Leitsatz (amtlich)

Die Voraussetzungen einer inländischen Niederlassung im Sinne des § 2 Nr. 6 KVStG 1959 entsprachen - zumindest im wesentlichen - denjenigen einer Zweigniederlassung gemäß § 13 HGB (Anschluß an BFHE 69, 435, BStBl III 1959, 424, und 79, 119, BStBl III 1964, 275).

 

Normenkette

KVStG 1959 § 2 Nr. 6

 

Tatbestand

Die Klägerin - die S-AG - hat ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung in der Schweiz. Sie unterhält in G eine Weberei, die nicht als Zweigniederlassung im Handelsregister eingetragen ist. Die Klägerin webt teilweise aufgrund von Werkverträgen die von den Bestellern angelieferten Garne zu Stoffen; im übrigen kauft sie aber auch selbst Rohstoffe ein und verkauft die daraus gefertigten Produkte.

In der Zeit vom 1. April 1962 bis zum 30. September 1964 erhielt der Betrieb in G von der Klägerin Anlage- und Betriebskapital im Wert von X DM. Das FA setzte daraufhin gemäß § 2 Nr. 6 KVStG 1959 Gesellschaftsteuer fest. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Der inländische Betrieb der Klägerin war entgegen ihrer Auffassung zu der hier in Betracht kommenden Zeit (1. April 1962 bis 30. September 1964) eine inländische Niederlassung der Klägerin im Sinne des § 2 Nr. 6 KVStG 1959.

Der Begriff der Niederlassung ist im Kapitalverkehrsteuergesetz nicht erläutert. Er entspricht zumindest im wesentlichen dem der Zweigniederlassung nach § 13 HGB, ohne daß eine vollständige Übereinstimmung der Begriffe angesichts der unterschiedlichen Zielsetzungen der beiden Vorschriften zwingend wäre. Das folgt aus dem Sinn und Zweck des § 2 Nr. 6 KVStG 1959, den inländischen Kapitalgesellschaften die vergleichbaren inländischen Unternehmensteile ausländischer Kapitalgesellschaften gesellschaftsteuerrechtlich gleich zu stellen. Einer inländischen Kapitalgesellschaft sind nur solche inländischen Unternehmensteile (ausländischer Kapitalgesellschaften) vergleichbar, die -ähnlich einer Zweigniederlassung nach § 13 HGB - eine im wesentlichen selbständige wirtschaftliche Einheit bilden und nicht z. B. eine bloße Betriebsabteilung ihrer ausländischen Kapitalgesellschaft sind (vgl. das Urteil des RFH vom 10. Juli 1936 II A 245/35, RStBl 1936, 817, und die Urteile des BFH vom 29. Juli 1959 II 48/58 U, BFHE 69, 435, BStBl III 1959, 424, und vom 26. Februar 1964 II 289/59 U, BFHE 79, 119, BStBl III 1964, 275).

Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt befand sich am Hauptsitz der Klägerin in der Schweiz zwar der größere Teil der kaufmännischen Verwaltung. Andererseits wurden aber ausschließlich in dem Betrieb in G - und nicht am Sitz der Klägerin in der Schweiz - die Waren produziert und versandt. Dort gab es außerdem eine Lohn- und eine Betriebsbuchhaltung. Der Betrieb hatte einen technischen und einen kaufmännischen Leiter. Diese hatten zwar keine leitenden Entscheidungsbefugnisse. Sie gaben aber auf interne Weisung im Namen des inländischen Betriebs Warenangebote ab. Für die Korrespondenz wurde Papier mit dem Briefkopf "S-AG, G" verwendet. Die internen Weisungen an die Betriebsleiter erteilte der Prokurist N, der zwar bei der Hauptniederlassung in der Schweiz beschäftigt war, sich aber durchschnittlich jede Woche einmal in G aufhielt.

Unter diesen Umständen entsprach der Betrieb in G den Anforderungen, welche der Begriff der inländischen Niederlassung nach § 2 Nr. 6 KVStG 1959 stellt. Der Betrieb war eine im wesentlichen selbständige wirtschaftliche Einheit, und zwar nicht nur im Hinblick auf die dortige Produktion, sondern - entgegen der Auffassung der Klägerin - auch hinsichtlich der kaufmännischen Organisation und Verwaltung. Es fehlten weder eine Buchführung noch eine eigene Betriebsleitung, die auch nach außen als solche auftrat. Daß sie im Innenverhältnis weisungsgebunden war, ist unerheblich, zumal jede Zweigniederlassung naturgemäß in einem gewissen Grad von der Hauptniederlassung und der dortigen Leitung des Gesamtunternehmens abhängig ist (vgl. dazu Barz in Großkommentar zum Aktiengesetz, § 42 Anm. 3). Überdies hat das FG zu Recht hervorgehoben, daß der bei der Hauptniederlassung beschäftigte, weisungserteilende Prokurist N sich häufig in G aufhielt und seine leitende Tätigkeit daher dem dortigen Betrieb zuzurechnen ist, soweit sie diesen betraf.

Nicht ausschlaggebend ist, ob bei einer Trennung des Betriebes in G von der Hauptniederlassung die Buchführung und Leitung des ersteren u. U. einer gewissen Umorganisation oder Ergänzung bedurft hätten. Schon für die Auslegung des § 13 HGB mag es zweifelhaft sein, ob diese Umstände einem Betrieb den Charakter einer Zweigniederlassung nehmen würden (vgl. dazu Köbler, Der Betriebs-Berater 1969 S. 845, 846). Eine solche absolute Selbständigkeit bedingt oft zwangsläufig doppelten Verwaltungsaufwand bei Zweigniederlassung und Hauptniederlassung, der einem Kaufmann nicht lediglich um einer Förmlichkeit willen zuzumuten ist. Ähnliches gilt in stärkerem Maße für § 2 Nr. 6 KVStG 1959. Soll diese Vorschrift verhindern, daß inländische Betriebe ausländischer Kapitalgesellschaften gegenüber inländischen Kapitalgesellschaften gesellschaftsteuerrechtlich bevorzugt werden, so kann dieser Gesetzeszweck nicht dadurch vereitelt werden, daß für die Leitung und Verwaltung des inländischen Betriebes erforderliche Arbeiten teilweise im Ausland ausgeführt werden. Diese Auslegung des Gesetzes bedeutet keine Benachteiligung gegenüber einer inländischen Kapitalgesellschaft. Diese kann - z. B. als Inhaberin des inländischen Betriebes einer ausländischen Kapitalgesellschaft oder ganz allgemein als Tochtergesellschaft einer inländischen oder ausländischen Kapitalgesellschaft - weit weniger selbständig sein als im vorliegenden Fall der inländische Betrieb der Klägerin und unterliegt trotzdem kraft der ausdrücklichen Vorschrift des § 5 Abs. 1 KVStG 1959 der Gesellschaftsteuer.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72416

BStBl II 1977, 700

BFHE 1978, 557

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