Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücklage nach § 6b EStG: Reinvestitionsrücklage für Gewinn aus Veräußerung lebenden Inventars eines landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Betriebs; Zulässigkeit bei Betriebsverpachtung, Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe; Reinvestitionsabsicht

 

Leitsatz (amtlich)

Wird ein landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Betrieb ohne Aufgabeerklärung verpachtet, so ist der Gewinn aus der gleichzeitigen Veräußerung des lebenden Inventars nach § 6b EStG begünstigt; die Betriebsverpachtung ist Betriebsumstellung i.S. des § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG.

 

Orientierungssatz

Der Steuerpflichtige hat ein Wahlrecht, einen Betrag nach § 6b Abs.1 EStG abzuziehen oder eine Rücklage nach § 6b Abs.3 EStG zu bilden. Die Rücklagenbildung hängt dabei nicht von einer Reinvestitionsabsicht ab (Festhaltung an der Senatsrechtsprechung). Die Rücklagenbildung ist auch zur Neutralisierung des Gewinns aus einer Betriebsveräußerung oder aus der Veräußerung im Rahmen einer Betriebsaufgabe zulässig.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, § 6b Abs. 1 S. 1, Abs. 3

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Urteil vom 24.06.1996; Aktenzeichen I 10/92)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr 1989 als Ehegatten zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Als Landwirt hat der Kläger zum 1. Januar 1989 seinen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb mit etwa 45 ha verpachtet, ohne die Betriebsaufgabe zu erklären. Den Gewinn aus dem verpachteten Betrieb ermittelte der Kläger, wie bis zur Verpachtung, durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im Zuge der Verpachtung wurde das lebende Inventar, bestehend aus 25 Kühen, 8 Rindern und 32 Kälbern, veräußert. Den Veräußerungsgewinn von 70 159,74 DM stellte der Kläger zu 80 v.H. in eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG ein. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte diese Rücklage in Höhe von 56 127,79 DM nicht an.

Nach erfolglosem Vorverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 974 veröffentlichten Begründung statt, die Betriebsverpachtung sei eine Betriebsumstellung, die auch dann zur Bildung einer Rücklage für den Gewinn aus der Veräußerung lebenden Inventars berechtige, wenn der Steuerpflichtige keine Reinvestitionsabsicht habe.

Mit seiner dagegen gerichteten, vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Zur Begründung wird vorgetragen, der Begriff der Betriebsumstellung sei nach dem Urteil des Senats vom 15. Februar 1990 IV R 59/89 (BFHE 160, 310, BStBl II 1991, 11) tätigkeitsbezogen auszulegen. Erforderlich sei daher, daß der Kläger auch nach der Betriebsumstellung noch aktiv tätig werde und nicht den Betrieb einstelle, wie dies bei einer Betriebsverpachtung der Fall sei (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. September 1995 IV R 39/94, BFHE 179, 75, BStBl II 1996, 276, 278). Im übrigen hätte das FG von seinem Standpunkt aus prüfen müssen, ob tatsächlich alle veräußerten Tiere dem steuerlichen Anlagevermögen des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs zuzurechnen gewesen seien. Insoweit werde mangelnde Sachaufklärung gerügt, die zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führen müsse.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Soweit das FA geltend macht, das FG habe seine Überzeugung auf der Grundlage eines unvollständig bzw. fehlerhaft ermittelten Sachverhalts gebildet und damit einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht nach § 76 FGO beanstandet, hält der Senat diese Rügen von Verfahrensfehlern nicht für durchgreifend. Das FA hat die Tatsachen, die den Mangel ergeben, nicht ausreichend bezeichnet (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Der Senat sieht insoweit nach Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I, 1861) von einer Begründung der Entscheidung ab.

2. Das FG hat im übrigen ohne Rechtsverstoß die Steuerfestsetzung des FA aufgehoben. Es hat die Betriebsverpachtung zutreffend als Betriebsumstellung i.S. des § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG beurteilt, so daß der dabei entstandene Gewinn aus der Veräußerung des lebenden Inventars nach § 6b Abs. 3 und 4 EStG in eine Rücklage eingestellt werden konnte.

a) Nach § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung des EStG 1987 können Steuerpflichtige, die im Zusammenhang mit einer Betriebsumstellung lebendes Inventar eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs veräußern, im Wirtschaftsjahr der Veräußerung von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in § 6b Abs. 1 Satz 2 EStG bezeichneten Wirtschaftsgüter einen Betrag bis zur Höhe von 80 v.H. des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns abziehen. Soweit die Steuerpflichtigen den Abzug nach § 6b Abs. 1 EStG nicht vorgenommen haben, können sie im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden (§ 6b Abs. 3 Satz 1 EStG). Bis zur Höhe dieser Rücklage können sie von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in § 6b Abs. 1 Satz 2 EStG bezeichneten Wirtschaftsgüter, die in den folgenden zwei Wirtschaftsjahren angeschafft oder hergestellt werden, im Wirtschaftsjahr ihrer Anschaffung oder Herstellung einen Betrag abziehen.

