Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein in der Bundesrepublik ansässiger Verlag (Lizenzgeber) das Recht zur Neuauflage eines literarischen Werkes einem in der DDR ansässigen Verlag (Lizenznehmer) übertragen und gewährt der Lizenzgeber dem Verfasser des Werkes aus den Ihm vom Lizenznehmer überwiesenen Lizenzgebühren einen Honoraranteil, so sind diese Einkünfte beim Verfasser des Werkes nicht nach § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1965 von der Einkommensteuer befreit.

2. Wurde anläßlich der Überweisung der Lizenzgebühren in der DDR Einkommensteuer einbehalten und wird deshalb der dem Verfasser überwiesene Honoraranteil entsprechend gekürzt, so sind dem Verfasser im Rahmen seiner Veranlagung zur Einkommensteuer auf denen Antrag Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 Abs. 1 Satz 2 AO zu gewähren.

 

Normenkette

EStG 1965 § 2 Abs. 2 S. 2; AO § 131 Abs. 1 S. 3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die als Erbin eines Buchautors aus den von einem DDR-Verlag gezahlten Lizenzgebühren Honorare erhalten hat, mit diesen Einkünften der Einkommensteuer unterliegt.

Der verstorbene Ehemann der Klägerin ist Verfasser eines literarischen Werkes. Die Verlagsrechte an diesem Werk standen einem Verlag in der Bundesrepublik – im Folgenden A – zu. Im Jahre 1963 wendete sich ein Verlag mit Sitz in der DDR (im Folgenden B) an die Klägerin mit der Bitte, der Herausgabe eines Nachdrucks dieses Werkes zuzustimmen. Nach umfangreichem Schriftwechsel erteilte die Klägerin die erbetene Zustimmung zur Neuauflage des Werkes und schrieb hierzu ein Vorwort. Am 18. September 1964 kam zwischen A und B ein Vertrag zustande, aufgrund dessen B das Recht erhielt, Nachdrucke und eine englischsprachige Ausgabe des Werkes herzustellen, zu veröffentlichen und zu vertreiben. B sollte dafür an A eine Lizenzgebühr zahlen; diese sollte 6,7 v. H. des Ladenpreises der DDR-Ausgabe (abzüglich des in der DDR vorgeschriebenen Steuersatzes von 25 v. H.) betragen. In dem Vertrag heißt es ferner: „Das Honorar für die Witwe des Autors ist in der Lizenzgebühr eingeschlossen. Ihre Abfindung regelt A.” Nach Abschluß des Vertrages schrieb A an die Klägerin: „Ihre Rechte aus diesem Vertrag werden dadurch abgegolten, daß wir nach Zahlung der Lizenzgebühren abzüglich der DDR-Steuern durch B 50 % des Nettoerlöses aus Lizenzeinnahmen mit ihnen abrechnen.” im Streitjahr 1966 überwies A an die Klägerin 50 v. H. der ihm von B gezahlten Lizenzgebühren (= 12 720 DM).

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) behandelte diesen Betrag bei der Einkommensteuerveranlagung der Klägerin für das Streitjahr als steuerpflichtige Einnahme. Dagegen ist die Klägerin der Auffassung, daß es sich bei dem an sie gezahlten Betrag um Einkünfte aus der DDR handelt, die nach § 2 Abs. 2 Salz 2 EStG 1965 nicht der Einkommensteuer unterliegen. Sie habe gegen B einen Honoraranspruch gehabt, dessen Erfüllung über den in der Bundesrepublik ansässigen A abgewickelt worden sei.

