Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Sonstiges Zollrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff Werbematerial der Tarifnr. 4912 - B des Zolltarifs 1951.

Der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde gegen einen Einspruchsbescheid über eine verbindliche Zollauskunft ist das zur Zeit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs geltende Recht zugrundezulegen.

Der Bundesfinanzhof ist im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG im Rechtsbeschwerdeverfahren gegen einen Einspruchsbescheid über eine verbindliche Zollauskunft auch zur tatsächlichen Nachprüfung des Streitstoffes berufen. § 288 AO ist für ein solches Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr anwendbar.

 

Normenkette

AO §§ 236, 288; FGO §§ 37, 63, 76/1; GG Art. 19 Abs. 4; ZG § 63

 

Tatbestand

.....

 

Entscheidungsgründe

Nach der Allgemeinen Anmerkung Ziff. 2 zu Kap. 49 des Zolltarifs gelten Bücher und Zeitschriften, die von einer darin genannten Firma oder für Rechnung einer solchen Firma zu Werbezwecken herausgegeben werden, als Werbematerial. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob das strittige Strickmusterheft (Schaffhauser Wolle, Spinnerin-Wollen) ein Buch im Sinne der Tarifnr. 4901 oder eine Zeitschrift im Sinne der Tarifnr. 4902 darstellt, wenn es als Werbematerial im Sinne der Tarifnr. 4912 - B zu behandeln ist.

Unbedenklich hat die Vorinstanz aus dem Titel des Heftes "Schaffhauser Wolle, Spinnerin-Wollen" geschlossen, daß die Herstellerfirmen dieser Wollen, ........ .... in ..........., die Herausgeber sind, zumal da ein Herausgeber oder Verleger, wie es bei Büchern und Zeitschriften sonst üblich ist, nicht angegeben ist. Zutreffend hat die Vorinstanz auch ausgeführt, daß die in den Textteil aufgenommenen Sortenverzeichnisse der von den beiden genannten Firmen hergestellten Wollgarne darauf hindeuten, daß diese die Herausgeber sind. Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat auch nie bestritten, daß das Heft von den beiden genannten Firmen herausgegeben wird, auch nicht im Rechtsbeschwerdeverfahren, obwohl der Bundesminister der Finanzen in dem der Bfin. bekanntgegebenen Schriftsatz vom 15. September 1955 nochmals auf die Feststellung in dem Einspruchsbescheid hingewiesen hat, daß das fragliche Heft von .... ... .............. herausgegeben wird. Im übrigen würde es für die Anwendung der Allgemeinen Anmerkung der Ziff. 2 zu Kap. 49 genügen, wenn das strittige Heft nur von einer der beiden genannten Herstellerfirmen oder für Rechnung einer diesen beiden Firmen herausgegeben würde.

Es bleibt zu prüfen, ob das Strickmusterheft ein Werbematerial darstellt. Auch diese Voraussetzung sieht der erkennende Senat in übereinstimmung mit der Vorinstanz als gegeben an. Schon die Titelseite des Umschlags, die den Großaufdruck "Schaffhauser Wolle, Spinnerin-Wollen" trägt und eine Frau und einen Skiläufer in Wollwesten zeigt, deutet auf Werbung hin. Auf der Rückseite des Umschlags ist in Buntdruck ein Strang Schaffhauser Wolle und ein Strang Spinnerin-Wolle abgebildet. Die Innenseiten des Umschlags bringen ebenfalls einen bebilderten Werbetext für Schaffhauser Wolle und Spinnerin-Wollen. Die Seiten 2 und 3 des Heftes enthalten das Sortenverzeichnis der Herstellerfirmen der Wollen. Diese Sortenverzeichnisse sind auch in das Inhaltsverzeichnis aufgenommen. Auf Seite 3 heißt es in hervorgehobener Schrift: "Achten Sie beim Einkauf ausdrücklich auf die hier abgebildeten Marken. Sie bieten Garantie für erstklassiges Material, für lichtechte Farben, für leichtes Waschen und angenehmes Tragen." Jede der zahlreichen Strickanleitungen mit insgesamt über 100 Seiten weist zunächst auf eine bestimmte Sorte der von den beiden Firmen hergestellten Wollen als Verarbeitungsmaterial hin, wie sie im Sortenverzeichnis aufgeführt sind. Für den Werbecharakter des Heftes spricht weiter die Tatsache, daß es, wie oben ausgeführt, von den Herstellern der in dem Heft angepriesenen Wollen herausgegeben wird.

Daß das Strickmusterheft in der Hauptsache Strickanleitungen enthält, nimmt ihm nicht den Charakter eines Werbematerials. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß der Werbezweck nach Sachlage dem weiteren Zweck des Heftes, mit den modischen Neuerscheinungen vertraut zu machen und Strickanleitungen zu geben, zumindest gleichwertig ist. Auf den Begriff "Werbematerial" kann es auch keinen Einfluß haben, wenn es im Zollgebiet nicht kostenlos abgegeben wird, sondern im Buchhandel zu den für Zeitschriften üblichen Preisen vertrieben wird. Im übrigen geht auch aus der Fassung des § 69 Abs. 1 Ziff. 24a des Zollgesetzes (ZG) hervor, daß es auch Werbedrucke gibt, die nur gegen Entgelt abgegeben werden. Da das Heft zu Werbezwecken herausgegeben wird, ist und bleibt es Werbematerial, auch wenn es nach Deutschland verkauft wird; denn der deutsche Käufer hat die Möglichkeit, die angepriesenen Wollen, sofern sie in Deutschland nicht erhältlich sein sollten, aus der Schweiz zu beziehen. Im übrigen ist es für die Eigenschaft als Werbematerial nicht von Belang, ob mit dem Heft im Bundesgebiet ein Werbeerfolg erzielt wird. Wie der Bundesminister der Finanzen jedoch ausgeführt hat, wurden die beiden Wollmarken nach einer Auskunft der Bundesstelle für den Warenverkehr der gewerblichen Wirtschaft im Jahre 1955 auch nach Deutschland eingeführt.

Demnach hat die Vorinstanz das strittige Strickmusterheft sowohl in der verbindlichen Zollauskunft als auch in dem Einspruchsbescheid zutreffend als Werbematerial im Sinne der Tarifnr. 4912 - B angesprochen. Auf Grund § 3 der 58. Verordnung über Zollsatzänderungen (konjunkturpolitische Zollsenkung - 3. Teil) vom 29. Juni 1956 (Bundesgesetzbl. I S. 611 = Bundeszollbl. - BZBl - S. 484) beträgt der Zollsatz ab 1. Juli 1956 bis 31. Dezember 1957 12 % des Zollwertes. Es ist daher zu prüfen, ob diese Rechtsänderung im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen ist. Der erkennende Senat bejaht diese Frage.

Die Zollauskünfte sind nicht Steuerbescheide im Sinne der §§ 210, 212 der Reichsabgabenordnung (AO). Sie haben nicht die Festsetzung des Zolls für einen bereits eingetretenen Steuerfall zum Gegenstand, sie sind vielmehr Bescheide besonderer Art (§ 236 AO), deren Zweck es ist, demjenigen, der die Auskunft beantragt, in einer die Zollbehörde gegenüber dem Antragsteller in gewissem Umfange bindenden Weise Aufschluß über die Zollbehandlung zu geben, der eine vom Antragsteller erst künftig einzuführenden Ware unterliegt (§ 63 ZG, §§ 80 ff. der Allgemeinen Zollordnung - AZO -). Zufolge dieses Charakters der verbindlichen Zollauskunft hält es der Senat für folgerichtig, seiner Entscheidung das im Zeitpunkt dieser Entscheidung geltende Recht zugrunde zu legen. Die gegenteilige Auffassung in dem Urteil des Reichsfinanzhofs IV A 18/35 vom 2. Mai 1935 (Slg. Bd. 37 S. 329) kann somit nicht mehr aufrechterhalten werden. Das genannte Urteil ist auch insoweit überholt, als der Bundesfinanzhof, der im Rechtsmittelverfahren gegen verbindliche Zollauskünfte die einzige steuergerichtliche Instanz ist, im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) nicht nur zur rechtlichen, sondern auch zur tatsächlichen Nachprüfung des Streitstoffes berufen ist (vgl. hierzu auch Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, Slg. Bd. 55 S. 277, Bundessteuerblatt - BStBl - 1951 III S. 107, Urteil des Bundesfinanzhofs V z 75/54 S vom 25. November 1954, Slg. Bd. 60 S. 173, BStBl 1955 III S. 66, BZBl 1955 S. 58 und Urteil des Bundesfinanzhofs V z 134/55 S vom 15. März 1956, Slg. Bd. 62 S. 423, BStBl 1956 III S. 157, BZBl 1956 S. 414). § 288 AO ist daher für das Rechtsbeschwerdeverfahren gegen Einspruchsbescheide über verbindliche Zollauskünfte nicht mehr anwendbar (siehe dazu auch Urteil des Bundesfinanzhofs II z 129/51 U vom 18. Januar 1952, Slg. Bd. 56 S. 163, BStBl 1952 III S. 65, BZBl 1952 S. 137).

Demnach war die auf Grund der vorerwähnten 58. Verordnung über Zollsatzänderungen eingetretene Rechtsänderung im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

 

Fundstellen

BStBl III 1956, 313

BFHE 1957, 303

BFHE 63, 303

StRK, ZG:63 R 1

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