Leitsatz (amtlich)

1. Die Anfechtungsklage ist auch dann gegeben, wenn ein Kürzungsanspruch nach den Berlinhilfegesetzen die "geschuldete Umsatzsteuer" im Sinne der Berlinhilfegesetze übersteigt. Sie ist in diesem Fall auf Festsetzung der erstrebten negativen "verbleibenden Umsatzsteuer" zu richten. Einer Verpflichtungsklage auf Erlaß eines Vergütungsbescheids bedarf es nicht.

2. Der besondere Kürzungsanspruch nach § 13 BHG 1968 kann über die "geschuldete Umsatzsteuer" hinaus geltend gemacht werden.

 

Normenkette

BHG 1968 §§ 11, 13; UStG 1967 §§ 18-19; FGO § 45 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Kläger, Revisionskläger) ist Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Berlin (West). Er hatte 1968 Einnahmen aus einer freiberuflichen Nebentätigkeit in Höhe von ... DM. Er beantragte in der Umsatzsteuererklärung 1968, ihm einen Freibetrag von ... DM gemäß § 19 Abs. 2 UStG 1967 zu gewähren und die danach auf 0 DM festzusetzende Umsatzsteuerschuld gemäß § 13 des BHG 1968 um ... DM (4 v. H. von ... DM) zu kürzen. Das FA (Beklagter, Revisionsbeklagter) setzte die Umsatzsteuer für 1968 auf 0 DM fest und lehnte die Kürzung ab.

Der Steuerpflichtige erhob Sprungklage mit den Anträgen, den Umsatzsteuerbescheid aufzuheben und das FA zu verpflichten, "gemäß § 13 BHG einen Vergütungsbescheid über DM ... zu erlassen". Das FA stimmte der Sprungklage zu. Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen und ausgeführt: Dem Steuerpflichtigen stehe kein Erstattungsanspruch zu. Schulde ein Unternehmer keine Umsatzsteuer, entfalle der Kürzungsanspruch nach § 13 BHG 1968. Das ergebe auch ein Umkehrschluß aus § 11 BHG 1968. Diese Vorschrift nehme - anders als § 13 BHG 1968 - ausdrücklich Bezug auf die Erstattungsvorschriften des § 18 UStG 1967.

Der Steuerpflichtige rügt mit der Revision Verletzung des § 13 BHG 1968 und des § 19 UStG 1967. Er macht unter Wiederholung seiner bisherigen Anträge geltend: Das FG habe zu Unrecht eine Analogie zu § 11 Abs. 1 Satz 2 BHG 1968 abgelehnt. Die Bezugnahme auf § 18 UStG 1967 sei in § 13 Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes zur Förderung der Berliner Wirtschaft in der Fassung vom 29. Oktober 1970 - Berlin FG - (BGBl I 1970, 1481, BStBl I 1970, 1016) nachgeholt worden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet.

1. Das FG hat nicht geprüft, ob die vom Steuerpflichtigen erhobene Sprungklage zulässig ist. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Klage ohne Vorverfahren gegen einen in § 229 AO bezeichneten Verwaltungsakt auch bei Zustimmung des FA nur bei Anfechtungsklagen zulässig. Obwohl der Steuerpflichtige auch die Verpflichtung des FA zum Erlaß eines Vergütungsbescheids beantragt hat, ist hier eine zulässige Sprunganfechtungsklage gegeben.

Die der Antragsformulierung des Steuerpflichtigen zugrunde liegende Auffassung, die begehrte Erstattung sei nur durch Erlaß eines gesonderten Vergütungsbescheids zu erreichen, ist unzutreffend. Der Senat hat bereits für die Umsatzsteuerkürzungsansprüche nach den älteren Berlinhilfegesetzen ausgesprochen, daß sie mit den Umsatzsteuerveranlagungsverfahren verknüpft sind (Urteil des BFH V 312/58 U vom 5. Oktober 1961, BFH 73, 811, BStBl III 1961, 562) und auch im Falle einer Erstattung kein selbständiges Vergütungsverfahren stattfindet (BFH-Urteil V 138/59 U vom 25. Januar 1962, BFH 74, 311, BStBl III 1962, 120). Daran wird für die Kürzungsansprüche nach dem BHG 1968 festgehalten. Art. I BHG 1968 ist ebenso wie die entsprechenden Vorschriften in den früheren Berlinhilfegesetzen mit "Vergünstigungen bei der Umsatzsteuer" überschrieben. Es heißt in den §§ 1, 2, 13 BHG 1968, der Unternehmer dürfe die von ihm geschuldete Umsatzsteuer um bestimmte Beträge kürzen. § 11 BHG 1968 regelt das Verfahren für die Kürzungen nach §§ 1, 2 BHG 1968 dahin, daß die Kürzungsbeträge mit der Umsatzsteuer zu verrechnen und die Erstattungsvorschriften des § 18 UStG 1967 anzuwenden sind. Daraus ist zu schließen, daß das Kürzungsverfahren Teil des Umsatzsteuerveranlagungsverfahrens ist, und zwar auch im Falle eines Überschusses der Kürzungsbeträge gegenüber der "geschuldeten Umsatzsteuer". Im letzten Fall ergibt sich eine verbleibende Umsatzsteuerschuld, die negativ ist. Setzt das FA die Schuld auf einen positiven Betrag oder auf 0 DM fest und erstrebt der Steuerpflichtige Festsetzung eines negativen Betrags, kann er dies nur über eine Anfechtungsklage erreichen; für eine Verpflichtungsklage auf Erlaß eines Vergütungsbescheids ist kein Raum.

