Entscheidungsstichwort (Thema)

Kürzung des Vorwegabzugs der Sonderausgaben bei von der Rentenversicherungspflicht auf eigenen Antrag befreiten Arbeitnehmer

 

Leitsatz (NV)

1. Der zusätzliche Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen (§10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG) ist auch bei einem Arbeitnehmer zu kürzen, der auf eigenen Antrag von der Rentenversicherungspflicht befreit ist (Anschluß an das Senatsurteil vom 29. November 1989 X R 183/87, BFHE 159, 80, BStBl II 1990, 218). Dies gilt auch dann, wenn die zugesagte Versorgungsanwartschaft für das Versorgungskonzept des Steuerpflichtigen relativ unbedeutend ist.

2. Ein Erledigungsvorschlag des FA im Einspruchsverfahren stellt grundsätzlich keine (verbindliche) Zusage dar (ständige Rechtsprechung).

 

Normenkette

AO 1977 § 118; EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. a Doppelbuchst. cc

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog im Streitjahr 1990 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Arbeitnehmer bei der X-AG und Einkünfte aus Kapitalvermögen. Er ist auf eigenen Antrag von der Rentenversicherungspflicht befreit.

Im Jahre 1981 vereinbarte der Kläger mit der Arbeitgeberin eine Vertragspension, die zusätzlich zu Leistungen nach der X-Pensionsordnung zugesagt wurde. Träger der Pension ist die X-AG. Im Jahre 1985 führte diese eine X-Versorgungsordnung ein und teilte dem Kläger mit, daß für ihn nach wie vor die Pensionsordnung gelte. Die Vertragspension wurde seither abgeändert weitergeführt.

Im Einkommensteuerbescheid für 1990 vom 9. Oktober 1992 kürzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) bei der Berechnung der Vorsorgeaufwendungen den Vorwegabzug um 9 v.H. und 3 v.H. des Jahresbetrags der Beitragsbemessungsgrenze (= 12 v.H. aus 75 600 DM = 9 072 DM) wegen der Entlastung bei der Alters- und Krankenversorgung.

Mit dem Einspruch wandte sich der Kläger gegen die Kürzung des Vorwegabzugs wegen Entlastung von der Altersversorgung um 9 v.H. Er machte geltend, er erhalte weder einen Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung noch einen steuerfreien Zuschuß zu gleichgestellten Aufwendungen. Während des Einspruchsverfahrens teilte das FA dem Kläger durch Schreiben vom 12. Juli 1993 u.a. folgendes mit:

"5. Hinsichtlich der Kürzung des Vorwegabzuges bei den Sonderausgaben wird Ihrem Einspruchsbegehren entsprochen.

Nach den obigen Ausführungen zu den strittigen Punkten bitte ich Sie, die Erfolgsaussichten Ihres Einspruchs nochmals zu überprüfen und mir mitzuteilen, inwieweit Sie diesen weiterhin aufrechterhalten wollen bzw. ob Sie mit einer Änderung des Bescheides 1990, wie in den Punkten 3 bis 5 erläutert, und einer damit verbundenen Erledigung des Einspruchsverfahrens einverstanden sind."

Mit Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 1995 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid; es erhöhte die Einkommensteuer für 1990 aus hier nicht streitigen Gründen von 67 526 DM auf 67 622 DM und wies den Einspruch im übrigen als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 275.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.

Er trägt vor: Er habe seine Beiträge zur Altersvorsorge aus seinem steuerpflichtigen Einkommen aufgebracht. Zusätzlich habe der Arbeitgeber als Anerkennung für seine Leistungen durch eine relativ geringfügige Zuwendung die Altersvorsorge aufgestockt. Die Vertragspension betrage 565 DM monatlich (= 6,6 v.H. der gesamten Rente der X-AG). Es sei nicht einzusehen, weshalb in Anbetracht eines derart geringen Anteils an der Rentenzahlung der Vorwegabzug in vollem Umfang gekürzt werden müsse. Infolge der Kürzung würde er mit den Steuerpflichtigen gleichgestellt, die Vorsorgeaufwendungen zu einem wesentlichen Teil nicht selbst aus ihrem versteuerten Einkommen aufbringen müßten, sondern in Form von Arbeitgeberanteilen erhielten. Er selbst habe jedoch insgesamt mehr als 200 000 DM aus versteuertem Einkommen für seine Altersvorsorge aufgewendet, darunter Einzahlungen in die Pensionskasse des Arbeitgebers und Zahlungen an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Der Arbeitgeber habe zu keinem Zeitpunkt irgendwelche anteiligen Zahlungen an die BfA erbracht.

