis zur Entscheidung hierfür die Frist inzwischen verstrichen ist (BFHE 97, 508, BStBl II 1970, 214).

 

Normenkette

VwZG a.F. §§ 4, 17 Abs. 4; FGO § 55 Abs. 1, § 56

 

Tatbestand

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette - EVSt -, nunmehr Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung - BALM -) widerrief am 28. Dezember 1967 der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gewährte Erstattungsbescheide. Der Einspruch dagegen blieb erfolglos. Die Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 1969 stellte die EVSt den Bevollmächtigten der Klägerin mittels eingeschriebenen Briefs mit Rückschein zu. Auf der bei den Behördenakten befindlichen Durchschrift der Einspruchsentscheidung brachte die EVSt auf der ersten und der letzten Seite einen Stempelabdruck an "abgesandt 10. Januar 1969", der jedoch nicht mit einem Namenszeichen versehen war. Ausweislich des bei den Akten befindlichen Rückscheins ist die Einspruchsentscheidung den Bevollmächtigten der Klägerin am 13. Januar 1969 ausgehändigt worden. Mit Schriftsatz vom 16. Januar 1969 erhob die Klägerin gegen diese Einspruchsentscheidung Klage. Der Schriftsatz ging lt. Eingangsstempel am 14. Februar 1969 beim Finanzgericht (FG) ein. Nachdem die Klägerin am 5. Mai 1972 Einsicht in die Gerichts- und Verwaltungsakten genommen hatte, stellten deren Bevollmächtigte den verspäteten Eingang der Klageschrift bei Gericht fest. Die Klägerin vertrat vor dem FG die Ansicht, die Klage sei dennoch rechtzeitig erhoben worden, da die Klagefrist mangels wirksamer Zustellung nicht in Lauf gesetzt worden sei. Außerdem bestritt sie die Richtigkeit des Posteingangsstempels des FG und rügte die Nichtordnungsmäßigkeit der Rechtsmittelbelehrung. Für den Fall, daß das FG jedoch die Klageerhebung als verspätet ansehen sollte, stellte die Klägerin mit dem am 16. Mai 1972 beim FG eingegangenen Schriftsatz den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Das Hessische FG wies die Klage durch Urteil vom 18. Juni 1974 VII 7/69 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 582 - EFG 1974, 582 -) als unzulässig ab. Es führte aus: Die Einspruchsentscheidung sei am 10. Januar 1969 mit eingeschriebenem Brief zur Post gegeben worden und gelte damit am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, also am 13. Januar 1969, als zugestellt (§ 4 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - a. F.). Die Klagefrist sei somit am 13. Februar 1969 um 24.00 Uhr abgelaufen, so daß die am 14. Februar 1969 eingegangene Klage verspätet erhoben worden sei. Soweit die Klägerin meine, die Klage sei deshalb als rechtzeitig erhoben anzusehen, weil wegen Fehlens einer Unterschrift oder eines Namenszeichens auf dem Absendevermerk die Zustellung nicht wirksam und die Klagefrist deshalb nicht in Lauf gesetzt worden sei, vermöge das FG ihr nicht zu folgen. Auch dem Einwand der Klägerin, die Rechtsmittelbelehrung sei deswegen fehlerhaft, weil sie in dem Hinweis, die Klage könne auch bei der EVSt erhoben werden, nur den Namen der Behörde, nicht aber deren Ort, Straße und Hausnummer angebe, sei nicht zu folgen. Soweit die Klägerin schließlich die Richtigkeit des Eingangsstempels des erkennenden Gerichts bestreite, ergäben ich keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Eingangsstempel nicht ordnungsgemäß angebracht worden sei. Die Klage sei also verspätet eingelegt worden. Der Klägerin habe die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht gewährt werden können, da im Zeitpunkt der Antragstellung die Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO verstrichen gewesen sei.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von Bundesrecht, insbesondere des § 56 FGO.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

I.

Zu Recht hat das FG entschieden, daß die Einspruchsentscheidung der Klägerin mit Wirkung vom 13. Januar 1969 zugestellt worden ist.

