Leitsatz (amtlich)

Die gemäß § 191 Abs.1 AO 1977 durch Haftungsbescheid geltend zu machende Haftung erfaßt die steuerlichen Nebenleistungen, wie z.B. Säumniszuschläge (§ 3 Abs.3 AO 1977) auch im Fall der Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB.

 

Orientierungssatz

1. § 191 AO 1977 regelt ausschließlich die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß von Haftungsbescheiden bzw. Duldungsbescheiden und die Form dieser Bescheide. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die zugrunde liegenden Ansprüche sind den gesetzlichen Haftungsvorschriften des Steuerrechts oder des Zivilrechts zu entnehmen (Literatur).

2. NV: Eine unechte Vorgesellschaft ist gegeben, wenn die Gründer einer GmbH von vornherein nicht die Absicht haben, die Eintragung als GmbH in das Handelsregister zu erreichen, oder wenn der vollkaufmännische Geschäftsbetrieb der Gründervereinigung dadurch zum Dauerzustand wird, daß der Eintragungsantrag nicht ernsthaft weiterbetrieben, insbesondere bestehende Eintragungshindernisse nicht beseitigt oder Eintragungsunterlagen nicht unverzüglich beschafft werden, oder wenn der Zweck der Gründervereinigung, die GmbH alsbald zur Entstehung zu bringen, gegenüber dem bereits eröffneten Geschäftsbetrieb in den Hintergrund tritt (vgl. BGH-Urteil vom 7.12.1964 II ZR 248/62; Literatur). Hier: Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB für nicht abgeführte Lohnsteuerabzugsbeträge, weil die Vorgesellschaft, die einen vollkaufmännischen Gewerbebetrieb ausübte, mangels ernsthaften Betreibens der Eintragung ins Handelsregister als GmbH eine Offene Handelsgesellschaft war.

 

Normenkette

AO 1977 § 191 Abs. 1; HGB § 128; AO 1977 § 3 Abs. 3; HGB § 123 Abs. 2; GmbHG § 11

 

Tatbestand

++/ Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) gründete mit notariellem Vertrag vom ... Februar 1978 zusammen mit X die "Y-GmbH". Gegenstand des Unternehmens sollte der Handel mit ... aller sein. Der Geschäftsbetrieb war bereits vor der Vertragsgründung aufgenommen worden. Das Stammkapital der GmbH sollte 200 000 DM betragen, wovon eine Stammeinlage in Höhe von 20 000 DM auf den Kläger entfiel. Als alleiniger Geschäftsführer der GmbH war X (Stammeinlage 180 000 DM) vorgesehen. Der Kläger sollte als Einkäufer für die Gesellschaft tätig sein.

Der Antrag auf Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister wurde am ... Februar 1979 gestellt. Er wurde am ... August 1979 zurückgezogen. Durch Beschluß des Amtsgerichts vom ... September 1979 wurde die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse abgelehnt.

Durch Haftungsbescheid vom 27.Januar 1982 in Form der Einspruchsentscheidung vom 22.Juni 1982 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Kläger für den Haftungszeitraum Mai 1978 bis Februar 1979 mit 9 328,12 DM für Lohnsteuerrückstände der Gesellschaft als Haftungsschuldner in Anspruch. Diesen Haftungsbescheid hat das FA aus formellen Gründen teilweise durch einen am 4.Dezember 1985 --während des Revisionsverfahrens-- erlassenen Haftungsbescheid ersetzt, und zwar für die einbehaltenen, aber nicht an das FA abgeführten Steuerabzugsbeträge für Januar und Februar 1979 in Höhe von Lohnsteuer 5 746,50 DM, römisch-katholische Kirchensteuer 504,30 DM sowie Säumniszuschläge zur Lohnsteuer 57 DM (insgesamt 6 307,80 DM). Der Kläger hat den neuen Haftungsbescheid neben dem Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung, soweit dieser nicht zurückgenommen worden war (Haftungssumme 3 020,32 DM), gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Die mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage hat das FG abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die "Y-GmbH" sei nicht ins Handelsregister eingetragen worden und zwischen den Beteiligten sei zusätzlich streitig, ob ihre Eintragung als GmbH überhaupt ernsthaft betrieben worden bzw. nur aus vom Kläger nicht zu vertretenden Gründen unterblieben sei.

