Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist eine Berichtigungsveranlagung gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO für ein bestimmtes Jahr durchzuführen, weil Forderungen nicht aktiviert und tatsächlich nicht vorhandene Schulden passiviert worden sind, so darf wegen des Grundsatzes des Bilanzenzusammenhanges die Anfangsbilanz dieses Jahres auch dann nicht berichtigt werden, wenn Forderungen und Schulden bereits in der Schlußbilanz des Vorjahres unrichtig behandelt worden sind, die noch zulässige Berichtigung der Schlußbilanz des Vorjahres jedoch nicht durchgeführt ist.

Berichtigt das Finanzamt nachträglich die Schlußbilanz des Vorjahres im Zusammenhang mit einer Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 AO, so kann die rechtskräftige Veranlagung des folgenden Jahres nach § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG geändert werden. EStG 1950 § 4 Abs. 1; StAnpG § 4

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1; StAnpG § 4 Abs. 3 Ziff. 2; AO § 222 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob bei einer Berichtigungsveranlagung des Jahres 1950, die wegen bisher unterlassener Aktivierung von Forderungen und wegen Passivierung von tatsächlich nicht vorhandener Warenschulden notwendig geworden ist, auch die Anfangsbilanz zum 1. Januar 1950 zu berichtigen ist, wenn Forderungen und Schulden bereits in der Bilanz zum 31. Dezember 1949 unrichtig behandelt worden sind, eine Berichtigung der Veranlagung 1949 jedoch nicht erfolgt ist.

Der Bf., der eine Fabrik betreibt, ist mit Bescheid vom 31. August 1951 zur Einkommensteuer 1949 veranlagt worden. Der Bescheid für 1950 erging am 24. Juni 1952. Vom 21. Juni 1956 bis 3. Juli 1956 fand bei dem Bf. eine Betriebsprüfung statt, bei der festgestellt wurde, daß am 31. Dezember 1949 Forderungen in Höhe von 73 055,07 DM und am 31. Dezember 1950 Forderungen in Höhe von 41 653,60 DM vorhanden, aber nicht aktiviert worden waren. Hingegen wurden vom Bf. in der Bilanz zum 31. Dezember 1949 Warenschulden in Höhe von 4958,88 DM und zum 31. Dezember 1950 Warenschulden in Höhe von 1596,28 DM passiviert, die tatsächlich nicht vorhanden waren.

Die Veranlagung für 1949 hat das Finanzamt nicht berichtigt, da es den Steueranspruch für 1949 als verjährt ansah. Für 1950 setzte es durch Berichtigungsbescheid vom 17. September 1957 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der obigen Tatsachen neu fest. Die der Einkommensteuerveranlagung 1949 zugrunde liegende Schlußbilanz zum 31. Dezember 1949 wurde dabei als Anfangsbilanz zum 1. Januar 1950 unverändert übernommen.

Gegen die Berichtigungsveranlagung 1950 legte der Bf. Sprungberufung ein. In der Begründung erkannte er zwar den Sachverhalt, der zur Berichtigung geführt hatte, ausdrücklich an; er vertrat aber die Auffassung, die Einkommensteuer für 1950 sei gemäß § 25 EStG nach dem Einkommen festzusetzen, das er im Veranlagungszeitraum 1950 bezogen habe. Durch die übernahme der unrichtigen Schlußbilanz des Jahres 1949 als Anfangsbilanz des Jahres 1950 würden verjährte Steueransprüche aus dem Jahre 1949 nach 1950 verlagert. Das verstoße gegen den Sinn und Zweck der Verjährung. Auch der Reichsfinanzhof habe in seinem Urteil VI A 1012/33 vom 30. Januar 1935 (RStBl 1935 S. 1111) diesen Standpunkt vertreten.

