Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Korrektur von Steuerbescheiden gegenüber Dritten

 

Leitsatz (NV)

1. Welches i. S. des § 174 Abs. 4 AO 1977 i. V. m. § 174 Abs. 5 AO 1977 die gegenüber einem Dritten zu ziehenden "richtigen steuerlichen Folgerungen" aus einem vom Steuerpflichtigen ausgelösten Korrekturverfahren sind, entscheidet sich im Ausgangsverfahren.

2. Aus diesem Grunde muß die in § 174 Abs. 5 S. 2 AO 1977 vorgesehene Beteiligung des Dritten so gestaltet werden, daß dieser die Möglichkeit hat, sich im Ausgangsverfahren Gehör zu verschaffen und auf dieses Verfahren einzuwirken.

 

Normenkette

AO 1977 § 174 Abs. 4-5

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), die Eltern von A. X. und B. X., waren zu den von ihren Kindern wegen Einkommensteuer 1983 bis 1986 geführten Einspruchsverfahren jeweils am 10. Mai 1988 hinzugezogen worden.

Diese Verfahren, in denen die Kinder der Kläger mit dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -- FA --) um die rechtliche Qualifikation der von ihnen an die Eltern erbrachten Unterhaltsleistungen gestritten hatten, endeten damit, daß das FA gemäß dem Rechtsbehelfsantrag den Abzug der in voller Höhe als Sonderausgabe abziehbaren dauernden Last gewährte.

Die Änderungsbescheide, in denen die Einkommensteuerschuld der Kinder entsprechend gemindert wurde, ergingen im September/Oktober 1988. Sie wurden den Klägern nicht bekanntgegeben.

Unter Berufung auf § 174 Abs. 4 und Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) erließ das FA den Klägern gegenüber Änderungsbescheide, in denen es die empfangenen Unterhaltsleistungen gemäß § 22 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr -- wie bisher -- nur mit dem Ertragsanteil, sondern in voller Höhe berücksichtigte. Die Änderungsbescheide hierzu ergingen für 1983, 1984 und 1985 am 24. Februar 1989, für 1986 am 17. März 1989.

Der hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit der Begründung statt, die streitigen Korrekturen seien rechtswidrig, weil die Kläger zu den Einspruchsverfahren ihrer Kinder nicht rechtswirksam hinzugezogen worden seien: Dazu habe eine rein formelle Verfahrensbeteiligung der Kläger an den Einspruchsverfahren ihrer Kinder nicht genügt, vielmehr hätten die das Rechtsbehelfsverfahren abschließenden Bescheide auch den Klägern bekanntgegeben werden müssen. Dieser Mangel könne nun nicht mehr (durch Aussetzung des Klageverfahrens und Nachholung der versäumten Zustellung) geheilt werden: für 1983 nicht, weil insoweit der Steueranspruch gegenüber den Klägern (die ihre Steuererklärung 1984 abgegeben hätten) verjährt sei, für 1984 bis 1986 nicht, weil insoweit (spätestens mit Ablauf des Jahres 1991) Festsetzungsverjährung gegenüber den Leistungsverpflichteten eingetreten sei, die ihre Steuererklärungen ebenfalls jeweils in dem auf die Entstehung des Anspruchs folgenden Jahr abgegeben hätten.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung formellen Rechts: Es wendet sich dagegen, daß das FG das Verfahren nicht nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt hat, um ihm, dem FA, Gelegenheit zu geben, die versäumte Bekanntgabe der Abhilfebescheide (bzw. die ebenfalls versäumte Einholung der Zustimmung zu deren Erlaß) nachzuholen. Die Kläger seien rechtsfehlerfrei zu den Einspruchsverfahren der Leistungsverpflichteten hinzugezogen worden. Selbst wenn man aber eine wirksame Beteiligung von der Bekanntgabe der im Verlaufe eines solchen Verfahrens ergehenden Entscheidungen auch an die Hinzugezogenen abhängig mache, sei das angefochtene Urteil fehlerhaft, weil das FG zu Unrecht von der Unheilbarkeit eines solchen Bekanntgabemangels ausgegangen sei: Wegen dieses Mangels seien die Einspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen, die "mißglückten Änderungsbescheide nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO" gemäß § 365 Abs. 3 AO 1977 zum Gegenstand dieser Rechtsbehelfsverfahren geworden. Diese müßten nun (durch Erlaß neuer Einspruchsentscheidungen und Bekanntgabe auch an die Kläger) ordnungsgemäß zu Ende geführt werden. Um dies zu ermöglichen, hätte das FG das Klageverfahren aussetzen müssen. Festsetzungsverjährung hätte dem nicht entgegengestanden, denn deren Eintritt sei gemäß § 171 Abs. 3 AO 1977 (noch immer) gehemmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das FG die angefochtenen Änderungsbescheide aufgehoben. Auch formelles Recht ist dabei nicht verletzt worden. Eine Aussetzung des Klageverfahrens kam nicht in Betracht.

Die angefochtenen Änderungsbescheide sind rechtswidrig. Das FA war nicht befugt, die bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre 1983 bis 1986 zu ändern. Eine solche Korrektur hätte allein nach § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO 1977 vorgenommen werden dürfen. Die Voraussetzungen hierfür haben jedoch nicht vorgelegen.

Ist auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde oder durch das Gericht zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlaß oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen Folgerungen gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO 1977). Dabei ist gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Ablauf oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden.