Gehe man davon aus, daß die Handelsregistereintragung der Gesellschaft als GmbH von vornherein nicht ernsthaft beabsichtigt oder betrieben worden ist, so wäre die Gesellschaft trotz des GmbH-Gründungsvertrages vom ... Februar 1978 aufgrund des Rechtsformzwangs als OHG zu behandeln. Den Kläger träfe dann für die streitigen Steuerschulden die unbeschränkte persönliche Gesellschafterhaftung nach § 128 des Handelsgesetzbuches (HGB). Die gleiche Zahlungspflicht träfe den Kläger aber auch dann, wenn die ernsthaft betriebene Eintragung der Gesellschaft als GmbH nur aus von den Gesellschaftern nicht zu vertretenden Gründen unterblieben wäre. Denn nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9.März 1981 II ZR 54/80 (BGHZ 80, 130, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1981, 1373) greife die sog. Differenzhaftung ein. Zugleich erlösche die Haftung der Gründer aus Verbindlichkeiten der Vor-GmbH. Hiernach hätte, da die GmbH-Vorgesellschaft im Streitfall überschuldet gewesen sei, der Kläger im Falle ihrer Eintragung als GmbH seine bereits geleistete Einlage nochmals leisten müssen. Er hafte deshalb auch dem FA gegenüber in Höhe seiner übernommenen Stammeinlage von 20 000 DM weiterhin persönlich. Diese Haftungssumme decke die streitigen Lohnsteuerrückstände ab, selbst wenn in Rechnung gestellt werde, daß noch weitere Haftungsforderungen des FA wegen rückständiger Umsatzsteuer 1978 in Höhe von 2 862,65 DM und Arbeitskammerbeiträgen von 425,19 DM vorlägen.

Mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision beantragt der Kläger, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Er rügt unrichtige Anwendung des geltenden Rechts, insbesondere von § 191 der Reichsabgabenordnung (AO) i.V.m. § 128 HGB.

Hierzu wird ausgeführt: Wenn man davon ausgehe, daß der als alleiniger Geschäftsführer der GmbH vorgesehene Gesellschafter X es unterlassen habe, die Eintragung der GmbH in das Handelsregister ernsthaft zu betreiben, so könne dieser Umstand dem Kläger nicht angelastet werden, weil er hierauf keinen Einfluß gehabt habe. Die überaus starke Position des Mitgesellschafters habe in der vorgesehenen Kapitalbeteiligung (180 000 DM von 200 000 DM Stammkapital) und in der Übertragung der alleinigen Geschäftsführung Ausdruck gefunden. Dagegen sei dem Kläger --bei einer Unterbeteiligung von nur 20 000 DM am Stammkapital der GmbH-- nur die Anstellung als Einkäufer zugedacht gewesen. Bei dieser Sachlage sei die Vorgesellschaft nicht als OHG, sondern allenfalls als KG einzustufen, an welcher der Kläger mit einer Kommanditeinlage von 20 000 DM als Kommanditist beteiligt gewesen sei. Da der Kläger die Kommanditeinlage erbracht habe, komme eine Haftung für die Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft nicht mehr in Betracht (§ 171 Abs.1 Halbsatz 2 HGB).

Gehe man aber davon aus, daß die Eintragung der Vorgesellschaft als GmbH ernsthaft betrieben worden sei, so komme nach der Rechtsprechung des BGH ebenfalls nur eine Haftung in Höhe einer nicht erbrachten Stammeinlage in Betracht. Der Sinn dieser Rechtsprechung bestehe darin, sicherzustellen, daß der GmbH, falls sie zur Eintragung komme, das vorgesehene Stammkapital in vollem Umfang erhalten bleibe. Wenn und insoweit das Stammkapital --wie im Falle des Klägers-- eingezahlt sei, sei eine persönliche Haftung der Gesellschafter gegenüber den Gläubigern der Vorgesellschaft ausgeschlossen.

