Leitsatz (amtlich)

Die Befreiungsvorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Niedersächsischen GrEAgrG ist auch dann anwendbar, wenn der Erwerber im Zeitpunkt des Aufstockungserwerbs von seiner Mutter bereits einen Hof durch notariell beurkundeten Übergabevertrag unter Auflassungserklärung erworben und dabei eine unmittelbar zum bürgerlich-rechtlichen Eigentum führende, diesem nach den besonderen Umständen nahekommende Stellung erhalten hat.

 

Normenkette

Niedersächsisches GrEAgrG vom 25. März 1959 (GVBl S. 57) § 1 Abs. 1 Nr. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein Landwirt erwarb durch notariell beurkundeten, am 21. April 1970 vom Landwirtschaftsgericht genehmigten "Hofübergabevertrag" vom 25. Oktober 1969 von seiner Mutter deren Hof mit allem Wirtschaftsinventar, allen Erntevorräten, Hausmobiliar usw. und ein noch dazugehöriges Grundstück. Gleichzeitig erklärten die Vertragschließenden die Auflassung. Mit der Auflassung übernahm der Kläger den Hof in Bewirtschaftung und Eigenbesitz. Am 15. Juni 1970 wurde der Kläger als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.

Durch notariell beurkundeten, am 5. Mai 1970 genehmigten Kaufvertrag vom 20. April 1970 erwarb der Kläger von einem Landwirt zwei Flurstücke mit Nutzung ab 1. Mai 1970. Das FA (Beklagter und Revisionskläger) vertrat unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH vom 26. Juni 1963 II 176/62 U (BFHE 77, 243, BStBl III 1963, 407) die Auffassung, daß die beantragte Steuerbefreiung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Niedersächsischen Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe vom 25. März 1959 - GrEAgrG - (GVBl 1959, 57) nicht in Betracht komme, da der Kläger im Zeitpunkt des Erwerbs der Grundstücke noch nicht als Eigentümer des Hofes im Grundbuch eingetragen war.

Nach erfolglosem Einspruch gegen die Steuerfestsetzung machte der Kläger mit der Klage geltend, daß er am 5. Mai 1970 bereits wirtschaftlicher Eigentümer des Hofes gewesen sei. Das FA selbst habe den Hof in einem Einheitswertbescheid ihm ab 1. Januar 1970 zugerechnet.

Nachdem das Kulturamt die Zweckdienlichkeit des Erwerbs bescheinigt hatte, gab das FG der Klage statt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist nicht begründet.

Der Senat hat allerdings mehrfach - und zwar nicht nur zu § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEAgrG -, worauf das FA im Grundsatz zutreffend hinweist, sondern ausdrücklich oder dies stillschweigend voraussetzend auch zu Nr. 1 dieses Gesetzes die Auffassung vertreten, diese Befreiungsvorschriften setzten voraus, daß der Erwerber im maßgebenden Zeitpunkt (des Erwerbs bzw. der Entstehung der Steuerschuld) bereits (im bürgerlich-rechtlichen Sinn) Eigentümer von Grundstücken seines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes sein muß (vgl. außer dem Urteil vom 26. Juni 1963 II 176/62 U die Urteile vom 26. Juni 1963 II 22/63 U, BFHE 77, 245, 248, BStBl III 1963, 408; vom 3. Juli 1963 II 100/62 U, BFHE 77, 384, 386, BStBl III 1963, 461; auch vom 28. April 1970 II 56/65, BFHE 99, 255, 257, BStBl II 1970, 597; vgl. auch zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Nordrhein-Westfälischen GrEStAgrG vom 29. März 1966, GVBl 1966, 140, das Urteil des FG Düsseldorf vom 30. März 1971 VI 86/67 Verk, DStZ, B 1971, 191 f.).

An dieser Auffassung hält der Senat für den Regelfall fest.