Der Senat sieht den Aufhebungsantrag des Steuerpflichtigen als klagebestimmend an. Der "Verpflichtungsantrag" ist nach den obigen Darlegungen überflüssig. Die in ihm enthaltene Bezifferung gibt aber das Ausmaß der Abänderung an, die der Steuerpflichtige erreichen möchte.

2. Das Abänderungsverlangen des Steuerpflichtigen ist sachlich gerechtfertigt. Nach § 13 BHG 1968 sind Unternehmer, für deren Besteuerung ein FA in Berlin (West) zuständig ist und deren Gesamtumsatz im Sinne des § 19 Abs. 3 UStG 1967 im laufenden Kalenderjahr 200 000 DM nicht übersteigt, berechtigt, die für den Veranlagungszeitraum geschuldete Umsatzsteuer um 4 v. H. des Entgelts für ihre im gleichen Zeitraum bewirkten steuerpflichtigen Umsätze zu kürzen. Danach steht dem Steuerpflichtigen ein Kürzungsanspruch zu. Die Freibetragsregelung in § 19 Abs. 2 UStG 1967 ist keine Steuerbefreiungsvorschrift. Der Freibetrag ist erst absetzbar, wenn steuerpflichtige Umsätze vorliegen (§ 19 Abs. 3 UStG 1967) und bezieht sich - anders als eine Steuerbefreiung - nicht auf bestimmte Umsätze.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, eine Kürzung der Umsatzsteuer sei nur bis 0 DM möglich. Die Bezeichnung "kürzen" enthält eine solche Beschränkung nicht. Wird eine Rechnungsgröße (geschuldete Umsatzsteuer) um eine andere Rechnungsgröße (Kürzungsbetrag) gekürzt, so kann die Differenz positiv oder negativ sein. Dem entspricht, vom Steuergläubiger her gesehen, ein Steueranspruch (positiv) oder eine Erstattungsverpflichtung (negativ), die auch als negativer Steueranspruch bezeichnet werden mag. Es würde Sinn und Zweck der Berlinhilfegesetze widersprechen, die Kürzungsansprüche durch die Höhe der geschuldeten Umsatzsteuer zu beschränken. Die Kürzungsansprüche bemessen sich nach den Umsätzen, die unter Beteiligung von Unternehmern in Berlin (West) zustande gekommen sind und sollen die Wirtschaft in Berlin (West) fördern. Eine ungleichmäßige Förderung nach umsatzsteuerlichen Besonderheiten des kürzungsberechtigten Unternehmers ist nicht beabsichtigt.

Die Kürzungsberechtigung über 0 DM hinaus ergibt sich sonach bereits aus der materiell-rechtlichen Einräumung des Kürzungsanspruchs. Soweit in früheren Berlinhilfegesetzen (§ 3 Abs. 4 BHG 1950, § 7 Abs. 2 Satz 4 BHG 1952, § 3 Abs. 6 BHG 1962, § 1 Abs. 2 Satz 4 BHG 1964) und in § 11 Abs. 1 Satz 2 BHG 1968 eine Erstattung ausdrücklich geregelt ist, handelt es sich lediglich um eine verfahrensmäßige Ausgestaltung des die geschuldete Umsatzsteuer übersteigenden Kürzungsanspruchs. In § 13 Abs. 1 BHG 1968 fehlt eine solche Verfahrensvorschrift. Das berechtigt jedoch nicht zur Annahme, die Erstattung sei zu versagen. Die Erstattungsverpflichtung des FA folgt vielmehr schon aus der Verknüpfung des Kürzungsanspruchs mit der Umsatzsteuerfestsetzung. Auch ohne Bezugnahme auf § 18 Abs. 4 Satz 4 UStG 1967 gilt der in dieser Vorschrift enthaltene Grundsatz, daß ein Überschuß zugunsten des Unternehmers zurückzuzahlen ist. § 13 Berlin FG, der § 13 BHG 1968 fortführt, enthält nunmehr in Abs. 1 Satz 4 ebenfalls eine Bezugnahme auf die Erstattungsvorschriften des § 18 UStG 1967. Die Gesetzesbegründung stellt in Übereinstimmung mit der Auffassung des Senats fest, daß der angefügte Satz keine Änderung der Rechtslage bewirkt, sondern lediglich der Klarstellung gedient hat (Bundestags-Drucksache VI/614 S. 18).

3. Danach ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Umsatzsteuer ist unter Abänderung des angegriffenen Bescheids um ... DM zu ermäßigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69527

BStBl II 1971, 649

BFHE 1971, 440

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