Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer, Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist bei der Einheitsbewertung ein Fehler unterlaufen und hat das Finanzamt diesen Fehler bereits durch Fortschreibung auf einen Stichtag beseitigt, so kann zur Beseitigung desselben Fehlers auf einen früheren Stichtag nachträglich nicht nochmals eine Fortschreibung vorgenommen werden.

 

Normenkette

BewG § 22; AO § 225a

 

Tatbestand

Für das Einfamilienhaus des Bf. liegen folgende Feststellungsbescheide über die Einheitsbewertung vor:

Mit Bescheid vom 4. Juni 1937 (Nachfeststellungsbescheid) wurde der Einheitswert zum 1. Januar 1937 auf 92.600 RM festgestellt. Hierbei legte das Finanzamt der Wertermittlung einen Bodenwert von 7.5000 RM und einen normalisierten Neubauwert von 85.072 RM zugrunde.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 1949 schrieb das Finanzamt den Einheitswert zum 1. Januar 1948 auf 69.400 RM fort. Der Bf. hatte beantragt, wegen Umgestaltung der inneren Einrichtung des Hauses den Einheitswert zum 1. Januar 1948 fortzuschreiben. Bei der Prüfung dieses Antrages stellte das Finanzamt fest, daß die Veränderungen am Gebäude zwar zu einer Art- und Wertfortschreibung nicht führen könnten, daß aber bei der Einheitsbewertung zum 1. Januar 1937 ein Fehler unterlaufen sei, der durch Fortschreibung beseitigt werden könne. Den Fehler erblickte das Finanzamt darin, daß bei der Feststellung des Einheitswertes von 92.600 RM die Wertzahl 100 statt 75 angewendet worden sei.

Mit Bescheid vom 12. März 1951 wurde der Einheitswert zum 21. Juni 1948 wegen erlittener Kriegssachschäden auf 50.200 DM fortgeschrieben.

Im Zusammenhang mit der Veranlagung der Vermögensabgabe und der Hypothekengewinnabgabe erließ das Finanzamt am 9. / 11. Februar 1957 einen weiteren Fortschreibungsbescheid, in welchem der Einheitswert bereits zum 1. Januar 1940 auf 69.400 RM herabgesetzt wurde. Der Bescheid enthält folgenden Vermerk: "Die Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1940 erfolgt lediglich für Lastenausgleichszwecke, weil die auf dem Einheitswert beruhenden Steuern bereits verjährt sind." Der Einspruch gegen diesen Bescheid hatte insoweit Erfolg, als der einschränkende Vermerk aufgehoben wurde. Die Berufung blieb erfolglos.

Die Entscheidung des Finanzgerichts beruht auf folgenden Erwägungen: Eine Wertfortschreibung sei auch dann zulässig, wenn sie zur Beseitigung eines Fehlers erfolge, der bei der vorangegangenen Einheitswertfeststellung unterlaufen sei. In der Wahl des Fortschreibungszeitpunktes sei das Finanzamt bei einer Fortschreibung von Amts wegen grundsätzlich frei. Jedoch sei die Feststellung eines Einheitswertes unzulässig, wenn sämtliche vom Einheitswerte abhängigen Steuern verjährt seien. Im Streitfalle handle es sich nicht um eine Erhöhung, sondern um eine Herabsetzung des vor Eintritt des Kriegsschadens geltenden Einheitswertes, die zu einer Erstattung von Vermögensteuer und Grundsteuer führe. Eine Verjährung dieser Ansprüche sei nicht eingetreten. Nach § 214 AO würden "die der Besteuerung zugrunde zu legenden" Einheitswerte gesondert festgestellt. Um einen der Besteuerung zugrunde zu legenden Einheitswert handle es sich auch dann, wenn der Einheitswert nur für die Bemessung der Kriegsschadenermäßigung und damit für die Höhe der Vermögensabgabe oder Hypothekengewinnabgabe Bedeutung habe. Auch hier verlange die steuerliche Gerechtigkeit, von Amts wegen den Einheitswert neu festzustellen. Die vorausgegangene Wertfortschreibung zum 1. Januar 1948 stehe der Feststellung zum 1. Januar 1940 nicht entgegen. Der Bundesfinanzhof habe allerdings im Urteil III 96/58 U vom 16. Januar 1959 (BStBl 1959 III S. 150, Slg. Bd. 68 S. 386) die Auffassung vertreten, die rechtskräftige Wertfortschreibung auf einen Stichtag schließe die spätere Wertfortschreibung auf einen früheren Stichtag in der Regel aus. Begründet werde diese Ansicht nur mit dem Hinweis auf das Urteil III 1/55 U vom 23. September 1955 (BStBl 1955 III S. 316, Slg. Bd. 61 S. 303). Dieses Urteil betreffe eine Zurechnungsfortschreibung und führe aus, daß in der Zurechnung für einen bestimmten Zeitpunkt zugleich die negative Feststellung liege, daß diesem Steuerpflichtigen gegenüber der Einheitswert zu einem früheren Zeitpunkte nicht festzustellen sei; es sei auch nicht zulässig, die Rechtskraft eines Bescheides über die Fortschreibung in der Zurechnung oder im Werte dadurch zu beseitigen, daß eine dem Inhalte dieser Bescheide entgegenstehende Feststellung beantragt werde. Diese Entscheidung stehe mit früheren Entscheidungen des Bundesfinanzhofs im Widerspruch, wenn dies auch im Urteil III 96/58 U vom 16. Januar 1959 in Abrede gestellt werde. Was die Wertfortschreibung anlange, so sei nicht einzusehen, weshalb die Wertfeststellung auf einen bestimmten Zeitpunkt die Feststellung eines Einheitswertes auf einen früheren Zeitpunkt ausschließen solle. Ob der eine Einheitswert früher oder später festgestellt werde als der andere, sei ohne Bedeutung. Der für den späteren Zeitpunkt festgestellte Einheitswert sei von diesem Zeitpunkte ab maßgebend, auch wenn später ein Einheitswert für einen früheren Zeitpunkt festgestellt werde. Die Unrichtigkeit der Ansicht des Bundesfinanzhofs erhelle aus der Erwägung, daß ja die nachträgliche Feststellung zu einem früheren Zeitpunkte auf einer nicht berücksichtigten Veränderung des tatsächlichen Zustandes beruhen könne, die möglicherweise bei der Feststellung auf einen späteren Zeitpunkt nicht zu berücksichtigen gewesen sei, weil sie in diesem Zeitpunkte nicht mehr bestanden habe. Aber auch dann, wenn es sich nur um die Berücksichtigung eines Bewertungsfehlers handle, sei kein triftiger Grund ersichtlich, die Fortschreibung auf einen früheren Zeitpunkt auszuschließen. Die Rechtskraft der Feststellung für den späteren Zeitpunkt werde nicht berührt; die Feststellung für den früheren Zeitpunkt könne dem Inhalte des vorangegangenen Feststellungsbescheides nicht entgegenstehen, und zwar eben deshalb nicht, weil sie einen anderen Zeitpunkt betreffe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Bf. ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Feststellungsbescheides vom 9. / 11. Februar 1957.

I. - Nach § 21 des Bewertungsgesetzes (BewG) werden die Einheitswerte nur in Zeitabständen allgemein festgestellt (Hauptfeststellung). Der Zeitabstand zwischen zwei Hauptfeststellungen kann mehrere Jahre betragen. Um zu verhüten, daß die einzelnen Einheitswerte in der Zwischenzeit veralten und damit ihre Brauchbarkeit als Besteuerungsgrundlagen verlieren, müssen sie fortgeführt werden. Der Fortführung dienen die Vorschriften über die Fortschreibung (ß 225a AO, § 22 BewG) und die Vorschrift über die Nachfeststellung (ß 23 BewG).

Die Fortschreibung ist eine Besonderheit der Einheitsbewertung. Sie bezweckt in erster Linie, änderungen zu berücksichtigen, die nach dem Feststellungszeitpunkte im Werte, in der Art oder in der Zurechnung eintreten. Das Wesentliche der Fortschreibung ist, daß sie nicht auf denselben Zeitpunkt, auf den der bestehende Einheitswert lautet, sondern auf einen späteren Zeitpunkt vorgenommen wird. Dies ergibt sich klar aus § 225a Abs. 1 AO, wonach der Feststellungsbescheid über einen Einheitswert bei änderung im Werte usw. durch einen neuen Bescheid (Fortschreibungsbescheid) ersetzt wird. Der Fortschreibungsbescheid löst den bisherigen Feststellungsbescheid, der bestehen bleibt, nur zeitlich ab.

Die strenge Auslegung der gesetzlichen Vorschriften über die Fortschreibung der Einheitswerte hätte dazu führen können, daß unrichtige Einheitswertbescheide - außer es lagen die besonderen Voraussetzungen für ihre Berichtigung nach § 92 Abs. 3, § 94 Abs. 1 Ziff. 2 oder § 222 AO vor - für mehrere Jahre ihrer Geltung der Besteuerung zugrunde gelegt werden mußten. Diesem Mangel hat auf Anregungen in Schrifttum und Verwaltung (siehe hierüber Riewald, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 2 zu § 225a AO) die Rechtsprechung abgeholfen. Eine sprachliche änderung im Text des BewG ("Abweichung" statt bisher "änderung") ließ die Auslegung zu, daß eine Wertfortschreibung zulässig sei, wenn der für den Beginn eines späteren Kalenderjahres festgestellte Wert von dem ursprünglich festgestellten in dem Maße, wie es im Gesetz vorgesehen ist, abweicht, auch wenn das nicht auf einer änderung des tatsächlichen Wertes, sondern auf einer Unrichtigkeit der ursprünglichen Wertfeststellung beruht (Urteil des Reichsfinanzhofs III 303/37 vom 31. März 1938, RStBl 1938 S. 601). Dieser Auslegung ist der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung gefolgt (vgl. insbesondere Urteil des Bundesfinanzhofs III 110/50 S vom 24. Januar 1952, BStBl 1952 III S. 84, Slg. Bd. 56 S. 209). Entsprechend wie bei der Wertfortschreibung ist in der Folgezeit eine Artfortschreibung und eine Zurechnungsfortschreibung auch schon dann zugelassen worden, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse seit dem letzten Feststellungszeitpunkt nicht geändert haben, aber die ursprüngliche Feststellung über Art und Zurechnung des Gegenstandes unrichtig war (Urteil des Bundesfinanzhofs III 266/51 S vom 31. Oktober 1952, BStBl 1952 III S. 313, Slg. Bd. 56 S. 816). Am Begriff der Fortschreibung hat sich aber dadurch nichts geändert. Sie ist und bleibt - auch bei der Fehlerbeseitigung durch Fortschreibung - eine zeitliche Ablösung des auf den letzten, maßgebenden Feststellungszeitpunkt erlassenen Feststellungsbescheides. Wenn bei der Einheitsbewertung ein Fehler unterlaufen ist, und das Finanzamt diesen Fehler bereits durch Fortschreibung auf einen Stichtag beseitigt hat, kann nicht zur Beseitigung desselben Fehlers auf einen früheren Stichtag nachträglich nochmals eine Fortschreibung vorgenommen werden. Das muß gelten, gleichviel, ob sich die Fortschreibung zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken würde. Abgesehen davon erscheint es im Streitfalle ohnehin als unzulässig, noch im Jahre 1957 von Amts wegen einen Fortschreibungsbescheid zum 1. Januar 1940 zu erlassen (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs III 239/59 U vom 12. Mai 1961, BStBl 1961 III S. 430).

II. - Im übrigen enthalten die Ausführungen des Finanzgerichts eine Reihe von Rechtsirrtümern. Es trifft zwar zu, daß die Feststellung eines Einheitswertes unzulässig ist, wenn sämtliche vom Einheitswert abhängigen Steuern verjährt sind. Das bedeutet aber nicht, daß umgekehrt in allen den Fällen, in denen eine solche Verjährung nicht eingetreten ist, die Feststellung eines Einheitswertes zulässig wäre. Es müssen die allgemeinen Voraussetzungen für die Feststellung eines Einheitswertes in jedem Fälle vorliegen. Keinesfalls kann die Zulässigkeit der Fortschreibung eines Einheitswertes von der Frage der Verjährung von Steuererstattungsansprüchen abhängig gemacht werden, zumal wenn solche erst durch die Feststellung eines niedrigeren Einheitswertes entstehen würden. Unrichtig ist auch die Annahme des Finanzgerichts, es handle sich um einen der Besteuerung zugrund zu legenden Einheitswert auch dann, wenn der Einheitswert nur für die Bemessung der Kriegsschadenermäßigung und damit für die Höhe der Vermögensabgabe oder Hypothekengewinnabgabe Bedeutung habe. Das Gegenteil kann aus dem Urteil III 192/56 U vom 19. Juli 1957 (BStBl 1957 III S. 299, Slg. Bd. 65 S. 169) entnommen werden. Weiter ist es unzutreffend, daß das Urteil III 96/58 U vom 16. Januar 1959 zu früheren Entscheidungen des Senats im Widerspruch stehe. In dem genannten Urteil ist lediglich entschieden worden, daß die rechtskräftige Wertfortschreibung auf einen Stichtag die spätere Wertfortschreibung auf einen früheren Stichtag in der Regel ausschließt. Hieraus ergibt sich, daß dies nur grundsätzlich gilt, und daß Ausnahmen denkbar und möglich sind. Zu der Frage, ob der vom Finanzgericht in seiner Entscheidung erwähnte Fall die Fortschreibung auf einen früheren Stichtag zuläßt bzw. erforderlich macht, kann mangels näherer Angaben keine Stellung genommen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410204

BStBl III 1961, 498

BFHE 1962, 635

BFHE 73, 635

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