Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden (Grundlagenbescheiden)

 

Leitsatz (NV)

Im Veranlagungsverfahren oder in einem Rechtsstreit, der die Rechtmäßigkeit von Einkommensteuerbescheiden zum Gegenstand hat, darf nicht (eigenständig) entschieden werden, ob und/oder inwieweit Einnahmen unter § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG fallen.

 

Normenkette

AO § 157 Abs. 2, § 182; EStG § 15 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war in den Streitjahren an der X-KG (KG) beteiligt. Komplementärin dieser Gesellschaft war die Y-Beteiligungsgesellschaft mbH (GmbH).Im Jahre 1974 gewährte die Klägerin der KG ein Darlehen, das mit 3 % über dem Diskontsatz der Bundesbank zu verzinsen war. Zum 1. Januar 1975 übernahm die GmbH die Darlehensschuld gegenüber der Klägerin zu den gleichen Bedingungen und stellte die KG von der Darlehensschuld frei.

Am 19. Dezember 1972 hatte die Klägerin einen Anteil von . . . DM (Nominalwert) von ihrer Beteiligung an die GmbH veräußert. Am 1. September 1977 übertrug sie auch ihren restlichen Kommanditanteil auf die GmbH. In beiden Fällen geschah die Übertragung unter Vorbehalt: Sie sollte erst beim Tod oder dem vorherigen Ausscheiden der Klägerin aus der KG wirksam werden. Bis zu diesem Zeitpunkt sollten die Gesellschaftsrechte noch in vollem Umfang der Klägerin zustehen. Die GmbH hatte schon vor dem Wirksamwerden des Anteilsübergangs in Anrechnung auf den Kaufpreis monatliche Zahlungen von . . . DM, später . . . DM, zu leisten. Diese Vorauszahlungen wurden als verzinsliches Darlehen der GmbH an die Klägerin angesehen. Aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung verrechnete die GmbH ihre monatlich geschuldeten Beträge mit dem aus dem Jahre 1974 stammenden Darlehen.

In ihrer Einkommensteuererklärung setzte die Klägerin nur die Zinsen an, die ihr von der GmbH auf das Darlehen gewährt worden waren, und zwar in der Höhe, die sich nach Verrechnung mit den Vorauszahlungen auf den Anteilserwerb ergab. Nach einer Betriebsprüfung bei der GmbH und bei der KG sah der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Verrechnung als unberechtigt an und erhöhte die Einkünfte der Klägerin aus Kapitalvermögen insoweit.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, es könne dahingestellt bleiben, ob eine wirksame Aufrechnung der Kapitalbeträge vorliege, denn die der Klägerin gewährten Zinsen seien weder in der vom FA angesetzten noch in der von der Klägerin deklarierten Höhe Einkünfte aus Kapitalvermögen. Sie stellten vielmehr gewerbliche Einkünfte i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dar und seien ihr ,,nur im Rahmen der einheitlichen Gewinnfeststellung der KG zuzurechnen". - Eine Aussage über den Inhalt der zu den einzelnen Streitjahren ergangenen Feststellungsbescheide enthält das FG-Urteil nicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (des § 182 der Abgabenordnung - AO 1977 - sowie der §§ 15, 20 EStG).

Es ist der Meinung, das FG hätte die Zinseinnahmen nicht als Einkünfte i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG ansehen dürfen, weil dies in Widerspruch zu den Gewinnfeststellungsbescheiden stehe.

Die Klägerin ist der Meinung, die im Feststellungsverfahren getroffenen Entscheidungen stünden dem FG-Urteil nicht entgegen. Dort sei nur über die Zuordnung der Zinsen entschieden worden, die die GmbH für das der KG gewährte Darlehen erhalten habe. Im Streitfall jedoch gehe es um die Zinsen, die von der GmbH an die Klägerin gezahlt worden seien. Diese Zinsen seien im Rahmen der Gewinnfeststellung unberücksichtigt geblieben. Infolgedessen könne weder ihre Zuordnung zu den gewerblichen Einkünften mit den Feststellungsbescheiden unvereinbar sein, noch könne sich aus diesen Bescheiden eine die Zuordnung der Zinsen zu den gewerblichen Einkünften ausschließende Bindung ergeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zu Unrecht hat das FG eine eigenständige Entscheidung dahingehend getroffen, daß die der Klägerin in den Streitjahren zugeflossenen Zinsen aus dem der GmbH gewährten Darlehen als gewerbliche Einkünfte i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusehen seien. Zu einer solchen Entscheidung war das FG in dem durch die Anfechtungsklage gegen die Einkommensteuerbescheide eröffneten Verfahren nicht berufen.

Die Frage, inwieweit bei den angefochtenen Steuerverwaltungsakten Besteuerungsgrundlagen aus Beteiligungseinkünften zu berücksichtigen oder nicht zu berücksichtigen sind, fällt in den Regelungsbereich der hierzu ergangenen Grundlagenbescheide (§§ 157 Abs. 2, 179 ff. AO 1977; vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544; zur Abgrenzung der Regelungsbereiche von Grundlagen- und Folgebescheid: erkennender Senat, Entscheidung vom 12. Juli 1989 X R 32/86, BFH/NV 1990, 366, 368). Das gilt auch für die Frage, ob und in welchem Umfang der Klägerin als Gesellschafterin in den Streitjahren gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG Sonderbetriebsergebnisse zuzurechnen sind (vgl. BFH-Urteile vom 15. Januar 1981 IV R 76/77, BFHE 132, 289, BStBl II 1981, 314; vom 6. Oktober 1987 VIII R 137/84, BFHE 152, 446, BStBl II 1988, 679; vom 19. Januar 1989 IV R 2/87, BFHE 155, 491, BStBl II 1989, 393, 394).

Die Bindungswirkung der die Beteiligungseinkünfte der Klägerin (unter Umständen gemäß § 179 Abs. 2 Satz 3 AO 1977) miterfassenden Grundlagenbescheide (vgl. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 182 AO 1977 sowie § 351 Abs. 2 AO 1977 i. V. m. § 42 FGO) erstreckt sich auch - und dies hat das FG offensichtlich übersehen - auf die in der Nichtberücksichtigung der Zinszahlungen liegende Verneinung ihres Charakters als gewerbliche Einkünfte i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG (vgl. zur Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids in negativer Hinsicht BFH-Urteile vom 16. Oktober 1985 II R 230/82, BFHE 144, 463, BStBl II 1986, 41, und vom 27. Oktober 1989 III R 38/88, BFH/NV 1990, 369, 370). Inwieweit die streitigen Darlehenszahlungen unter § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG fielen, hätte das FG in positiver wie in negativer Hinsicht den Feststellungsbescheiden für die Streitjahre entnehmen, das heißt, es hätte durch Auslegung dieser Grundlagenbescheide (nicht etwa der entsprechenden behördeninternen Mitteilungen - vgl. dazu BFH-Urteil vom 9. September 1988 III R 253/84, BFH/NV 1989, 138 -) ermitteln müssen, inwiefern dort abschließend und bestands- oder rechtskräftig über die Zugehörigkeit der Darlehenszahlungen zu den gewerblichen Einkünften der Klägerin (mit-)entschieden worden ist. Falls eine Grundlagenentscheidung zu diesem Sachverhaltskomplex überhaupt noch fehlte, hätte sie durch das Betriebs-FA - womöglich im Wege entsprechender Ergänzungsbescheide (§ 179 Abs. 3 AO 1977) - nachgeholt werden müssen. Falls eine solche Entscheidung noch nicht endgültig getroffen worden war, hätte diese abgewartet werden müssen; in jedem Fall war das Verfahren über die Folgebescheide gemäß § 74 FGO so lange auszusetzen, bis endgültig feststand, inwieweit die Zinszahlungen zu den Beteiligungseinkünften der Klägerin gehörten oder nicht (vgl. BFH-Entscheidungen vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 209; vom 12. Oktober 1988 VIII B 117/87, BFH/NV 1989, 446, und vom 28. März 1990 X R 166/87, BFH/NV 1991, 11). Keinesfalls aber durfte das FG diese rechtliche Wertung in einem Verfahren vornehmen, das allein die Rechtmäßigkeit der Folgebescheide zum Gegenstand hat.

Eine eigene Entscheidung ist dem Senat schon deshalb verwehrt, weil das angefochtene Urteil keinerlei Feststellungen zum Regelungsgehalt der Grundlagenbescheide enthält, die es erlauben würden, die von diesen Steuerverwaltungsakten ausgehende Bindungswirkung selbst zu ergründen. Das wird das FG nunmehr im zweiten Rechtsgang nachzuholen und über die Sache unter Beachtung seiner eingeschränkten Prüfungs- und Entscheidungskompetenz erneut zu befinden haben.

Dabei kann es - etwa zum Verständnis der Grundlagenbescheide - erforderlich werden, alle für die streitigen Zahlungen bedeutsamen schriftlichen Verträge beizuziehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417779

BFH/NV 1991, 602

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