Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt des Zuflusses des Arbeitslohns bei unentgeltlich vom Arbeitgeber eingeräumten Nießbrauch an einer Wohnung

 

Leitsatz (amtlich)

Räumt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Hinblick auf das Dienstverhältnis unentgeltlich den Nießbrauch an einer Wohnung ein, so fließt dem Arbeitnehmer der geldwerte Vorteil nicht im Zeitpunkt der Bestellung des Nießbrauchs in Höhe des kapitalisierten Wertes, sondern fortlaufend in Höhe des jeweiligen Nutzungswertes der Wohnung zu.

 

Orientierungssatz

Festhaltung an dem BFH-Urteil vom 22.1.1988 VI R 135/84, daß bei Einräumung eines obligatorischen Wohnrechts ein laufender Zufluß vorliegt. Für den Zeitpunkt des Zuflusses eines Nießbrauchs kann nichts anderes gelten.

 

Normenkette

EStG § 19 Abs. 1, § 11 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG des Saarlandes (Urteil vom 19.10.1992; Aktenzeichen 1 K 259/92)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bezieht u.a. Versorgungsbezüge aus dem früheren Dienstverhältnis ihres verstorbenen Ehemannes. Sie ist Berechtigte aus einer Nießbrauchsbestellung im Jahre 1965 durch den früheren Arbeitgeber ihres verstorbenen Ehemannes. Der Nießbrauch betrifft eine Wohnung, die die Klägerin selbst nutzt. Der Wert der Nutzung ist unstreitig. Umstritten ist, zu welchem Zeitpunkt der Wert des Nießbrauchs zufließt.

Während der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung vertrat, der Nutzungswert sei jeweils im Jahr der Nutzung zu erfassen, und entsprechende Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1989 und 1990 erließ, machte die Klägerin mit ihren Einsprüchen ohne Erfolg geltend, der Wert des Nießbrauchsrechts sei bereits im Jahr der Bestellung (1965) zugeflossen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab und führte aus: Zu den Einnahmen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehöre auch der Nutzungswert des Nießbrauchs. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe nicht bereits die Bestellung des Nießbrauchs den Zufluß bewirkt. Bereits der Reichsfinanzhof (RFH) habe in seinem Urteil vom 18.Dezember 1929 VI 958/29 (RStBl 1930, 302) entschieden, daß ein Zufluß erst eintrete, wenn und soweit aufgrund der Nutzungsmöglichkeit tatsächlich Nutzungen gezogen würden. Dementsprechend habe der Bundesfinanzhof (BFH) für ein obligatorisches Wohnrecht bei Vereinbarung eines zu niedrigen Nutzungsentgelts festgestellt, daß der Vorteil nicht einmalig, sondern laufend durch die teilweise unentgeltliche Gebrauchsüberlassung zufließe (Urteil vom 22.Januar 1988 VI R 135/84, BFHE 152, 461, BStBl II 1988, 525). Soweit der BFH bei Einräumung eines Erbbaurechts durch den Arbeitgeber den Zufluß bereits mit der Einräumung des Rechts als bewirkt ansehe (vgl. Urteil vom 10.Juni 1983 VI R 15/80, BFHE 138, 453, BStBl II 1983, 642), werde auf die Kritik an dieser Entscheidung hingewiesen (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 11 EStG Anm.1000 "Erbbaurecht").

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung der § 11 Abs.1 und § 19 Abs.1 EStG.

Sie beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide für 1989 und 1990 in der Fassung der Einspruchsentscheidung dahin zu ändern, daß der Nutzungswert nicht bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß der Nutzungswert der Wohnung, die die Klägerin aufgrund des im Jahre 1965 von dem Arbeitgeber ihres verstorbenen Ehemannes unentgeltlich bestellten Nießbrauchs genutzt hat, jeweils als Einnahme (§ 8 EStG) der Streitjahre 1989 und 1990 bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs.1 Nr.2 EStG) zu erfassen ist.

