Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer Sonstiges Handelsrecht Gesellschaftsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Organschaftsverhältnisses zwischen zwei Genossenschaften.

 

Normenkette

UStG § 2 Abs. 2 Ziff. 2, § 7 Abs. 3; UStDB § 17 Abs. 2; GenG § 17 Abs. 1, § 43/2

 

Tatbestand

Der Bf., eine im Jahre 1938 gegründete eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht, bezweckt nach seiner Satzung den gemeinschaftlichen Einkauf landwirtschaftlicher Bedarfsartikel, den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die genossenschaftliche Maschinenbenutzung. Er beliefert seine Genossen u. a. mit Futtermitteln. Einen teil dieser Futtermittel lassen die Genossen zusammen mit eigenen Futtermitteln bei der Landwirtschaftlichen Betriebsgenossenschaft eGmbH A. (im folgenden: Betriebsgenossenschaft) mahlen und mischen. Von den so bearbeiteten Futtermitteln stammten im Veranlagungszeitraum 1958 40 bis 50 v. H. aus den Lieferungen des Bf., 50 bis 60 v. H. aus den eigenen Betrieben der Genossen.

Die im Jahre 1956 von Landwirten der Gemeinde A. errichtete Betriebsgenossenschaft bezweckt nach ihrer Satzung den "Betrieb einer Mahl- und Mischanlage zur Verwertung des wirtschaftseigenen Futters der Mitglieder". Die Anlage ist im Jahre 1956 vom Bf. angeschafft und in sein Lagerhaus eingebaut worden. Der Bf. hat die Anlage und eine 34 qm große, durch einen Maschendraht abgegrenzte Fläche seines Lagerraums gegen eine Jahresmiete vom ..... DM an die Betriebsgenossenschaft vermietet.

Im Jahre 1958 gehörten dem Bf. 138, der Betriebsgenossenschaft 102 Mitglieder an; 90 Genossen des Bf. waren gleichzeitig Genossen der Betriebsgenossenschaft.

Streitig ist, ob zwischen dem Bf. und der Betriebsgenossenschaft ein Organschaftsverhältnis besteht und infolgedessen nach der Wiedereinführung der Organschaft auf dem Gebiete des Umsatzsteuerrechts mit Wirkung ab 1. April 1958 das Mahlen und Mischen der an die Genossen gelieferten Futtermittel dem Bf. als steuerlich schädliche Bearbeitung zuzurechnen ist, so daß der Großhandelssteuersatz des § 7 Abs. 3 UStG von 1 v. H. entfällt, oder ob beide Genossenschaften selbständige Unternehmen sind mit der Folge, daß der Bf. mit den Bearbeitungsmaßnahmen der Betriebsgenossenschaft nichts zu tun hat und den Steuersatz von 1 v. H. in Anspruch nehmen kann. Unstreitig scheidet Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Ziff. 4 UStG in Verbindung mit § 29 Abs. 2 Ziff. 11 und § 30 Abs. 1 Ziff. 7 UStDB mangels der gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen aus.

Die Vorinstanzen haben die Betriebsgenossenschaft als Organgesellschaft des Bf. angesehen und diesem das Mahlen und Mischen der von ihm an seine Mitglieder gelieferten Futtermittel durch die Betriebsgenossenschaft als steuerlich schädliche, die Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 UStG ausschließende Bearbeitung zugerechnet.

 

Entscheidungsgründe

Die hiergegen eingelegte Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 2 Abs. 2 Ziff. 2 UStG besteht ein Organschaftsverhältnis (Unselbständigkeit), wenn eine juristische Person dem Willen eines Unternehmers derart untergeordnet ist, daß sie keinen eigenen Willen hat. Das ist nach § 17 Abs. 2 UStDB dann der Fall, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des beherrschenden Unternehmers eingegliedert ist.

Für die organisatorische Eingliederung der Betriebsgenossenschaft sprechen das Fehlen eigenen Büropersonals und eigener Büroräume, die Führung der Bücher und des Schriftwechsels durch Angestellte des Bf., die wechselseitige überlassung der Arbeiter im Bedarfsfalle und die Geschäftsführung beider Genossenschaften durch dieselbe Person. Um die organisatorische Eingliederung vollkommen erscheinen zu lassen, fehlt es nur daran, daß die übrigen je drei Vorstandsmitglieder der Genossenschaften (außer dem Geschäftsführer) nicht personengleich sind, wenn sie auch beiden Genossenschaften als Mitglieder angehören.