Der Einspruch der Klägerin, mit dem sie u. a. auch geltend machte, der vereinnahmte Betrag müsse „aus Billigkeitsgründen” steuerfrei bleiben, hatte keinen Erfolg. Auf die Klage änderte das Finanzgericht (FG) mit seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1972 S. 57 – EFG 1972, 57 – veröffentlichten Urteil vom 5. August 1971 V 83/70 den angefochtenen Bescheid und die Einspruchsentscheidung dahin ab, daß der der Klägerin zugeflossene Betrag von 12 720 DM „steuerfrei belassen” wird. Zur Begründung führte das FG aus, nach § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1965 blieben bei der Ermittlung des Einkommens die in § 49 EStG bezeichneten Einkünfte aus der DDR außer Ansatz. Die streitigen Zahlungen seien zu diesen Einkünften zu rechnen. Soweit der Klägerin das Honorar für ihre eigenen Leistungen gezahlt worden sei, gehöre es zu den in § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG genannten Einkünften aus selbständiger Tätigkeit; soweit die Klägerin dagegen als Rechtsnachfolgerin des Urhebers für die Überlassung des Urheberrechts ein Honorar erhalten habe, gehöre dieses zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Die streitigen Einkünfte seien auch von der Klägerin in der DDR bezogen worden. Maßgebend sei, daß die Zahlungen aufgrund von Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und dem in der DDR ansässigen B erfolgt seien, die auf einem Leistungsaustausch zwischen ihr und B beruhten. Bei der steuerrechtlichen Beurteilung dieser Beziehungen könne nicht allein auf den Lizenzvertrag zwischen A und B abgestellt werden; vielmehr müsse auch die durch die Vertragsgestaltung geschaffene wirtschaftliche Lage in Betracht gezogen werden. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin aus dem zwischen A und B geschlossenen Vertrag selbst einen eigenen klagbaren Anspruch gegen B gehabt habe. Jedenfalls lasse die Vertragsgestaltung erkennen, daß A das auf die Klägerin entfallende Honorar lediglich entgegennehmen und an sie weiterleiten sollte. Das reiche für die nach § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1965 erforderliche Verbindung zwischen der Klägerin und B aus.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 2 Abs. 2 EStG 1965 i. V. m. § 49 EStG. Nach seiner Auflassung können aufgrund der genannten Vorschriften nur solche Einkünfte bei der Einkommensteuerveranlagung außer Betracht bleiben, die einem in der Bundesrepublik ansässigen Steuerpflichtigen unmittelbar von außerhalb zuflössen. Daran fehle es im Streitfall, wie sich aus den vorliegenden Verträgen ergebe. Durch einen Verlagsvertrag verpflichte sich der Autor, dem Verlag die ausschließliche Nutzung des Werkes zu überlassen und sich seinerseits jeder Nutzung zu enthalten. Einen Lizenzvertrag mit einem anderen Verlag könne daher nur der vom Autor mit der Nutzung betraute Verlag schließen. Für die in solchen Füllen branchenübliche Zahlung eines Honorars aus den erzielten Lizenzgebühren an den Autor hafte allein der Lizenzgeber; der Honoraranteil fließe dem Autor unmittelbar vom Lizenzgeber zu. Von dieser Regel bestehe auch im Streitfall keine Ausnahme.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Dem FG kann nicht darin beigepflichtet werden, daß der der Klägerin im Streitjahr zugeflossene Honorarbetrag nach § 2 Abs. 2 Salz 2 EStG von der Einkommensteuer befreit ist.

Die Klägerin gehört zu den Personen, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik oder in Berlin (West) haben. Sie ist deshalb nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht erstreckt sich auf sämtliche Einkünfte (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EStG). Entgegen der Auffassung des FG gehören hierzu auch die der Klägerin zugeflossenen Honorareinkünfte; denn die Voraussetzungen der von der Klägerin beanspruchten Steuerbefreiung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1965 lagen nicht vor.

a) Nach § 2 Abs. 2 EStG 1965 bleiben bei der Ermittlung des Einkommens die in § 49 bezeichneten Einkünfte, die in „zum Inland gehörenden Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes und von Berlin (West)” bezogen worden sind, außer Ansatz, „wenn in diesen Gebieten Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) haben, als beschränkt steuerpflichtig behandelt werden”.