1. Nach den Feststellungen des FG ist die Einspruchsentscheidung den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin durch die Post mittels eingeschriebenen Briefs gegen Rückschein zugesandt worden. Der Rückschein enthält eine Empfangsbestätigung der Kanzlei der klägerischen Prozeßbevollmächtigten und den postalischen Vermerk, daß das Schriftstück am 13. Januar 1969 ausgeliefert worden ist. Bei einer solchen Gestaltung des Sachverhalts ist es zweifelhaft, ob eine Zustellung nach § 4 VwZG (Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefs) oder eine solche nach § 5 VwZG (Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis) vorliegt. Denn die Zustellung mittels eingeschriebenen Briefs gegen Rückschein erfüllt nicht nur die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 VwZG. Sie entspricht auch den Anforderungen des § 5 Abs. 2 VwZG, wonach u. a. Rechtsanwälten Schriftstücke auch auf andere Weise als durch Aushändigung, d. h. zum Beispiel durch die Post, übermittelt werden dürfen; als Nachweis der Zustellung genügt dann das mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis, das an die Behörde zurückzusenden ist. Im Rückschein könnte ein solches Empfangsbekenntnis gesehen werden. Im vorliegenden Fall braucht diese Frage jedoch nicht entschieden zu werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1966 IV R 42/66, BFHE 87, 542, BStBl III 1967, 234, das in einem solchen Fall eine Zustellung nach § 4 VwZG als gegeben ansieht, ohne freilich auf § 5 VwZG einzugehen; gleicher Ansicht wohl Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 23. Juli 1965 VII C 170.64, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1966 S. 155 - HFR 1966, 155 -; Tipke-Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 4 VwZG, Anm. 3 c, und Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 4 VwZG, Anm. 2, 3 und 9). Bei Anwendung sowohl des § 4 VwZG als auch des § 5 VwZG ergibt sich nämlich, daß der Tag der Zustellung jedenfalls der 13. Januar 1969 war. Bei Annahme der Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG ergibt sich dieser Zeitpunkt aus der Empfangsbestätigung auf dem Rückschein. Liegt eine Zustellung nach § 4 VwZG vor, so ergibt sich derselbe Zeitpunkt; denn das Schriftstück gilt mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post, die am 10. Januar 1969 stattfand, als zugestellt.

2. Zu Recht ist die Vorinstanz davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 4 VwZG erfüllt waren.

a) Nach gefestigter Rechtsprechung des BFH ist die Zustellung nach § 4 VwZG nur wirksam, wenn der durch § 4 Abs. 2 VwZG geforderte Aktenvermerk auch wirklich angebracht worden ist (Urteil vom 28. Februar 1969 VI R 327/67, BFHE 95, 419, BStBl II 1969, 476; Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., § 4 VwZG, Anm. 4 a mit weiteren Nachweisen). Die Dreitagefrist des § 4 Abs. 1 VwZG wäre also nicht in Lauf gesetzt worden, wenn die Auffassung der Klägerin zuträfe, daß der auf der Durchschrift der Einspruchsentscheidung angebrachte Vermerk "abgesandt 10. Jan. 1969" nicht als Vermerk i. S. des § 4 Abs. 2 VwZG angesehen werden könnte. Dem ist jedoch nicht zu folgen.

