Entscheidungsstichwort (Thema)

Empfangsbekenntnis als Zustellungserfordernis; Wiedereinsetzung bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist

 

Leitsatz (NV)

1. Das Empfangsbekenntnis bei der Zustellung ist nicht formgebunden; es kann auch nachträglich abgegeben werden.

2. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (Nichtnotierung der Frist infolge Büroversehens).

 

Normenkette

VwZG § 5 Abs. 2; FGO §§ 56, 120 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Zuschlag bei nicht fristgerechter Ausfuhr von Erzeugnissen aus einem Erstattungs-Veredelungsverkehr nach dem Eigengewicht der Grunderzeugnisse oder nach demjenigen der Verarbeitungserzeugnisse zu berechnen ist. Das Finanzgericht (FG) entschied zuungunsten der Klägerinnen im ersteren Sinne. Das Urteil, durch das die Revision zugelassen wurde, erging mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung. Ausfertigungen der Entscheidung des FG vom 27. Februar 1986 sind laut Erledigungsvermerk der Geschäftsstelle des zuständigen Senats der Vorinstanz vom 6. Juni 1986 an die Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen und an das Hauptzollamt - HZA -, je mit Empfangsbekenntnis, abgesandt worden. Das HZA hat eine Urteilsausfertigung laut Empfangsbekenntnis am 9. Juni 1986 erhalten. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen teilten dem FG mit Schreiben vom 23. Juni 1986 mit, ihnen sei das Urteil am 9. Juni 1986 zugestellt worden; die Zustellung sei durch Übersendung auf dem Postwege ohne Beifügung eines Vordrucks für ein Empfangsbekenntnis erfolgt. Ebenfalls mit Schriftsatz vom 23. Juni 1986, beim FG eingegangen am 25. Juni 1986, legten die Klägerinnen gegen die Vorentscheidung Revision ein. Auf den mit Schriftsatz vom 14. August 1986, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 18. August 1986, gestellten Antrag der Klägerinnen, für die Begründung der Revision Frist bis zum 30. Oktober 1986 zu gewähren, erwiderte der Vorsitzende des erkennenden Senats mit Schreiben vom 18. August 1986, den Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen am 21. August 1986 zugestellt, die Begründungsfrist sei am 11. August 1986 abgelaufen, der Antrag auf Verlängerung der Frist verspätet eingegangen. Hierauf beantragten die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 22. August 1986, beim BFH eingegangen am 25. August 1986, unter Wiederholung ihres Antrags auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision, ihnen gegen die Versäumung dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs führten sie an, das Urteil sei ohne förmliches Empfangsbekenntnis zugestellt worden; der bei ihren Prozeßbevollmächtigten mit der Führung des Fristenbuchs betraute geprüfte Rechtsanwaltsgehilfe habe daher die Fristen nicht, wie sonst üblich, sofort notiert, sei aber von einem der Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr. S., noch am 9. Juni 1986 angewiesen worden, die Fristennotierung sofort nachzuholen und bei der Geschäftsstelle des FG fernmündlich rückzufragen. Eingetragen worden sei dann jedoch nur die Revisionsfrist, nicht aber zugleich die Begründungsfrist. Hierbei müsse dem seit vielen Jahren in der Kanzlei tätigen Gehilfen ein einmaliges Versehen unterlaufen sein. Dieser werde regelmäßig stichprobenhaft kontrolliert; unterbliebene oder falsche Notierungen durch den Gehilfen seien bislang nicht bekanntgeworden. Zur Glaubhaftmachung legten die Klägerinnen eine entsprechende eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts Dr. S. vor. Mit Schriftsatz vom 28. August 1986, beim BFH eingegangen am 29. August 1986, begründeten die Klägerinnen ihre Revision und führten dazu im wesentlichen aus, das FG habe nicht berücksichtigt, daß sich der Zuschlag auch nach dem positiven Währungsausgleichsbetrag richte, für diesen aber das Eigengewicht der Verarbeitungserzeugnisse maßgebend sei.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet gemäß § 121, § 97 der Finanzgerichtsordnung (FGO) über die Zulässigkeit der Revision, und zwar durch Zwischenvorbescheid (§ 90 Abs. 3 FGO; vgl. BFH, Urteil vom 16. Dezember 1971 I R 212/71, BFHE 104, 493 f., BStBl II 1972, 425).

