Leitsatz (amtlich)

1. Wer von seinem Recht, gemäß § 78 FGO in die beim FG befindlichen FA-Akten Einsicht zu nehmen, nicht Gebrauch macht, kann sich im allgemeinen nicht mit Erfolg darauf berufen, ihm sei das rechtliche Gehör verweigert worden, wenn das FG in den FA-Akten befindliche Schriftstücke seiner Entscheidung zugrunde legt.

2. Die Zuständigkeitsänderung gemäß § 78 AO ist eine im Ermessen der Finanzverwaltung stehende Entscheidung, die von den FG nur in den Grenzen des § 102 FGO überprüft werden darf.

2. Die Beträge, die ein Versicherungsnehmer eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit als sog. Bonus oder als Beitragsermäßigung aus technischem Überschuß von dem Verein, an dem er auch Beteiligter ist, ausgezahlt erhält, mindern die in demselben Steuerabschnitt als Sonderausgaben abziehbaren Versicherungsbeiträge.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 20; AO § 73a Abs. 2, § 78; FGO §§ 78, 102

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtige) wohnen in A. Dort ist der steuerpflichtige Ehemann Vorsteher des FA A. Er selbst hat ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit; die steuerpflichtige Ehefrau hat nur Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

Für die Jahre 1960 und 1961 reichten die Steuerpflichtigen beim FA A Einkommensteuererklärungen ein und beantragten Zusammenveranlagung. Das FA nahm die Veranlagungsarbeiten auf, vereinbarte dann aber mit dem FA B (Beklagter und Revisionsbeklagter), daß die örtliche Zuständigkeit für das Veranlagungsverfahren im Streitfall auf das FA B übergehe. Der Steuerpflichtige, der der Verlagerung der örtlichen Zuständigkeit ursprünglich zugestimmt hatte, zog sein Einverständnis später zurück. Das FA B hielt dennoch an seiner örtlichen Zuständigkeit fest und teilte dem Steuerpflichtigen mit, er könne wegen der angeblichen Unzuständigkeit Rechtsmittel gegen die Steuerbescheide einlegen.

Das FA B erließ die Steuerbescheide für die Streitjahre. Es verminderte u. a. die Sonderausgaben 1961, die die Steuerpflichtigen mit … DM angegeben hatten und in denen für eine Kraftfahrzeugversicherung 283,60 DM enthalten waren, um 175,50 DM. Dieser Betrag war den Steuerpflichtigen für das Jahr 1960 im Jahre 1961 von der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ausgezahlt worden. Der Betrag gliedert sich nach Mitteilung der Versicherung auf in 121,50 DM für „Beitragsermäßigung aus techn. Überschuß = 45 %” und 54 DM als „Bonus = 20 %”.

Mit der Sprungklage gegen die Steuerbescheide 1960 und 1961 rügten die Steuerpflichtigen die Zuständigkeit des FA B. Sie begehrten ferner, bestimmte Beträge als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Schließlich beanstandeten sie die Kürzung der Sonderausgaben um den Betrag von 175,50 DM. Während des Klageverfahrens erließ das FA B gemäß § 94 AO Änderungsbescheide, mit denen es die begehrte außergewöhnliche Belastung für 1960 und 1961 anerkannte. Die Steuerpflichtigen machten die geänderten Bescheide gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens.

Das FG wies die Klage gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 1960 und 1961 als unbegründet ab. Es führte in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1968 S. 120 (EFG 1968, 120) auszugsweise veröffentlichten Urteil im wesentlichen aus: Die Frage der örtlichen Zuständigkeit sei im vorliegenden Veranlagungsverfahren zu prüfen. Das FA B sei für die Veranlagung auf Grund der rechtmäßigen Vereinbarung mit dem FA A zuständig gewesen. Nur eine willkürliche Vereinbarung, die hier nicht vorliege, sei unzulässig. Auch sachlich sei dem FA B zu folgen. Die Leistungen des Versicherungsunternehmens fielen zwar unter keine der Einkunftsarten des EStG; sie könnten aber nicht von den Beitragsleistungen gesondert behandelt werden. Die nachträglich gewährte Vergütung für unfallfreies Fahren oder für die Nichtinanspruchnahme des Versicherungsunternehmens sei ebenso wie die aus gleichem Grund von vornherein ermäßigte Beitragsleistung eine Korrektur der Versicherungsprämie. Das treffe auch für die Verteilung des technischen Überschusses zu.

