Leitsatz (amtlich)

Rechtswidrig erlangte Außenprüfungsergebnisse dürfen nur dann nicht verwertet werden, wenn der Steuerpflichtige erfolgreich gegen die Rechtswidrigkeit der betreffenden Prüfungsmaßnahme vorgegangen ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 193ff

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb in den Streitjahren eine Gastwirtschaft. Mit Verfügung vom 19. September 1977 wurde bei ihr für die Jahre 1973 bis 1975 eine Außenprüfung angeordnet, gegen die sie keinen Rechtsbehelf einlegte.

Der Prüfer sah die Grundaufzeichnungen der Klägerin als nicht ordnungsmäßig an und schätzte aufgrund einer Einzelkalkulation den Umsatz und Gewinn der Klägerin. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erließ dementsprechend berichtigte Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuermeßbescheide; die Einkommensteuerbescheide 1973 und 1974 sind nur an den Kläger gerichtet.

Der Einspruch der Kläger wurde zurückgewiesen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers wegen der Umsatz- und Gewerbesteuermeßbescheide 1973 und 1974 ab; im übrigen gab es der Klage statt.

Die Ergebnisse der Außenprüfung hätten den geänderten Bescheiden nicht zugrunde gelegt werden dürfen (formelles Verwertungsverbot), da sie rechtswidrig erlangt worden seien. Die Prüfungsanordnung, die incidenter zu prüfen sei, sei rechtswidrig, weil sie von einem Beamten der Außenprüfungsstelle erlassen worden sei und weil sie gegen Art. 13 des Grundgesetzes (GG) verstoße.

Da die Klägerin in die Durchführung der Außenprüfung in ihren Räumen nicht wirksam i. S. des Art. 13 GG eingewilligt habe, hätte es hierzu einer den Erfordernissen des Art. 13 Abs. 3 GG genügenden gesetzlichen Ermächtigung bedurft. § 200 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) könne im Streitfall nicht herangezogen werden, da er im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin interpretiert werden müsse, daß in Fällen dieser Art kein Wahlrecht bestehe, die Prüfung vielmehr zwingend an Amtsstelle durchzuführen sei.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung sachlichen Rechts.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.

Seiner Ansicht nach kann die Rechtswidrigkeit einer Prüfungsanordnung nur in einem gesonderten Rechtsbehelfsverfahren festgestellt werden. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) biete für das Vorgehen des FG keine Stütze.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet.

Das angefochtene Urteil und die die Einkommensteuer 1973 und 1974 betreffende Einspruchsentscheidung, soweit sie gegen die Klägerin gerichtet ist, werden aufgehoben. Der Einspruch der Klägerin gegen die Einkommensteuerbescheide 1973 und 1974 wird als unzulässig verworfen; im übrigen wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Klägerin ist durch die geänderten Einkommensteuerbescheide 1973 und 1974 nicht beschwert, da diese sich ausschließlich an Herrn ..., den Kläger, richten (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Stand Juni 1978, § 350 AO 1977 Tz. 4).

2. Das FA durfte den angefochtenen Änderungsbescheiden die Ergebnisse der Außenprüfung zugrunde legen.

a) Die AO 1977 enthält keine Vorschrift, die die Zulässigkeit der Verwertung gesetzwidrig erlangter Beweise regelt (vgl. Bericht des Finanzausschusses zu dem Entwurf einer Abgabenordnung, BT-Drucks. 7/4292, S. 25). Jedoch hat sich der BFH mit der Frage von Verwertungsverboten gerade auch im Zusammenhang mit rechtswidrig erlangten Betriebsprüfungsergebnissen bereits mehrfach befaßt.

Mit Urteil vom 30. Oktober 1974 I R 40/72 (BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232) faßte der erkennende Senat die bisherige Rechtsprechung zu dem Satz zusammen: Selbst wenn neue Tatsachen durch rechtswidrige Maßnahmen der Betriebsprüfung festgestellt sind, so folgt daraus kein allgemeines Verwertungsverbot, solange die Anordnung der Betriebsprüfung nicht angefochten und für rechtswidrig erklärt worden ist.

Im Beschluß vom 11. Juli 1979 I B 10/79 (BFHE 128, 170, BStBl II 1979, 704) entschied der erkennende Senat darüber hinaus - bereits zur Rechtslage nach der AO 1977 -, daß die Verwertung nicht nur bei rechtskräftiger Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung verboten ist, sondern auch, wenn nur bestimmte im Verlauf einer Betriebs- oder Steuerfahndungsprüfung vorgenommene Handlungen - im Streitfall die Durchsuchung von Räumen und die Beschlagnahme von Akten - von einem Gericht für rechtswidrig erklärt worden sind.

Aus dieser Rechtsprechung folgt entgegen der Auffassung des FG, daß rechtswidrig erlangte Außenprüfungsergebnisse nur dann nicht verwertet werden dürfen, wenn der Steuerpflichtige - den hier nicht einschlägigen Fall der Nichtigkeit (vgl. § 125 AO 1977) ausgenommen - in dem dafür vorgesehenen Verfahren gegen die Rechtswidrigkeit der betreffenden Prüfungsmaßnahme angegangen ist. Erst nach erfolgreichem Abschluß dieses Verfahrens kann er die Verwertung der Außenprüfungsergebnisse verhindern (so auch Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 2. Aufl., 1979, § 193 Anm. 6; Rößler, Die steuerliche Betriebsprüfung 1980, 169, 172; Offerhaus, Juristische Analysen 1970, 321, 326).

b) In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, daß das Verwertungsverbot nicht davon abhänge, ob gegen die das Beweisverbot verletzende rechtswidrige Anordnung ein Rechtsbehelf eingelegt worden sei; das Verwertungsverbot sei an das Beweisverbot geknüpft, nicht an dessen Rüge (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., 10. Aufl., Stand Oktober 1982, § 88 AO 1977 Tz. 7; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., Stand Oktober 1977, § 88 AO 1977 Anm. 126; Rüping, Beweisverbote als Schranken der Aufklärung im Steuerrecht, 1981, S. 50 f.; T. G. Schmidt, Betriebs-Berater 1970, 1389, 1391).

Diese Auffassung vernachlässigt, daß bestimmte Prüfungshandlungen (z. B. Prüfungsanordnung, Durchsuchung und Beschlagnahme) selbständige Akte sind, die in einem besonderen Verfahren angefochten werden müssen. Es besteht kein Anlaß, insbesondere gebietet dies auch nicht der Gedanke eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), in Zusammenhang mit einem Verwertungsverbot von dem vorgeschriebenen Verfahrensweg abzuweichen und die Rechtswidrigkeit der jeweiligen Prüfungsmaßnahme incidenter im Veranlagungsverfahren zu prüfen.

Ist allerdings gegen eine bestimmte Prüfungsmaßnahme kein selbständiger Angriff vorgesehen (z. B. heimliche Tonbandaufnahmen), so kann - schon nach der Natur der Sache - die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme erst im Veranlagungsverfahren eingewendet werden.

c) Da das FG davon ausgegangen ist, daß die Ergebnisse der Außenprüfung nicht verwertet werden dürfen, hat es keine Tatsachen zu der Frage festgestellt, ob die Zuschätzungen des FA dem Grunde und der Höhe nach berechtigt sind. Die Sache war daher zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74916

BStBl II 1984, 285

BFHE 1984, 221

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