Der Sinn dieser – die Einkünfte aus der DDR betreffenden – Regelung liegt darin, Doppelbelastungen mit Einkommensteuer zu vermeiden. Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1965 geht davon aus, daß in der DDR natürliche Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik oder Berlin (West) mit ihren in der DDR erzielten Einkünften als beschränkt Steuerpflichtige zur Einkommensteuer herangezogen werden (vgl. die in der DDR geltende Regelung des § 1 Abs. 2 i. V. m. § 49 EStG i. d. F. vom 18. September 1970; Gesetzblatt der DDR Teil I, S. 362 i. V. m. Sonderdruck Nr. 670 des Gesetzblattes). Diese bereits in der DDR versteuerten Einkünfte sollen in der Bundesrepublik nicht nochmals steuerlich belastet werden (Gutachten des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 25. Januar 1951 I D 4/50 S, BStBl III 1951, 68 [707]). Das bedeutet allerdings nicht, daß in jedem Einzelfall zu ermitteln ist, ob die in Frage stehenden Einkünfte in der DDR schon der Besteuerung unterlagen. Vielmehr wird vom Gesetz allgemein und ohne Berücksichtigung des Einzelfalls unterstellt, daß Einkünfte, für die in der Bundesrepublik eine beschränkte Steuerpflicht zu bejahen wäre, auch in der DDR einer entsprechenden Einkommensbesteuerung unterworfen worden sind (vgl. Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., Anm. 3 zu § 2). Falls man allerdings die in der DDR erzielten Einkünfte nach dem Einkommensteuerrecht der Bundesrepublik nicht als beschränkt steuerpflichtig ansehen könnte (wie z. B. Zinsen aus Spareinlagen), so müßten sie, selbst wenn sie in der DDR der Einkommensteuer unterlagen, bei der Besteuerung in der Bundesrepublik und in Berlin (West) wie andere Einkünfte angesetzt werden; in diesem Fall könnte eine Steuerbefreiung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1965 nicht eintreten (Blümich/Falk, a. a. O.).

Für die Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1965 kommt es sonach ausschließlich darauf an, ob die in der DDR erzielten Einkünfte falls sie in der Bundesrepublik erzielt worden wären, bei einem beschränkt Steuerpflichtigen zu den inländischen Einkünften i. S. des § 49 Abs. 1 EStG gehören würden. Nur wenn dies zu bejahen ist, scheiden die betreffenden Einkünfte bei der Einkommensbesteuerung in der Bundesrepublik kraft Gesetzes aus.

b) Es kann hier dahinstehen, ob die der Klägerin zugeflossenen Einkünfte als solche aus selbständiger Arbeit (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG) oder aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG) zu beurteilen sind. Eine Befreiung dieser Einkünfte von der Besteuerung in der Bundesrepublik nach § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1965 scheidet in jedem Fall schon deshalb aus, weil sie nicht unmittelbar von der Steuerpflichtigen aus der DDR bezogen worden sind.

Wie das FG festgestellt hat, hängen die Einkünfte der Klägerin mit der Neuauflage eines von ihrem verstorbenen Ehemann verfaßten Werkes der Literatur zusammen. Die für die Entstehung dieser Einkünfte maßgebenden Rechtsvorgänge lassen erkennen, daß die Klägerin die Einkünfte von A und nicht von B bezogen hat.