b) Die Verwendung der Worte "abgesandt am ..." anstelle des durch den Wortlaut des § 4 Abs. 2 VwZG nahegelegten Wortlautes "zur Post am ..." hat das FG zu Recht nicht beanstandet (vgl. auch BFH-Urteil vom 9. August 1966 I 199/65, BFHE 87, 233, 242, BStBl III 1967, 134). Auch aus dem von der Klägerin gerügten Umstand, daß der Vermerk von einer Mitarbeiterin des Rechtsreferats der EVSt angebracht worden sei, kann - falls er trotz fehlender entsprechender Feststellung des FG überhaupt berücksichtigt werden könnte - zu keiner anderen Beurteilung führen. § 4 Abs. 2 VwZG a. F. schreibt nämlich - entgegen § 17 Abs. 4 VwZG a. F., wonach die Absendestelle den Vermerk anzubringen hat - nicht vor, welche Stelle oder welcher Bedienstete der Behörde die Aufgabe zur Post zu vermerken hat. Es ist also nicht zu beanstanden, wenn eine Bedienstete des Rechtsreferats tätig geworden ist. Das gilt um so mehr, als die Rechtsprechung des BFH die erwähnte ähnliche aber engere Vorschrift des § 17 Abs. 4 VwZG a. F. nicht einengend interpretiert hat (vgl. das zitierte Urteil I 199/65 sowie Urteil vom 14. Mai 1970 IV R 73/69, BFHE 100, 3, BStBl II 1970, 772). Maßgebend dafür war u. a. die auch hier gültige Erwägung, daß Inhalt des Vermerks nicht nur die Bestätigung der Aufgabe zur Post ist, sondern auch die Versicherung, daß das abgesandte Schriftstück mit dem in den Akten zurückbleibenden Entwurf übereinstimmt; die letztere Versicherung kann aber das Rechtsreferat eher abgeben als die Poststelle. Aus diesen Gründen folgt der Senat auch nicht der Auffassung der Klägerin, aus dem Umstand, daß eine Mitarbeiterin des Rechtsreferats den Vermerk angebracht habe, müsse entnommen werden, daß dieser Vermerk nicht die Aufgabe zur Post, sondern die Übergabe an die Poststelle der Behörde meine. Die dem entgegenstehende Feststellung des FG ist also nicht zu beanstanden.

c) Zu Recht ist die Vorinstanz auch davon ausgegangen, daß der nach § 4 Abs. 2 VwZG a. F. erforderliche Vermerk keiner Unterschrift und keines Namenszeichens des zuständigen Bediensteten bedurfte (vgl. Urteil des BVerwG vom 19. Januar 1972 V C 54.70 BVerwGE 39, 257, 259, HFR 1972, 320; Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 29. Mai 1973 2 RU 197/71, Monatsschrift für Deutsches Recht 1973 S. 967, HFR 1974, 70). Das ergibt sich aus Wortlaut, Sinn und Zweck der genannten Vorschrift.

Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 VwZG a. F. ist lediglich die Anbringung eines schlichten Vermerks über die Postaufgabe vorgeschrieben. Es fehlt ein ausdrücklicher Hinweis auf das Erfordernis eines Namenszeichens, wie ihn z. B. § 17 Abs. 4 VwZG a. F. enthält. Auch dem Sinn und Zweck der Bestimmung läßt sich nichts dafür entnehmen, daß das Namenszeichen zwingend erforderlich ist. Nach § 4 Abs. 1 VwZG gilt bei der Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefs das Schriftstück mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt. Danach ist maßgebend die "Aufgabe zur Post". Der Aktenvermerk soll also offensichtlich dem Nachweis dieses entscheidenden Zeitpunktes dienen. Es ist nicht ersichtlich, wieso ein entsprechender Vermerk auf den innerdienstlichen Akten der Behörde diesen Nachweis nur dann zu liefern geeignet sein sollte, wenn er mit einem Namenszeichen versehen ist.