Er habe im Jahre 1990 wie in den Jahren zuvor im Vertrauen auf die ungekürzte Abziehbarkeit der Sonderausgaben zusätzliche Vorsorgeaufwendungen getätigt. Es sei nicht nachvollziehbar, daß die Verwaltung Vorschriften rückwirkend zum Nachteil des Steuerzahlers auslege, ohne daß das Gesetz geändert worden sei. Das FA habe mit dem Schreiben vom 12. Juli 1993 einen Vertrauenstatbestand geschaffen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben sowie unter Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung die Kürzung des Vorwegabzugs rückgängig zu machen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es ist der Auffassung, die Kürzung des Vorwegabzugs beruhe auf Wortlaut und Sinn des insoweit typisierenden Gesetzes. Die im Schreiben vom 12. Juli 1993 vertretene Auffassung habe sich aus einer finanzamtsinternen Dienstverfügung ergeben; insoweit könne der Kläger keinen Vertrauensschutz beanspruchen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

1. Dem Kläger steht der beantragte Vorwegabzug aus materiellrechtlichen Gründen nicht zu.

Nach §10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes 1990 (EStG) sind Vorsorgeaufwendungen nur im Rahmen eines Grundhöchstbetrages, eines zusätzlichen Vorwegabzugs für Beiträge nach §10 Abs. 1 Nr. 2 EStG und eines hälftigen Höchstbetrages abziehbar. Der Vorwegabzug für Beiträge nach §10 Abs. 1 Nr. 2 EStG beträgt im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten 8 000 DM (§10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG). Dieser sog. Vorwegabzug ist nach näherer gesetzlicher Maßgabe zu kürzen u.a. bei Steuerpflichtigen, die eine Berufstätigkeit ausüben und im Zusammenhang damit auf Grund vertraglicher Vereinbarungen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erwerben, um 9 v.H. des Arbeitslohns aus der Beschäftigung, höchstens des Jahresbetrags der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten (§10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a cc EStG).

Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Voraussetzungen dieser Kürzungsvorschrift erfüllt sind. Der Kläger hat im Zusammenhang mit seiner Arbeitnehmertätigkeit mit der Zusage vom 2. Januar 1981/1. Januar 1985 zusätzlich zu den Rentenbezügen nach der X-Pensionsordnung eine Anwartschaft auf eine Altersversorgung erworben. Dieses Recht hat er ohne eigene Beitragsleistungen erhalten, weil diese Vertragspension in vollem Umfang von der Arbeitgeberin getragen wird, der Kläger insoweit keine eigenen Beträge geleistet hat. Die vom FA angewandte Kürzungsvorschrift gilt nach ihrem Wortlaut nicht nur für selbständig Tätige und für Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, die sozialversicherungsrechtlich keine Arbeitnehmer sind. Das Gesetz knüpft die Kürzung des Vorwegabzugs ausschließlich daran, daß im Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erworben werden. Diese Voraussetzungen erfüllt auch der Steuerpflichtige, der zwar sozialversicherungsrechtlich Arbeitnehmer ist, sich aber von der Rentenversicherungspflicht befreien läßt. Anwartschaftsrecht auf eine Altersversorgung im Sinn dieser Vorschrift ist der vertraglich vereinbarte, aufschiebend bedingte Anspruch auf Zahlung einmaliger oder laufender Leistungen zur Altersversorgung. Ein solches Anwartschaftsrecht liegt jedenfalls auch dann vor, wenn der Arbeitgeber eine nicht nach seinem freien Belieben entziehbare Pensionszusage für den Fall der Berufsunfähigkeit vor Erreichen einer bestimmten Altersgrenze erteilt (Senatsurteil vom 29. November 1989 X R 183/87, BFHE 159, 80, BStBl II 1990, 218); diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.

Diese Auslegung steht mit den Zielvorstellungen des Gesetzgebers in Einklang. Der durch das Steueränderungsgesetz vom 13. Juli 1961 (BGBl I 1961, 981, BStBl I 1961, 444) eingeführte Vorwegabzug soll diejenigen Steuerpflichtigen begünstigen, die ihre Beiträge zur Altersvorsorge in voller Höhe selbst aufbringen müssen. Bei Steuerpflichtigen, die nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegen, denen jedoch ohne eigene Beitragsleistung eine betriebliche Pensionsanwartschaft zugesagt wird, ist der Vorwegabzug zu kürzen (vgl. BTDrucks 8/292, S. 21).

Der erkennende Senat hat im Urteil in BFHE 159, 80, BStBl II 1990, 218 unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien (BTDrucks 8/292, S. 21) ausgeführt, daß entscheidend für die Kürzung des Vorwegabzugs allein das Bestehen einer Pensionsanwartschaft ist, "gleich von welcher Art und von welchem Wert" (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Dezember 1984 1 BvR 1472/84, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1985, 337). Hieran hält der erkennende Senat fest. Die dem Kläger zugesagte Pensionsanwartschaft ist in ihrer absoluten Höhe nicht geringfügig; daß sie für das Versorgungskonzept des Steuerpflichtigen relativ unbedeutend ist, ist rechtlich unerheblich.

Eine ihm günstige Rechtsfolge kann der Kläger auch nicht aus Abschn. 106 Abs. 2 Nr. 3 der Einkommensteuer-Richtlinien 1987 in der für das Streitjahr geltenden Fassung herleiten. Diese Anweisung beansprucht nicht, die einzelnen Fälle, in denen eine Kürzung des Vorwegabzugs in Betracht kommt, abschließend zu umschreiben.

2. Das FA ist im Streitfall nicht durch Treu und Glauben gehindert, im Streitjahr zum Vorwegabzug eine andere Rechtsauffassung zu vertreten als in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen. Wenn das FA in der Vergangenheit eine an sich gebotene Beanstandung unterlassen hat, so ergibt sich daraus nicht, daß es für spätere Veranlagungszeiträume trotz besserer Erkenntnis an seine frühere Auffassung gebunden ist. Denn das FA hat bei seiner Veranlagung eines jeden Jahres den Sachverhalt grundsätzlich neu festzustellen und zu beurteilen und ist bei der Durchführung der Veranlagung wegen der Bindung an Recht und Gesetz verpflichtet, unrichtige Rechtsauffassungen richtigzustellen (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 6. Dezember 1983 VIII R 110/79, BFHE 140, 74, BStBl II 1984, 227, m.w.N.). Das gilt jedenfalls dann, wenn es wie im Streitfall an einer bindenden Zusage des FA fehlt, einen Sachverhalt künftig in einem bestimmten Sinne zu beurteilen.

3. Aus dem Erledigungsvorschlag des FA vom 12. Juli 1993 kann der Kläger weder verfahrens- noch materiell-rechtliche Vorteile herleiten (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1987 III R 168/86, BFHE 152, 29 BStBl II 1988, 232). Dieses Schreiben enthält nur die rechtliche Beurteilung eines bereits verwirklichten Sachverhalts, die grundsätzlich nicht als Zusage zu werten ist (vgl. BFH-Urteile vom 11. November 1993 XI R 12/93, BFH/NV 1994, 710, und vom 21. August 1996 I R 75/95, BFH/NV 1997, 314, unter 4. b).

 

Fundstellen

Haufe-Index 55950

BFH/NV 1999, 608

HFR 1999, 367

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge