Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbliche Einkünfte von Miterben; gesonderte Feststellung dieser Einkünfte

 

Leitsatz (NV)

Gehört ein Gewerbebetrieb zum Nachlaß, so erzielen bei längerem Fortbestand der Erbengemeinschaft alle Miterben Einkünfte aus Gewerbebetrieb, auch wenn sie keine Mitunternehmer i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG sind.

Diese Einkünfte sind gesondert festzustellen.

Klagt ein Miterbe gegen den Einkommensteuerbescheid, so darf das FG diesen nicht mit der Begründung aufheben, die gesonderte Feststellung der Einkünfte der Miterben sei noch nicht durchgeführt worden.

 

Normenkette

AO 1977 § 180 Abs. 1; EStG § 15

 

Tatbestand

Der Ehemann der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) betrieb eine Apotheke. Nach seinem Tode am . . . 1969 wurde er im Wege der gesetzlichen Erbfolge von der Klägerin zu 1/2 und von seinen drei Kindern zu je 1/6 beerbt. Die Klägerin, die die Approbation besitzt, führte aufgrund einer besonderen Erlaubnis der zuständigen Bezirksregierung die Apotheke fort. Die Apotheke sollte später der 1951 geborene Sohn, der Pharmazie studierte, übernehmen. Den beiden 1952 und 1953 geborenen Töchtern zahlte die Klägerin am 9. Oktober 1978 je 45 000 DM aus. Außer der Apotheke ist noch weiterer Nachlaß vorhanden.

Die Klägerin war der Meinung, daß ihre Kinder am Kapital der Apotheke still beteiligt seien und sie seit 30. September 1969 Anspruch auf Zahlung von Zinsen gehabt hätten. Deshalb minderte die Klägerin den Gewinn zum 30. September 1975 - sie ermittelte den Gewinn nach einem jeweils zum 30. September endenden abweichenden Wirtschaftsjahr - in Höhe von 31 932 DM, und zwar durch Bildung einer Rückstellung ,,außerhalb der Bilanz". In Erfüllung dieser Verpflichtung zahlte die Klägerin am 23. Juli 1976 je 10 000 DM an jedes Kind; von diesem Betrag kaufte sie für ihre Kinder Wertpapiere. In den Streitjahren 1976 und 1977 minderte die Klägerin die Gewinne um weitere Zinszahlungsverpflichtungen in Höhe von je 5 322 DM.

Nach einer Betriebsprüfung für die Jahre 1976 bis 1978 vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, daß aus apothekenrechtlichen Gründen nur die Klägerin die Apotheke habe führen dürfen und daß sie sie auch tatsächlich allein betrieben habe. Die angeblich 1975 mit den Kindern getroffene Vereinbarung über eine stille Beteiligung sei einkommensteuerrechtlich nicht anzuerkennen, denn es habe sich insoweit um den Teil einer Erbauseinandersetzung gehandelt. Die 1975 gebildete Rückstellung in Höhe von 31 932 DM könne auch noch nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1975 in den Folgejahren ertragswirksam aufgelöst werden; ferner seien die in den Streitjahren gebildeten Rückstellungen von je 5 322 DM gewinnerhöhend aufzulösen. Dementsprechend erließ das FA geänderte Einkommensteuerbescheide 1976 und 1977.

Auf die Sprungklage, mit der die Klägerin geltend machte, ihre Kinder seien kraft der gesetzlichen Erbfolge zu 1/6 Anteilen Mitinhaber des Betriebs der Apotheke gewesen - und zwar in Form stiller Gesellschafter -, hob das Finanzgericht (FG) die Einkommensteuerbescheide 1976 und 1977 auf. Sie hätten nicht ergehen dürfen, bevor nicht die Gewinne, an denen die Klägerin und ihre Kinder aufgrund ihrer Miterbenstellung beteiligt gewesen seien, durch gesonderte Bescheide festgestellt worden seien.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung der Grundsätze des rechtlichen Gehörs und der Rechtsnormen der §§ 5 und 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie des § 180 der Abgabenordnung (AO 1977).

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Das FG-Urteil war aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