Die Richtigkeit dieser Auffassung wird nicht nur durch die Neufassung des § 4 Abs. 2 VwZG bestätigt, in der es ausdrücklich heißt, daß es des Namenszeichens nicht bedarf. Sie ergibt sich auch durch Umkehrschluß aus § 17 Abs. 4 VwZG a. F. Dort ist ebenfalls die Anbringung eines Vermerks über die Postaufgabe vorgesehen, aber zusätzlich ausdrücklich vorgeschrieben, daß der damit beauftragte Beamte den Vermerk mit seinem Namenszeichen zu versehen hat. Hat der Gesetzgeber in einem und demselben Gesetz für zwei unterschiedliche Tatbestände bei sonst gleichem Wortlaut in einem Punkt (hier hinsichtlich des Namenszeichens) eine unterschiedliche Regelung getroffen, so spricht dies dafür, daß der Gesetzgeber die beiden Fälle auch unterschiedlich behandelt wissen wollte. Dafür spricht auch, daß die beiden genannten Fälle nicht vergleichbar sind. Im Falle des § 4 VwZG ist die Aufgabe durch eingeschriebenen Brief vorgesehen, während im Fall des § 17 VwZG die Versendung durch einfachen Brief erfolgt. Im erstgenannten Fall ist der Nachweis der Aufgabe daher leichter möglich als im letzteren. Es lag also nahe, an den Nachweis der Postaufgabe durch einfachen Brief strengere Anforderungen zu stellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich nicht daraus eine Vergleichbarkeit beider Fälle, daß im vorliegenden konkreten Falle der Einlieferungsschein bei der Behörde nicht mehr vorhanden ist. Bei der Prüfung der Frage, welchen Sinn der Gesetzgeber den §§ 4, 17 VwZG beigemessen hat, kann nicht von dem konkreten Einzelfall ausgegangen werden, sondern nur von der abstrakten Fallgestaltung, die der Gesetzgeber zugrunde gelegt hat. Dieser hat sich aber offensichtlich davon leiten lassen, daß im Falle der Zustellung mittels eingeschriebenen Briefs der Tag der Aufgabe durch den Einlieferungsschein nachweisbar ist, weshalb an die Förmlichkeit des Vermerks nach § 4 Abs. 2 VwZG a. F. geringere Anforderungen gestellt werden konnten.

3. Für die Berechnung der Frist ist nicht zwangsläufig der Tag maßgebend, der sich aus dem genannten Aktenvermerk ergibt, sondern das Datum der tatsächlichen Aufgabe bei der Post (vgl. das zitierte Urteil des BVerwG V C 54.70). Das ergibt sich aus § 4 Abs. 1 VwZG, wonach das Schriftstück mit dem dritten Tag "nach der Aufgabe zur Post" als zugestellt gilt. Nach den Feststellungen des FG ist die Einspruchsentscheidung am 10. Januar 1969 zur Post aufgegeben worden. Die Einwände der Klägerin gegen diese Feststellung sind unbegründet.

Das FG hat seine Feststellung, daß die Einspruchsentscheidung am 10. Januar 1969 zur Post gegeben wurde, auf mehrere Umstände gestützt. Der erste war der Aktenvermerk, der selbst dann, wenn er nicht von demjenigen Bediensteten stammen sollte, der den Brief selbst zur Post gebracht hat, den Schluß nahelegt, daß das Schreiben am gleichen Tag zur Post gelangt ist. Ferner ist das FG von der durch den Rückschein bewiesenen Tatsache ausgegangen, daß die Einspruchsentscheidung den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 13. Januar 1969, einem Montag, zuging. Es hat auch festgestellt, daß die EVSt seit 1964 an Samstagen nicht arbeitete. Das FG konnte unter diesen Umständen durchaus bei seiner freien Beweiswürdigung (§ 96 FGO) zum Ergebnis gelangen, die Einspruchsentscheidung könne nur am Freitag, dem 10. Januar 1969, zur Post gegeben worden sein.

II.

Die Einspruchsentscheidung ist somit ordnungsgemäß zugestellt worden. Sie gilt nach § 4 Abs. 1 VwZG als am 13. Januar 1969 zugegangen. Die Frist für die Erhebung der Klage begann also mit diesem Tag zu laufen (§ 47 Abs. 1 FGO).

Der Klägerin stand, wie die Vorinstanz zu Recht entschieden hat, für die Erhebung der Klage nicht wegen fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung die Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO zu. Nach § 55 Abs. 1 FGO muß "der Berechtigte über die Klage und das Gericht oder die Behörde, bei denen sie anzubringen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt" werden. Die Rechtsmittelbelehrung enthielt zwar nur den Hinweis, daß die Klage auch bei der EVSt erhoben werden könne mit der Bezeichnung dieser Behörde, aber keine Angaben über deren Anschrift. Darin kann aber mit dem FG im Hinblick darauf kein Fehler gesehen werden, daß die Rechtsmittelbelehrung Anlage zur Einspruchsentscheidung der EVSt war, die Sitz und Anschrift der Behörde genau bezeichnete, so daß für die Klägerin keine Ungewißheit darüber entstehen konnte, wohin die Klage zu richten war (vgl. auch die Entscheidungen des BFH vom 27. März 1968 VII R 21-22/67, BFHE 92, 307, BStBl II 1968, 535, und vom 20. Februar 1976 VI R 150/73, BFHE 118, 417, BStBl II 1976, 477).