Unstreitig standen die Verlagsrechte an dem Werk dem A zu. Als Inhaber des Verlagsrechts besaß A das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes (vgl. § 8 des Gesetzes über das Verlagsrecht vom 19. Juni 1901 – VerlG–; RGBl S. 217). Demgegenüber bestand für die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Verfassers die Pflicht, sich jeder Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes zu enthalten (§ 2 Abs. 1 VerlG); die Klägerin konnte somit nicht aus eigenem Recht eine Neubearbeitung des Werkes in einem anderen Verlag erscheinen lassen (Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 2. Aufl., S. 333). An der Vergabe von Lizenzen war sie in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin des Verfassers lediglich insoweit beteiligt, als es zu den vom Verlagsrechtsinhaber A abgeschlossenen Lizenzverträgen ihrer Zustimmung bedurfte (vgl. § 28 VerlG). Diesen Regeln entsprechend ist der Vertrag vom 18. September 1964 zwischen A und B zustande gekommen. Die beiden Verlage haben sich in diesem Vertrag über eine beschränkte Übertragung der Verlagsrechte gegen Zahlung von Lizenzgebühren geeinigt. Dabei sollte der lizenznehmende Verlag B an A als Lizenzgeber eine Lizenzgebühr „von 6,7 % vom Ladenpreis der DDR-Ausgabe” leisten. In dieser Lizenzgebühr sollte auch das Honorar für die Klägerin eingeschlossen sein, wobei im Vertrag ausdrücklich hervorgehoben wird, daß die Abfindung der Klägerin durch A geregelt werden soll.

Demnach war es – unabhängig von einer etwaigen Mithaftung des Lizenznehmers für das Honorar der Klägerin (vgl. § 28 Abs. 2 VerlG) – ausschließlich Sache des Lizenzgebers, die Erfüllung des Honoraranspruchs als eigene Angelegenheit zu übernehmen. Daß A als Lizenzgeber das auf die Klägerin entfallende Honorar lediglich entgegennehmen und an sie weiterleiten sollte, trifft nicht zu. Die dem A vom Lizenznehmer gewährten Geldbeträge sind vielmehr von A im eigenen Namen vereinnahmt worden; das aus diesen Beträgen errechnete Honorar für die Klägerin ist im Namen des A (und nicht des Lizenznehmers) geleistet worden.

Die von der Klägerin erzielten Einkünfte waren somit nicht gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1965 von der Einkommensteuer befreit.

2. Obwohl das der Klage stattgebende Urteil demnach auf unzutreffenden Erwägungen beruht, ist eine abschließende Entscheidung i. S. der vom FA begehrten Klageabweisung nicht möglich. Der Sachverhalt gibt vielmehr noch Veranlassung zur Prüfung der Frage ob und gegebenenfalls in welchem Umfang von der Besteuerung der Honorareinkünfte aus Billigkeitsgründen abgesehen werden kann Da das FG zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen hat, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

a) Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO können im Einzelfall Steuern ganz oder zum Teil erlassen, erstattet oder angerechnet werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Befugnis zum Erlaß der Steuer umfaßt bei der Einkommensteuer auch das Recht, zuzulassen, daß die Steuer niedriger festgesetzt wird oder daß einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuer erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer nicht berücksichtigt werden (§ 131 Abs. 1 Satz 2 AO).

Die Frage, ob im Streitfall von der Heranziehung der Honorareinkünfte als Besteuerungsmerkmal gem. § 131 Abs. 1 Satz 2 AO ganz oder teilweise hätte abgesehen werden können oder ob die in der Bundesrepublik zu veranlagende Steuer unter Anrechnung der in der DDR einbehaltenen Steuer niedriger hätte festgesetzt werden können, hätte bereits in dem die Veranlagung der Klägerin zur Einkommensteuer betreffenden Verfahren entschieden werden müssen. Denn die Klägerin hatte schon mit ihrem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid einen entsprechenden Billigkeitsantrag gestellt. Wenn das FA in seiner Einspruchsentscheidung hierauf nicht eingegangen ist, so muß dies unter den gegebenen Umständen als Ablehnung des Antrags angesehen werden. Die Entscheidung über die Ablehnung von Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 Abs. 1 Satz 2 AO stellt in derartigen Fällen keinen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt dar, sondern ist Bestandteil des Veranlagungsverfahrens (BFH-Urteile vom 6. Mai 1971 IV R 59/69, BFHE 102, 493, BStBl II 1971, 664; vom 28. Juni 1972 I R 182/69, BFHE 106, 427, BStBl II 1972, 819). Demgemäß erstreckt sich auch die gerichtliche Überprüfung im Rahmen des Klageverfahrens auf diesen Teil der Veranlagung.

