Leitsatz (amtlich)

Hat sich der Darlehensnehmer, um die volle Auszahlung eines Baudarlehens zu erreichen, für das vereinbarte "Disagio" (Damnum) vom Gläubiger ein zusätzliches Darlehen gewähren lassen, so kann er, wenn die Vereinbarungen eine rechtliche und wirtschaftliche Einheit bilden, nur die zur Tilgung des Zusatzdarlehens geleisteten Teilbeträge gleich einem Damnum als Werbungskosten absetzen. In diesem Fall der sog. Tilgungsstreckung gelten die für die Abzugsfähigkeit des vollen Damnumsbetrages bei Darlehensauszahlung im Beschluß des BFH vom 6. Dezember 1965 GrS 2/64 S (BFHE 84, 399, BStBl III 1966, 144) ausgesprochenen Grundsätze nicht (Anschluß an die BFH-Urteile vom 28. Juni 1968 VI R 211/66, BFHE 93, 276, BStBl II 1968, 816, und vom 10. März 1970 VI R 165/67, BFHE 98, 490, BStBl II 1970, 453).

 

Normenkette

EStG § 11 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein zur Baufinanzierung eines Einfamilienhauses aufgenommenes Tilgungsstreckungsdarlehen im Jahr der Auszahlung des Hauptdarlehens zu den Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung gehört.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) errichteten in den Jahren 1965 bis 1966 ein Einfamilienhaus, für dessen Finanzierung die Deutsche Beamtenversicherung, vermittelt durch das Beamtenheimstättenwerk, ein Hypothekendarlehen zum Nennbetrag von 40 000 DM gewährte. Da die Kläger den vollen Darlehensbetrag benötigten, vereinbarten sie im Jahre 1965 anstelle der sonst üblichen Auszahlung von 97 % der Darlehenssumme die Leistung des Darlehens in Höhe von 100 % mit 6 % Jahreszins ab Auszahlungstag und 1 % jährlicher Tilgung (zuzüglich ersparter Zinsen) ab 1. Januar 1971. "Als Ausgleich für 3 % Disagio, Kosten und Zinsen" wurden 1 400 DM "Nebenleistung" vereinbart, welcher Betrag "für 3 1/2 Jahre, beginnend ab 1. Juli 1967, in vierteljährlichen gleichbleibenden Raten von 100 DM nebst den Zinsen zu entrichten" war. Das Hauptdarlehen wurde im Jahre 1966, dem Streitjahr, ausgezahlt.

In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1966 machten die Kläger u. a. den Betrag von 1 200 DM, nämlich 3 % aus 40 000 DM, als Damnum bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend.

Das lehnte der Beklagte und Revisionskläger (FA) ab.

Dagegen gab das FG der Klage mit der in den EFG 1970, 386, veröffentlichten Entscheidung statt.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 11 Abs. 2 EStG. Es macht geltend, die Vorentscheidung stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der FG-Entscheidung die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie bringen vor, durch die Gewährung des Tilgungsstreckungsdarlehens hätten sich nur die Tilgungsbedingungen, nichts aber an der Vereinbarung des Disagios von 3 % geändert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die von den Klägern begehrte Berücksichtigung der vereinbarten Nebenleistung als Werbungskosten davon abhängt, ob insoweit gemäß § 11 Abs. 2 EStG eine Ausgabe im Streitjahr 1966 geleistet wurde. Entscheidend hierfür ist, wann der von den Klägern geltend gemachte Betrag bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise abgeflossen ist (vgl. zuletzt Urteil des BFH vom 10. März 1970 VI R 165/67, BFHE 98, 490, BStBl II 1970, 453 [455 linke Spalte unten]).

Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 6. Dezember 1965 GrS 2/64 S (BFHE 84, 399, BStBl III 1966, 144) richtet sich der Zeitpunkt des Abflusses nach den bürgerlich-rechtlichen Vereinbarungen der Beteiligten, sofern sie tatsächlich durchgeführt werden. Für den Fall der Tilgungsstreckung hat sich der Große Senat der in den früheren Entscheidungen des BFH vom 1. Juli 1960 VI 159/59 U (BFHE 71, 261, BStBl III 1960, 347) und vom 10. Januar 1964 VI 1/61 U (BFHE 78, 405, BStBl III 1964, 157) vertretenen Auffassung angeschlossen, hier werde das Damnum vereinbarungsgemäß in bestimmten Teilbeträgen zu bestimmten Zeitpunkten geleistet, so daß jeder Teilbetrag eine Ausgabe im Jahr seiner Entrichtung und für dieses Jahr als Werbungskosten abzusetzen sei. Im Unterschied zur Einbehaltung des Damnums bei einem Tilgungsdarlehen werde bei Tilgungsstreckung das Damnum nicht einbehalten, sondern im Laufe einiger Jahre - vor Beginn oder neben der anfänglichen Darlehenstilgung - bezahlt; es handle sich mithin um eine Stundung der sonst bei Darlehensauszahlung fälligen Damnumsschuld.

