Entscheidungsstichwort (Thema)

(Herstellung einer Fotokopie als sonstige Leistung - Bindung des FA an eine Zusage außerhalb der Außenprüfung - Bindungswirkung von allgemeinen Verwaltungsanweisungen)

 

Leitsatz (amtlich)

Der Inhaber eines "Kopiercentrums" erbringt gegenüber den Kunden nicht eine Lieferung, sondern eine sonstige Leistung, wenn er eine Fotokopie von einer Vorlage herstellt.

 

Orientierungssatz

1. Die AO 1977 regelt zwar nur die verbindliche Zusage im Anschluß an eine Außenprüfung (vgl. §§ 204 bis 207 AO 1977). Das schließt jedoch nicht aus, daß die Finanzbehörden auch in anderen Fällen Auskünfte mit bindender Wirkung (sog. Zusage) erteilen können. Ob eine Auskunft (Zusicherung) außerhalb der Außenprüfung die Finanzbehörde bindet, entscheidet sich nach den von der Rechtsprechung zu Treu und Glauben abgeleiteten Grundsätzen.

2. Das FA kann nach den zu Treu und Glauben abgeleiteten Grundsätzen gebunden sein, wenn es einem Steuerpflichtigen zugesichert hat, einen konkreten Sachverhalt, dessen steuerliche Behandlung zweifelhaft erscheint und der für die wirtschaftliche Disposition des Steuerpflichtigen bedeutsam ist, bei der Besteuerung in einem bestimmten Sinn zu beurteilen. Insoweit kann auch eine dem Gesetz widersprechende Zusage binden, es sei denn, der Steuerpflichtige hat die Gesetzeswidrigkeit erkannt oder erkennen können. Voraussetzung für eine solche Bindung ist allerdings u.a., daß der im Zeitpunkt der Auskunftserteilung für die spätere Entscheidung im Veranlagungsverfahren zuständige Beamte oder der Vorsteher die Auskunft erteilt (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.1989 X R 208/87).

3. Allgemeinen Verwaltungsanweisungen kann unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht die gleiche Wirkung beigemessen werden wie einer verbindlichen Zusage oder Auskunft für den Einzelfall (vgl. BFH-Rechtsprechung).

4. Parallelentscheidung: BFH, 26.9.1991, V R 32/87, NV.

 

Normenkette

UStG 1980 § 3 Abs. 1, 9, § 12 Abs. 2 Nr. 1 Anl 1 Nr. 43; UStG Anl 1 Nr. 43

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren (1981 bis 1983) ein sog. Kopiercentrum. Zur gleichen Zeit war er als Gesellschafter-Geschäftsführer der Firma B- Kopiercentrum tätig. In seinen Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre wandte der Kläger beim überwiegenden Teil seiner Umsätze den ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs.2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 an.

Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zunächst den Angaben des Klägers gefolgt war, gelangte das FA zu der Auffassung, für sämtliche Umsätze des Klägers sei der allgemeine Steuersatz (§ 12 Abs.1 UStG 1980) anzuwenden. Die Voraussetzungen des § 12 Abs.2 Nr.1 UStG 1980 i.V.m. Nr.43 der Anlage zu dieser Vorschrift (Lieferung von Waren des Buchhandels und Erzeugnissen des graphischen Gewerbes) seien nicht erfüllt. Der Kläger habe mit dem Herstellen von Fotokopien keine Lieferungen getätigt, sondern sonstige Leistungen erbracht. Das FA änderte die ursprünglichen Steuerfestsetzungen gemäß § 164 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechend. Der gegen die Änderungsbescheide eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.

Mit der Klage machte der Kläger in erster Linie geltend, er habe sich in seinen Steueranmeldungen an eine Vereinbarung gehalten, die er im Dezember 1979 mit einem Außenprüfer des FA anläßlich einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Firma B-Kopiercentrum als deren Geschäftsführer getroffen habe. Hierzu verweist er auf einen Vermerk, den der Prüfer am 6.August 1981 für die Akten der Firma B-Kopiercentrum gefertigt hatte.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es führte u.a. aus: Der Kläger habe keine Lieferungen i.S. von § 3 Abs.1 und § 12 Abs.2 Nr.1 UStG 1980 erbracht. Das FA habe dem Kläger auch nicht die Zusicherung gegeben, für die streitigen Umsätze den ermäßigten Steuersatz anzuwenden. Eine solche Zusicherung sei weder dem Vermerk des Prüfers noch dem übrigen Vorbringen des Klägers zu entnehmen.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von Bundesrecht sowie Verletzung der Sachaufklärungspflicht.

Zum materiellen Recht führt er aus: Der Gesetzgeber habe im UStG nicht die Unterscheidung getroffen, die das angefochtene Urteil vornehme, nämlich daß es nur auf die Verschaffung des geistigen Inhalts ankomme, während der "Träger" dieses geistigen Inhalts, also das Papier unbeachtlich bleibe. Das Urheberrecht könne nicht durch eine Lieferung i.S. des § 3 Abs.1 UStG 1980 übertragen werden. Ein Drucker, der das Werk eines Autors drucke, habe über das Urheberrecht keine Verfügungsmacht. Das gedruckte Buch, das er vertreibe, stelle den Gegenstand einer Lieferung i.S. des UStG dar. Entsprechend den modernen Techniken der Neuzeit sei das Fotokopieren letztendlich nur als ein "Drucken" im weiteren Sinne anzusehen. Für seine Auffassung verweist der Kläger auf das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 7.Juli 1986 III K 400/83 (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1986, 326, m.Anm. Weiß).

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und die Umsatzsteuer für die Streitjahre niedriger (jeweils mit einem Vorsteuerüberschuß zu seinen Gunsten) festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des Klägers ist unbegründet.

1. Das FG hat zu Recht die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs.2 Nr.1 UStG 1980 im Streitfall als nicht gegeben angesehen.

Gemäß § 12 Abs.2 Nr.1 UStG 1980 ermäßigt sich die Steuer auf die Hälfte des allgemeinen Steuersatzes u.a. für die Lieferungen, den Eigenverbrauch und die Einfuhr der in der Anlage bezeichneten Gegenstände. Unter Nr.43 der Anlage sind aufgeführt: Waren des Buchhandels und Erzeugnisse des graphischen Gewerbes. Sie werden im einzelnen unter den Buchst.a bis f der genannten Vorschrift näher bezeichnet.

Nach § 3 Abs.1 UStG 1980 sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter einen Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Nach § 3 Abs.9 UStG 1980 sind sonstige Leistungen Leistungen, die keine Lieferungen sind.

Mit der Herstellung von Fotokopien hat der Kläger dem jeweiligen Kunden gegenüber eine einheitliche Leistung erbracht, die sowohl Lieferungselemente (Verschaffung der Verfügungsmacht am Kopierpapier) als auch Elemente sonstiger Leistungen (Übertragung einer schriftlichen oder graphischen Darstellung von der Kopiervorlage auf das Kopierpapier) enthält. In solchen Fällen ist die Qualifizierung der einheitlichen Leistung als Lieferung oder sonstige Leistung davon abhängig, welche Leistungselemente unter Berücksichtigung des Willens der Vertragsparteien den wirtschaftlichen Gehalt der Leistungen bestimmen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25.November 1976 V R 71/72, BFHE 120, 568, BStBl II 1977, 270 m.w.N.). Entsprechend den vorstehenden Grundsätzen hat der Senat sonstige Leistungen für gegeben gehalten in einem Fall, in dem der Unternehmer mit Hilfe eines Computers anhand der ihm von den Bestellern mitgeteilten persönlichen Lebensdaten Horoskope erstellte und die vom Computer ausgedruckten Horoskope an die Auftraggeber versandte (Urteil vom 23.August 1990 V R 28/85, nicht veröffentlicht). Er hat den Computerausdruck als bloßes Hilfsmittel für die Übermittlung des Horoskops an den Besteller angesehen und den Ausdrucken nur untergeordnete Bedeutung beigemessen. Nicht der Computerausdruck, so der Senat in dem vorgenannten Urteil, sondern die Erstellung des Horoskops als sonstige Leistung habe im Vordergrund gestanden.

a) Bei den Leistungen des Klägers überwog ebenfalls jeweils der mit Hilfe einer Maschine ausgeführte Dienstleistungsanteil den Lieferungsanteil. Der Kläger erbrachte beim einzelnen Kopiervorgang eine technische Leistung, die darin bestand, die Beschriftung oder sonstige Darstellung von der Kopiervorlage auf das Kopierpapier zu übertragen. Diese Leistung läßt sich gleichsam als ein Abschreiben oder Abzeichnen mit modernen technischen Mitteln ansehen. Das Papier, auf das der Inhalt der Kopiervorlage übertragen wurde, hatte demgegenüber nur die Funktion, als Träger der übertragenen schriftlichen oder graphischen Darstellung zu dienen.

Auf diesen Übertragungsvorgang kam es den Kunden des Klägers an. Ihr Interesse ging dahin, von den ihnen zur Verfügung stehenden Vorlagen ohne größeren technischen und finanziellen Aufwand Kopien zu erhalten.

b) Zwar haben der Reichsfinanzhof (RFH) und der BFH in der Herstellung von Druckerzeugnissen durch eine Druckerei Werklieferungen an den Auftraggeber gesehen (RFH-Urteil vom 17.Oktober 1930 V A 1034-1036/29, RFHE 28, 1, RStBl 1931, 365; BFH-Urteil vom 21.September 1955 V 150/55 S, BFHE 61, 354, BStBl III 1955, 334). Hierbei ging es um die Herstellung von Kunstdrucken, Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und ähnlichen urheberrechtlich geschützten Werken für den Markt. Derartige Leistungen werden in einem Kopierladen regelmäßig nicht erbracht. Der Inhaber eines Kopierladens ist vielmehr verpflichtet, im Rahmen des Zumutbaren und Erforderlichen geeignete Vorkehrungen zu treffen, durch welche die Gefahr eines unberechtigten Vervielfältigens urheberrechtlich geschützter Vorlagen ausgeschlossen oder wenigstens nach Kräften gemindert wird (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 9.Juni 1983 I ZR 70/81, Archiv für Presserecht --AfP-- 1983, 461).