Zwar enthält - wie das FG richtig bemerkt - der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEAgrG nicht den Begriff "Eigentümer" oder einen entsprechenden Ausdruck. Andererseits setzt die "Aufstockung" eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs voraus, daß dem "aufstockenden" Erwerber bereits Grundstücke gehören, damit er seinen Betrieb überhaupt aufstocken kann. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird bestätigt durch den Zweck dieses Gesetzes, dessen Name, Entstehungsgeschichte und alle seine Tatbestände erkennbar die Tendenz zeigen, den "Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe" (so die Überschrift des Gesetzes) von der Grunderwerbsteuer zu entlasten. Hierdurch sollte die Eigeninitiative der Landwirte zur "privaten Flurbereinigung" angeregt werden (Begründung zur Gesetzesvorlage, Niedersächsischer Landtag, III. Wahlperiode, Landtags-Drucksache Nr. 1070 S. 4369, 4370; Sitzungsprotokoll der 81. Sitzung vom 5. März 1959 S. 4552, 4554). Eine solche auch private, aber objektive "Flurbereinigung" (vgl. § 1 des Flurbereinigungsgesetzes - FlurbG - vom 14. Juli 1953, BGBl I, 591) kann aber grundsätzlich nur durch Teilnehmer durchgeführt werden, die bereits Eigentümer von Grundstücken sind (vgl. § 2 Abs. 1, § 10 Nr. 1, § 16 FlurbG).

Gleichwohl erscheint eine ergänzende Erweiterung dieser Grundsätze wenigstens dann gerechtfertigt und geboten, wenn die Beteiligten eine mit der tatsächlichen Durchführung übereinstimmende Vertragsgestaltung getroffen haben, die unmittelbar zum bürgerlich-rechtlichen Eigentum führt und dabei dem Erwerber bereits eine Stellung einräumt, die jedenfalls unter Berücksichtigung des besonderen und objektiven (sachbezogenen) Zwecks des Niedersächsischen Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (im Falle des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEAgrG: der Aufstockung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs) der des Eigentümers im bürgerlich-rechtlichen Sinne nahekommt. Das ist unter Würdigung aller zusammentreffenden besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles zu bejahen.

Nach den mit der Revision nicht angegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des FG war am 5. Mai 1970, dem Tag der Genehmigung des Grundstückserwerbs, der Hofübergabevertrag bereits landwirtschaftsgerichtlich genehmigt. Es fehlte zum Erwerb des Eigentums am Hof der Mutter nur noch die - bereits einen Monat später erfolgte - Grundbuchumschreibung, auf deren zeitliche Vornahme die Vertragschließenden keinen entscheidenden Einfluß hatten. Entgegen der Meinung des FA sind angesichts der engen verwandtschaftlichen Bande zwischen Mutter und Sohn für die hier maßgebenden rechtlichen Erwägungen zu § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEAgrG außergewöhnliche Möglichkeiten, wie Erfüllungsverzug oder verspätete Zahlung der Gerichtskosten, außer Betracht zu lassen. Die Vertragschließenden hatten bereits im Hofübergabevertrag selbst auch die Auflassung erklärt und damit in rechtlicher Beziehung alles ihrerseits Erforderliche zum Vollzug des Eigentumsüberganges auf den Kläger getan. Außerdem hatte der Kläger bereits am 25. Oktober 1969 den Hof in Eigenbesitz und eigene Bewirtschaftung übernommen.

Angesichts dieser engen persönlichen und sachbezogenen Bindungen war der landwirtschaftliche Betrieb jedenfalls für Zwecke des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEAgrG bereits am 5. Mai 1970 als ein solcher des Klägers anzusehen. Es entspricht dem Zweck des Gesetzes, wenn auch noch derjenige Erwerber begünstigt wird, der in einer dem bürgerlich-rechtlichen Eigentümer nahekommenden Stellung Maßnahmen zur Aufstockung "seines" ihm bereits aufgelassenen und von ihm in Besitz und Bewirtschaftung genommenen Betriebes trifft.

Da nach den Ausführungen des FG unstreitig die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEAgrG vorliegen und auch die gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift erforderliche Zweckdienlichkeitsbescheinigung erteilt ist, hat das FG unter zutreffender Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEAgrG den angefochtenen Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70560

BStBl II 1973, 763

BFHE 1974, 62

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