Leitsatz (amtlich)

1. Nutzt der Steuerpflichtige seine Wohnung aufgrund eines entgeltlich erworbenen Nießbrauchs oder dinglichen Wohnungsrechts, so hat er keinen Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus i. S. des § 21 Abs. 2 erste Alternative EStG zu versteuern (Änderung der Rechtsprechung).

2. Die entgeltliche Bestellung eines zeitlich begrenzten dinglichen Rechts zur Nutzung von Grundstücken, Gebäuden oder Teilen von Gebäuden führt beim Eigentümer, sofern es nicht einer anderen Einkunftsart zuzurechnen ist, zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i. S. von § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

 

Normenkette

EStG § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2-3; BGB §§ 1030, 1093

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Erbin ihres während des Klageverfahrens verstorbenen Ehemannes (K). Dieser hatte nach seiner Pensionierung Geschäftsführungsaufgaben in zwei Textilveredelungsgesellschaften übernommen. Für seine Tätigkeit in den ersten beiden Jahren und gegen Zuzahlung von 5 000 DM wurde ihm und der Klägerin als Gesamtberechtigte ein lebenslängliches Nießbrauchsrecht an einem von ihnen bewohnten gesellschaftseigenen Einfamilienhaus bestellt.

In ihrer Einkommensteuererklärung 1968 gaben die Steuerpflichtigen ihre nach der Verordnung über die Bemessung des Nutzungswerts der Wohnung im eigenen Einfamilienhaus (Einfamilienhaus-Verordnung) ermittelten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit 675,50 DM (3,5 v. H. von 19 300 DM) an. Demgegenüber ermittelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nach Ansatz der in Anlehnung an § 8 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geschätzten ortsüblichen Miete und Abzug der Werbungskosten Einkünfte aus diesem Haus in Höhe von 6 223 DM. Für den bei der Nießbrauchseinräumung aufgewandten Betrag von 5 000 DM gewährte es eine Absetzung für Abnutzung (AfA) von 161 DM, die es anhand der mittleren Lebenserwartung der Klägerin von 31 Jahren errechnete.

Der Einspruch, mit dem K u. a. eine höhere AfA begehrte, da zu den Anschaffungskosten des Nießbrauchs auch der Wert seiner Arbeitsleistung gehöre, blieb erfolglos.

Mit der Klage beantragte K eine AfA von 1 972 DM. Zur Begründung stützte er sich auf ein von ihm vorgelegtes versicherungsmathematisches Gutachten, nach dem der Kapitalwert des Nießbrauchs im Zeitpunkt seiner Bestellung 61 135 DM betragen habe.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus: Die auf der Nießbrauchsbestellung beruhende Eigennutzung des Einfamilienhauses stehe der Nutzung der Wohnung durch den Eigentümer im eigenen Haus gleich und sei daher gemäß § 21 Abs. 2 EStG bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu erfassen. Das FA habe auch zutreffend die Anwendbarkeit der Einfamilienhaus-Verordnung abgelehnt. Wegen des entgeltlichen Erwerbs des Nießbrauchs durch K stehe der Klägerin jedoch AfA zu. Bemessungsgrundlage seien die Anschaffungskosten. Diese setzten sich aus dem Wert der nicht durch eine Barvergütung abgegoltenen Arbeitsleistung und der von K geleisteten Zuzahlung von 5 000 DM zusammen und entsprächen dem Barwert des Nießbrauchs von 61 135 DM. Bei einer voraussichtlichen Laufzeit des Nießbrauchs von 31 Jahren betrügen die AfA demgemäß 1 972 DM (61 135 : 31).

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es vertritt die Meinung, bei dem Nießbrauch handle es sich um ein Recht, das nicht der Abnutzung unterliege, sondern allein durch Zeitablauf erlösche. Es könne daher auch nicht gemäß den § 9 Abs. 1 Nr. 7, § 7 Abs. 1 EStG abgeschrieben werden.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist nicht begründet.

Gemäß § 21 Abs. 2 EStG gehört zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus. Dazu rechnet nicht die Nutzung einer Wohnung in einem fremden Haus, auch wenn sie auf einem dinglichen Recht, z. B. auf einem Nießbrauch oder Wohnungsrecht als beschränkte persönliche Dienstbarkeit, beruht.

An der bisherigen Auffassung (vgl. u. a. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Juli 1966 VI 148/65, BFHE 86, 676, BStBl III 1966, 622; vom 12. September 1969 VI R 336/67, BFHE 96, 527, BStBl II 1969, 727; vom 26. März 1974 VIII R 210/72, BFHE 112, 165, BStBl II 1975, 6), die dingliches Recht und Eigentum gleichstellt, hält der Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr fest.

a) Sie wird nicht durch den Wortlaut des Gesetzes getragen. Dieser weist vielmehr mit der Formulierung "eigenes Haus" darauf hin, daß der Gesetzgeber an den Begriff des bürgerlich-rechtlichen oder des wirtschaftlichen Eigentums anknüpfen wollte.

b) Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung ist auch nicht nach dem Sinn und Zweck des § 21 Abs. 2 EStG geboten, beim Eigentümer die durch das Fehlen normalerweise anfallenden Mietaufwandes entstehende Ersparnis zur Gleichstellung aller Steuerpflichtigen einer Besteuerung zuzuführen. Denn unter diesem Gesichtspunkt ist das Recht des Nießbrauchers seinem Inhalt nach eher dem Recht des Mieters vergleichbar, eine fremde Sache zu nutzen, als dem Vollrecht des Eigentümers, mit der eigenen Sache nach Belieben zu Verfahren. Sein Nutzungsrecht ist im Gegensatz zu dem des Eigentümers zeitlich begrenzt und unterliegt, wie sich aus den §§ 1037 ff. BGB ergibt, auch in sachlicher Hinsicht ähnlichen Beschränkungen wie das Recht des Mieters, die Sache zu nutzen. Daraus ergibt sich auch, daß die einmalige oder wiederkehrende Entrichtung des von ihm geschuldeten Entgelts ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach einer einmaligen oder laufenden Zahlung der Miete nahekommt und der entgeltliche Erwerber eines Wohnrechts demzufolge ebenso wie der Mieter keinen Aufwand erspart (vgl. auch Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Schriftenreihe des Bundesministers der Finanzen, Heft 17, Abschn. II, Tz. 224; Conze, Der Betriebs-Berater 1975 S. 1297, 1299). Diese Grundsätze gelten auch im Streitfall, in dem der Ehemann der Klägerin als Entgelt für das dingliche Nutzungsrecht neben einer Geldleistung auch eine Sachleistung in Form einer persönlichen Arbeitsleistung erbracht hat.

c) Die Gleichstellung des dinglich Berechtigten mit dem Eigentümer durch die bisherige Rechtsprechung war teilweise von der Überlegung beeinflußt, daß andernfalls Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung möglicherweise überhaupt nicht der Besteuerung unterworfen würden, und zwar beim Eigentümer nicht, weil es sich bei der entgeltlichen Bestellung eines dinglichen Rechts um eine nicht unter § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG fallende Vermögensumschichtung handle (vgl. BFH-Urteil VIII R 210/72; Söffing, Finanz-Rundschau 1975 S. 414, 419) und auch keine Eigennutzung i. S. von § 21 Abs. 2 EStG vorliege, beim dinglich Nutzungsberechtigten nicht, weil ihm die Wohnung nicht unentgeltlich überlassen werde i. S. der zweiten Alternative des § 21 Abs. 2 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 1966 VI 135/65, BFHE 86, 650, BStBl III 1966, 650).

Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zuzustimmen. Denn die entgeltliche Bestellung eines zeitlich begrenzten dinglichen Rechts zur Nutzung von Grundstücken, Gebäuden oder Gebäudeteilen führt beim Eigentümer, sofern das Grundstück zu seinem Privatvermögen gehört, zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i. S. von § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die dingliche Natur des Rechts steht der Zurechnung des Entgelts zu den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung nicht entgegen, da die Begriffe Vermietung und Verpachtung einkommensteuerrechtlich weit auszulegen sind und auch wirtschaftlich vergleichbare Nutzungsüberlassungen einschließen (BFH-Urteil vom 11. Oktober 1963 VI 251/62 U, BFHE 77, 665, BStBl III 1963, 564 betreffend Erbbauzinsen; ferner BFH-Urteile vom 5. Oktober 1973 VIII R 78/70, BFHE 111, 43, BStBl II 1974, 130, und vom 7. Dezember 1977 I R 54/75, BFHE 124, 175, BStBl II 1978, 355; Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 21 EStG Anm. 2).

d) Mit der Ablehnung des Vorliegens des Tatbestandsmerkmals der Wohnung im eigenen Haus - durch die nicht ausgeschlossen ist, den Nutzungswert einer dem Steuerpflichtigen durch unentgeltliche Bestellung eines dinglichen Rechts überlassenen Wohnung nach der zweiten Alternative des § 21 Abs. 2 EStG zu erfassen - weicht der Senat zwar von der Rechtsprechung des VI. Senats ab. Einer Anrufung des Großen Senats des BFH wegen beabsichtigter Abweichung von einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung bedurfte es jedoch nicht, weil die Entscheidungszuständigkeit in der vorliegenden entscheidungserheblichen Rechtsfrage auf den erkennenden Senat geschäftsplanmäßig übergegangen ist.

2. Bei dieser geänderten rechtlichen Betrachtung kommt es nicht mehr darauf an, ob der Aufwand für den Erwerb eines dinglichen Rechts nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 i. V. m. § 7 Abs. 1 EStG auf seine Laufzeit zu verteilen ist.

Obwohl hiernach Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht vorliegen, ist der Senat gehindert, die Steuer herabzusetzen, weil die Klägerin keine (Anschluß-)Revision eingelegt hat (vgl. auch § 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

 

Fundstellen

Haufe-Index 73073

BStBl II 1979, 332

BFHE 1979, 535

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