Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Geht eine Aktiengesellschaft in eine anderen Aktiengesellschaft dergestalt auf, daß der Werksbetrieb der aufgenommenen Gesellschaft zu einer Zweigniederlassung der aufnehmenden Gesellschaft wird, so kann das Gründungsjahr der aufgenommenen Gesellschaft nicht mehr als Anlaß zu steuerfreien Jubiläumsgeschenken an die Arbeitnehmer in der Zweigniederlassung herangezogen werden.

 

Normenkette

EStG § 3 Ziff. 14, § 3/52; LStDV § 5

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige - Stpfl. (abgekürzt N. AG Stpfl.), die ihren Sitz in A hat, unterhält vier Betriebstätten, nämlich A, B, C und D. Das Werk C ist im Handelsregister als Zweigniederlassung eingetragen. Anfang November 1956 gab die Stpfl. an die Belegschaft dieser Niederlassung Jubiläumsgeschenke, die sie mit dem hundertjährigen Bestehen des Werkes in C rechtfertigte. Streitig ist, ob die Stpfl. diese Zahlungen nach § 5 LStDV 1955 lohnsteuerfrei lassen durfte.

Das Werk in C wurde im Jahre 1856 zu C als C. AG gegründet und im Jahre 1862 in das Gesellschaftsregister eingetragen. Im Jahre 1909 wurde das Vermögen der C. AG im ganzen an die O. AG veräußert; die bisherige C. AG wurde unter Ausschluß der Liquidation aufgelöst. Die übernehmende O. AG war im Jahre 1872 gegründet. Sie würde ihrerseits im Jahre 1924 als Ganzes unter Ausschluß der Liquidation und unter Erlöschen ihrer Firma gegen Gewährung von Aktien auf die P. AG übertragen, die nunmehr mit O- P. AG firmierte. Die O-P. AG war im Jahre 1901 gegründet; seit dem Jahre 1953 firmiert sie als N. AG (Stpfl.).

Das Finanzamt (FA) betrachtete die streitigen Zahlungen nicht als Geschenke aus Anlaß eines Geschäftsjubiläums im Sinne des § 5 Ziff. 2 LStDV 1955. Es führte aus, die C. AG sei im Jahre 1909 und die O. AG im Jahre 1924 erloschen; seitdem bestehe nur noch die im Jahre 1901 gegründete Stpfl.

Die Stpfl. trug demgegenüber vor, sie betrachte ihr Werk in C als Fortsetzung der im Jahre 1956 gegründeten AG. Das Geschäft der C. AG bestehe, wirtschaftlich gesehen, nach wie vor; denn es werden die gleiche Produktion am gleichen Ort in der Form einer Zweigniederlassung der Stpfl. betrieben. Das Werk habe auch einen eigenen Betriebsrat, eine eigene Buchführung, rechne selbständig ab und könnte jederzeit als selbständige Firma ausgegliedert werden. Das Geschäft der C. AG sei also nicht unerkennbar in die aufnehmende Gesellschaft aufgegangen.