In jedem Fall --ob nun die Eintragung der GmbH ernsthaft betrieben worden sei oder nicht-- bestehe somit für eine Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner keine Rechtsgrundlage.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. /++

 

Entscheidungsgründe

++/ Die Revision ist unbegründet.

Der Kläger kann sich nicht auf das für Gesellschafter einer Vor-GmbH geltende Haftungsprivileg --Beschränkung der Haftung auf nicht geleistete Einlagen (vgl. Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 14.Aufl., Rdnr.22 zu § 11, m.w.N.)-- berufen, weil es sich im Streitfall um eine sogenannte unechte Vorgesellschaft gehandelt hat.

Eine unechte Vorgesellschaft ist gegeben, wenn die Gründer von vornherein nicht die Absicht haben, die Eintragung als GmbH zu erreichen, oder wenn der vollkaufmännische Geschäftsbetrieb der Gründervereinigung dadurch zum Dauerzustand wird, daß der Eintragungsantrag nicht ernsthaft weiterbetrieben, insbesondere bestehende Eintragungshindernisse nicht beseitigt oder Eintragungsunterlagen nicht unverzüglich beschafft werden, oder wenn der Zweck der Gründervereinigung, die GmbH alsbald zur Entstehung zu bringen, gegenüber dem bereits eröffneten Geschäftsbetrieb in den Hintergrund tritt (vgl. Baumbach/Hueck, a.a.O., Rdnr.28 zu § 11; Bilsdorfer, GmbH-Rundschau --GmbHR-- 1980, 300; Hachenburg/Ulmer, Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 7.Aufl., Anm.14 zu § 11; vgl. auch BGH-Urteil vom 7.Dezember 1964 II ZR 248/62, Wertpapier-Mitteilungen --WM-- 1965, 246).

Die am ... Februar 1978 gegründete Vorgesellschaft hatte die Eintragung in das Handelsregister nicht ernsthaft betrieben. Der Eintragungsantrag wurde erst am ... Februar 1979, fast ein Jahr später gestellt, und zwar zu einer Zeit, als das Unternehmen schon am Ende war. Denn bereits Anfang 1979 wurde nach den Feststellungen des FG der Betrieb eingestellt. Als der Antrag gestellt wurde, bestand wegen der Vermögenslage der Gesellschaft keine Aussicht auf Eintragung. Die Zurücknahme des Eintragungsantrages am ... August 1979 hatte deshalb nur noch formelle Bedeutung. Die Gesellschaft war von Anfang an, d.h. seit dem Abschluß des GmbH-Vertrages vom ... Februar 1978, eine unechte Vorgesellschaft. Diese setzte den schon zuvor ausgeübten vollkaufmännischen Gewerbebetrieb --Ankauf und Verkauf von Waren-- fort. Die Gesellschaft war daher eine OHG (§ 1 Abs.2 Nr.1, § 123 Abs.2 HGB).

Entgegen der Ansicht der Revision können die für Kommanditgesellschaften geltenden Grundsätze keine Anwendung finden.

Die unterschiedliche Höhe der von dem Kläger und X einzubringenden Stammeinlagen in die GmbH (20 000 DM bzw. 180 000 DM) hatte nicht zur Folge, daß sich die Stammeinlage des Klägers mit der Aufgabe des Vertragszwecks in eine Kommanditeinlage i.S. von §§ 161, 171 HGB verwandelte. Auch die in dem Gesellschaftsvertrag vorgesehene, aber mangels Eintragung der GmbH wirkungslos gebliebene Übertragung der alleinigen Geschäftsführung der GmbH auf X war für die Gesellschaftereigenschaft des Klägers als Vollhafter einer OHG ohne Bedeutung (vgl. § 114 Abs.1 und 2 HGB). Schließlich hat der Kläger die Eigenschaft eines Kommanditisten in der Personenhandelsgesellschaft auch nicht dadurch erlangt, daß er bei der GmbH als Einkäufer angestellt werden sollte und offenbar schon im Jahr 1978 als solcher tätig gewesen ist. Denn auch der Gesellschafter einer OHG kann gleichzeitig deren Angestellter sein (vgl. hierzu Baumbach/Duden/Hopt, Handelsgesetzbuch, 27.Aufl., Anm.3 C zu § 110 und Anm.4 D zu § 109).

