Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgabenordnung und Einkommensteuer: Zur Abgrenzung § 174 Abs.1/ Abs.4 und 5 sowie zum Korrespondenzprinzip

 

Leitsatz (amtlich)

Der mangelnden Übereinstimmung in der Behandlung einer Leistungsbeziehung i.S. der §§ 10 Abs.1 Nr.1a, 22 Nr.1 EStG beim Empfänger einerseits und beim Leistenden andererseits kann nicht durch eine Korrektur nach § 174 Abs.1 Satz 1 AO 1977 begegnet werden. Eine analoge Anwendung des § 174 Abs.4 AO 1977 kommt nicht in Betracht. Auch der Grundsatz von Treu und Glauben greift in der Regel nicht.

 

Normenkette

AO 1977 § 174 Abs. 5, 1, 4; EStG 1983 § 10 Abs. 1 Nr. 1a, § 22 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln (Entscheidung vom 19.05.1989; Aktenzeichen 11 K 31/86)

 

Tatbestand

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 27.Juli 1982 übertrug der Kläger und Revisionskläger (Kläger) seinen Gewerbebetrieb im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf seine Tochter. Diese verpflichtete sich, dem Kläger und seiner (mit ihm zusammen zur Einkommensteuer veranlagten) Ehefrau verschiedene Versorgungsleistungen zu erbringen und außerdem einen einmaligen Betrag von 50 000 DM zu zahlen.

Für 1982 wurde ein aus diesem Grund gezahlter Teilbetrag von 25 000 DM vom Kläger und seiner Ehefrau als sonstige Einkünfte, von ihrer Tochter als dauernde Last erklärt und entsprechend bei den Einkommensteuerveranlagungen berücksichtigt. In gleicher Weise verfuhren Eltern und Tochter in ihren Einkommensteuererklärungen für 1983 für den in diesem Jahr gezahlten zweiten Teilbetrag von 25 000 DM.

Auch der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--), dem der Vertrag vom 27.Juli 1982 schon bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer 1982 vorgelegen hatte, berücksichtigte die Zahlung wiederum als sonstige Einkünfte und setzte die Einkommensteuerschuld des Klägers und seiner Ehefrau für 1983 im Bescheid vom 21.August 1984 entsprechend fest. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Bei der Veranlagung der Tochter zur Einkommensteuer 1983 hatte das FA die Zahlung der 25 000 DM zunächst abermals erklärungsgemäß steuermindernd berücksichtigt. Dies war allerdings nicht endgültig geschehen (§ 164 Abs.1 der Abgabenordnung --AO 1977--). Im Rahmen der Nachprüfung dieser Veranlagung änderte das FA seine Rechtsansicht und korrigierte die Einkommensteuerfestsetzung der Tochter entsprechend (§ 164 Abs.2 AO 1977).

Daraufhin beantragte der Kläger, nunmehr auch seine Einkommensteuerveranlagung für 1983 zu ändern und die Einkünfte um 25 000 DM zu kürzen.

Dieser Antrag blieb, ebenso wie Einspruch und Klage, erfolglos (vgl. das in den Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1989, 493 veröffentlichte finanzgerichtliche Urteil).

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 174 Abs.1 AO 1977 sowie der Grundsätze von Treu und Glauben und stützt sein Änderungsverlangen außerdem auf eine analoge Anwendung des § 174 Abs.4 AO 1977: Ein bestimmter Sachverhalt, nämlich das Zahlungsversprechen der Tochter, sei zuungunsten mehrerer Steuerpflichtiger erfaßt worden, obwohl der Vorgang nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen; ferner sei ein das FA bindender Vertrauenstatbestand geschaffen worden und schließlich offenbare die unterschiedliche Behandlung bei Leistungsberechtigtem und Leistungsverpflichtetem eine Gesetzeslücke, die durch entsprechende Anwendung des § 174 Abs.4 AO 1977 geschlossen werden müsse.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil und die ablehnenden Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und das FA zur entsprechenden Abänderung des Einkommensteuerbescheids vom 21.August 1984 zu verpflichten.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das Finanzgericht (FG) den mit der Klage geltend gemachten Korrekturanspruch des Klägers verneint. Es gibt keine Rechtsgrundlage für eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids für 1983.

1. Die Voraussetzungen des § 174 Abs.1 Satz 1 AO 1977, der einzigen Korrekturvorschrift, deren unmittelbare Anwendung hier in Betracht kommt, sind nicht erfüllt.

Nach § 174 Abs.1 Satz 1 AO 1977 ist ein fehlerhafter Steuerbescheid auf Antrag aufzuheben oder zu ändern, wenn ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen.

a) Zwar deckt sich der Sachverhalt, der im angefochtenen Bescheid (beim Kläger als Leistungsempfänger) geregelt wurde (Veräußerung eines Gewerbebetriebs gegen Versorgungsleistungen u.a.), in der erforderlichen Weise (dazu Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24.November 1987 IX R 158/83, BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404, und vom 6.März 1990 VIII R 28/84, BFHE 160, 140, BStBl II 1990, 558, sowie Tipke/Kruse, Kommentar zur AO u.a., 14.Aufl., § 174 Tz.2 - jew. m.w.N.) mit demjenigen, der in einem anderen Bescheid (bei der Leistungsverpflichteten) berücksichtigt wurde. Dieser Sachverhalt ist aber nicht --wie § 174 Abs.1 Satz 1 AO 1977 außerdem verlangt-- doppelt erfaßt worden. Die vom Kläger angegriffene Ungereimtheit liegt vielmehr darin, daß der Rechtsgrund für die in Frage stehenden Leistungen steuerrechtlich beim Leistenden nicht in der gleichen Weise qualifiziert wurde wie beim Leistungsempfänger.

b) Ein solcher Widerspruch läßt sich unter den besonderen, hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 174 Abs.4 und Abs.5 AO 1977 beseitigen, wenn ausnahmsweise die Möglichkeit eröffnet ist, aus der vom Steuerpflichtigen erstrittenen Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids auch gegenüber Dritten die "richtigen steuerlichen Folgerungen" zu ziehen (vgl. z.B. die BFH-Entscheidungen vom 6.Dezember 1979 IV B 56/79, BFHE 130, 1, BStBl II 1980, 314; in BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404, und vom 2.August 1990 III B 52/89, BFH/NV 1991, 16; zu den besonderen Anforderungen im Fall der Drittbeteiligung: BFH-Entscheidungen vom 20.April 1989 V B 153/88, BFHE 156, 389, BStBl II 1989, 539; vom 10.Juni 1988 IX B 102/87, BFH/NV 1989, 15, sowie vom 5.Mai 1993 X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817).

Der selbständige Korrekturtatbestand des § 174 Abs.1 Satz 1 AO 1977 jedoch ist demgegenüber enger gefaßt: Aus dem materiellen Recht muß sich ergeben, daß die in der mehrfachen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts liegenden Unrichtigkeiten einander zwingend ausschließen (vgl. BFH-Urteile vom 13.Dezember 1984 V R 47/80, BFHE 143, 9, BStBl II 1985, 282, und vom 11.Juli 1991 IV R 52/90, BFHE 165, 449, BStBl II 1992, 126; Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 Tz.4; Brüning, Die widerstreitende Steuerfestsetzung, Bochumer Dissertation, 1989, S.44 ff.; BTDrucks VI/1982, S.153). Daran fehlt es hier: Die Berücksichtigung der 25 000 DM als sonstige Einkünfte beim Kläger und die Nichtberücksichtigung des damit verbundenen Aufwands bei der Tochter entsprechen zwar nicht dem gesetzlichen Modell der Wechselwirkung zwischen § 22 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einerseits und § 10 Abs.1 Nr.1 a EStG andererseits. Die unterschiedliche Behandlung des Sachverhalts durch das FA im einen und im anderen Fall steht aber --mangels einer dahingehenden Aussage im EStG-- nicht in einem zwingenden Verhältnis der Unvereinbarkeit. Das Einkommensteuerrecht kennt kein Korrespondenzprinzip, demzufolge der Empfänger einer Leistung (der Kläger) nicht zu versteuern braucht, was der Geber (die Tochter) nicht abziehen darf, und --umgekehrt-- der Empfänger versteuern muß, was der Leistende von der Bemessungsgrundlage abziehen darf. Eine derart unbedingte wechselseitige Abhängigkeit wäre mit dem Grundsatz der Individualbesteuerung unvereinbar (vgl. dazu Senatsurteil vom 4.April 1989 X R 14/85, BFHE 157, 88, 90, BStBl II 1989, 779, 780 f.; Kirchhof in Kirchhof/Söhn, Kommentar zum EStG, § 2 Rdnr.A 189; Fischer in Kirchhof/Söhn, § 22 Rdnr.A 36, 38, 39; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1988, S.82 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 1993, S.662 f.; Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, 194, 363 und 366). - Diese materiell-rechtliche gesetzliche Ausgangslage darf nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch Verwaltungsakte (Steuerbescheide) und deren Korrekturen nicht ohne eine ausdrückliche gesetzgeberische Anordnung verändert werden. Auch aus diesem Grunde ist der Umstand, daß das FA ein bestimmtes anderes Steuerrechtsverhältnis (das der Tochter) nunmehr anders geregelt hat als bisher, auf die hier zu beurteilende Rechtslage (im Steuerschuldverhältnis des Klägers) trotz der zugrundeliegenden Leistungsbeziehung steuerrechtlich ohne Einfluß.

2. Die Voraussetzungen des § 174 Abs.4 AO 1977 sind --auch nach Meinung des Klägers-- im Streitfall schon deshalb nicht erfüllt, weil kein Steuerbescheid auf Betreiben des Klägers aufgehoben oder geändert wurde.

Die mit der Revisionsbegründung erstrebte analoge Anwendung dieser Korrekturvorschrift scheitert schon daran, daß es an einer Gesetzeslücke, an einer planwidrigen Unvollständigkeit (Larenz, Methodenlehre, 6.Aufl. 1991, S.370, 373), fehlt. Die Vorschrift des § 172 Abs.1 Satz 1 Nr.2 d AO 1977, der Grundnorm für die Korrektur von Bescheiden, belegt, daß die gesetzliche Gesamtregelung auf Vollständigkeit angelegt ist (vgl. Tipke/ Kruse, a.a.O., § 172 Tz.17).

3. Aus den Grundsätzen von Treu und Glauben kann der Kläger einen Korrekturanspruch ebenfalls nicht herleiten. Diese Grundsätze reichen nicht über eine bestimmte Rechtsbeziehung hinaus. Sie gelten nur innerhalb eines konkreten Steuerrechtsverhältnisses (BFH-Urteile vom 9.August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990; vom 7.November 1990 X R 143/88, BFHE 163, 329, BStBl II 1991, 325, und vom 27.März 1991 VI R 126/87, BFHE 164, 266, BStBl II 1991, 720; Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 Tz.56).

 

Fundstellen

Haufe-Index 64973

BFH/NV 1994, 53

BStBl II 1994, 597

BFHE 174, 1

BFHE 1995, 1

BB 1994, 1208

BB 1994, 1626

BB 1994, 1626-1627 (LT)

DB 1994, 1223-1224 (LT)

DStR 1994, 939 (KT)

DStZ 1994, 638-639 (LT)

HFR 1994, 516-517 (LT)

StE 1994, 326 (K)

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