Entscheidungsstichwort (Thema)

Biologische Bestandsaufnahme als wissenschaftliche Tätigkeit

 

Leitsatz (NV)

Die Bestandsaufnahme des Vorkommens und der Fortpflanzungsstätten bestimmter Tiere durch einen selbständigen Biologen kann auch dann wissenschaftliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr.1 Satz 2 EStG sein, wenn sie laufend und zu praktischen Zwecken des Auftraggebers erfolgt.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Diplombiologe mit dem Hauptfach Zoologie. Im Streitjahr erzielte er neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit solche aus selbständiger Tätigkeit. Sie rühren im wesentlichen aus der Erstellung eines Berichts zur ökologischen Beweissicherung vor dem Bau des Großprojekts X, im übrigen aus weiteren Gutachten im Bereich der Landschaftsökologie her.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) sah diese Einkünfte als gewerblich an und versagte den Abzug des Freibetrages für freie Berufe nach § 18 Abs. 4 des inkommensteuergesetzes 1985 (EStG). Hiergegen wandte sich der Kläger nach erfolglosem Einspruch mit der Klage. Im Klageverfahren legte er den Bericht über die ökologische Beweissicherung ,,Großprojekt X" vor. Dieses Beweissicherungsverfahren hatte u.a. die Dokumentation des Ist-Zustandes des Vorkommens und der Laichplätze von Amphibien auf dem Baugelände und dessen Umgebung sowie deren Kartierung zum Ziel. Ferner wurde das Vorkommen von Tag- und Nachtfaltern untersucht. Der Kläger war mit der Berichtsbearbeitung unter Mitarbeit weiterer Biologen betraut.

Die Dokumentation ist unterteilt nach Tiergruppen und Probestellen (Lage und Flächengröße, Beschreibung und Bewertung). Innerhalb dieser Unterteilung werden die einzelnen Tierarten mit Status der Gefährdung, Individuenzahl, relativer Häufigkeit und Fortpflanzung aufgeführt. An die Dokumentation schließen sich die Kartierung des Lebensraums und eine Übersicht der wertvollsten Laichplätze an.

Bei der Tiergruppe Amphibien handelt es sich um 457 Dokumentationsblätter. Es wurden 242 Probestellen untersucht und 203 Vorkommen unterschiedlicher Individuenzahlen nachgewiesen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Die Annahme des FG, daß die durch selbständige Arbeit des Klägers erzielten Einkünfte des Streitjahres aus wissenschaftlicher Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr.1 EStG herrühren, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist Voraussetzung für die Annahme einer wissenschaftlichen Tätigkeit, daß eine hochstehende, besonders qualifizierte Arbeit ausgeübt wird, die dazu geeignet ist, schwierige Streit- oder Grenzfälle nach streng objektiven und sachlichen Gesichtspunkten zu lösen. Der Begriff der Wissenschaft ist dabei in besonderem Maße mit den Disziplinen verbunden, die an den Hochschulen gelehrt werden (BFH-urteil vom 24. Februar 1965 I 349/61 U, BFHE 82, 46, BStBl III 1965, 263).

Das FG hat festgestellt, daß der Kläger bei seiner Tätigkeit mit den Methoden des Bestimmens, systematischen Zählens und Eingruppierens vorgegangen ist, daß er die gefundenen Ergebnisse analysiert und danach die von ihm ermittelten Tatsachen schriftlich dargestellt hat. Es hat zutreffend angenommen, daß diese Methoden für die Ausübung der an den Universitäten gelehrten Biologie charakteristisch sind. Die Determination von Tieren und Pflanzen stellt sich, soweit sie über die Bestimmung populärer Arten hinausgeht und sich nicht auf die grobe Einordnung in Gruppen oder Familien erschöpft, als Lösung schwieriger Grenzfälle nach streng objektiven und sachlichen Gesichtspunkten im Sinne der BFH-Rechtsprechung dar. Das wird bestätigt durch die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des Professors Z. Aus dieser Stellungnahme geht zugleich hervor, daß die Tätigkeit des Klägers die Anforderungen, die an die Wissenschaftlichkeit der Bestimmung von Tierarten gestellt werden, erfüllt. Zwar bezieht sich die Stellungnahme auf das dem Streitjahr folgende Jahr. Das FG konnte aber davon ausgehen, daß die Tätigkeit des Streitjahres insofern vergleichbar war. Das FA hat dem auch nicht widersprochen. Auch die eigenständige Auswahl der Probenstellen innerhalb des vorgegebenen Bearbeitungsraums charakterisiert die Arbeit des Klägers als wissenschaftlich (vgl. die vom FG in Bezug genommene Stellungnahme des Landesamtes für Umweltschutz).

Zu einer wissenschaftlichen Arbeit gehört ferner, daß sie von der Methodik her nachprüfbar und nachvollziehbar ist (BFH-Urteil vom 30. März 1976 VIII R 137/75, BFHE 118, 473, BStBl II 1976, 464). Welche Anforderungen hierbei zu stellen sind, richtet sich nach dem Charakter des jeweiligen Fachgebietes (Senatsurteil vom 27. Februar 1992 IV R 27/90, BFHE 168, 59, BStBl II 1992, 826). Unter diesem Gesichtspunkt stellt es ein wichtiges Anzeichen für die Wissenschaftlichkeit einer Arbeit dar, wenn sie in ähnlicher Form als Examensarbeit Erfolg haben könnte. Daß dies auf die Arbeiten des Klägers zutrifft, wird in der Stellungnahme des Professors X bestätigt.

Da die Feststellungen des FG vom FA nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden sind, sind sie für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung- FGO -).

Die rechtlichen Einwendungen des FA gegen das angefochtene Urteil greifen nicht durch.

1. Es ist unerheblich, ob es sich bei den Arbeiten des Klägers lediglich um eine Bestandsaufnahme gehandelt hat. Auch eine Bestandsaufnahme ist als wissenschaftliche Tätigkeit anzusehen, wenn sie die vorstehend aufgeführten Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens erfüllt. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob die Arbeiten des Klägers - wie das FA behauptet - von anderen Instituten ausgewertet werden sollten. Ebensowenig ist es angesichts der vom FG bindend festgestellten Art der Tätigkeit des Klägers von Bedeutung, ob er die Arbeiten allein oder mit anderen durchführte.

2. Das FA meint offenbar ferner, die Tätigkeit des Klägers sei deshalb nicht als wissenschaftlich zu qualifizieren, weil sie - ähnlich der des Arztes - laufend und zu praktischen Zwecken erfolge. Allerdings hat der BFH die laufende Tätigkeit von Ärzten, Rechtsanwälten, beratenden Betriebswirten und anderen Angehörigen der in § 18 Abs. 1 Nr.1 Satz 2 EStG aufgeführten ,,Katalogberufe" auch dann nicht als wissenschaftlich angesehen, wenn sie in der laufenden Erstellung von Gutachten bestand (BFH-Urteile vom 22.September 1976 IV R 20/76, BFHE 120, 204, BStBl II 1977, 31; vom 18. Juli 1985 IV R 59/83, BFHE 144, 233, BStBl II 1985, 655). Diese Rechtsprechung diente dazu, die vormals nach § 34 Abs. 4 EStG a.F. steuerbegünstigte nebenberuflich ausgeübte wissenschaftliche Tätigkeit von der laufenden Berufstätigkeit wissenschaftlich vorgebildeter Steuerpflichtiger zu trennen. Aus ihr läßt sich jedoch nicht folgern, daß es auch bei der Beantwortung der Frage, ob eine Tätigkeit überhaupt nach § 18 Abs. 1 Nr.1 EStG als freiberuflich zu qualifizieren ist, darauf ankäme, ob die Begutachtungen laufend erfolgen. Demgemäß hat der Senat in seinem Urteil in BFHE 168, 59, BStBl II 1992, 826 entschieden, daß die Tätigkeit eines Marktforschers wissenschaftlich sein kann. Auch hierbei handelt es sich um eine laufende Beschäftigung.

Unschädlich ist auch, daß die Tätigkeit des Klägers an den Bedürfnissen der Auftraggeber ausgerichtet war. Wissenschaftlich tätig ist nicht nur derjenige, der schöpferische Arbeit leistet (reine Wissenschaft), sondern auch derjenige, der das aus der Forschung hervorgegangene Wissen und Erkennen auf konkrete Vorgänge anwendet (angewandte Wissenschaft), sofern grundsätzliche Fragen oder konkrete Vorgänge methodisch in ihren Ursachen erforscht, begründet und in einen Sinnzusammenhang gebracht werden, wie z.B. in einem wissenschaftlichen Gutachten über schwierige Fragen (BFH-Urteil in BFHE 82, 46, BStBl III 1965, 263). Von einer Tätigkeit auf dem Gebiet der angewandten Wissenschaft wird man regelmäßig dann ausgehen können, wenn entsprechende Gutachtenaufträge auch an Universitätsinstitute vergebenoder - bei genügender Personalausstattung des Auftraggebers - in einer eigenen Forschungsabteilung durchgeführt würden. Aus den Feststellungen des FG läßt sich schließen, daß es sich im Streitfall so verhielt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64073

BFH/NV 1993, 360

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