Mit der Revision rügen die Steuerpflichtigen Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor dem FG, die Zuständigkeit des FA B im Veranlagungsverfahren und die Verrechnung der Zahlungen der Haftpflichtversicherung mit den von ihnen geleisteten Beträgen. Sie meinen, es sei zu erwägen, ob die Zahlung der Beträge seitens der Versicherung Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne von § 20 Abs. 2 EStG seien. Denn sie seien als Mitglied eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (VVaG) an dessen Vermögen beteiligt, das letztlich nur auf den Beiträgen der Mitglieder und nicht auf Mitteln von Kapitalgebern wie z. B. bei Aktiengesellschaften beruhe. Die Überschüsse des VVaG seien echte Gewinne, die den Mitgliedern in Form von sog. Beitragsrückerstattungen zuflössen. Die Beitragsrückerstattung sei deshalb von der einzelnen Prämienzahlung völlig unabhängig; sie sei ein Ausgleich für sonst angefallene Schadensleistungen, die auch steuerfrei seien. Im übrigen habe sich die Finanzverwaltung jahrzehntelang bezüglich der vorliegenden Streitfrage, insbesondere bei Lohnsteuerpflichtigen, passiv verhalten. Die vorliegende Ausnahmebehandlung sei allem Anschein nach gegen den Ehemann persönlich gerichtet. Auch dürften nicht durch Wiederaufrollung eines abgeschlossenen Lohnsteuer-Ermäßigungsfalles Fragen erneut behandelt werden, die im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren abschließend entschieden worden seien. Rund 11 Mill. Kraftfahrzeughalter im Bundesgebiet erhielten der Höhe nach unterschiedliche Schadensfreiheitsrabatte. Der ungeheuere Verwaltungsaufwand der Überprüfung dieser Fälle stehe in keinem Verhältnis zu dem geringen steuerlichen Einzelergebnis. Während in den Einkommensteuer-Erklärungsvordrucken für 1966 noch Hinweise auf den Abzug von Beitragsrückerstattungen und Schadensfreiheitsrabatten fehlten, seien sie erstmals in den Lohnsteuer-Ermäßigungsvordrucken für 1968 enthalten. Entsprechend seien die LStR 1968 in Abschn. 31b Abs. 3 und die EStR 1967 in Abschn. 88 Abs. 4 neu geregelt worden. Für diese plötzliche Änderung einer jahrzehntelangen Praxis der Finanzverwaltung habe es keine Veranlassung gegeben.

Die Steuerpflichtigen beantragen, unter Aufhebung des FG-Urteils den Einkommensteuerbescheid 1961 in der Fassung des Änderungsbescheides auch wegen Unzuständigkeit aufzuheben und die Einkommensteuer 1961 auf 2 664 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

1. Durch die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1960 während des finanzgerichtlichen Verfahrens haben die Steuerpflichtigen das mit der Sprungklage gegen diesen Bescheid begehrte materiell-rechtliche Ziel erreicht. Wohl deshalb haben sie mit der Revision nur noch die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1961, unter Aufhebung des FG-Urteils insoweit, beantragt. Der Senat geht deshalb davon aus, daß die Steuerpflichtigen die Vorentscheidung insoweit nicht angegriffen haben, als sie sich auf die Einkommenbesteuerung 1960 bezieht.

