Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nur Sonderausgaben; Zurechnung des Nutzungswerts einer Wohnung, die der Nießbraucher dem Eigentümer unentgeltlich überläßt

 

Leitsatz (NV)

1. Beiträge eines Arbeitnehmers zur gesetzlichen Rentenversicherung sind keine vorab entstandenen Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zur Erlangung späterer sonstiger Einkünfte nach § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG, sondern als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG im Rahmen der für Vorsorgeaufwendungen geltenden Höchstbeträge (§ 10 Abs. 3 EStG) abziehbar (Anschluß an Senatsurteil vom 29. Juli 1986 IX R 206/84 BFHE 147, 176, BStBl II 1986, 747).

2. Überläßt der Nießbraucher an einem Zweifamilienhaus dessen Eigentümer unentgeltlich die Nutzung einer Wohnung, so ist deren Nutzungswert gemäß § 21 Abs. 2 Alt. 1 oder 2 EStG dem Eigentümer zuzurechnen (Anschluß an BFH-Urteil vom 25. Oktober 1988 IX R 132/85, BFH/NV 1989, 295).

3. Eine für die Zurechnung des Nutzungswerts nach § 21 Abs. 2 Alternative 2 EStG erforderliche gesicherte Rechtsposition des Nutzenden setzt keine besondere Abmachung der Vertragsparteien über den Zeitraum voraus, in dem die überlassene Wohnung zum Gebrauch zur Verfügung steht; sie kann sich auch aus nur stillschweigendem Konsens der Vertragsparteien oder konkludent aus den Umständen des Falles ergeben (Ergänzung zum Senatsurteil vom 21. Januar 1986 IX R 27/83, BFH/NV 1986, 456).

 

Normenkette

EStG 1981 §§ 7b, 9 Abs. 1 S. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 21 Abs. 2, § 21a Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 22 Nr. 1 Buchst. a

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Aufgrund notariellen Übertragungsvertrags vom 24. Juni 1982 erwarb der Kläger von seinen Eltern ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes Grundstück. Nach § 2 des Vertrags räumte er seinen Eltern zugleich den lebenslänglichen Nießbrauch an dem übertragenen Grundbesitz ein. Als Gegenleistung übernahm er die in Abt. III des Grundbuches eingetragenen Belastungen, die bei Vertragsschluß mit rd. 194 000 DM valutiert waren; ferner hatte der Kläger bereits vor dem Vertragsschluß eine Zahlung von 46 000 DM an die Eltern geleistet. Das Grundstück war nach dem Vertrag am 1. Mai 1982 übergeben worden. Wie auch vor dem Eigentumsübergang nutzten die Eltern die 64 qm große Wohnung und die Kläger die 101 qm große Wohnung.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1982 machten die Kläger bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus diesem Grundstück einen Werbungskostenüberschuß in Höhe von . . . DM geltend. Sie begehrten u. a. den Abzug erhöhter Absetzungen gemäß § 7 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 10 000 DM und von Absetzungen für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 Abs. 4 EStG - zeitanteilig - in Höhe von 778 DM. Während der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zunächst keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte, war der Einspruch teilweise erfolgreich. Das FA ging nunmehr von einem Werbungskostenüberschuß in Höhe von . . . DM aus, wobei es unter anderem erhöhte Absetzungen gemäß § 7 b EStG und AfA gemäß § 7 Abs. 4 EStG zeitanteilig in Höhe von zusammen 4554 DM sowie Schuldzinsen in Höhe von . . . DM berücksichtigte.