Entgegen der in der Vorentscheidung vertretenen Auffassung hat damit der Große Senat des BFH zum Fall der Tilgungsstreckung eindeutig Stellung genommen. Das gilt auch für die weitere Begründung des Beschlusses, wonach es nicht den von den Parteien gewollten wirtschaftlichen Wirkungen entspräche, wenn die Vereinbarungen über das Damnum im Fall der Tilgungsstreckung grundsätzlich anders als im Fall der Kürzung bei der Darlehensauszahlung beurteilt würden. Denn auch bei Tilgungsstreckung wird das Damnum berücksichtigt; der Unterschied liegt allein in der Verteilung der Aufwendungen auf die Dauer der Stundung des Damnums. Daß die Tilgungsstreckung im Vergleich zum nach der neueren Rechtsprechung sofort abzugsfähigen normalen Damnum für den Schuldner ungünstigere steuerliche Ergebnisse mit sich bringen kann, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht.

Dem dargestellten Standpunkt der Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat in Übereinstimmung mit den Urteilen vom 28. Juni 1968 VI R 211/66 (BFHE 93, 276, BStBl II 1968, 816) und VI R 165/67 sowie der überwiegenden Ansicht in der Literatur (vgl. Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 11 Anm. 2 S. 1549; Gericke in Hartmann-Böttcher-Grass, Großkommentar zur Einkommensteuer, § 9 Anm. 7c, Ergänzungslieferung April 1973, § 11 Anm. 3, Stichwort Tilgungsstreckungsdarlehen, Ergänzungslieferung April 1974; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 4 EStG, Anm. 62, Stichwort Damnum E 300; anderer Ansicht Littmann, Das Einkommensteuerrecht, § 9 Anm. 36 und in Die Information, Ausgabe A, 1966 S. 245 f. - Inf./A 1966, 245 f. -) an.

Die im Streitfall für die volle Auszahlung der Darlehenssumme vereinbarte "Nebenleistung" bedeutete mindestens wirtschaftlich eine Stundung des sog. Disagios (vgl. hierzu noch BFH-Urteil vom 24. November 1971 I R 109/71, BFHE 104, 152, BStBl II 1972, 179 [180 linke Spalte Mitte]). Ein Unterschiedsbetrag zwischen dem Nenn- und dem Verfügungsbetrag des Darlehens von 40 000 DM wurde im Streitfall gerade nicht einbehalten, sondern den Klägern (wenn auch ebenfalls darlehensweise) zur Verfügung gestellt. Damit entfällt hier der entscheidende Grund für die Anerkennung der sofortigen Abzugsfähigkeit des Damnums. Denn dieser beruht auf der Vorstellung, daß diese Vergütung sofort bei Auszahlung des Darlehens an den Gläubiger geleistet wird, weil gleichsam zunächst der volle Nennbetrag gewährt und alsbald hieraus das Damnum geleistet werde.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Beteiligten eine Tilgungsstreckung in der Weise hätten vereinbaren können, daß die sofortige Abzugsfähigkeit des an die Stelle des Damnums tretenden Darlehensbetrages anzuerkennen gewesen wäre (so Grundmeier, Finanz-Rundschau 1964 S. 274 [277 für den Fall der Novation]). Denn im Streitfall bilden die Vereinbarungen der Beteiligten, wie regelmäßig anzunehmen, eine rechtliche und wirtschaftliche Einheit. Aus dem vom FG in Bezug genommenen Darlehensvertrag ergibt sich als geschuldeter Hypothekenbetrag die Summe von 40 000 DM mit 100 % Auszahlung bei einer Nebenleistung von 3,5 % für 3 1/2 Jahre. Anhaltspunkte für die Annahme, die Beteiligten hätten das Disagio durch Verrechnung mit der von den Klägern noch zu erbringenden Nebenleistung als getilgt angesehen, sind weder vom FG festgestellt noch von den Klägern vorgetragen. Die Vorinstanz ist auch nicht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Beteiligten in Wirklichkeit die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 41 237 DM vereinbart hätten. Wenn das FG meint, der vorliegende Fall sei ebenso zu entscheiden, wie wenn eine solche Vereinbarung getroffen worden wäre, so widerspricht dies der im Steuerrecht grundsätzlich maßgebenden Beurteilung nach dem, was tatsächlich vereinbart und geschehen ist, nicht danach, was hätte sein können.

Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da die Kläger im Veranlagungszeitraum 1966 unstreitig noch keine Nebenleistungen für die Stundung des Damnums erbracht haben. Die Klage gegen den Steuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung war unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71291

BStBl II 1975, 330

BFHE 1975, 412

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