2. Mit der Rüge des fehlenden rechtlichen Gehörs machen die Steuerpflichtigen geltend, ihnen sei das vom FG verwertete Schreiben des FA A vom 14. April 1965 nicht bekannt gewesen. Sie hätten auch nicht gewußt, daß das FA A sich wegen der Klärung der steuerlichen Zweifelsfrage, ob die Beitragsrückgewähr mit den Sonderausgaben zu verrechnen sei, an die OFD gewendet habe. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Das vom FG verwertete Schreiben vom 14. April 1965, mit dem die vorgenannte Zweifelsfrage der OFD vorgelegt worden ist, befindet sich in den Einkommensteuerakten der Steuerpflichtigen. Dem steuerpflichtigen Ehemann konnte nicht unbekannt sein, daß das FA diese Einkommensteuerakten gemäß § 71 Abs. 2 FGO dem FG vorlegen werde. Das FA hat das auch getan und dabei erklärt, es bestünden keine Bedenken, den Steuerpflichtigen oder einem Vertreter Akteneinsicht zu gewähren. Dieses Recht der Steuerpflichtigen ergibt sich auch aus § 78 FGO. Die Steuerpflichtigen haben von diesem Recht aber keinen Gebrauch gemacht und dadurch das Schreiben vom 14. April 1965 nicht zur Kenntnis bekommen. Dann können sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen, ihnen sei das rechtliche Gehör verweigert worden. Denn das Recht auf rechtliches Gehör setzt ein aktives Mithelfen des Betroffenen voraus; er muß seine prozessualen Möglichkeiten nutzen (vgl. das Urteil des BFH III 244/64 vom 27. November 1968, BFH 94, 517, BStBl II 1969, 250; Maunz-Dürig, Grundgesetz, § 103 Rdnr. 6). Ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör kommt deshalb nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige von seinem Anspruch, gemäß § 78 FGO Akteneinsicht zu nehmen, der ein Ausfluß des rechtlichen Gehörs ist (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 3. Aufl., § 78 FGO Anm. 1), keinen Gebrauch macht. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob es von diesem Grundsatz Ausnahmen dann gibt, wenn ein FG in den Steuerakten Tatsachen vorfindet, die dem Steuerpflichtigen unter keinen Umständen bekannt sein können und die für den Streitfall von ganz außerordentlicher Bedeutung sind. Ein derartiger Ausnahmefall liegt jedenfalls hier nicht vor.

3. Das FA B war für den Erlaß der streitigen Einkommensteuerbescheide auch zuständig.

a) Dem FG ist zunächst darin zuzustimmen, daß die Frage der örtlichen Zuständigkeit im vorliegenden Verfahren geprüft werden kann. Zwar hat das FA B dem Steuerpflichtigen zunächst lediglich mitgeteilt, daß er nunmehr unter einer bestimmten Steuernummer bei ihm geführt werde. Es ist zweifelhaft, ob diese Mitteilung generell ein Verwaltungsakt ist und obschon sie hätte angefochten werden können und müssen (so das Urteil des FG Hamburg III 351/63 vom 26. November 1963, EFG 1964, 346; Tipke-Kruse, a. a. O., § 78 AO Anm. 1 am Ende) oder ob, wie das FG meint, die Zuständigkeit des FA B nur in einem Verfahren gegen die von diesem FA gesondert erlassenen Verwaltungsakte gerügt werden kann (so das Urteil des Niedersächsischen FG V 73/61 vom 5. Dezember 1962, EFG 1963, 319; v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 78 AO Anm. 1; Stier, Der Betrieb 1966 S. 201 f. – DB 1966, 201 f. –). Diese Frage braucht hier aber nicht abschließend entschieden zu werden; denn jedenfalls hat das FA B der steuerpflichtigen Ehefrau die Zuständigkeitsverlagerung nicht ausdrücklich mitgeteilt, so daß sie offiziell erst durch den auch an sie gerichteten Einkommensteuerbescheid Kenntnis von der Übernahme der Akten durch das FA B bekommen hat und deshalb auch erst gegen diesen Bescheid die Rüge der Unzuständigkeit des FA B erheben konnte und mußte.

b) Die Übertragung der Zuständigkeit vom FA A auf das FA B ist nicht zu beanstanden. Nach § 73a Abs. 2 AO ist für die Einkommens- und Vermögensbesteuerung natürlicher Personen das FA zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz hat. Das wäre hier das FA A. § 78 AO gestattet aber, daß „(insbesondere wenn ein Stpfl. es beantragt) für einen einzelnen Fall … ein anderes FA die Besteuerung” übernimmt. Voraussetzung ist nur, daß die Übernahme zweckmäßig ist und im Einvernehmen mit dem örtlich zuständigen FA erfolgt. Voraussetzung für die Zuständigkeitsvereinbarung nach § 78 AO ist aber nicht, wie die Steuerpflichtigen offenbar meinen, daß sie ihr zugestimmt oder sie beantragt haben (vgl. auch Stier, a. a. O.; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 316). Es kommt deshalb nicht darauf an, ob hier der Steuerpflichtige seine Zustimmung ursprünglich wirksam erteilt und später wieder berechtigterweise zurückgenommen hat. Es ist aus dem gleichen Grund ohne Bedeutung, daß die Ehefrau ihr Einverständnis zur Zuständigkeitsänderung nie erteilt hat.

