Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung, Gewerbesteuer, Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Gegen Bescheide, durch die ein Antrag auf änderung des Gewerbesteuermeßbescheides nach § 35 b GewStG abgelehnt wird, ist das Berufungsverfahren gegeben.

Steuerpflichtige, die während des Bestehens des Betriebes ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt haben, sind bei der Veräußerung des Betriebes so zu behandeln, als seien sie im Augenblick der Veräußerung zunächst zum Vermögensvergleich übergegangen. Die wegen dieses überganges erforderlichen Zu- und Abrechnungen (Abschn. 19 Abs. 1 EStR 1955 und Anlage 2 dieser Richtlinien) sind beim laufenden Gewinn und nicht beim Veräußerungsgewinn zu berücksichtigen.

 

Normenkette

AO §§ 228, 235 Nr. 1; GewStG § 35b; EStG § 4 Abs. 1, 3, § 16; EStR Abschn. 19

 

Tatbestand

Die Bfin. hat in Berlin (West) einen Gewerbebetrieb unterhalten. Mit Wirkung vom 1. November 1955 hat sie diesen an ihren Sohn verkauft. Die Bfin. hat ihren Gewinn durch Einnahme- Ausgaberechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt. In der beim Betriebsfinanzamt eingereichten Gewinn- und Gewerbesteuererklärung hat sie den Gewinn für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober 1955 mit 10 477 DM angegeben und der Erklärung eine dementsprechende Aufstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben beigefügt. Das Betriebsfinanzamt hat im Mai 1956 unter Zugrundelegung des angegebenen Gewinnes einen Gewerbesteuermeßbescheid und Gewerbesteuerbescheid an die Bfin. erlassen und, da diese im Bezirk eines anderen Westberliner Finanzamts wohnte, zugleich für Zwecke der Einkommensteuer eine gesonderte Gewinnfeststellung nach § 6 der Verordnung über die Zuständigkeit im Besteuerungsverfahren vom 3. Januar 1944 (RGBl 1944 I S. 11) vorgenommen. Das Wohnsitzfinanzamt hat die Bfin. unter übernahme der gesonderten Feststellung mit Bescheid vom 3. April 1957 für 1955 zur Einkommensteuer veranlagt.

Im Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid hat die Bfin. geltend gemacht, der Gewinn aus Gewerbebetrieb für 1955 betrage nur 6382 DM. Da sie eine überschußrechnung aufgestellt habe, sei bei der Betriebsveräußerung an ihren Sohn eine Abgrenzung der noch nachfolgenden Betriebsausgaben übersehen worden; die Einnahme-Ausgaberechnung habe sie inzwischen entsprechend berichtigt. Einen gesonderten Gewinnfeststellungsbescheid habe sie vom Betriebsfinanzamt nicht erhalten. Der Steuerausschuß hat den Einspruch unter Bezugnahme auf § 232 Abs. 2 AO als unzulässig verworfen. Mit der Berufung hiergegen hat die Bfin. vorgebracht, diese Vorschrift komme nicht zur Anwendung, da ihr, wie ausgeführt, kein Gewinnfeststellungsbescheid zugegangen sei. Das Wohnsitzfinanzamt hat daraufhin die Einkommensteuerveranlagung 1955 der Bfin. entsprechend ihrem Antrag gemäß § 94 AO unter Zugrundelegung eines gewerblichen Gewinnes von 6382 DM berichtigt. In einem Aktenvermerk ist hierbei festgestellt, daß § 6 der Verordnung vom 3. Januar 1944 für Berlin nicht mehr anwendbar sei.