Die Revision ist zulässig. Die Klägerinnen haben zwar die Frist zur Begründung der Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) versäumt, doch ist ihnen insoweit gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Da sie innerhalb der maßgebenden Antragsfrist die Revisionsbegründung nachgeholt haben, braucht nicht entschieden zu werden, ob die für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachzuholende versäumte Rechtshandlung in dem - hier von den Klägerinnen erstmals mit Schriftsatz vom 14. August 1986 gestellten - Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist gesehen werden kann (verneinend Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 120 FGO Tz. 45; § 56 FGO Tz. 5; Klein-Ruban, Der Zugang zum BFH, 1986, Rdnr. 202; anders BFH, Vorlagebeschluß vom 29. November 1984 IV R 86/84, BFHE 142, 417, BStBl II 1985, 218 - insoweit nicht veröffentlicht -).

1. Die Frist zur Begründung der Revision ist versäumt worden. Diese Frist beginnt nach ständiger Rechtsprechung mit Ablauf der Einlegungsfrist (Gräber, FGO, 1977, § 120 Anm. 10; Tipke / Kruse, a. a. O., § 120 FGO Tz. 39; Klein-Ruban, a. a. O., Rdnr. 197, jeweils mit Nachweisen). Die Frist zur Einlegung der Revision hat hier begonnen, nachdem Ausfertigungen des FG-Urteils den Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen mit der Post zugegangen waren; dies gilt, obwohl der Sendung, wie die Klägerinnen angeben und Rechtsanwalt Dr. S. versichert hat, ein (Vordruck für ein) Empfangsbekenntnis nicht beigefügt war.

Die Vorentscheidung mußte den Klägerinnen nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zugestellt werden (§ 53 Abs. 1 und 2 FGO; vgl. auch § 104 Abs. 3 FGO). Zugestellt werden sollte gemäß § 5 Abs. 2 VwZG durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis. Das Empfangsbekenntnis ist notwendiges Erfordernis der Zustellung; fehlt es, so ist die Zustellung unwirksam (vgl. BFH, Beschluß vom 27. November 1975 VIII B 21/74, BFHE 117, 434, BStBl II 1976, 218; Gräber, a. a. O., § 53/§ 5 VwZG Anm. 4 = S. 115; Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 489/1; anders wohl Tipke / Kruse, a. a. O., § 5 VwZG Tz. 4). Dem Zustellungserfordernis wurde jedoch im Streitfall genügt. Zwar ist davon auszugehen, daß der amtliche Vordruck des Empfangsbekenntnisses fehlte, ein Empfangsbekenntnis auf einem solchen Vordruck mithin nicht abgegeben wurde. Das Fehlen dieses Vordrucks hat jedoch nicht bewirkt, daß die Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen aus dem Zugang der Urteilsausfertigungen die Zustellungsabsicht der Geschäftsstelle des FG nicht erkennen konnten. Das Zustellungserfordernis war ihnen bekannt; ebenso erkannten sie die Zustellungsabsicht, wie sich auch daraus ergibt, daß sie in ihrem Schreiben an das FG vom 23. Juni 1986 selbst von dem - wenn auch ohne Vordruck für ein Empfangsbekenntnis - zugestellten Urteil gesprochen haben. Dieses Schreiben enthält zugleich das vom Gesetz geforderte Empfangsbekenntnis. Ihm läßt sich entnehmen, daß die Empfänger das Urteil, das sie eindeutig bezeichnet hatten, als ihnen am 9. Juni 1986 zugestellt betrachtet haben. Daß das Empfangsbekenntnis nicht auf dem üblichen Vordruck abgegeben wurde, ist unerheblich, weil das Empfangsbekenntnis keiner besonderen Form bedarf (so - zu § 212a der Zivilprozeßordnung (ZPO) Bundesgerichtshof - BGH -, Beschluß vom 16. März 1978 VII ZB 24/77, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1978, 502; Urteil vom 29. Oktober 1980 IVb ZR 599/80, HFR 1981, 337, Neue Juristische Wochenschrift 1981, 462; vgl. auch Hartmann in Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44. Aufl., 1986, § 212a Anm. 2A). Dieses Empfangsbekenntnis konnte auch später erteilt werden, und zwar mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt, in dem die Aussteller das Schriftstück als zugestellt entgegengenommen hatten (BFH, Beschlüsse vom 23. Juni 1971 I B 12/71, BFHE 102, 457, 459, BStBl II 1971, 723, und vom 20. August 1982 VIII R 58/82, BFHE 136, 348, 350, BStBl II 1983, 63). Jedenfalls mit der hiernach anzunehmenden Zustellung der Urteilsausfertigungen ist das Urteil des FG wirksam geworden und war die Revision statthaft.

Die Frist zur Einlegung der Revision - von den Klägerinnen durch rechtzeitige Einreichung der Revisionsschrift beachtet - lief am 9. Juli 1986 ab (§ 54 FGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches), die Frist zur Begründung des Rechtsmittels am 11. August 1986 (§ 222 Abs. 2 ZPO). Innerhalb dieser Frist ist weder die Revisionsbegründung noch ein Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 2 FGO) eingegangen.

2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist - einer gesetzlichen Frist - ist zu entsprechen. Er ist rechtzeitig innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bezeichneten Frist gestellt worden. Weggefallen ist das der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist entgegenstehende Hindernis mit Zugang der Verfügung des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 18. August 1986, nämlich am 21. August 1986, als das auf Nichtnotierung dieser Frist beruhende Versäumnis von den Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen erkannt wurde. Innerhalb der Frist von zwei Wochen ist die versäumte Rechtshandlung, die jedenfalls in der Begründung der Revision zu sehen ist, nachgeholt worden (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO). Es ist hinreichend glaubhaft gemacht worden, daß die Klägerinnen ohne ein ihnen zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten verhindert waren, die Revisionsbgründungsfrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach ihrem Vortrag und nach der eidesstattlichen Versicherung des Rechtsanwalts Dr. S. kann angenommen werden, daß die - sonst in der Kanzlei übliche - sofortige Fristennotierung wegen Fehlens des Empfangsbekenntnisses, die von Rechtsanwalt Dr. S. noch am Tage des Eingangs angeordnete Nachholung der Fristennotierung hinsichtlich der Begründungsfrist infolge Büroversehens unterblieben ist. Ein Anwalt darf sich grundsätzlich darauf verlassen, daß die von ihm in Fristsachen erteilten Weisungen von einer langjährig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft befolgt werden (ständige Rechtsprechung; vgl. zuletzt BGH, Beschluß vom 27. Februar 1986 III ZB 21/85, Versicherungsrecht 1986, 764). Auch für die Festhaltung des Beginns und des Laufs von Rechtsmittelfristen darf ein Anwalt sich ausgebildeter und überwachter Bürokräfte bedienen, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um ungewöhnliche Fristsachen oder um solche, bei denen rechtliche Schwierigkeiten und Zweifel hinsichtlich des Beginns und der Dauer der Frist entstehen können (vgl. Tipke / Kruse, a. a. O., § 110 AO 1977 Tz. 22 Abs. 5 mit Nachweisen). Da die Revisionsbegründungsfrist wegen der bei ihrer Berechnung zu beachtenden Besonderheiten nicht zu den einfachen Fristen gerechnet wird (BFH, Beschluß vom 27. März 1984 IV R 47/81, BFHE 140, 428, BStBl II 1984, 446; Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 5. März 1982 8 C 159/81, HFR 1983, 171), ist der Prozeßbevollmächtigte allerdings grundsätzlich gehalten, im Zusammenhang mit der Notierung dieser Frist auf die maßgebenden Besonderheiten hinzuweisen. Das Vorbringen der Klägerinnen und die eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts Dr. S. geben jedoch keinen Anlaß anzunehmen, daß dieser, sollte er nicht die Notierung von ihm selbst errechneter Fristen, sondern die Eintragung von Fristen angeordnet haben, die von dem Rechtsanwaltsgehilfen noch zu errechnen waren, die entsprechenden Hinweise unterlassen hat. Es durfte mithin davon ausgegangen werden, daß die Fristen richtig eingetragen wurden. Für die Annahme eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens der Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen bestehen keine Anhaltspunkte.

3. Die Revisionsbegründung entspricht den Formerfordernissen (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Auch im übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Revision. Diese ist, unter Vorbehalt der im Endurteil zu treffenden Kostenentscheidung, aufgrund der den Klägerinnen zu gewährenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für zulässig zu erklären (§ 155 FGO, § 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414885

BFH/NV 1987, 523

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