Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumung der Klagefrist - von Amts wegen zu beachten

 

Leitsatz (NV)

1. Die Einhaltung der Klagefrist ist als Prozeßvoraussetzung von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens und damit auch vom Revisionsgericht zu überprüfen.

2. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

 

Normenkette

FGO § 47 Abs. 1 S. 1, § 56

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm ihn durch Haftungsbescheid vom 14. Dezember 1973 gemäß §§ 103, 109 der Reichsabgabenordnung (AO) wegen von der GmbH nicht abgeführter Lohnsteuer, Kirchensteuer, Ergänzungsabgabe, Stabilitätszuschlägen und wegen Säumniszuschlägen in Anspruch. Der Einspruch des Klägers blieb im wesentlichen erfolglos. Die Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 1974 wurde den Bevollmächtigten des Klägers durch die Post mit Zustellungsurkunde vom 12. Juni 1974 zugestellt.

Mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 15. Juli 1974, der ausweislich des Posteingangsstempels am selben Tage beim Finanzgericht (FG) einging, erhob der Kläger Klage. Das FG hob durch Urteil den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf, weil es das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der Nichtabführung der Steuerabzugsbeträge als entschuldigt ansah.

Mit der Revision rügt das FA, daß das angefochtene Urteil auf einer Verletzung der §§ 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO), 109 AO beruhe. Das FG sei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen und habe deshalb das Verschulden des Klägers bei der Verletzung der ihm auferlegten steuerlichen Verpflichtungen verkannt.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA hat aus anderen als den mit der Revision vorgebrachten Gründen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Die Klage ist unzulässig, weil der Kläger die Klagefrist versäumt hat. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Im Streitfall ist die Einspruchsentscheidung des FA den Bevollmächtigten des Klägers am 12. Juni 1974 zugestellt worden. Die Klagefrist begann demnach am 13. Juni 1974 und endete mit Ablauf des 12. Juli 1974 - einem Freitag - (§ 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 erste Alternative des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Sie war im Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift beim FG am 15. Juli 1974 bereits abgelaufen. Das FG hätte deshalb die Klage durch Prozeßurteil abweisen müssen, da es Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) wegen Versäumung der Klagefrist nicht festgestellt hat.

Das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen, zu denen auch die Einhaltung der Klagefrist gehört, ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens und damit auch vom Revisionsgericht zu überprüfen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat deshalb die damit zusammenhängenden, sich aus den Akten ergebenden Prozeßtatsachen auch ohne entsprechende Revisionsrüge zu beachten, selbständig zu ermitteln und zu würdigen (Urteil vom 7. Dezember 1977 II R 96/75, BFHE 123, 437, 440, 441, BStBl II 1978, 70; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Anm. 9 C a) mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung).

Wegen der Versäumung der Klagefrist kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht. Hierfür scheidet eine vom Kläger nicht zu vertretende Verzögerung durch die Post bei der Übermittlung des Klageschriftsatzes schon deshalb aus, weil die Klageschrift nach dem in ihr ausgewiesenen Datum erst am 15. Juli 1974 - und damit nach Fristablauf - gefertigt worden ist. Eine Wiedereinsetzung muß im übrigen schon deshalb scheitern, weil sie nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist nicht mehr beantragt oder ohne Antrag bewilligt werden kann (§ 56 Abs. 3 FGO).

Die Klage ist spruchreif, da auf die verspätete Klage ein Sachurteil nicht ergehen kann. Der erkennende Senat entscheidet nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO selbst, indem er unter Aufhebung des Urteils des FG die Klage abweist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413926

BFH/NV 1987, 304

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