2. Im Ergebnis zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß der Kläger gegenüber den angegriffenen Änderungsbescheiden keinen Vertrauensschutz beanspruchen kann. Das FA war nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert, auf Grund einer näheren Überprüfung des Falles die ursprünglichen Umsatzsteuerfestsetzungen gemäß § 164 Abs.2 AO 1977 zu Lasten des Klägers zu ändern.

a) Das vom Kläger behauptete Verhalten des Umsatzsteuer-Außenprüfers kann nicht als Zusage gewertet werden, an die das FA gegenüber dem Kläger gebunden gewesen wäre.

Die AO 1977 regelt zwar nur die verbindliche Zusage im Anschluß an eine Außenprüfung (vgl. §§ 204 bis 207 AO 1977). Das schließt jedoch nicht aus, daß die Finanzbehörden auch in anderen Fällen Auskünfte mit bindender Wirkung (sog. Zusage) erteilen können. Ob eine Auskunft (Zusicherung) außerhalb der Außenprüfung die Finanzbehörde bindet, entscheidet sich nach den von der Rechtsprechung zu Treu und Glauben abgeleiteten Grundsätzen.

Das FA kann nach diesen Grundsätzen gebunden sein, wenn es einem Steuerpflichtigen zugesichert hat, einen konkreten Sachverhalt, dessen steuerliche Behandlung zweifelhaft erscheint und der für die wirtschaftliche Disposition des Steuerpflichtigen bedeutsam ist, bei der Besteuerung in einem bestimmten Sinn zu beurteilen. Insoweit kann auch eine dem Gesetz widersprechende Zusage binden, es sei denn, der Steuerpflichtige hat die Gesetzeswidrigkeit erkannt oder erkennen können. Voraussetzung für eine solche Bindung ist allerdings u.a., daß der im Zeitpunkt der Auskunftserteilung für die spätere Entscheidung im Veranlagungsverfahren zuständige Beamte oder der Vorsteher die Auskunft erteilt (BFH-Urteil vom 13.Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274 m.w.N.).

Der Umsatzsteuer-Außenprüfer, auf dessen Aussage sich der Kläger beruft, erfüllte diese Voraussetzung nicht. Hinzu kommt, daß die angebliche Zusage im Rahmen einer Außenprüfung bei einem anderen Steuerpflichtigen, nämlich der Firma B-Kopiercentrum, gegeben wurde. Ob der für die Festsetzung der Umsatzsteuer des Klägers zuständige Beamte vor Erlaß der Änderungsbescheide von einer Zusicherung überhaupt Kenntnis erlangen konnte, erscheint auf Grund der organisatorischen Gegebenheiten in einer Finanzbehörde fraglich. Der Kläger, der im übrigen steuerlich beraten war, kann sich ferner nicht darauf berufen, das FA sei seinen Umsatzsteuererklärungen gefolgt, dies um so weniger, als die Steuerfestsetzungen gemäß §§ 168, 164 AO 1977 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen.

b) Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, eine gegenüber dem BMF-Erlaß vom 8.April 1968 (BStBl I 1968, 559) geänderte Verwaltungsauffassung sei erst im BMF-Erlaß vom 27.Dezember 1983 (BStBl I 1983, 567) veröffentlicht worden.

Der Erlaß vom 8.April 1968 enthält keine Aussage darüber, wie das Herstellen von Fotokopien umsatzsteuerlich einzuordnen ist. In ihm ist lediglich angeführt, daß Drucke i.S. des Kap.49 des Zolltarifs, auf den die Nr.43 der Anlage zu § 12 Abs.2 Nr.1 UStG 1980 Bezug nimmt, auch Kopien sein können. Abgesehen davon kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH allgemeinen Verwaltungsanweisungen, wie hier BMF-Erlassen, unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht die gleiche Wirkung beigemessen werden wie einer verbindlichen Zusage oder Auskunft für den Einzelfall (vgl. BFH-Urteile vom 18.März 1986 VII R 55/83, BFHE 146, 294, unter 2., und vom 10.Juni 1975 VIII R 50/72, BFHE 116, 103, BStBl II 1975, 789, jeweils m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 63759

BFH/NV 1992, 31

BStBl II 1992, 313

BFHE 166, 407

BFHE 1992, 407

BB 1992, 2279

BB 1992, 2279-2280 (LT)

DB 1992, 822 (L)

DStR 1992, 579 (KT)

HFR 1992, 490 (LT)

StE 1992, 205 (K)

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