Gegenüber Dritten gilt diese Regelung nach § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren. Zu diesem Zweck ist ihre Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren zulässig (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977).

1. Die Kläger als Nichtadressaten der gegen die Leistungsverpflichteten gerichteten, fehlerhaften, inzwischen geänderten Einkommensteuerbescheide 1983 bis 1986 sind zwar Dritte im Sinne dieser Korrekturregelung (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 5. Mai 1993 X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817; vom 22. September 1993 II B 67/93, BFH/NV 1994, 216, und vom 21. September 1994 V B 195/93, BFH/NV 1995, 487, 488).

2. Die Kläger sind aber nicht in der erforderlichen Weise an den Verfahren der Leistungsverpflichteten beteiligt worden.

Weil es im Anwendungsbereich des § 174 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 AO 1977 darum geht, rechtliche Folgerungen aus der Richtigstellung der Regelung eines Steuerrechtsverhältnisses in einem anderen Steuerrechtsverhältnis und einem anderen Steuerpflichtigen gegenüber zu ziehen, darf sich die vom Gesetz geforderte Verfahrensbeteiligung des letzteren, des Dritten, nicht auf eine rein formale, äußerliche Einbeziehung in das Ausgangsverfahren beschränken.

Der Dritte erlangt, obgleich die Voraussetzungen des § 360 Abs. 3 AO 1977 bzw. des § 60 Abs. 3 FGO nicht vorliegen, die Stellung eines notwendig Hinzugezogenen/Beigeladenen (BFH-Entscheidungen vom 25. August 1987 IX R 98/82, BFHE 151, 506, BStBl II 1988, 344; vom 11. Januar 1994 VII B 100/93, BFHE 173, 207, BStBl II 1994, 405 unter 3., und vom 17. Mai 1994 IV B 84/93, BFH/NV 1995, 87, 88). Weil sich in solchen Fällen die Frage, welches die "richtigen steuerlichen Folgerungen" sind, verbindlich im Ausgangsverfahren entscheidet (vgl. BFH-Urteile vom 24. November 1987 IX R 158/83, BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404, und vom 3. August 1988 I R 115/84, BFH/NV 1989, 482, 484; von Wedelstädt, Der Betrieb -- DB -- 1994, 2469) und der Dritte durch die Ausgangsentscheidung beschwert ist (BFH-Urteil vom 22. Juli 1980 VIII R 114/78, BFHE 131, 429, 432, BStBl II 1981, 101 unter I. 1 c), muß ihm die Möglichkeit eröffnet sein, sich im Ausgangsverfahren rechtliches Gehör zu verschaffen und auf das Verfahren dort Einfluß zu nehmen. Wegen dieser über ein bestimmtes Steuerschuldverhältnis hinausreichenden Wirkung des Ausgangsverfahrens müssen Korrekturbescheide und abschließende Entscheidungen auch dem Dritten bekanntgegeben werden (vgl. BFH-Urteil vom 11. April 1991 VR 40/86, BFHE 164, 176, BStBl II 1991, 605; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., 1965/94, § 174 AO 1977 Rdnr. 18). Den Finanzbehörden ist es insoweit verwehrt, sich dem Dritten gegenüber auf das Steuergeheimnis zu berufen (vgl. § 30 Abs. 4 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 a AO 1977; vgl. BFH-Beschluß vom 6. Dezember 1979 IV B 56/79, BFHE 130, 1, BStBl II 1980, 314; Tipke/Kruse, a. a. O., § 174 AO 1977 Rdnr. 18).

Eine solche rechtsschutzwahrende Drittbeteiligung setzt jedoch außerdem voraus, daß eine Einflußnahme des Dritten auf das Geschehen im Ausgangsverfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (noch) möglich ist. Das ist z. B. nicht der Fall, wenn es zu einem Zeitpunkt zur Verfahrensbeteiligung des Dritten kommt, zu dem der Steueranspruch diesem gegenüber schon verjährt ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 47 AO 1977; BFH-Entscheidungen in BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817; vom 21. Juli 1993 X R 113/91, BFH/NV 1994, 221, 222; in BFH/NV 1994, 216; vom 22. September 1993 X R 20/91, BFH/NV 1994, 523, und vom 16. März 1994 II R 40/91, BFH/NV 1994, 841). Ein Einwirken wäre ebensowenig möglich, wenn die Bekanntgabe des das Ausgangsverfahren gemäß § 367 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 3 AO 1977 abschließenden Steuerverwaltungsakts gegenüber dem Dritten (vgl. BFH in BFHE 164, 176, BStBl II 1991, 605) dem Erlaß des Bescheids, der die in die Rechte des Dritten eingreifenden "richtigen steuerlichen Folgerungen" aus der Korrektur im Ausgangsverfahren regelt, nachfolgen würde.

Die im Jahr 1988 verfügten Hinzuziehungen der Kläger zu den Verfahren der Leistungsverpflichteten erfüllten diese Voraussetzungen mangels rechtlicher Bekanntgabe der im Ausgangsverfahren ergangenen Änderungsbescheide an die Kläger nicht.

Zu Recht hat das FG auch dem in der mündlichen Verhandlung (hilfsweise) gestellten Antrag des FA auf Aussetzung des Verfahrens nicht entsprochen und die an gefochtenen Änderungsbescheide aufgehoben. Darüber, ob die Bekanntgabe der das Ausgangsverfahren abschließenden Verwaltungsakte noch nachgeholt werden kann, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420874

BFH/NV 1996, 195

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