1. Das FG ist im angefochtenen Urteil von dem zwischen den Beteiligten unstreitigen Sachverhalt ausgegangen, daß die Erbengemeinschaft zwischen der Klägerin und ihren drei Kindern nicht durch eine Erbauseiandersetzung aufgelöst worden ist, und hat deshalb angenommen, daß die Gewinne aus dem Betrieb der Apotheke in den Streitjahren 1976 und 1977 den Miterben steuerrechtlich zuzurechnen sind. Diese Entscheidung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist dem FG darin zuzustimmen, daß der Bezug gemeinschaftlicher gewerblicher Einkünfte der Miterben bei längerem Fortbestand der Erbengemeinschaft nicht davon abhängig ist, daß die (einzelne) Miterben als Mitunternehmer i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusehen sind (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Januar 1978 IV R 5/75, BFHE 124, 436, BStBl II 1978, 333). Dies hat seinen Grund darin, daß die Miterben in die Rechtsstellung des Erblassers eintreten und der Erbengemeinschaft die Erträge des Nachlasses, zu denen grundsätzlich auch die Gewinne eines gewerblichen Unternehmens gehören, bis zur Auseinandersetzung zufließen, und zwar einkommensteuerrechtlich in der aus der Person des Erblassers abzuleitenden Qualifikation als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Für die anteilige einkommensteuerrechtliche Zurechnung bestimmter Erträge des Nachlasses als Einkünfte aus Gewerbebetrieb aller Miterben genügt es, daß die Gewinne des zum Nachlaß gehörigen gewerblichen Unternehmens (ganz oder teilweise) der Erbengemeinschaft zufließen und daran alle Miterben tatsächlich teilhaben, sei es auch erst im Rahmen einer vergleichsweisen Auseinandersetzung (BFHE 124, 436, BStBl II 1978, 333, m. w. N.). An der gemeinschaftlichen Beteiligung der Miterben an den Gewinnen aus dem Betrieb der Apotheke wird auch durch den Umstand nichts geändert, daß die Apotheke nach apothekenrechtlichen Vorschriften nicht in Form einer Personengesellschaft betrieben werden darf.

Damit sind - wie das FG zutreffend entschieden hat - die Voraussetzungen des § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 erfüllt; das FA muß nach dieser Vorschrift die Gewinne aus dem Betrieb der Apotheke einheitlich und gesondert feststellen. In diesem Verfahren ist zu entscheiden, in welchem Umfang die Miterben an den Einkünften beteiligt sind. Sind sie keine Mitunternehmer, so bestimmt das Ausmaß der tatsächlichen Teilhabe an den Gewinnen den Umfang der einkommensteuerrechtlichen Zurechnung von Gewinnanteilen bei den einzelnen Miterben; denn grundsätzlich braucht kein Steuerpflichtiger ein Einkommen zu versteuern, das tatsächlich nicht ihm, sondern einem anderen zugeflossen ist (BFHE 124, 436, BStBl II 1978, 333, m. w. N.).

2. Der Senat kann dem FG jedoch nicht insoweit beipflichten, als es wegen des Fehlens der Grundlagenbescheide die strittigen Einkommensteuerbescheide 1976 und 1977 aufgehoben hat. Dabei kann der Senat offenlassen, ob er sich der auf das Urteil des I. Senats des BFH vom 17. Mai 1978 I R 50/77 (BFHE 125, 423, BStBl II 1978, 579) gestützten Ansicht des FG, daß ein Folgebescheid nur ergehen darf, nachdem der in ihm zu berücksichtigende Grundlagenbescheid erlassen worden ist, oder der davon abweichenden Auffassung des IV. Senats im Beschluß vom 19. Oktober 1978 IV B 34/77 (BFHE 125, 510, BStBl II 1978, 632) anschließt. Denn nach § 155 Abs. 2 AO 1977 i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 20. August 1980 (BGBl I 1980, 1545, BStBl I 1980, 589) kann ein Steuerbescheid (Folgebescheid) schon dann erteilt werden, wenn ein in ihm zu beachtender Grundlagenbescheid noch nicht erlassen worden ist. Solche Änderungen auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrensrechts sind auch dann in gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen, wenn - wie im Streitfall - der Verwaltungsakt vor Inkrafttreten dieser Vorschriften ergangen ist (BFH-Beschluß vom 24. Februar 1981 VIII B 14/78, BFHE 132, 402, BStBl II 1981, 416). Dies ergibt sich aus dem Grundsatz, daß neues Verfahrensrecht auch für schwebende Verfahren gilt, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vorgeschrieben ist, und dem Grundsatz der Prozeßökonomie (BFH-Urteil vom 8. Februar 1977 VIII R 50/74, BFHE 121, 379, BStBl II 1977, 516). Diese Ansicht entspricht weiter auch der neueren Richtung in der Rechtsprechung, für die Frage, ob ein Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht, nicht auf eine fehlerhafte Beurteilung durch das Gericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung abzustellen, sondern darauf, ob das Urteil im Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts mit dem Gesetz objektiv im Einklang steht (BFHE 121, 379, BStBl II 1977, 516, m. w. N.).

Das FA hat somit die Einkommensteuerbescheide 1976 und 1977 zu Recht erlassen; das FG durfte sie nicht aus den von ihm festgestellten Gründen aufheben. Das angefochtene Urteil konnte deshalb keinen Bestand haben.

Aus diesem Grunde brauchte der Senat auf die übrigen Revisionsrügen nicht einzugehen.

3. Die Sache wird, da sie nicht entscheidungsreif ist, an das FG zurückverwiesen. Das FG hat das Verfahren nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen und seiner späteren Entscheidung das Ergebnis des noch durchzuführenden Verfahrens der gesonderten Feststellung der gewerblichen Einkünfte der Klägerin und der übrigen Miterben zugrunde zu legen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 3. Februar 1976 VIII R 29/71, BFHE 108, 135, BStBl II 1976, 396).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414759

BFH/NV 1987, 240

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