Die gerichtliche Nachprüfung vollzieht sich insoweit nach den Grundsätzen, die für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen gelten (vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluß vom 19. Oktober 1971 GmS – OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Das bedeutet, daß das Gericht prüft, ob „die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist” (§ 102 FGO); dagegen kann das Gericht im allgemeinen nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörde setzen. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn das in § 131 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO eingeräumte Ermessen nach Sachlage des Einzelfalls ausnahmsweise so eingeengt ist, daß nur eine Entscheidung der Billigkeit entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 26. September 1968 IV R 53/68, BFHE 94, 110, BStBl II 1969, 77; Beschluß des Gemeinsamen Senats GmS-OGB 3/70). In diesem Fall spricht das Gericht die der Sachlage entsprechende Billigkeitsfolge selbst aus.

Im Streitfall ist eine Überprüfung des angefochtenen Bescheides bzw. der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung auf etwaige Ermessensfehler bei der (stillschweigenden) Ablehnung des Billigkeitsgesuchs der Klägerin bisher unterblieben; aus der bisherigen Sicht des FG betrachtet bedurfte es dieser Prüfung auch nicht, da das FG der Klage schon aus Rechtsgründen stattgegeben hat.

b) Bei der nunmehr nachzuholenden Prüfung, ob die Ablehnung des Billigkeitsgesuchs der Klägerin ermessensgerecht war, ist von folgenden Erwägungen auszugehen:

Der Erlaß einer Steuerschuld oder die Nichtberücksichtigung von steuererhöhenden Besteuerungsgrundlagen kommen aus sachlichen Billigkeitsgründen in Betracht, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist und der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Besteuerung aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. zuletzt Urteil vom 17. Dezember 1974 VII R 111/72, BFHE 115, 82).

Geht man im Streitfall von der gesetzlichen Regelung der unbeschränkten Steuerpflicht für alle Einkünfte (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EStG) aus, so müßte die tatbestandsmäßige Anwendung dieser Regelung dazu führen, daß die Honorareinkünfte der Klägerin in voller Höhe besteuert werden, obwohl sie aus Lizenzgebühren berechnet worden sind, die ihrerseits schon der Besteuerung in der DDR unterlagen (vgl. Anordnung des Ministers der Finanzen über die Besteuerung von Lizenzeinnahmen vom 25. Juni 1965, Gesetzblatt der DDR, Teil II S. 554). Dies würde der mit der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Salz 2 EStG 1965 verbundenen Absicht, Doppelbesteuerungen zu vermeiden, zuwiderlaufen. Da die genannten Einkünfte – vom Fehlen eines unmittelbaren Zuflusses aus der DDR abgesehen – im übrigen sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1965 erfüllen, muß ihr uneingeschränkter Ansatz bei der Besteuerung in der Bundesrepublik als sachlich unbillig angesehen werden. Das muß um so mehr gelten, als selbst die in einem ausländischen Staat festgesetzten und gezahlten (bzw. einbehaltenen) Steuern unter den Voraussetzungen des § 34 c EStG auf die inländische Einkommensteuer angerechnet werden. In diesem Zusammenhang ist im übrigen auch auf die Verwaltungspraxis in den Fällen hinzuweisen, in denen Vergütungen für die Überlassung von Urheberrechten an Stellen der DDR den Lizenzgebern über die GEMA zufließen (vgl. hierzu den im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen und den übrigen Finanzministern bzw. -senatoren der Länder ergangenen Erlaß des Finanzministers NRW vom 23. November 1959 – S 2113 – 2776/59/VB – 1, abgedruckt in Der Betrieb 1959 S. 1357).

 

Fundstellen

Haufe-Index 514561

BFHE 1976, 541

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