Nachdem hinsichtlich der rechtskräftigen Gewerbesteuerveranlagung ein zunächst von der Bfin. gestellter Antrag auf Fehleraufdeckung und Vornahme einer Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO keinen Erfolg gehabt hatte, hat die Bfin. nach durchgeführter Berichtigung der Einkommensteuerveranlagung durch das Wohnsitzfinanzamt beim Betriebsfinanzamt beantragt, den Gewerbesteuermeßbescheid und Gewerbesteuerbescheid 1955 gemäß § 35b GewStG 1955 entsprechend zu ändern. Das Betriebsfinanzamt hat den Antrag abgelehnt. Die geltend gemachte Gewinnminderung beruhe nach ausdrücklicher Erklärung der Bfin. darauf, daß Betriebsausgaben in Höhe von rund 4095 DM in der Zeit vom 1. November bis 31. Dezember 1955, also nach Veräußerung des Betriebes, gezahlt worden seien. Der Einkommensteuerbescheid 1955 sei zwar geändert worden. Die änderung berühre auch die Höhe des Gewinns aus Gewerbebetrieb. Die Gewinnänderung beeinflusse aber nicht, wie dies nach § 35b Abs. 1 Satz 2 GewStG 1955 erforderlich sei, die Höhe des Gewerbeertrages. Der Betrieb der Bfin. gelte gemäß § 5 Abs. 2 GewStG 1955 als am 31. Oktober 1955 eingestellt. Die Gewerbesteuerpflicht sei nach § 14 Abs. 2 GewStG 1955 mit diesem Tag weggefallen. Der Erhebungszeitraum für die Gewerbesteuer 1955 sei daher vom 1. Januar bis 31. Oktober 1955 gelaufen. Für diesen seien auch der Gewinn und der Gewerbeertrag zu ermitteln. Der überschuß der in diesem Erhebungszeitraum erzielten Betriebseinnahmen über die in diesem Zeitraum tatsächlich geleisteten Betriebsausgaben betrage unbestritten 10 477 DM. Ein Ansatz von Abgrenzungsposten sei bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG 1955 nicht vorgesehen und deshalb ausgeschlossen. Zu- oder Abschläge seien für die Erhebungszeiträume bis einschließlich 1954 nicht vorgenommen worden und daher im Erhebungszeitraum 1955 auch nicht aufzulösen (§ 8 EStDV 1955).

Die gegen den Ablehnungsbescheid von der Bfin. eingelegte Sprungberufung ist vom Verwaltungsgericht als unzulässig verworfen worden. Da das Betriebsfinanzamt eine gesonderte Gewinnfeststellung vorgenommen habe, setze die Anwendung des § 35b GewStG 1955 die änderung des Gewinnfeststellungsbescheides voraus; eine solche sei bisher nicht erfolgt. Aber auch sachlich könnte die Berufung keinen Erfolg haben, da den Gründen des Ablehnungsbescheides beizutreten sei. Auch im Schrifttum und in der Rechtsprechung werde die Auffassung vertreten, daß Einkünfte aus Gewerbebetrieb einkommensteuerlich noch erfaßt werden könnten, ohne daß ein Gewerbebetrieb bestehe, z. B. bei Einkünften aus einer früheren gewerblichen Tätigkeit. Nichts anderes könne aber für die Ausgaben gelten.

Mit der Rb. hat die Bfin. vorgebracht, daß Verwaltungsgericht habe zu Unrecht auf den Gewinnfeststellungsbescheid abgestellt, da sie diesen, wie von ihr wiederholt vorgetragen worden sei, nie erhalten habe. Wesentlich sei, daß der Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid vom Wohnsitzfinanzamt durch änderung des Bescheides nach § 94 AO stattgegeben worden sei, wobei es sich auch hier lediglich um den Gewinn aus Gewerbebetrieb für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Oktober 1955 gehandelt habe. Demzufolge müsse die Vorschrift des § 35b GewStG 1955 zur Anwendung kommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:

Zunächst ist festzustellen, daß die Sprungberufung der Bfin. gegen den Ablehnungsbescheid des Finanzamts nach § 235 Ziff. 1 AO zulässig war. Wenn auch in dieser Vorschrift § 35 b GewStG nicht besonders aufgeführt ist, so greift doch § 235 Ziff. 1 AO seinem Sinn und Zweck nach in allen Fällen Platz, in denen der Steuerpflichtige die Anwendung einer Vorschrift begehrt, die ihm ein Recht auf Berichtigung einer Veranlagung zu seinen Gunsten gewährt (vgl. Berger, Die Reichsabgabenordnung nach ihren Schwerpunkten für die Praxis, Anm. 2 zu § 235 Ziff. 1, S. 282). Dazu gehört auch § 35 b GewStG. Das Verwaltungsgericht hätte daher die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen; vielmehr hätte es, wenn es zu dem Ergebnis kam, daß die Voraussetzungen einer Berichtigung nach der genannten Bestimmung nicht gegeben waren, die Berufung als unbegründet zurückweisen müssen.