b) Im Streitfall stand dem Kläger das Wahlrecht, einen Betrag nach § 6b Abs. 1 EStG abzuziehen oder nach § 6b Abs. 3 EStG eine Rücklage zu bilden, zu. Im Zusammenhang mit der Verpachtung seines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs hat er das lebende Inventar veräußert. Den Gewinn aus dieser Veräußerung konnte er danach zu 80 v.H. in eine Rücklage einstellen, weil er auch noch als Verpächter seinen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG und nicht, wie in solchen Fällen allgemein üblich, durch Einnahmen-Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelte. Bei dem veräußerten Viehbestand hat es sich nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des FG auch um Anlagevermögen gehandelt. Daß die Bildung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG nicht von einer Reinvestitionsabsicht abhängt, hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden (vgl. Urteile vom 4. Februar 1982 IV R 150/78, BFHE 135, 202, BStBl II 1982, 348; vom 17. September 1987 IV R 8/86, BFHE 151, 139, BStBl II 1988, 55; vom 26. Oktober 1989 IV R 83/88, BFHE 159, 133, BStBl II 1990, 290, und vom 7. März 1996 IV R 34/95, BFHE 180, 305, BStBl II 1996, 568). Daran hält er auch im Streitfall fest.

c) Entgegen der Auffassung der Revision ist die Betriebsverpachtung auch eine Betriebsumstellung i.S. des § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG. Der Übergang von aktiver landwirtschaftlicher Betätigung zur bloßen Nutzungsüberlassung erfüllt schon dem Wortlaut nach den Begriff einer Betriebsumstellung. Aber auch der Regelungszweck des § 6b EStG steht dieser Auslegung nicht entgegen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Möglichkeit der Übertragung stiller Reserven den gebotenen Strukturwandel im betrieblichen Bereich erleichtern (Begründung des Regierungsentwurfs zum Steueränderungsgesetz 1964, BTDrucks IV/2400 S.62, BRDrucks 193/64 S.46). Die Verpachtung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs, die häufig als Zwischenlösung bis zur endgültigen Hofübergabe gesucht wird, soll aber nicht dadurch behindert werden, daß sich der Landwirt, dem eine eiserne Verpachtung nicht möglich ist, gezwungen sieht, einen laufenden Gewinn aus der Veräußerung des lebenden Inventars zu versteuern, die Betriebsaufgabe zu erklären oder aber seinen Betrieb trotz seines hohen Alters oder schlechten Gesundheitszustands wie bisher fortzuführen. Der erkennende Senat hat weiter aus dem auf Strukturänderung gerichteten Förderungszweck der Reinvestitionsregelung gefolgert, daß dem Betriebsinhaber ein gewisser Spielraum verbleiben solle, welche Maßnahme er für die Modernisierung oder Rationalisierung seines Unternehmens für erforderlich hält. Dieser Spielraum werde abgegrenzt durch die Veräußerung des gesamten Betriebs einerseits und Veräußerungen im laufenden Geschäftsverkehr andererseits (Senatsurteil in BFHE 160, 310, BStBl II 1991, 11, m.w.N.). Dabei dient das Merkmal der Betriebsumstellung, wie die Revision zutreffend ausgeführt hat, ganz offensichtlich der Abgrenzung nicht begünstigter laufender Geschäftsvorfälle von den förderungswürdigen, strukturverändernden Veräußerungsmaßnahmen.

Die Veräußerung lebenden Inventars im Zusammenhang mit der Verpachtung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ist aber weder laufendes Umsatzgeschäft noch führt sie zur Beendigung betrieblicher Betätigung. Das FA hat hiergegen zwar eingewandt, die durch die Verpachtung der wesentlichen Betriebsgrundlagen bewirkte Betriebseinstellung sei keine Betriebsumstellung; die Reinvestitionsvergünstigung des § 6b EStG erfordere das Fortbestehen eines "aktiv bewirtschafteten Betriebs". Dieser betriebsbezogenen Auslegung des § 6b EStG vermag der Senat nicht zu folgen. Sie widerspricht der Rechtsprechung des BFH in zweifacher Hinsicht. Denn einmal ist die Bildung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG auch zur Neutralisierung des Gewinns aus einer Betriebsveräußerung oder aus der Veräußerung im Rahmen einer Betriebsaufgabe zulässig (BFH-Urteil vom 25. Juli 1979 I R 175/76, BFHE 129, 17, BStBl II 1980, 43); von dieser Möglichkeit einer Begünstigung ungeachtet einer "Betriebseinstellung" geht auch der Gesetzgeber in § 34 Abs. 1 Satz 4 EStG aus. Zum anderen führt der Übergang zur Betriebsverpachtung, wie der Große Senat des BFH ausgeführt hat (Urteil vom 13. November 1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124), gerade nicht zu einer Betriebseinstellung, sondern nur zu einer Fortführung des Betriebs in anderer Form.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66298

BFH/NV 1997, 268

BStBl II 1997, 512

BFHE 183, 72

BFHE 1998, 72

BB 1997, 1087-1088 (Leitsatz)

DB 1997, 1750 (Leitsatz)

DStR 1997, 774-775 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1997, 446 (Leitsatz)

HFR 1997, 474-475 (Leitsatz)

StE 1997, 299 (Kurzwiedergabe)

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