Zwar sind die Interessen des Steuerpflichtigen bei der Anwendung des § 78 AO zu berücksichtigen (vgl. Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, I. Bd., 9. Aufl., § 78 Anm. 1 Abs. 1; Mattern-Meßmer, a. a. O.; Tipke-Kruse, a. a. O., § 78 AO Anm. 1), was sich insbesondere daraus ergibt, daß gemäß § 78 AO sein Antrag die Zuständigkeitsänderung herbeiführen kann. Auch das Wort „zweckmäßig” dürfte für die Mitberücksichtigung der Interessen des Steuerpflichtigen sprechen, zumal die grundsätzliche Regelung in § 73a Abs. 2 AO für den Steuerpflichtigen regelmäßig günstig ist und ein Abweichen hiervon dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht nachteilig sein soll. Bei der Prüfung, ob ein an sich nicht zuständiges FA die Bearbeitung übernehmen soll, sind aber auch die Interessen der Finanzverwaltung zu beachten (vgl. Mattern-Meßmer, a. a. O., Tz. 315). Ob das an sich unzuständige FA die Besteuerung übernimmt, steht letztlich in seinem Ermessen; maßgebend sind also Zweckmäßigkeitsgründe (vgl. das BFH-Urteil IV 364/58 U vom 13. April 1961, BFH 73, 71, BStBl III 1961, 294; Mattern-Meßmer, a. a. O., Tz. 316; v. Wallis, a. a. O.; Becker-Riewald-Koch, a. a. O., § 78 Anm. 1 Abs. 4).

Da die Zuständigkeitsänderung nach § 78 AO folglich im Ermessen der Finanzbehörden steht, durfte das FG die Zuständigkeitsvereinbarung nur im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch überprüfen. Es ist nicht zu beanstanden, daß die Vorentscheidung einen Ermessensfehler verneint hat. Denn die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit sind lediglich im Interesse der Ordnung erlassen worden (vgl. Becker-Riewald-Koch, a. a. O., § 78 Anm. 1 Abs. 1). Die Erwägungen, die das FG im einzelnen angestellt hat, daß hier diese Ordnung durch eine gesetzlich zulässige Ausnahmeregelung durchbrochen werden durfte, sind nicht zu beanstanden. Bei den offenbaren Unstimmigkeiten zwischen dem Steuerpflichtigen und seinem dienstlichen Vertreter, der für die Veranlagung zuständig war, konnte es zweckmäßig erscheinen, eine andere Stelle mit der Veranlagung zu betrauen. Es konnte auch davon abgesehen werden, einen anderen Sachgebietsleiter des FA A mit der Veranlagung zu befassen, weil dieser andere Sachgebietsleiter durch die Unstimmigkeiten zwischen dem FA-Vorsteher (Steuerpflichtiger) und dessen dienstlichem Vertreter möglicherweise in eine gegenüber einem von beiden unliebsame Position gekommen wäre. Die verschiedenen Einwände der Steuerpflichtigen dagegen haben keinen Erfolg. Denn es mußte auch im Interesse der Steuerpflichtigen sein, daß ihre steuerlichen Angelegenheiten durch einen unbefangenen Beamten bearbeitet werden. Die Zuständigkeitsänderung war also nicht nur im Interesse der Verwaltung erfolgt. Im übrigen wären die steuerlichen Verhältnisse der Steuerpflichtigen auch dann einem größeren Kreis von Beamten bekanntgeworden, wenn die Zuständigkeit für ihre Veranlagung auf andere Beamte des FA A übertragen worden wäre. Abträgliche Vermutungen hätten auch in diesem Fall angestellt werden können.

Das FG hat auch zu Recht darauf hingewiesen, daß derjenige, der, wie hier die Ehefrau, die Vorteile der Zusammenveranlagung beansprucht, auch deren hier einmal auftretende Nachteile in Kauf nehmen muß. Die Ehefrau hat im übrigen, soweit ersichtlich, tatsächlich keine Nachteile durch die Zuständigkeitsverlagerung auf das FA B erlitten, zumal ihre Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gerade vom FA B zuvor einheitlich festgestellt worden waren.