Nach § 35 b Abs. 1 GewStG 1955 ist der Gewerbesteuermeßbescheid von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen, wenn der Einkommensteuerbescheid, der Körperschaftsteuerbescheid oder ein Feststellungsbescheid geändert wird und die änderung die Höhe des Gewinns aus Gewerbebetrieb oder des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs berührt. Die änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb oder des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs ist in dem neuen Gewerbesteuermeßbescheid insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrags oder des Gewerbekapitals beeinflußt. Im vorliegenden Fall ist die änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb unmittelbar vom Wohnsitzfinanzamt im Einkommensteuerveranlagungsverfahren und nicht vom Betriebsfinanzamt im Verfahren der gesonderten Gewinnfeststellung durchgeführt worden. Dieser Umstand erscheint dem Senat für die Frage der Anwendbarkeit des § 35 b GewStG nicht wesentlich. Denn jedenfalls wäre die Berichtigung durch das Wohnsitzfinanzamt auch bei Bejahung der Anwendbarkeit des § 6 der Verordnung vom 3. Januar 1944 wegen der hier durch die besonderen Verhältnisse bei den Beteiligten vorhanden gewesenen Ungewißheit hinsichtlich der Rechtswirksamkeit des gesonderten Gewinnfeststellungsbescheides nicht rechtsunwirksam (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs I 221/55 U vom 3. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 308, Slg. Bd. 63 S. 288).

Für die Entscheidung des Falles kommt es somit darauf an, ob durch die änderung des Einkommensteuerbescheides nicht nur die Höhe des Gewinns aus Gewerbebetrieb berührt, sondern auch die Höhe des Gewerbeertrags beeinflußt worden ist. Die Vorinstanzen haben letzteres mit der Begründung verneint, daß im Hinblick auf die Art der Gewinnermittlung die nachträglich gezahlten Betriebsausgaben zwar beim einkommensteuerlichen Gewinn für das Kalenderjahr 1955, nicht mehr aber beim Gewerbeertrag für den Erhebungszeitraum vom 1. Januar bis 31. Oktober 1955 berücksichtigt werden könnten. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Da es sich um das letzte Geschäftsjahr vor der Betriebsveräußerung handelt und das Ende dieses Geschäftsjahres mit dem Veräußerungszeitpunkt zusammenfällt, ist gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG auf diesen Zeitpunkt eine Ermittlung des Betriebsvermögens nach § 4 Abs. 1 EStG vorzunehmen (vgl. das Urteil des Senats IV 221/53 U vom 6. Mai 1954, BStBl 1954 III S. 197, Slg. Bd. 58 S. 745). Dabei muß für Steuerpflichtige, die während des Bestehens des Betriebes ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt haben, die überlegung Platz greifen, daß die genannte Vorschrift nur eine vereinfachte Form der Ermittlung des laufenden Gewinns schafft, aber den Grundsatz des § 4 Abs. 1 EStG nicht durchbrechen soll, daß während der ganzen Zeit des Bestehens des Betriebes der Unterschied zwischen dem Anfangs- und dem Endvermögen besteuert werden soll. Zu berücksichtigen ist hierbei, daß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG als Gewinn den Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahrs und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen bestimmt, während nach Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift Steuerpflichtige, die nicht auf Grund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, und die auch keine Bücher führen und keine Abschlüsse machen, als Gewinn den überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen können. § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG will also nach seinem Wortlaut keinen abweichenden Gewinnbegriff aufstellen, sondern lediglich eine Erleichterung in der Gewinnermittlung schaffen. So auch Littmann (Das Einkommensteuer-Recht, 6. Aufl., §§ 4, 5 Tz. 360), der mit Recht hervorhebt, daß dieser Grundgedanke bei der Frage der Anwendbarkeit dieser Gewinnermittlungsart sowie bei ihrer Durchführung stets beachtet werden muß. Im ganzen und auf die Dauer gesehen muß daher die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zu demselben Gesamtergebnis führen wie der Vermögensvergleich (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs I 35/57 S vom 17. Mai 1960, BStBl 1960 III S. 306, besonders S. 308, Slg. Bd. 71 S. 151).