Der Senat hat mit dem Urteil in BFHE 152, 461, BStBl II 1988, 525 entschieden, daß bei einem vom Arbeitgeber bestellten obligatorischen Wohnrecht der geldwerte Vorteil i.S. des § 19 Abs.1 EStG nicht schon in vollem Umfang mit der Begründung dieses Rechts, sondern erst mit der laufenden Nutzung zufließt (§ 11 Abs.1 EStG). Er hat den Unterschied zu einer (teil)unentgeltlichen Erbbaurechtsbestellung, bei der er in dem Urteil in BFHE 138, 453, BStBl II 1983, 642 einen Zufluß des Vorteils beim Arbeitnehmer bereits im Jahre der Bestellung des Erbbaurechts in Höhe des kapitalisierten Wertes angenommen hat, darin gesehen, daß der Erbbauberechtigte grundsätzlich das Erbbaurecht durch Beleihung oder Veräußerung realisieren könne. Dies sei bei einem obligatorischen Wohnrecht nicht der Fall.

An der Rechtsprechung, daß bei der Einräumung eines obligatorischen Wohnrechts ein laufender Zufluß vorliegt, hält der Senat auch nach erneuter Überprüfung fest. Sie ist --soweit ersichtlich-- im Schrifttum nicht auf Kritik, sondern auf Zustimmung gestoßen (vgl. Sunder-Plassmann, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1989, 79 f.; Thomas in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 19 EStG Rdnr.274; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 11.Aufl., § 19 Anm.8 "Ankaufsrecht"; Altehoefer in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 19 Anm.138 "Nutzungsüberlassung"; Blümich/Thürmer, Einkommensteuergesetz, § 19 Anm.280 "Nutzungsüberlassung").

Hängt danach die Entscheidung, ob der Wert eines Rechts bereits in vollem Umfang bei seiner Bestellung oder erst fortlaufend zufließt, davon ab, ob das Recht von dem Erwerber nach seiner Bestellung realisiert werden könnte und mithin verkehrsfähig ist, so kann für den Zeitpunkt des Zuflusses (§ 11 Abs.1 EStG) des Nießbrauchs, eines dinglichen Rechts, nichts anderes gelten als für denjenigen eines obligatorischen Wohnrechts (ebenso Sunder-Plassmann, a.a.O.) Zwar kann der Nießbraucher kraft seines Rechts, die Nutzungen der Sache zu ziehen (§ 1030 Bürgerliches Gesetzbuch --BGB--), diese auch vermieten und verpachten. Das bedeutet aber nur, daß er aus dem Nießbrauch fortlaufende Einnahmen erzielen kann. Es wäre ihm nicht möglich, den gesamten (kapitalisierten) Wert des Nießbrauchs sofort nach der Bestellung zu realisieren. Denn der zugunsten einer natürlichen Person bestellte Nießbrauch (vgl. § 1059a BGB bei juristischer Person) kann seinem Bestande nach nicht übertragen (§ 1059 Satz 1 BGB), vererbt (§ 1061 BGB), belastet (§ 1069 Abs.2, § 1274 Abs.2 BGB) oder gepfändet (§ 851 Abs.1, § 857 Abs.1 der Zivilprozeßordnung) werden. Lediglich die Ausübung des Nießbrauchs kann einem anderen überlassen werden (§ 1059 Satz 2 BGB). Deshalb sprechen die gleichen Gründe, die den Senat in dem Urteil in BFHE 152, 461, BStBl II 1988, 525 veranlaßt haben, bei einem obligatorischen Wohnrecht einen laufenden Zufluß anzunehmen, für eine laufende Erfassung des Nutzungswerts beim Nießbrauch.

Aus diesem Grunde braucht im Streitfall auch nicht auf die Berechtigung der in der Literatur (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 19 EStG, Anm.400 "Erbbaurecht"; Niermann, Der Betrieb 1985, 256 und Finanz-Rundschau 1985, 293; Giloy, Betriebs-Berater 1984, 2181; Lang in Stolterfoht --Hrsg.--, Grundfragen des Lohnsteuerrechts, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft 9, 49) geäußerten Kritik an der Rechtsprechung des Senats, nach der bei einem Erbbaurecht der geldwerte Vorteil in Höhe des kapitalisierten Wertes bereits im Zeitpunkt der Bestellung des Rechts zufließt, eingegangen zu werden. Denn wenn diese Kritik berechtigt wäre, so würde dies der Revision nicht zum Erfolg verhelfen, sondern nur dazu führen, daß deshalb erst recht im Streitfall ein laufender Zufluß anzunehmen wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64639

BFH/NV 1993, 63

BStBl II 1993, 686

BFHE 171, 290

BFHE 1994, 290

BB 1993, 1728 (L)

DB 1993, 1856-1857 (LT)

DStR 1993, 1251 (KT)

DStZ 1993, 602 (KT)

HFR 1993, 638 (KT)

StE 1993, 462 (K)

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