Das Finanzgericht (FG), dessen Entscheidung gekürzt in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1965 S. 455 abgedruckt ist, stellte die Stpfl. von der Lohnsteuerhaftung frei und führte aus, das Wort "Firmenjubiläum" in § 5 LStDV sei nicht im handelsrechtlichen Sinn auszulegen. Je älter ein Unternehmen sei, desto häufiger sei gewöhnlich der Firmenname geändert. Es komme nicht auf die Schale (Firmenname und Rechtsform), sondern auf den Kern an, d. h. auf die Gleichheit des Unternehmens. Das Werk in C habe einen eigenen Arbeiterstamm, betreibe seit jeher ein selbständiges Produktionsprogramm, habe immer an der gleichen Stelle in C gelegen, habe einen eigenen Betriebsrat usw. Unter solchen Umständen würde eine Auslegung , die nur förmlich an die Verhältnisse der erwerbenden "Firma" anknüpfe, sinnwidrig sein. Die Stpfl. habe ein echtes Jubiläum ihres Werkes in C gefeiert. Ihre Arbeitnehmer hätten auch bei anderen Jubiläen der Stpfl. keine Geschenke erhalten. Die Niederlassung in C habe "ihr" eigenes Jubiläum mit Festakten und Festschrift begangen und damit bekundet, daß sie bewußt an ihre eigene Tradition anknüpfe. Daß das Unternehmen handelsgerichtlich erst im Jahre 1862 eingetragen worden sei, ändere nichts daran, daß der Gründungsvertrag im Jahre 1856 geschlossen worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die nunmehr als Revision zu behandelnde Rb. des FA, mit der fehlerhafte Rechtsanwendung gerügt wird, führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Nach § 5 Ziff. 2 LStDV 1955, der seine Rechtsgrundlage in § 3 Ziff. 14 EStG 1955 hat, sind Geschenke an Arbeitnehmer aus Anlaß von Firmenjubiläen steuerfrei, wenn die Firma 25 Jahre oder ein Mehrfaches davon bestanden hat. Dem FG ist darin beizutreten, daß das Wort "Firmenjubiläum" nicht im Sinn der im Handelsregister eingetragenen "Firma" zu verstehen ist. Bei der Auslegung dieses Begriffs sind der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung zu berücksichtigen ( § 1 Abs. 2 StAnpG). So hat der Senat in der Entscheidung VI 195/59 U vom 19. Februar 1960 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 70 S, 323 - BFH 70, 323 -, BStBl III 1960, 121) ausgeführt, ob ein Unternehmen trotz eines tiefgreifenden Strukturwandels, einer änderung der Rechtsform oder der Person der Inhaber mit dem bisherigen Unternehmen identisch sei, müsse wirtschaftlich, nicht juristisch-förmlich, beurteilt werden. Wenn zwischen dem früheren und dem jetzigen Unternehmen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht, d. h. wenn die wesentlichen Betriebsgrundlagen erhalten geblieben sind, ist die Identität zu bejahen (Entscheidung des Senats VI 116/62 U vom 3. Mai 1963, BFH 77, 37, BStBl III 1963, 330). Vgl. ferner Hartz- Over, Lohnsteuerrecht, Stichwort "Jubiläumsgeschenke" S. 138 c, die auf den ab 1. Januar 1960 geltenden Begriff "Geschäftsjubiläum" statt des bisherigen "Firmenjubiläum" verweisen, und Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 4. Aufl., § 5 Anm. 3.

Dem FG ist auch darin beizutreten, daß es weitgehend dem Unternehmen zu überlassen ist, ob es z. B. den Jahrestag des Gesellschaftsvertrages, der tatsächlichen Aufnahme des Geschäftsbetriebs oder der Eintragung im Handelsregister als äußeren Anlaß des Jubiläums annehmen will. Jedoch bleibt der Arbeitgeber an seine einmal getroffene Wahl gebunden (Entscheidung des Senats VI 116/62 U, a. a. O.).