Die Gesellschafter der OHG haften für die von der Gesellschaft begründeten Verbindlichkeiten unbeschränkt (§ 128 HGB). Das gilt auch für die Verbindlichkeiten der OHG aus deren Haftungsschuld gegenüber dem FA, die durch die Nichtabführung der Lohnsteuer für die in den Jahren 1978 und 1979 gezahlten Löhne entstanden ist (§ 42d des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Das FG hat deshalb die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner im Ergebnis zu Recht bejaht. Die vom FG außerdem geprüfte Frage, ob die Haftung auch nach den von der Rechtsprechung des BGH entwickelten Grundsätzen der sog. Differenzhaftung begründet sei (vgl. BGHZ 80, 130, NJW 1981, 1373 ff.; Baumbach/Hueck, a.a.O., Rdnr.22 zu § 11), stellt sich schon deshalb nicht, weil es nicht zur Eintragung der GmbH gekommen ist. /++

In die Haftung des Klägers als Gesellschafter der OHG einzubeziehen sind auch die Säumniszuschläge. Der gegenteiligen Auffassung im Urteil des Finanzgerichts (FG) Hamburg vom 26.Februar 1982 VI 74/82 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1982, 600) schließt sich der erkennende Senat nicht an. Jene Auffassung folgert aus dem Wortlaut des § 191 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977), der sich nur auf "eine Steuer", nicht aber auf Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und damit auch auf steuerliche Nebenleistungen (vgl. § 37 Abs.1 i.V.m. § 3 Abs.3 AO 1977) bezieht, daß jedenfalls bei der Gesellschafterhaftung nach bürgerlichem Recht --anders als bei der Geschäftsführerhaftung nach § 69 AO 1977 (dort: "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis")-- die Haftung für Säumniszuschläge als steuerliche Nebenleistung (vgl. § 3 Abs.3 AO 1977) nicht durch Haftungsbescheid nach § 191 Abs.1 AO 1977 geltend gemacht werden könne. Dabei wird übersehen, daß § 191 AO 1977 ausschließlich die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß von Haftungs- (bzw. Duldungs-)bescheiden und die Form dieser Bescheide regelt, während die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die zugrunde liegenden Ansprüche den gesetzlichen Haftungsvorschriften des Steuerrechts oder des Zivilrechts (vgl. § 191 Abs.4 AO 1977) zu entnehmen sind (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15.Aufl., Anm.1 zu § 191 AO 1977; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12.Aufl., Tz.3 zu § 191 AO 1977). Geht man aber davon aus, daß es sich bei § 191 AO 1977 ausschließlich um eine Verfahrensvorschrift handelt, so erlaubt der Wortlaut der Vorschrift keinen Rückschluß auf Inhalt und Umfang der Haftungsschuld. Bei dieser Sachlage ist eine Differenzierung zwischen Steuerschulden und Schulden aus steuerlichen Nebenleistungen im Rahmen des § 191 AO 1977 zu vermeiden. Die Verfahrensvorschrift ist hinsichtlich der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners für steuerliche Nebenleistungen auch außerhalb der Fälle der Geschäftsführerhaftung (§ 69 AO) sinngemäß anzuwenden (vgl. Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 3.Aufl., Tz.1 zu § 191; Lippros, Der Betrieb --DB-- 1985, 838, 839; Mösbauer, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1984, 97; Tipke/Kruse, a.a.O.). Da in die Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB sämtliche auf Zahlung gerichteten Verbindlichkeiten der OHG ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund ihrer Entstehung einbezogen sind (vgl. Bandasch, Gemeinschaftskommentar zum HGB, 3.Aufl., Tz.14 zu § 128; Fischer in HGB-Großkommentar, 1973, Anm.14 zu § 128), ist der Haftungsanspruch im Streitfall auch insoweit zu Recht durch Haftungsbescheid geltend gemacht worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61949

BStBl II 1987, 363

BFHE 149, 125

BFHE 1987, 125

BB 1987, 890

BB 1987, 890 (ST)

DStR 1987, 424-425 (ST)

HFR 1987, 337-337 (ST)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge