Leitsatz (amtlich)

1. Preisherabsetzungen im Einzelhandel führen zu einem Teilwertabschlag bei den Anschaffungskosten, wenn der ursprünglich kalkulierte Verkaufsaufschlag der betroffenen Waren nur die betrieblichen Aufwendungen und einen durchschnittlichen Unternehmergewinn abdeckt oder dahinter zurückbleibt.

2. Der Kaufmann muß die von ihm erwarteten Preisherabsetzungen grundsätzlich durch Aufzeichnungen über tatsächlich eingetretene Ermäßigungen belegen; aus ihnen müssen sich auch die übrigen für den Teilwertabschlag maßgebenden Einzelheiten ergeben. Ungewißheiten aufgrund unzureichender Aufzeichnungen gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen.

2. Zur retrograden Ermittlung von Anschaffungskosten im Falle von Preisermäßigungen.

 

Normenkette

EStG § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) unterhält einen Textileinzelhandel. Nach einer Betriebsprüfung ist zwischen den Beteiligten die Bewertung der Warenvorräte zum 31. Dezember 1971 streitig.

Die Klägerin ermittelte die Anschaffungskosten der Warenvorräte, indem sie von den Verkaufspreisen die jeweilige Handelsspanne abzog. Von dem so errechneten Wert nahm sie Teilwertabschreibungen vor. Zur Berechnung der Teilwertabschreibungen wurden die Waren entsprechend ihrem Eingang in vier Altersklassen eingeteilt. Die Klasse I umfaßte die Standardwaren, die in den Monaten August bis Dezember eingegangen waren; bei ihnen wurde ein Abschlag von 2 v. H. vorgenommen. Die Klasse II betraf modische Waren, ebenfalls aus den Monaten August bis Dezember; hier wurden je nach Warengruppe Abschläge zwischen 10 und 25 v. H. vorgenommen. In der Klasse III wurden die in der vorherigen Saison, d. h. von Februar bis Juli eingegangenen Waren geführt; die Abschläge betrugen hier zwischen 15 und 45 v. H. Die Klasse IV umfaßte sog. Uraltwaren, die im Januar oder früher eingegangen waren; die Abschläge betrugen zwischen 40 und 70 v. H. Dementsprechend berechnete die Klägerin die Anschaffungskosten der Warenbestände zum 31. Dezember 1971 mit 2 407 741 DM und ihren Teilwert mit 1 877 255 DM (Teilwertabschreibung rd. 530 000 DM).

Der Betriebsprüfer beanstandete die Errechnung der Anschaffungskosten, weil die Klägerin von den ausgezeichneten, vielfach bereits herabgesetzten Preisen ausgegangen sei, hiervon aber die volle Handelsspanne abgesetzt habe, die für die Kalkulation neueingegangener Ware verwendet werde; hierdurch seien die tatsächlichen Anschaffungskosten unterschritten und ein "unsichtbarer Abschlag" von rd. 150 000 DM geschaffen worden. Von einer Korrektur der so ermittelten Anschaffungskosten sah der Prüfer jedoch ab. Bei der Teilwertberechnung folgte der Prüfer nicht den individuellen Teilwertabschlägen der Klägerin, sondern ging von sog. Minuslisten aus, in denen die Klägerin die Preisherabsetzungen für die in Warengruppen eingeteilten Bestände sowie auch gelegentliche Preiserhöhungen festhielt. Der Prüfer legte die Preisherabsetzungen im Jahre 1972 zugrunde, kürzte ihre Summe jedoch um die durchschnittliche Handelsspanne dieses Jahres. Er nahm an, daß vom verbleibenden Betrag 170 000 DM auf am Stichtag vorhandene Waren entfallen seien und berechnete danach die Teilwertabschreibung; zur Abrundung erhöhte er den Teilwertabschlag um weitere 60 000 DM auf insgesamt 230 000 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schloß sich der Auffassung des Prüfers an und berücksichtigte sie im geänderten Feststellungsbescheid für 1971.

Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Klägerin muß ihre Warenvorräte grundsätzlich mit ihren Anschaffungskosten, nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ggf. aber mit ihrem niedrigeren Teilwert, ansetzen (§ 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Der Teilwert von zum Absatz bestimmten Waren hängt nicht nur von ihren Wiederbeschaffungskosten, sondern auch von ihrem voraussichtlichen Veräußerungserlös ab. Deckt dieser Preis nicht mehr die Selbstkosten der Waren zuzüglich eines durchschnittlichen Unternehmergewinns, so sind die Anschaffungskosten um den Fehlbetrag zu vermindern (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Mai 1966 IV 252/60, BFHE 86, 28, BStBl III 1966, 370; vom 6. November 1975 IV R 205/71, BFHE 121, 312, BStBl II 1977, 377; vom 13. Oktober 1976 I R 79/74, BFHE 122, 37, BStBl II 1977, 540; vom 30. Januar 1980 I R 89/79, BFHE 130, 28, BStBl II 1980, 327).

Als Selbstkosten einer Ware sind ihre Anschaffungskosten und ein Aufschlag für ihren Anteil am betrieblichen Aufwand zu berücksichtigen. Der betriebliche Aufwand und der Unternehmergewinn können dem Jahresabschluß entnommen und als tatsächlicher Rohgewinnaufschlag zum Wareneinsatz in Beziehung gesetzt werden. Ob hierbei die für die Ware bereits angefallenen und als Betriebsausgaben verrechneten Aufwendungen unberücksichtigt bleiben müssen, wie das FA unter Hinweis auf Abschn. 36 Abs. 1 Satz 5 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) meint, braucht im Streitfall nicht grundsätzlich entschieden zu werden. Die EStR verlangen dies nur für ins Gewicht fallende Aufwendungen. Der Senat hat in seinem Urteil vom 13. März 1964 IV 236/63 S (BFHE 79, 529, BStBl III 1964, 426) ausgeführt, daß auf eine solche Aussonderung auch aus Vereinfachungsgründen verzichtet werden könne. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben, zumal für schwer verkäufliche Ware wegen ihrer längeren Verweildauer im Betrieb, ggf. auch wegen besonderer, dem Personal gewährter Verkaufsprämien auch zusätzliche Kosten entstehen können.

Die vom Kaufmann zur Berechnung der Verkaufspreise der einzelnen Waren kalkulierten Aufschläge, die die Handelsspanne im Verkaufspreis ausmachen, berücksichtigen auch die Absatzmöglichkeiten und können von dem erwähnten Rohgewinnaufschlag abweichen. Entsprechen sie dem Rohgewinnaufschlag oder sind sie niedriger als dieser, so führt jede Herabsetzung des Verkaufspreises zu einem Fehlbetrag, der als Teilwertabschlag die Anschaffungskosten mindert; war der kalkulierte Aufschlag höher als der Rohgewinnaufschlag, bedarf es einer gesonderten Berechnung, inwieweit der ermäßigte Preis die Anschaffungskosten und den Rohgewinnaufschlag deckt. Der Senat teilt nicht die Auffassung des FA, die Preisermäßigung müsse zunächst um den Rohgewinnaufschlag berichtigt werden und könne nur mit dem Restbetrag als Teilwertabschlag berücksichtigt werden. Dies entspricht der im Urteil vom 29. November 1960 I 137/59 U (BFHE 72, 416, BStBl III 1961, 154) angewendeten Berechnungsweise; der BFH ist hiervon in der Folge jedoch zugunsten der eingangs angeführten Berechnungsmethode abgegangen (vgl. auch Grieger, Betriebs-Berater - BB - 1964, 875; Erhard, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1966, 221, 223).

2. Bei welchen Waren mit einer Preissenkung zu rechnen ist und wie hoch sie sein wird, muß der Kaufmann nach den Verhältnissen des Bilanzstichtages und nach den bis zur Bilanzaufstellung gewonnenen Erkenntnissen beurteilen. In dieser Berücksichtigung kaufmännischen Erfahrungswissens liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Stichtagsbewertung, sondern die gebotene Würdigung bereits am Stichtag vorhandener wertbildender Faktoren für das Warenlager. Der Kaufmann muß seine Beurteilung anhand betrieblicher Unterlagen belegen können (vgl. BFHE 79, 529, BStBl III 1964, 426). Es ist daher zu verlangen, daß ausreichende und repräsentative Aufzeichnungen über die tatsächlichen Preisherabsetzungen auf die Waren geführt werden (Urteil in BFHE 121, 312, BStBl II 1977, 377). Dabei kann es sich um Aufzeichnungen für zurückliegende Jahre oder um eine Aufzeichnung der nach dem Bilanzstichtag tatsächlich vorgenommenen Herabsetzungen handeln, die die Beurteilung des Kaufmanns bestätigt. Durch andere Aufzeichnungen läßt sich der gebotene Nachweis nicht in vergleichbar sicherer Weise führen. Sie sind zwar nicht schlechthin unbeachtlich, doch gehen verbleibende Zweifel zu Lasten des Kaufmanns, der es in der Hand gehabt hätte, seine Beurteilung durch besser geeignete Mittel zu belegen (vgl. Urteil in BFHE 121, 312, BStBl II 1977, 377). Damit beurteilt werden kann, inwieweit die Preisherabsetzungen zu einem Teilwertabschlag auf die Anschaffungskosten führen, muß der Kaufmann auch darlegen, auf welche Waren die Minderungen entfallen, wie ihre ursprünglichen Preise kalkuliert waren und wie hoch nach dem erzielten Rohgewinnaufschlag ihre Selbstkosten einschließlich des durchschnittlichen Unternehmensgewinns waren (vgl. BFHE 121, 312, BStBl II 1977, 377).