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger den Ansatz höherer § 7 b-Absetzungen. Denn die Anschaffungskosten für das Gebäude hätten 263 128 DM betragen, so daß unter Berücksichtigung des vom Kläger genutzten Anteils (61,2 v. H.) 161 061 DM als Bemessungsgrundlage anzusetzen seien. Ferner seien die von ihnen aufgewandten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als Werbungskosten bei den Einkünften i. S. von § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG zu berücksichtigen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, da die Kläger nicht den Tatbestand des § 21 Abs. 2 EStG erfüllten. Auch die Rentenversicherungsbeiträge seien nicht als Werbungskosten abziehbar.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA einen hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrags vorläufigen Änderungsbescheid erlassen, den die Kläger gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht haben. Sie haben jedoch darauf hingewiesen, auch die unzureichende gesetzliche Regelung der Kinderbetreuungskosten bedürfe einer verfassungsrechtlichen Überprüfung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die Revision ist nicht bereits wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 und § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG begründet. Nach der Senatsentscheidung vom 29. Juli 1986 IX R 206/84 (BFHE 147, 176, BStBl II 1986, 747) sind Beiträge eines Arbeitnehmers zur gesetzlichen Rentenversicherung keine vorab entstandenen Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zur Erlangung späterer sonstiger Einkünfte nach § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG, sondern nur als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG im Rahmen der für Vorsorgeaufwendungen geltenden Höchstbeträge (§ 10 Abs. 3 EStG) abziehbar. An dieser Rechtsauffassung hält der erkennende Senat fest. Er verweist zur weiteren Begründung auf seine Entscheidung in BFHE 147, 176, BStBl II 1986, 747.

2. Die Vorentscheidung ist jedoch wegen Verletzung des § 21 Abs. 2 EStG i. d. F. vom 6. Dezember 1981 (EStG 1981) aufzuheben. Die Auffassung des FG, der Nutzungswert der von den Klägern genutzten Wohnung sei den Nießbrauchern zuzurechnen, ist rechtsfehlerhaft. Denn die Nießbraucher haben insoweit weder den Tatbestand der Einkunftserzielung des § 21 Abs. 1 EStG noch den der Selbstnutzung nach § 21 Abs. 2 EStG verwirklicht. Vielmehr ist der Nutzungswert dieser Wohnung gemäß § 21 Abs. 2 EStG den Klägern zuzurechnen, wobei unentschieden bleiben kann, ob hierfür die Alternative 2 oder die Alternative 1 der Vorschrift heranzuziehen ist. Wie der Senat bereits im Urteil vom 25. Oktober 1988 IX R 132/85 (BFH/NV 1989, 295 m. w. N.) entschieden hat, kann der Nießbrauch an einem Zweifamilienhaus auch dadurch wirksam ausgeübt werden, daß eine Wohnung vom Nießbraucher selbst genutzt, die andere dem Eigentümer unentgeltlich zu Wohnzwecken überlassen wird; der Nutzungswert der letzteren ist dann gemäß § 21 Abs. 2 Alternative 2 EStG vom nutzenden Eigentümer zu versteuern. Die nach ständiger Rechtsprechung für die Zurechnung des Nutzungswerts nach § 21 Abs. 2 2. Alternative EStG 1981 erforderliche gesicherte Rechtsposition des Nutzenden ist gegeben, wenn ihm der Gebrauch für eine grundsätzlich festgelegte Zeit nicht entzogen werden kann. Hierfür genügt ein schuldrechtliches Nutzungsrecht (Senatsurteile vom 16. Oktober 1984 IX R 81/82, BFHE 143, 310, BStBl II 1985, 390, und vom 23. Oktober 1984 IX R 48/80, BFHE 143, 313, BStBl II 1985, 453), das auch durch einen Leihvertrag begründet werden kann und für dessen Zustandekommen es keiner besonderen Form bedarf (Senatsurteil vom 21. Januar 1986 IX R 27/83, BFH/NV 1986, 456).

Die Dauer eines Nutzungsrechts kann mit dem Urteil in BFHE 144, 376, BStBl II 1986, 327 - Ziff. 1 b) Abs. 4 der Gründe - auch mit Hilfe (ergänzender) Vertragsauslegung ermittelt werden. Deshalb bedarf es entgegen der Auffassung des FG keiner besonderen Abmachung der Vertragsparteien über den Zeitraum, in dem die überlassene Wohnung zum Gebrauch zur Verfügung steht. Eine gesicherte Rechtsposition zur Nutzung kann sich auch aus nur stillschweigendem Konsens der Vertragsparteien oder konkludent aus den Umständen des Falles ergeben.

Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Vorentscheidung als fehlerhaft, weil das FG übersehen hat, daß sich das Recht des Klägers, die Wohnung dauerhaft zu nutzen, aus § 5 des notariellen Überlassungsvertrags ergibt. Zwar hat die Vorinstanz insoweit eine notwendige Auslegung unterlassen, doch kann sie der Senat als Revisionsgericht selbst vornehmen, da das FG die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen hat (vgl. Senatsentscheidung vom 30. Juli 1991 IX R 43/89, BFHE 165, 245, BStBl II 1991, 918, m. w. N.). Gemäß § 5 des auch von den Nießbrauchern unterzeichneten Übertragungsvertrags versicherte der Kläger, daß er das Vertragsobjekt selbst bewohne und auch in Zukunft bewohnen werde. Der Senat läßt unerörtert, ob sich daraus bereits eine Beschränkung des Nießbrauchs der Eltern auf die von ihnen selbstgenutzte Wohnung ergibt. Jedenfalls folgt hieraus, daß die Vertragsparteien übereinstimmend von einer dauernden Nutzung der Wohnung durch den Klägern ausgegangen sind.

Der Nutzungswert der dem Kläger nach § 21 Abs. 2 EStG 1981 zuzurechnenden Wohnung ist gemäß § 21 a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 EStG 1981 durch Pauschalierung zu ermitteln; denn der Kläger hat das Grundstück am 24. Juni 1982 aufgrund eines rechtswirksam abgeschlossenen obligatorischen Vertrags erworben (vgl. § 21 a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG 1981).

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Denn das FG hat bisher - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob und inwieweit der Kläger das Grundstück unentgeltlich erworben hat. Es wird bei der Ermittlung der erhöhten Absetzungen gemäß § 7 b EStG berücksichtigen müssen, daß nach dem Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89 (BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847) die Vermögensübertragung zur vorweggenommenen Erbfolgeregelung insoweit zu Anschaffungskosten des Übernehmers führt, als er Verbindlichkeiten übernimmt. Dagegen erwirbt der Übernehmer das Grundstück insoweit unentgeltlich, als sich der Übertragende ein Nutzungsrecht daran vorbehält. Dies ist nicht Gegenleistung des Übernehmers für die Übertragung des Grundstücks, sondern mindert von vornherein das übertragene Vermögen (BFH-Urteil vom 28. Juli 1981 VIII R 124/76, BFHE 134, 130, BStBl II 1982, 378). Wie sich aus Abschn. C II. 1. c) der Gründe ergibt, hält der Große Senat in seinem oben genannten Beschluß an dieser Rechtsauffassung fest.

Dem Kläger sind für den Erwerb des Grundstücks in Höhe der übernommenen Verbindlichkeiten, die nach § 2 Abs. 1 des notariellen Übertragungsvertrags noch in Höhe von 194 000 DM valutiert waren, und der vor dem Vertragsschluß geleisteten 46 000 DM Anschaffungskosten in Höhe von 240 000 DM entstanden. Das FG hat jedoch keine Feststellungen getroffen, die es ermöglichen, die Anschaffungskosten auf den Grund und Boden und das Gebäude aufzuteilen (vgl. hierzu die Senatsentscheidung vom 15. Januar 1985 IX R 81/83, BFHE 143, 61, BStBl II 1985, 252).

4. Die Sache war daher wegen fehlender Spruchreife an das FG zurückzuverweisen. Bei der erneuten Verhandlung werden die Kläger auch Gelegenheit haben, ihren Vortrag hinsichtlich ihrer erst im Revisionsverfahren geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Regelung der Kinderbetreuungskosten dahingehend zu ergänzen, ob sie eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Familienlastenausgleichs insgesamt oder lediglich des § 33 a Abs. 3 Nr. 1 EStG 1981, der die Kinderbetreuungskosten betrifft, begehren. Im letzteren Fall müßten die Kläger zunächst darlegen, inwieweit sie höhere Aufwendungen gehabt haben. Nach ihrer Einkommensteuererklärung sind den Klägern jedoch nur Aufwendungen für eine Haushaltshilfe in Höhe von 600 DM entstanden, obwohl der gesetzliche Höchstbetrag für zusammenveranlagte Eheleute gemäß § 33 a Abs. 3 Satz 1 EStG 1981 1200 DM betrug.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418239

BFH/NV 1992, 587

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