Der behauptete Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt hier schon deshalb nicht vor, weil die Unstimmigkeiten zwischen dem Steuerpflichtigen und seinem dienstlichen Vertreter zwar, soweit ersichtlich, auf dienstlichen Angelegenheiten beruhen. Diese dienstlich hervorgerufenen Spannungen berühren aber auch das Verhältnis des dienstlichen Vertreters zu ihm als Steuerpflichtigen. Beides läßt sich entgegen der Ansicht der Steuerpflichtigen nicht trennen. Schließlich stützt das von den Steuerpflichtigen insoweit herangezogene, bereits angeführte BFH-Urteil IV 364/58 U ihre Auffassung nicht. In diesem Urteil ist ausgeführt, es sei nicht ermessensfehlerhaft, wenn es ein FA trotz des Antrags des Steuerpflichtigen bei der Zuständigkeit nach § 73a Abs. 2 AO belasse. Das Urteil verwehrt es aber nicht, in besonderen Fällen – und diese Zweckmäßigkeitsfrage kann immer nur in Einzelfällen entschieden werden – von § 78 AO Gebrauch zu machen.

4. Die „Beitragsermäßigung aus technischem Überschuß” und der „Bonus” sind keine Einkünfte aus Kapitalvermögen. Nach dem „Handwörterbuch des Versicherungswesens” (Bd. 2, Spalte 1626-1629) ist unter Bonus in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung die sog. feste Beitragsermäßigung zu verstehen, die in Höhe eines bestimmten Vomhundertsatzes der im Vorjahr gezahlten Prämien gewährt wird, wenn über eine bestimmte Zeit hinaus Schadensleistungen nicht in Anspruch genommen worden sind. „Beitragsrückerstattungen aus technischem Überschuß” sind dagegen Gewinnverteilungen, die – vor allem bei Bilanzüberschüssen von VVaG – ebenfalls nach der Häufigkeit der Inanspruchnahme der Versicherung aufgeschlüsselt und verteilt werden. Beides sind Erstattungen im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses, worauf im einzelnen noch unter 5. eingegangen wird. Sie können deshalb keine Einkünfte aus Kapitalvermögen sein. Der RFH hat bereits im Urteil VI A 353/33 vom 20. Dezember 1933 (RStBl 1934, 429) entschieden, daß die Dividenden, die eine Versicherung ihrem Versicherungsnehmer auszahlt, unter keine der sieben Einkunftsarten fallen (ebenso das Urteil des Senats VI R 11/68 vom 20. Februar 1970, BStBl II 1970, 314). Der Senat folgt dieser Auffassung auch für den Fall der Beitragsermäßigung aus technischem Überschuß und für den Fall des Bonus; denn beide wurden nicht für die Überlassung einer Kapitalnutzung gezahlt, sie sind also auch kein Ertrag einer Kapitalbeteiligung (vgl. hierzu das BFH-Urteil I 250/64 vom 11. Dezember 1968, BFH 94, 488, BStBl II 1969, 188).

5. Die „Beitragsermäßigung aus technischem Überschuß” und der „Bonus” aus der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung mindern jedoch die abziehbaren Sonderausgaben der Steuerpflichtigen.

a) In dem angeführten Urteil VI R 11/68 hat sich der Senat mit der Auszahlung von Dividenden auf einen bei einem VVaG abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag befaßt. Er kam zu dem Ergebnis, daß die Dividende die „Aufwendungen” des Steuerpflichtigen im Sinn des § 10 EStG mindert. Denn eine wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen liegt nicht vor, wenn eine Erstattung im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses bei einem VVaG erfolgt. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf das urteil VI R 11/68 verwiesen.

Was der Senat für die Dividenden ausgesprochen hat, muß in gleicher Weise für die Beitragsermäßigung aus technischem Überschuß gelten; denn sie ist, was sich aus den Ausführungen unter 4. ergibt, letztlich nichts anderes als eine Dividende (Gewinnbeteiligung), auch wenn sie noch von besonderen Leistungen des Versicherungsnehmers – wenig Schadensfälle – abhängt. Dieser letzte Umstand macht sogar besonders deutlich, daß die Beitragsermäßigung aus technischem Überschuß hier dem Steuerpflichtigen nicht wegen seiner Mitgliedschaft bei dem VVaG, sondern wegen seiner Eigenschaft als Versicherungsnehmer ausgezahlt worden ist.

Der Einwand, es handle sich um keine echte Rückzahlung, eben weil der Steuerpflichtige noch etwas Zusätzliches, nämlich unfallfreies Fahren, neben seiner Zahlungsleistung vollbringen müsse, ist nicht durchschlagend. Durch diesen Umstand wird die wirtschaftlich als Rückzahlung aufzufassende Leistung des Versicherers nur der Höhe nach beeinflußt. Sie mindert aber auf jeden Fall in Höhe der Erstattung die vorher erbrachten Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Daß die Versicherung das Fahrverhalten des Versicherungsnehmers, wie die Steuerpflichtigen meinen, honoriert, ist bei der Besteuerung zu berücksichtigen; denn ein Steuerpflichtiger, der, weil er die Versicherung nicht in Anspruch genommen hat, von dieser etwas erhält, darf insoweit nicht noch zusätzlich vom Fiskus begünstigt werden. Er kann nicht Vergünstigungen für angebliche Belastungen in Anspruch nehmen, die er – mit oder ohne sein Zutun – im Ergebnis gar nicht getragen hat.

Der Einwand, die Beitragsermäßigung aus technischem Überschuß sei ein Ausgleich für sonst angefallene Schadensleistungen, die auch steuerfrei seien, greift nicht durch, weil es sich hier eben nicht um einen Schadensausgleich durch die Versicherung handelt. Auch der Hinweis der Steuerpflichtigen auf § 6 Abs. 2 Nr. 2 KStG führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach dieser Vorschrift sind Beitragsrückerstattungen aus technischem Überschuß bei der Ermittlung des Einkommens von Versicherungsunternehmen abziehbar. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, die Rückgewähr erhobener Beitragsteile an die Versicherungsnehmer steuerfrei zu lassen (so Blümich-Klein-Steinbring-Stutz, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 4. Aufl., § 6 Anm. 7 d); der Gewinn kann durch die Auszahlungen gemindert werden, weil die nachträgliche Entgeltrückgewähr wie eine Betriebsausgabe abziehbar ist (vgl. Krollmann, Körperschaftsteuerkommentar, 1962, § 6 Rdnr. 335). Die körperschaftsteuerrechtliche Behandlung der Prämienrückgewähr bei Versicherungsunternehmen steht deshalb, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, mit der vorstehenden Auslegung des § 10 EStG nicht in Widerspruch.

b) Auch der „Bonus” mindert die Sonderausgaben. Er ist nach der oben wiedergegebenen Definition nicht von der Höhe des Gewinns, sondern lediglich von der Schadensfreiheit abhängig; es handelt sich hier also um den sog. Schadensfreiheitsrabatt, der – und das verdeutlicht seine Unabhängigkeit vom Gewinn – zum Teil auch von vornherein die Beiträge der Steuerpflichtigen verringert. Da es sich hier um eine – wenn auch erdiente – Beitragsrückgewähr handelt, müssen die Sonderausgaben um den Bonus verringert werden. Das wird besonders deutlich bei sofortigem Einbehalt des Bonus. In diesem Fall können nicht die von vornherein nicht erhobenen Beiträge als Sonderausgaben abgezogen werden, weil es insoweit an einer „Aufwendung” im Sinne von § 10 EStG fehlt. Wird der Bonus aber erst später ausgezahlt, so darf sich an dem Ergebnis nichts ändern, daß er die Beiträge mindert. Der sog. Malus, der – spiegelbildlich zum Bonus – ein Prämienzuschlag je nach Zahl der Unfälle ist, steht dieser Beurteilung entgegen der Auffassung der Steuerpflichtigen nicht entgegen; er bestätigt sie vielmehr. Wer wegen mehrerer Unfälle einen Zuschlag (Malus) zahlen muß, hat höhere Beiträge zu erbringen und damit höhere Sonderausgaben. Insoweit wird also nicht das eigene – negative – Verhalten des Versicherungsnehmers zum Anlaß genommen, die abziehbaren Versicherungsleistungen zu korrigieren. Genauso wenig darf für die Abziehbarkeit als Sonderausgaben auf das – positive – unfallfreie Verhalten abgestellt werden. Entscheidend ist immer nur, was der Steuerpflichtige an Versicherungsbeiträgen „aufwenden” mußte. Das widerspricht nicht, wie die Steuerpflichtigen meinen, dem Willen des Gesetzgebers. § 10 EStG begünstigt bestimmte Lebenshaltungskosten. Wendet sie ein Steuerpflichtiger auf, so ist es für die Abziehbarkeit gleichgültig, weshalb das geschieht. Es ist z. B. auch ohne Belang, ob ein Steuerpflichtiger sein Leben mit 10 000 DM oder mit 100 000 DM versichert. Er darf in jedem Fall seine Beiträge im Rahmen der Höchstbeträge als Sonderausgaben abziehen.