Weniger vollständig ist die wirtschaftliche Eingliederung der Betriebsgenossenschaft. Ein wichtiges Merkmal ist zwar, daß die Mahl- und Mischanlage dem Bf. gehört. Dieses Merkmal kann aber - anders als bei der Aufspaltung eines Unternehmens in eine Besitz- und in eine Betriebsgesellschaft - für die Frage der wirtschaftlichen Eingliederung nicht als allein ausschlaggebend angesehen werden; denn der Bf. hat weder seinen eigenen Betrieb aufgegeben noch sein gesamtes Betriebsvermögen an die Betriebsgenossenschaft verpachtet. Der Bf. hat die Mahl- und Mischanlage deshalb aus eigenen Mitteln angeschafft, um der neu gegründeten Betriebsgenossenschaft den Start zu erleichtern und deren Genossen finanziell zu entlasten. Es ist zwar richtig, daß die Betriebsgenossenschaft durch die Verarbeitung der vom Bf. an seine Genossen gelieferten Futtermittel dessen Betrieb wirtschaftlich ergänzt. Mindestens in dem gleichen Maße bezweckt sie aber - wie ihre Satzung ausdrücklich hervorhebt - die Förderung der Belange ihrer Genossen, deren selbsterzeugte Futtermittel mehr als die Hälfte (50 bis 60 v. H.) des gesamten Mahl- und Mischguts ausmachen. Dieser hohe Anteil schließt zwar die wirtschaftliche Eingliederung nicht aus, schränkt sie aber doch ein. Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß im Veranlagungszeitraum 1958 immerhin 48 der 138 Genossen des Bf. nicht der Betriebsgenossenschaft und 12 der 102 Genossen der Betriebsgenossenschaft nicht dem Bf. angehörten und infolgedessen kein Interesse an einer gleichgerichteten und sich ergänzenden Tätigkeit beider Genossenschaften hatten.

Die stärksten Zweifel bestehen hinsichtlich der finanziellen Eingliederung der Betriebsgenossenschaft. Der Bf. ist nur mit einem Geschäftsanteil von 10 DM an dem Gesamtgeschäftsguthaben der Betriebsgenossenschaft von 920 DM beteiligt. Bei Genossenschaften erscheint es bedenklich, bei der Prüfung der finanziellen Herrschaft der einen über die andere Genossenschaft den Anteilsbesitz der Genossen mit heranzuziehen. Denn dieser spielt - anders als bei den Kapitalgesellschaften - für die Willensbildung der Genossenschaften, die nicht auf Kapitalgrundlagen basieren, keine Rolle. Jeder Genosse hat ohne Rücksicht auf seine kapitalmäßige Einlage in der Generalversammlung nur eine Stimme (ß 43 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen - GenG -). Aber selbst wenn man im Hinblick darauf, daß die Genossenschaften zu den juristischen Personen gehören (ß 17 Abs, 1 GenG) und das UStG (ß 2 Abs. 2 Ziff. 2 UStG in Verbindung mit § 17 Abs. 2 UStDB) die Frage der Unselbständigkeit (Organschaft) der juristischen Personen ohne jede Einschränkung regelt, mit den Vorinstanzen die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung nach der Stimmzahl der den Genossenschaften angehörenden Genossen beurteilen wollte, wäre keineswegs sicher, daß sich bei der Betriebsgenossenschaft kein eigener, von dem Willen des Bf. abweichender Wille bilden kann. Dadurch, daß beiden Genossenschaften auch Personen angehören, die nicht gleichzeitig Mitglieder der anderen Genossenschaft sind, können sich in den Genossenschaften zu gemeinsam interessierenden Fragen unterschiedliche Willensmeinungen bilden. Abmachungen dahingehend, daß der Wille, der sich beim Bf. gebildet hat, stets auch für die Betriebsgenossenschaft maßgebend sein solle, bestehen nicht.

Hieraus kann nicht - wie es der Bf. tut - geschlossen werden, daß Genossenschaften infolge ihrer rechtlichen Struktur in jedem Falle ungeeignet seien, umsatzsteuerrechtlich Organe eines anderen Unternehmens zu sein. Wie das Finanzgericht zutreffend hervorhebt, entscheidet über die Frage der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit einer juristischen Person nicht ein einzelnes Merkmal, sondern das Gesamtbild. Es ist nicht erforderlich, daß alle drei für den Begriff der Organschaft wesentlichen Merkmale gleichermaßen feststellbar sind; es kann zur Anerkennung der Organschaft genügen, wenn die Eingliederung auf einem dieser drei Gebiete nicht vollkommen, dafür aber auf den anderen Gebieten um so eindeutiger ist, so daß sich die Eingliederung aus dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse ergibt. Wenn aber - wie hier - eine Voraussetzung, die finanzielle Eingliederung, ganz oder fast ganz fehlt und eine zweite Voraussetzung, die wirtschaftliche Eingliederung, nur unvollständig vorliegt, so reicht die übrigbleibende organisatorische Eingliederung, auch wenn man sie mehr oder weniger als vollkommen bezeichnen kann, nicht aus, um daraus das Vorhandensein einer Organschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 2 UStG ableiten zu können (vgl. Entscheidung des Reichsfinanzhofs V 37/43 vom 7. Januar 1944, Grundwerk zur Steuerrechtsprechung in Karteiform, Umsatzsteuergesetz 1934, Rechtsspruch 36). Der Senat vermag der Auffassung des Finanzgerichts, daß trotz zum Teil erheblicher Bedenken hinsichtlich der finanziellen und wirtschaftlichen Eingliederung nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im Streitfalle ein Organschaftsverhältnis zu bejahen sei, nicht zu folgen.

Die Sache ist entscheidungsreif. Die Umsatzsteuer des Bf. für 1958 ermäßigt sich um den streitigen Steuerbetrag.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411231

BStBl III 1964, 346

BFHE 1964, 316

BFHE 79, 316

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