Der Senat folgt jedoch dem FG nicht darin, daß das Werk in C im Jahre 1956 100 Jahre bestand. Die im Jahre 1856 gegründete C. AG ist im Jahre 1909 dadurch rechtlich und wirtschaftliche untergegangen, daß sie aufgelöst und ihr Vermögen an die O. AG veräußert wurde, die dann ihrerseits im Jahre 1924 in der P. AG aufging. Seit dem Jahre 1909 war daher das Werk in C nur noch ein unselbständiger Zweigbetrieb der Stpfl. Das kommt äußerlich in der Firmierung zum Ausdruck. Nach den handelsrechtlichen Vorschriften muß bei der Zweigniederlassung der Firma des Gesamtunternehmens als Kern erscheinen und die Zweigniederlassung als solche durch einen entsprechenden Zusatz erkennbar gemacht sein (Baumbach-Duden, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 17. Aufl., § 13 Anm. 2 A). In der jetzigen Firma des Werks in C deutet nichts mehr auf die im Jahre 1856 gegründete C. AG hin. Darüber hinaus ist das Werk in C. als Zweigniederlassung der Stpfl. keine selbständige juristische Person, es hat kein rechtlich selbständiges Vermögen; es hat keinen besonderen gesetzlichen Vertreter, keine von den der Stpfl. gesonderten Verbindlichkeiten, etwa gegenüber Arbeitnehmern. Im Prozeß ist nicht die Niederlassung Partei, sondern der Inhaber des Unternehmens. Buchungen in der "eigenen Buchführung" der Zweigniederlassung beurkunden gegenüber der Hauptniederlassung nicht echte Forderungen und Verpflichtungen, sondern sind nur Unterlagen für die Dispositionen des Gesamtunternehmens und Posten der innerbetrieblichen Erfolgsrechnung (Baumbach-Duden, a. a. O., Anm. 1 D). Durch die erwähnten Vorgänge der Jahre 1909 und 1924 hat mehr als ein bloßer Unternehmerwechsel stattgefunden. Seither kann das Werk in C nicht mehr als Arbeitgeber der bei ihm beschäftigen Personen gelten; Arbeitgeber ist das Unternehmen der Stpfl. als solches. In der Entscheidung VI 153/63 U vom 15. Oktober 1964 (BFH 81, 157, BStBl III 1965, 56) hat der Senat ausgeführt, die Neueröffnung einer Zweigniederlassung, die später ein selbständiges Unternehmen wird, sei nicht als Gründung dieses Unternehmens für die Gewährung von Lohnsteuerfreiheit nach § 5 Ziff. 2 LStDV 1959 anzusehen; die Eröffnung einer Zweigniederlassung sei keine Neugründung eines Unternehmens, sondern die Ausdehnung eines bestehenden Unternehmens. Entsprechendes gilt auch im umgekehrten Fall, wenn also ein bisher selbständiges Unternehmen in einem anderen Unternehmen aufgeht und seine Betriebstätte Zweigniederlassung des aufnehmenden Unternehmens wird. Unerheblich ist dabei, ob die Zweigniederlassung aus dem Unternehmen wieder ausgegliedert und erneut zur rechtlichen Selbständigkeit erhoben werden könnte. Die Besteuerung richtet sich nicht nach Möglichkeiten, sondern nach den gegebenen Tatsachen.

Der Senat läßt dahingestellt, ob die Rechtslage bei konzernangehörigen, aber rechtlich selbständigen Unternehmungen anders ist, wie offenbar der Erlaß der Finanzbehörde Hamburg Az. 54-2174 - 54 vom 18. Januar 1961 (Der Betrieb 1961 S. 391) annimmt; denn hier fehlt es an der rechtlichen Selbständigkeit des Werkes in C, das die Zahlungen geleistet hat.

Es erübrigt sich, wie die Stpfl. beantragt, bei der Industrie- und Handelskammer eine äußerung einzuholen, wie nach der Verkehrsauffassung der beteiligten Unternehmer die Anlässe zu Jubiläumsfeiern ermittelt werden. Es geht hier nicht um die Frage, ob die Stpfl. sich zum Begehen eines Jubiläums veranlaßt gesehen hat, sondern darum, ob der von ihr gewählte Zeitpunkt ein solcher im Sinne des § 5 Ziff. 2 LStDV 1955 ist. Die Entscheidung dieser Rechtsfrage steht nicht Sachverständigen, sondern den Gerichten zu (Entscheidung des Senats VI 128, 129/64 vom 7. Mai 1965, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 487).

Die angefochtene Entscheidung, der eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war somit aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, Die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung des FA vom 2. September 1963 war als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412262

BStBl III 1966, 693

BFHE 1966, 754

BFHE 86, 754

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