Wenn die Gerichte diese Auffassung vertreten, so ist das auch kein Schließen einer Gesetzeslücke zu Lasten der Steuerpflichtigen. Es ist vielmehr eine Auslegung des § 10 EStG nach seinem Wortlaut („Aufwendung”) und seinem durch den Wortlaut gedeckten Sinngehalt.

c) Gegen die Verminderung der Sonderausgaben in Höhe der Beitragsermäßigung aus technischem Überschuß und des Bonus wenden die Steuerpflichtigen noch ein, der Ehemann werde gegenüber Lohnsteuerpflichtigen benachteiligt, weil bei diesen nach § 28a Abs. 3 LStDV eine Nachforderung von Lohnsteuer unterbleibe, wenn der nachzufordernde Betrag 20 DM im Kalenderjahr nicht übersteigt; er werde nur wegen der Einkünfte seiner Ehefrau aus Vermietung und Verpachtung veranlagt und komme deshalb nicht mehr in den Genuß der Vergünstigung des § 28a Abs. 3 LStDV. Vereinfachungen bei der Lohnsteuer, die nicht allein durch die Besonderheit dieser Steuererhebungsform bedingt seien, hätten auch für die Veranlagung zu gelten. In der Tat kann eine unterschiedliche Regelung für veranlagte Einkommensteuerpflichtige und für Lohnsteuerpflichtige einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz enthalten (vgl. den Beschluß des BVerfG 1 BvR 679/64 vom 13. Dezember 1967, BStBl II 1968, 70). Selbst wenn es aber grundgesetzwidrig wäre, daß eine Nachforderung bis zu 20 DM bei Lohnsteuerpflichtigen im Gegensatz zu veranlagten Einkommensteuerpflichtigen nicht erfolgt, so könnten doch die Steuerpflichtigen daraus nichts für sich herleiten. Denn die hier streitige Nachforderung beläuft sich auf 48 DM. Ihr stünde deshalb auch im Lohnsteuerverfahren § 28a Abs. 3 LStDV nicht entgegen.

Es liegt hier auch keine unzulässige Wiederaufrollung eines abgeschlossenen Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahrens vor. Es braucht nicht abschließend darauf eingegangen zu werden, ob das Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren einerseits und das Lohnsteuer-Jahresausgleichs- und Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren andererseits selbständig nebeneinanderstehen, wie der BFH im Urteil IV 329/55 U vom 22. November 1956 (BFH 64, 103, BStBl III 1957, 39) entschieden hat. Denn eine Bindung an das Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren wäre, wenn überhaupt, allenfalls dann gegeben, wenn sich die tatsächlichen Voraussetzungen seit dem unanfechtbaren Abschluß jenes Verfahrens nicht geändert hätten. Im Streitfall haben sich die tatsächlichen Voraussetzungen jedoch deshalb geändert, weil die Steuerpflichtigen nach Abschluß des Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahrens Erstattungen von seiten des VVaG erhalten haben.

Es ist unbeachtlich, daß die Finanzverwaltung erst neuerdings in die Erklärungsvordrucke sowie in die LStR und EStR Vermerke aufgenommen hat, daß Schadensfreiheitsrabatte die Sonderausgaben mindern. Es ist auch nicht entscheidend, ob die Finanzverwaltung früher, wie die Steuerpflichtigen behaupten, die Sonderausgaben nicht um die Schadensfreiheitsrabatte verringerte. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob die Finanzverwaltung diese Frage früher aus praktischen oder anderen Gründen nicht aufgegriffen hat. Es ist ein Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, eine unzutreffende Rechtsauffassung oder Rechtsanwendung im Rahmen der steuerprozessualen Möglichkeiten vom ehestmöglichen Zeitpunkt an aufzugeben (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. neuerdings das Urteil des Senats VI R 174/67 vom 7. Februar 1969, BFH 95, 41, BStBl II 1969, 314).

6. Da die Beiträge, die die Steuerpflichtigen im Steuerabschnitt an die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung gezahlt haben, die an sie im gleichen Steuerabschnitt ausgezahlten Minderungsbeträge übersteigen, braucht nicht auf die Frage eingegangen zu werden, ob und ggf. wie es sich steuerlich auswirkt, wenn den Steuerpflichtigen in einem Veranlagungsabschnitt höhere Erstattungen gewährt werden, als sie Zahlungen geleistet haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 557486

BStBl II 1970, 422

BFHE 1970, 412

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