Das Finanzgericht wies die Sprungberufung als unbegründet zurück. Hinsichtlich der Verjährung des Steueranspruches für 1949 stellte die Vorinstanz fest, daß dem Bf. für den Veranlagungszeitraum 1949 keine Steuerhinterziehung nachgewiesen werden könne und die Verjährungsfrist demnach am 31. Dezember 1955 - also vor Beginn der Betriebsprüfung - abgelaufen sei.

Zu der Frage, ob im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften die Berichtigung der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1950 ohne die gleichzeitige Berichtigung der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1949, also die Unterbrechung des Bilanzenzusammenhanges erforderlich sei, vertrat das Finanzgericht die Auffassung, daß durch eine solche Berichtigung der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1949 der Charakter der Zweischneidigkeit genommen und damit der durch den Bilanzenzusammenhang gewollte Ausgleich von Fehlern verhindert würde. Der Einkommensteueranspruch für 1949 sei ohne Rücksicht auf die fehlerhaften Bilanzansätze nach dem materiell-rechtlich richtigen Gewinnergebnis entstanden. Dieser Steueranspruch sei verjährt. Nach dem ausdrücklichen Gesetzesbefehl in § 4 Abs. 1 EStG entstehe hier der Steueranspruch 1949 auf Grund des Bilanzenzusammenhanges hinsichtlich der im Jahre 1949 nicht erfaßten Gewinnteile neu im Jahre 1950. Nach dem Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften sei es nicht geboten und nicht zulässig, die Bilanzenkontinuität generell durch Berichtigung der Anfangsbilanz zu unterbrechen und damit auf die Besteuerung der im verjährten Zeitraum nicht erfaßten Gewinne zu verzichten. Es sei nicht zulässig, eine ausdrückliche Gesetzesvorschrift unter Berufung auf den Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Verjährung außer Kraft zu setzen. Auch die Grundsätze von Treu und Glauben könnten hier zu keinem anderen Ergebnis führen, da die Steuerverkürzungen im Veranlagungszeitraum 1949 unstreitig durch das Verschulden des Bf. verursacht worden seien.

In der Rb. macht der Bf. unter anderem geltend, das Finanzamt habe den durch die Betriebsprüfung festgestellten hohen steuerpflichtigen Gewinn des Jahres 1949 unter Zuhilfenahme des Grundsatzes des Bilanzenzusammenhanges in das Jahr 1950 verlagert, nachdem sich herausgestellt habe, daß der Steueranspruch für 1949 bereits verjährt sei. Damit habe man aber gegen die Verjährungsvorschriften verstoßen. Richtigerweise seien unrichtige Bilanzen bis zurück zur Fehlerquelle, hier also bis zur Schlußbilanz vom 31. Dezember 1949, zu berichtigen. Dadurch werde erreicht, daß die Berichtigung der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1950 zu keiner Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges führe. Die Verjährungsvorschriften würden lediglich verhindern, daß sich die Berichtigung der Schlußbilanz 1949 steuerlich noch auswirken könne.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

I. Das Finanzgericht ist - wie das Finanzamt - bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß die Verjährung des Steueranspruchs für 1949 am 31. Dezember 1955 eingetreten sei. Auf die Frage, inwieweit der Einkommensteuerbescheid für 1949 vom 31. August 1951 eine Unterbrechung der Verjährung bewirkt hat, ist die Vorinstanz nicht eingegangen. Anscheinend hat sie - der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs folgend - angenommen, daß ein endgültiger Steuerbescheid die Verjährung nur in Höhe des angeforderten Steuerbetrags unterbricht (Urteile IV A 125/34 vom 20. März 1935, RStBl 1935 S. 649; VI 162/41 vom 18. Juni 1941, RStBl 1941 S. 457, und III 33/39 vom 23. Januar 1941, RStBl 1941 S. 121). Die Verjährung wäre danach allerdings hinsichtlich der durch die Betriebsprüfung im Jahre 1956 festgestellten Mehrsteuer für 1949 durch den Einkommensteuerbescheid nicht unterbrochen worden.