III.

Die Frist für die Erhebung der Klage endete somit am 13. Februar 1969 (§ 47 Abs. 1 FGO). Die Klageschrift ist jedoch nach den Feststellungen des FG erst am 14. Februar 1969 und damit verspätet bei Gericht eingegangen.

IV.

Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FG nicht wegen der Versäumung der Klagefrist stillschweigend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 FGO gewährt. Aus dem Umstand, daß das FG einen Beweisbeschluß erlassen, die Zulässigkeit der Klage also unterstellt hat, kann nicht auf den Willen des FG geschlossen werden, es habe eine solche Wiedereinsetzung gewähren wollen. Überdies ist die stillschweigende Wiedereinsetzung auch nicht zulässig (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., 7. Aufl., § 56 FGO Anm. 34; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl., § 60, Anm. 26 mit weiteren Nachweisen). Das FG hat vielmehr die Wiedereinsetzung ausdrücklich abgelehnt. Das ist jedoch zu Unrecht geschehen.

1. Da die Vorinstanz die Wiedereinsetzung nicht gewährt hat, ist nunmehr der BFH zuständig, über sie zu entscheiden. Nach § 56 Abs. 4 FGO hat das Gericht zu entscheiden, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Das ist aber, wenn ein Rechtsstreit bereits in die höhere Instanz gediehen ist, diese Instanz. Das ist allgemeine Auffassung (vgl. BFH-Urteil vom 6. November 1969 IV R 127/68, BFHE 97, 508, BStBl II 1970, 214, mit weiteren Nachweisen).

2. Der BFH ist bei dieser Entscheidung über die Wiedereinsetzung weder an die Feststellungen des FG gebunden noch daran gehindert, von der Vorinstanz nicht festgestellte Tatsachen zu berücksichtigen und etwaige Beweise selbständig zu würdigen (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 6. Oktober 1952 III ZR 369/51, BGHZ 7, 280, 283, 284; auch das BVerwG geht in seinem Urteil vom 11. Mai 1973 IV C 3.73, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 60 VwGO Nr. 73, unausgesprochen von derselben Rechtslage aus). Der BFH wird insoweit im Wiedereinsetzungsverfahren tätig, das zwar nach § 155 FGO i. V. m. § 238 Abs. 1 ZPO mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozeßhandlung - hier also dem Revisionsverfahren - zu verbinden ist, das aber dennoch - wie gerade die letztgenannte Bestimmung der Zivilprozeßordnung zeigt - mit dem Revisionsverfahren nicht identisch ist. Die besonderen Bindungen, denen das Revisionsgericht hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen unterliegt, gelten also nicht für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung.

3. Nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende der versäumten Frist kann nach § 56 Abs. 3 FGO Wiedereinsetzung freilich nicht mehr beantragt oder ohne Antrag bewilligt werden, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Diese Jahresfrist ist inzwischen abgelaufen. In Fällen der vorliegenden Art, in denen das FG - wie noch auszuführen ist - Wiedereinsetzung hätte gewähren müssen, kann es aber nicht auf den gegenwärtigen Zeitpunkt ankommen, sondern auf den Zeitpunkt, in dem das FG hätte entscheiden können (vgl. das zitierte BFH-Urteil IV R 127/68 mit weiteren Nachweisen). So wie es bei der Wiedereinsetzung auf Antrag nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag, sondern darauf ankommt, daß bei Antragstellung die Jahresfrist noch nicht verstrichen war, kann es bei einer Wiedereinsetzung ohne Antrag - bei der gewissermaßen das Vorliegen eines Antrags fingiert wird - nicht darauf ankommen, wann über die Wiedereinsetzung entschieden wird, sondern nur darauf, wann eine die Wiedereinsetzung rechtfertigende Lage vorhanden war. Andernfalls hinge es von dem rein zufälligen Umstand ab, wie schnell das Gericht entscheidet, ob Wiedereinsetzung gewährt werden kann oder nicht (vgl. das eben zitierte BFH-Urteil). Eine die Wiedereinsetzung rechtfertigende Lage war hier seit dem verspäteten Eingang der Klageschrift beim FG, also noch innerhalb der Jahresfrist, gegeben.

4. Die Klageschrift ist am 14. Februar 1969 beim FG eingegangen. Sie befand sich in einem Briefumschlag, der, da das Schriftstück durch die Post befördert worden ist, einen Poststempel trug. Dieser Briefumschlag gelangte ebenfalls in den Besitz des FG. Daß er nicht ordnungsgemäß aufbewahrt worden und daher auch nicht zur Kenntnis der entscheidenden Richter gelangt ist, darf billigerweise nicht zu Lasten der Klägerin gehen (vgl. das zitierte BVerwG-Urteil IV C 3.73). Trug der Briefumschlag - den Angaben der Klägerin entsprechend - den Poststempel eines Postamts in Hamburg mit dem Datum des 12. Februar 1969 und dem Zeitstempel 19.00 Uhr, so ergab sich für das FG in der Tat eine Lage, die es rechtfertigte, die Wiedereinsetzung von Amts wegen ohne weiteres zu gewähren.

a) Falls der Poststempel den Angaben der Klägerin entsprach, worauf unten näher eingegangen werden wird, konnte das FG erkennen, daß der Brief am 12. Februar 1969 spätestens um 19.00 Uhr in Hamburg zur Post gegeben worden war. Gerichtsbekannt war, daß die Entfernung zwischen Hamburg und Kassel nicht übermäßig groß ist (360 km), daß beide Städte Großstädte sind und Kassel an der vielbefahrenen Bahnlinie Hamburg- Frankfurt verkehrsgünstig gelegen ist. Weiter kann als gerichtsbekannt unterstellt werden, daß bei einer derartigen Gestaltung der Verkehrsverhältnisse die normale Postlaufzeit einen Tag nicht überschreitet. Der Fall liegt ähnlich wie der vom BVerwG im zitierten Urteil IV C 3.73 entschiedene Fall, in dem die Versendung von Pforzheim nach Mannheim zu beurteilen war; hier war die Entfernung zwar kürzer, die Verkehrsverhältnisse waren aber ungünstiger und das BVerwG ist ebenfalls ohne weiteres von einer normalen Postlaufzeit von einem Tag ausgegangen. Betrug aber die normale Laufzeit nur einen Tag, so ergab sich, daß die Klageschrift ausweislich des Poststempels spätestens am 13. Februar 1969 beim FG in Kassel hätte eintreffen müssen. Die Verzögerung der Beförderung beruhte also auf Gründen, die im Bereich der Post zu suchen sind. Der Bürger darf aber darauf vertrauen, daß die von der Post nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten auch eingehalten werden. Versagen sie, so darf ihm das, da er darauf keinen Einfluß hat, im Rahmen der Wiedereinsetzung nicht als Verschulden zur Last gelegt werden (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 1977 2 BvR 616/75, Neue Juristische Wochenschrift 1977 S. 1233, mit weiteren Nachweisen; BFH-Urteil vom 26. November 1976 III R 125/74, BFHE 121, 15, BStBl II 1977, 246). Ist also die Klageschrift bereits am 12. Februar 1969 gegen 19.00 Uhr in Hamburg zur Post gegeben und gestempelt worden, so bestand schon mit Eintreffen dieser Sendung beim FG am 14. Februar 1969 eine Lage, die die Wiedereinsetzung ohne Antragstellung und ohne die Glaubhaftmachung irgendwelcher Umstände ohne weiteres rechtfertigte.

b) Der erkennende Senat ist davon überzeugt, daß der Briefumschlag den Poststempel vom 12. Februar 1969 trug. (Wird ausgeführt)

5. Der Klägerin ist danach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Klagefrist ist also nicht versäumt worden. Das FG hat daher die Klage im Ergebnis zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Von einer Entscheidung in der Sache selbst sieht der erkennende Senat schon deswegen ab, um den Beteiligten keine Instanz zu nehmen. Die Sache war daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 72759

BStBl II 1978, 390

BFHE 1978, 487

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