Unter Beachtung dieser Grundgedanken ordnen die EStR (vgl. Abschn. 19 Abs. 1 EStR 1955 und Anlage 2 dieser Richtlinien) für weiterbestehende Betriebe an, daß bei dem Wechsel in der Gewinnermittlungsart (übergang von der Einnahmeüberschußrechnung zum Bestandsvergleich) bestimmte Zu- und Abrechnungen vorzunehmen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, daß bei veräußerten Betrieben diese zur Erzielung des richtigen Gesamtergebnisses erforderlichen Zu- und Abrechnungen - anders als bei weiterbestehenden Betrieben - nur bei der Ermittlung des Gewinns für das letzte, der Veräußerung vorangegangene Jahr vorgenommen werden können. Im übrigen sind diese Korrekturen, da sie die Ermittlung des Betriebsergebnisses während des Bestehens des Betriebes betreffen, beim laufenden Gewinn und nicht beim Veräußerungsgewinn zu berücksichtigen (vgl. Littmann, Das Einkommensteuer-Recht, 6. Aufl., §§ 4, 5 Tz. 389; Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., § 16, Anm. 6, S. 1111; Herrmann- Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 9. Aufl., Anm. 29 zu § 16 EStG). Dazu gehören auch Zu- und Abrechnungen, die der Rechnungsabgrenzung dienen (vgl. die angeführte Anlage 2 letzter Abs. der EStR 1955). Es sind deshalb Betriebsausgaben, die das letzte Geschäftsjahr vor der Veräußerung betreffen, aber erst nach dessen Ablauf gezahlt werden, durch eine Abrechnung beim laufenden Gewinn dieses Geschäftsjahres zu berücksichtigen.

Um solche Ausgaben handelt es sich unstreitig bei dem nachträglich gezahlten Betrag von 4095 DM, der, wie die Akten ersehen lassen, auf Betriebssteuern (Umsatz-, Gewerbe- und Lohnsummensteuer), Sozialabgaben und Gemeinkosten entfällt. Daß das Wohnsitzfinanzamt mit dem Betrag von (10 477 ./. 4095 =) 6382 DM den einkommensteuerlichen Gewinn für das Geschäftsjahr vom 1. Januar bis 31. Oktober 1955 hat feststellen wollen und festgestellt hat, ergibt sich aus seinem Schreiben an das Betriebsfinanzamt vom 20. Februar 1959, worin ausgeführt wird: "Der mit unserem Schreiben vom 2. 2. 1959 mitgeteilte Gewinn bezieht sich auf den Zeitraum vom 1. 1. bis 31. 10. 1955. Die Voraussetzungen des § 35 b GewStG sind somit für den festgestellten Gewinn in Höhe von 6382 DM gegeben".

Nach alledem stellt der Betrag von 6382 DM als laufender Gewinn des letzten Geschäftsjahres nicht nur den einkommensteuerlichen Gewinn, sondern gemäß § 7 GewStG auch den Gewerbeertrag für das letzte Geschäftsjahr dar. Hinzurechnungen nach § 8 GewStG kommen bei der Art der Betriebsausgaben unstreitig nicht in Betracht.

Die Vorentscheidung und der Ablehnungsbescheid des Betriebsfinanzamts waren daher wegen Rechtsirrtums aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410291

BStBl III 1962, 199

BFHE 1962, 535

BFHE 74, 535

BB 1962, 400

DB 1962, 559

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