Im Streitfall hat die Klägerin eingehende Aufzeichnungen über die Preisherabsetzungen bei den einzelnen Warengruppen geführt und sie in sog. Minuslisten zusammengefaßt. Sie hat darin allerdings nicht nach Preisherabsetzungen auf die am Bilanzstichtag vorhandenen und die erst später hinzugekommenen Waren unterschieden. Das FG ist deshalb unter Hinweis auf das Urteil in BFHE 121, 312, BStBl II 1977, 377 davon ausgegangen, daß sich ein die Anschaffungskosten unterschreitender Teilwert nicht feststellen lasse und daß die vom FA zugelassene Teilwertabschreibung nur im Hinblick auf das Verböserungsverbot hingenommen werden müsse. In dem vom FG angeführten Urteilsfall waren jedoch keine Aufzeichnungen über die Preisherabsetzungen, insbesondere keine Minuslisten vorgelegt worden. Das ist im Streitfall anders. Dem FG mußte sich deshalb die Frage aufdrängen, ob sich durch diese Aufzeichnungen nicht ein Mindestbetrag für die in Anspruch genommene Teilwertabschreibung belegen ließ, etwa weil die Preisherabsetzungen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt praktisch nur die Bestände am Bilanzstichtag betreffen konnten. Das FG hätte hierbei gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Klägerin zur weiteren Mitwirkung heranziehen und ihr auch den Nachweis aufgeben können, auf welche Warengruppen die Herabsetzungen entfielen und wie die Preise dieser Waren im Vergleich zum tatsächlichen Rohgewinnaufschlag ursprünglich kalkuliert waren. Da die Klägerin im Streitjahr einen Verlust erwirtschaftet hat, müssen dabei zu ihren Gunsten zusätzlich die im Rohgewinn nicht gedeckten Aufwendungen und ein angemessener Unternehmergewinn berücksichtigt werden, der sich u. U. aus den Gewinnen früherer Jahre bestimmen läßt; es muß davon ausgegangen werden, daß ein Unternehmenserwerber die Waren nur zu einem Preis übernehmen wird, der ihm die Deckung auch dieser Beträge aus dem Veräußerungserlös gestattet (vgl. Urteil in BFHE 86, 28, BStBl III 1966, 370).

3. Im Streitfall stehen die Anschaffungskosten des Warenbestands vom 31. Dezember 1971 nicht eindeutig fest. Die Klägerin hat die Anschaffungskosten nach dem Verkaufswertverfahren durch retrograde Berechnung in der Weise ermittelt, daß sie von den ausgezeichneten Preisen die kalkulierte Handelsspanne abzog; dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden (vgl. Urteile in BFHE 79, 529, BStBl III 1964, 426; vom 29. April 1965 IV 262/64 U, BFHE 82, 555, BStBl III 1965, 448). Es führt jedoch nicht zu den Anschaffungskosten, wenn die Verkaufspreise am Bilanzstichtag bereits herabgesetzt waren, von ihnen aber die ursprünglich kalkulierte Handelsspanne abgesetzt wird. Das FA ist davon ausgegangen, daß im Betrieb der Klägerin so verfahren und dadurch ein Abschlag gegenüber den tatsächlichen Anschaffungskosten geschaffen worden ist. Andererseits können auch die bereits am Bilanzstichtag vorhandenen Preisherabsetzungen zu einem Teilwertabschlag von den Anschaffungskosten führen. Das FA hat es deshalb in vertretbarer Weise bei den von der Klägerin berechneten Anschaffungskosten belassen; von ihnen kann auch das FG ausgehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74829

BStBl II 1984, 35

BFHE 1984, 282

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