Dieser vom Reichsfinanzhof in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung ist jedoch der Senat im Urteil IV 184/60 S vom 4. August 1960 (BStBl 1960 III S. 430) nicht gefolgt. Der Senat ist der Auffassung, daß auch der endgültige Einkommensteuerbescheid die Verjährung des Einkommensteueranspruches für das betreffende Veranlagungsjahr in vollem Umfang unterbricht, da der Erlaß des endgültigen Steuerbescheides als die wichtigste Handlung nach § 147 Abs. 1 AO angesehen werden muß, die das Finanzamt zur Feststellung des gesamten Steueranspruches des betreffenden Jahres vornimmt, auch wenn der Steuerbescheid eine zu niedrige Steuerfestsetzung enthalten sollte. Im einzelnen wird auf das oben angeführte Urteil des Senats IV 184/60 vom 4. August 1960 Bezug genommen.

Demnach wurde im vorliegenden Fall die Verjährung des Einkommensteueranspruches für 1949 durch den Einkommensteuerbescheid vom 31. August 1951 in vollem Umfang unterbrochen. Die Verjährungsfrist begann nach § 147 Abs. 3 AO am 1. Januar 1952 neu zu laufen und wurde durch die Betriebsprüfung im Jahre 1956 wiederum unterbrochen. Die neue Verjährungsfrist für den Einkommensteueranspruch 1949 hat am 1. Januar 1957 zu laufen begonnen. Das Finanzamt kann also bis zum 31. Dezember 1961 die Einkommensteuerveranlagung 1949 nach § 222 Abs. 1 AO berichtigen.

II. Die Frage der Verjährung des Einkommensteueranspruches für 1949 ist in der vorliegenden Sache, die die Einkommensteuer 1950 betrifft, von wesentlicher Bedeutung, weil die Rb. auf die Annahme gegründet ist, für den im Einkommensteuerbescheid für 1949 vom 31. August 1951 nicht festgesetzten Teil des Steueranspruches 1949 sei mit dem 31. Dezember 1955 die Verjährung eingetreten. Mit dem Nichteintritt der Verjährung für den gesamten Einkommensteueranspruch 1949, also auch für die erst durch die Betriebsprüfung festgestellte Mehrsteuer, wird auch die Begründung der Rb. hinfällig. Die Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges durch Berichtigung der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1950 kann also nicht mehr mit dem Hinweis auf die Verjährung des im Einkommensteuerbescheid 1949 vom 31. August 1951 nicht erfaßten Teiles des Einkommensteueranspruches 1949 begehrt und begründet werden.

Die Entscheidung des Senats hinsichtlich der Frage der Berichtigung der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1950 hat somit davon auszugehen, daß eine Berichtigung der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1949 im Wege einer Berichtigungsveranlagung für 1949 nach § 222 Abs. 1 AO durch das Finanzamt noch möglich, aber bisher wegen der nach der neuen Rechtsprechung des Senats unrichtigen Anwendung der Verjährungsvorschriften nicht durchgeführt worden ist. Eine Entscheidung des Rechtsstreits durch Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt zur Durchführung der noch möglichen Berichtigungsveranlagung 1949 und damit auch der Berichtigung der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1949 hält der Senat aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht für zulässig. Denn diese Entscheidung würde einmal eine Weisung an das Finanzamt hinsichtlich der nicht rechtshängigen Einkommensteuerveranlagung 1949 beinhalten, an die das Finanzamt gemäß § 296 Abs. 4 AO nicht gebunden wäre; zum anderen würde durch die Zurückverweisung das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben, obwohl kein die rechtshängige Einkommensteuersache 1950 betreffender Aufhebungsgrund nach § 288 AO in Verbindung mit § 296 Abs. 1 AO gegeben wäre. Ausgangspunkt der Entscheidung muß also die nicht berichtigte, der rechtskräftigen Veranlagung 1949 zugrunde liegende Schlußbilanz zum 31. Dezember 1949 sein, in der die fraglichen Forderungen von 73 055,07 DM nicht aktiviert, bzw. die zu Unrecht ausgewiesenen Warenschulden nicht gestrichen sind.

Damit ist die Frage zur Berichtigung der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1950 hier ebenso zu beurteilen, wie sie der Senat im Urteil IV 108/58 U vom 14. Januar 1960 (BStBl 1960 III S. 137, Slg. Bd. 70 S. 365) entschieden hat. In diesem Urteil hat der Senat ausgesprochen, daß es - abgesehen von gewissen Ausnahmen, die hier nicht vorliegen - eine unzulässige Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges darstellt, wenn bei einer Einkommensteuerberichtigungsveranlagung eines bestimmten Jahres, die durch unterlassene Aktivierungen oder Passivierungen von in mehreren Jahren auftretenden Forderungen oder Schulden notwendig geworden ist, zur Ermittlung eines richtigen Periodengewinns nicht nur die Schlußbilanz, sondern auch die Anfangsbilanz des streitigen Jahres berichtigt wird, ohne daß wegen der Rechtskraft der Veranlagung des Vorjahres die gleichzeitige Berichtigung der Schlußbilanz des Vorjahres möglich wäre. Hinsichtlich der Begründung dieser Auffassung im einzelnen kann auf das angeführte Urteil vom 14. Januar 1960 (a. a. O.) Bezug genommen werden.

Der Reichsfinanzhof hat zwar in den Urteilen VI A 1012/33 vom 30. Januar 1935 (a. a. O.) und VI A 704/35 vom 2. Oktober 1935 (RStBl 1935 S. 1391) und teilweise auch in der früheren Rechtsprechung (vgl. Urteil VI A 1963/29 vom 16. Dezember 1931, RStBl 1932 S. 528) den Grundsatz der periodengerechten Gewinnermittlung dem Grundsatz des Bilanzenzusammenhanges vorgezogen. Seit Ergehen dieser Entscheidungen ist jedoch der Grundsatz der Bilanzenkontinuität vom Reichsfinanzhof und vor allem vom Bundesfinanzhof immer stärker betont worden (vgl. hierzu Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 360/37 vom 6. Oktober 1937, RStBl 1937 S. 1117; VI 841-842/38 vom 15. Februar 1939, RStBl 1939 S. 393; Urteile des Bundesfinanzhofs IV 302/50 S vom 1. Dezember 1950, BStBl 1951 III S. 10, Slg. Bd. 55 S. 22, und I 344/55 U vom 3. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 250, Slg. Bd. 63 S. 137). Denn die erfolgswirksame Heranziehung früherer Einnahmen in einer späteren Gewinnperiode oder die Berücksichtigung tatsächlich früher eingetretener Verluste in einem späteren Bilanzzeitraum infolge des Bilanzenzusammenhangs beruht nicht nur auf dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes (§ 4 Abs. 1 EStG), sondern entspricht auch seinem Sinn und Zweck.

Das Finanzgericht hat demnach, da bisher die Einkommensteuerveranlagung 1949 nicht berichtigt wurde, im Ergebnis zutreffend die Möglichkeit der Berichtigung der Anfangsbilanz des Bf. zum 1. Januar 1950 durch Aktivierung der Forderungen von 73 055,07 DM und durch die Streichung der passivierten Warenschuld von 4959,88 DM verneint. Die Rb. mußte somit als unbegründet zurückgewiesen werden.

Sollte das Finanzamt nachträglich eine Berichtigung der Einkommensteuerveranlagung 1949 durchführen, so könnte die Einkommensteuerveranlagung 1950 durch Berücksichtigung der berichtigten Schlußbilanz zum 31. Dezember 1949 als Anfangsbilanz 1950 im Wege des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes geändert werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409792

BStBl III 1960, 444

BFHE 1961, 523

BFHE 71, 523

BB 1960, 1235

DB 1960, 1295

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