Leitsatz (amtlich)

Setzt das FG das bei ihm anhängige Verfahren wegen der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden bestrittenen Gegenforderung aus, so hat es dem aufrechnenden Beteiligten eine Frist zur Erhebung der Klage auf Feststellung des Bestehens dieser Forderung in dem für diese zuständigen Rechtsweg zu setzen (Bestätigung des Beschlusses des Senats vom 6.August 1985 VII B 3/85, BFHE 144, 207, BStBl II 1985, 672).

 

Orientierungssatz

1. Die Aussetzung des Verfahrens bei Aufrechnung mit rechtswegfremden streitigen Gegenforderungen aus Rechtsgründen ist dann nicht geboten, wenn ein Zessionar klagt und ihm gegenüber nach § 406 BGB mit einer Forderung gegenüber dem Zedenten aufgerechnet wird, weil es in diesen Fällen nicht zur Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 2 ZPO kommen kann (vgl. BFH-Beschluß vom 6.8.1985 VII B 3/85).

2. Die Beweislastverteilung bei der Aufrechnung geht dahin, daß derjenige, der eine Forderung zur Aufrechnung stellt, deren Bestehen beweisen muß (Literatur).

 

Normenkette

FGO §§ 74, 155; ZPO § 322 Abs. 2; BGB §§ 406, 387; AO 1977 § 226 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) machte beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) den Anspruch auf Erstattung von Lohn- und Lohnkirchensteuer 1978 des Steuerpflichtigen B in Höhe von 666,30 DM geltend, der ihr abgetreten war. Das FA lehnte die Erstattung des Guthabens an die Klägerin ab, weil das Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt Spandau, im Mai 1979 mit übergeleiteten Unterhaltsansprüchen gegen B (§ 90 des Bundessozialhilfegesetzes --BSHG--) gegen dessen an die Klägerin abgetretenen Erstattungsanspruch aufgerechnet hatte.

Der Einspruch der Klägerin gegen den ihr erteilten Abrechnungsbescheid blieb erfolglos. Mit der Klage wandte sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Aufrechnung. Sie bestritt die Aufrechnungsforderung des Landes Berlin der Höhe nach, weil es am Nachweis negativ verlaufener Beitreibungsmaßnahmen gegen B fehle.

Das Finanzgericht (FG) setzte durch Beschluß vom 2.November 1984 das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zum 31.Dezember 1984 aus, um der Klägerin Gelegenheit zu geben, den Fortbestand der Forderungen des Landes Berlin vor den Zivilgerichten klären zu lassen. Die Klägerin hat weder Zivilklage erhoben noch Beschwerde gegen den die Aussetzung der Verhandlung anordnenden Beschluß des FG eingelegt.

Das FG wies sodann die Klage ab. Es führte aus, das FA habe das Entstehen und den Fortbestand der Gegenforderung, mit der es aufgerechnet habe, substantiiert dargelegt. Demgegenüber habe die Klägerin von der ihr gebotenen Möglichkeit, den Fortbestand der zur Aufrechnung verwendeten Unterhaltsforderung zivilgerichtlich prüfen zu lassen, keinen Gebrauch gemacht. Sie werde deshalb mit ihren Einwendungen gegen die Aufrechnung zurückgewiesen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin, daß das FG die Prüfung der Aufrechnungsgegenforderung zum Aufrechnungszeitpunkt verweigert habe. Dies sei auch nicht dadurch gerechtfertigt, daß ihr durch den Aussetzungsbeschluß aufgegeben worden sei, die Höhe der Gegenforderung durch ein Zivilgericht prüfen zu lassen. Denn dies liege nicht im Interesse einer Verfahrensvereinfachung.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Streitsache zur abschließenden Feststellung der Aufrechnungslage an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).

1. Das Land Berlin hat als Schuldnerin des Steuererstattungsanspruchs (§ 226 Abs.4 der Abgabenordnung --AO 1977--) gegenüber der Klägerin als Zessionarin dieses Anspruchs mit Unterhaltsansprüchen gegen den Zedenten aufgerechnet (§ 226 Abs.1 AO 1977, §§ 387, 406 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--), die es durch Überleitungsanzeige gemäß § 90 Abs.1 BSHG auf sich übergeleitet hatte. Die Überleitungsanzeige als Verwaltungsakt (vgl. § 90 Abs.3 BSHG) hat die Wirkung einer Abtretung. Sie läßt die Rechtsnatur des übergeleiteten Anspruchs --hier der zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche gegen den Zedenten-- unberührt. Die übergeleiteten bürgerlich-rechtlichen Ansprüche sind im Streitfall vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen (Knopp/Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, 5.Aufl., § 90 Anm.22, 24, 31).

2. Die fortbestehende Rechtsnatur der übergeleiteten Unterhaltsansprüche als zivilrechtliche Ansprüche steht ihrer Aufrechnung gegenüber dem abgetretenen Steuererstattungsanspruch nicht entgegen (vgl. Beschluß des Senats vom 6.August 1985 VII B 3/85, BFHE 144, 207, BStBl II 1985, 672, m.w.N.). Die Aufrechnung ist auch dann zulässig und materiell-rechtlich wirksam, wenn Forderung und Gegenforderung in verschiedenen Verfahrensarten --im Streitfall: der Steuererstattungsanspruch vor dem FG, die übergeleiteten Unterhaltsansprüche vor dem Zivilgericht-- geltend zu machen sind (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 11.Januar 1955 I ZR 106/53, BGHZ 16, 124, 127). Für den Fall, daß die rechtswegfremde Aufrechnungsgegenforderung --wie im Streitfall-- nicht rechtskräftig festgestellt ist und vom Kläger bestritten wird, stellt sich aber die Frage, ob das für die Hauptforderung zuständige Gericht auch über das Bestehen der Gegenforderung, für die ein anderer Rechtsweg gegeben ist, entscheiden darf. Denn nach § 322 Abs.2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist die Entscheidung, daß die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht ist, der materiellen Rechtskraft fähig. Es besteht somit die Gefahr, daß ein an sich nicht zuständiges Gericht mit Bindungswirkung gegenüber den nach der Rechtswegzuweisung entscheidungsbefugten Gerichten über das Nichtbestehen der zur Aufrechnung gestellten Forderung entscheidet.

3. Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß in BFHE 144, 207, BStBl II 1985, 672 unter Berücksichtigung der von den anderen obersten Bundesgerichten zu dieser Rechtsfrage vertretenen Auffassungen entschieden, daß das FG im Fall der Aufrechnung mit einer bürgerlich-rechtlichen Forderung, die klageweise nur vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden könnte, gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis mit Rücksicht auf die Rechtskraftwirkung nach § 155 FGO, § 322 Abs.2 ZPO und die Vorgreiflichkeit der in den Bereich der Zivilgerichte fallenden Entscheidung jedenfalls befugt ist, das Verfahren nach § 74 FGO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Gegenforderung auszusetzen. In diesem Falle ist nach der genannten Entscheidung dem mit der umstrittenen Gegenforderung aufrechnenden Beteiligten --soweit noch nicht erfolgt-- eine Frist zur Erhebung der Klage auf Feststellung des Bestehens dieser Forderung in dem für diese zuständigen Rechtsweg zu setzen. Erhebt der Aufrechnende die Klage vor dem anderen Gericht nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist, so kann das Gericht in dem anhängigen Verfahren das Bestehen der Gegenforderung als nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast nicht erwiesen behandeln (BGHZ 16, 124: Zurückweisung der Aufrechnung nach § 279 ZPO a.F.) und ohne Berücksichtigung der Aufrechnung entscheiden. Durch eine Entscheidung dieses Inhalts, die keine Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs.2 ZPO hat, wäre der aufrechnende Beklagte auch im Falle des Prozesses mit dem ursprünglichen Gläubiger der Klageforderung nicht gehindert, die behauptete Gegenforderung später noch auf dem zuständigen Rechtsweg einzuklagen (BGHZ 16, 124, 140; Urteil des Bundessozialgerichts vom 26.Juni 1963 I RA 21/60, Neue Juristische Wochenschrift 1963, 1844; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 8.Aufl., § 40 Rdnr.40, § 94 Rdnr.4).

Der Senat hat weiter ausgeführt, daß die Aussetzung aus Rechtsgründen aber dann nicht geboten ist, wenn --wie im Streitfall-- ein Zessionar klagt und ihm gegenüber nach § 406 BGB mit einer Forderung gegenüber dem Zedenten aufgerechnet wird. Denn in diesen Fällen kann es nicht zu der Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs.2 ZPO kommen, die den BGH im Urteil in BGHZ 16, 124 veranlaßt hat, die Aussetzung der Verfahren bei der Aufrechnung mit rechtswegfremden streitigen Forderungen zwingend vorzusehen. Denn die Rechtskraft eines Urteils wirkt nur zwischen den Beteiligten des Verfahrens und ihren Rechtsnachfolgern (§ 110 Abs.1 FGO, § 325 Abs.1 ZPO, § 121 der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO--, § 141 Abs.1 des Sozialgerichtsgesetzes --SGG--), nicht aber gegenüber dem Zedenten als dem Rechtsvorgänger des an dem Prozeß beteiligten Zessionars. Würde also im Streitfall vom FG selbst entschieden, daß die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nicht besteht, so wäre das Land Berlin durch die Rechtskraft des FG-Urteils nicht gehindert, den auf ihn übergeleiteten Unterhaltsanspruch nochmals vor den ordentlichen Gerichten gegen den Steuerpflichtigen (Zedenten) geltend zu machen, da dieser nicht Beteiligter oder Rechtsnachfolger eines Beteiligten im FG-Prozeß war.

4. Die Vorentscheidung entspricht nicht den vom Senat entwickelten Rechtsgrundsätzen über das Verfahren bei der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung. Das FG hat zwar das Verfahren gemäß § 74 FGO ausgesetzt, um eine Entscheidung des nach der Rechtswegregelung zuständigen Zivilgerichts über das Bestehen der Aufrechnungsgegenforderung herbeizuführen. Es hat aber die Frist zur Erhebung der Klage über das Bestehen der Gegenforderung nicht dem aufrechnenden Verfahrensbeteiligten --hier dem FA, das sich auf die Aufrechnung durch das Land Berlin beruft-- gesetzt, sondern der Klägerin. Das FG hat offensichtlich verkannt, daß es Sache des Aufrechnenden gewesen wäre, den Bestand der streitigen Gegenforderung bis zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung auf dem Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten feststellen zu lassen. Denn es hat nicht das FA, sondern die Klägerin darauf hingewiesen, daß ihr Gelegenheit gegeben werde, den Fortbestand der Forderung des Landes Berlin innerhalb der Aussetzungsfrist durch die Zivilgerichte klären zu lassen. Damit hat das FG die Beweislastverteilung bei der Aufrechnung, die dahin geht, daß derjenige, der eine Forderung zur Aufrechnung stellt, deren Bestehen beweisen muß (vgl. Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, § 387 BGB, m.w.N.) verkannt. Da die Klägerin keinen Anlaß hatte, den Bestand der Gegenforderung zum Aufrechnungszeitpunkt durch ein Zivilgericht feststellen zu lassen, durfte das FG sie nicht --wie in dem angefochtenen Urteil geschehen-- nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast mit ihren Einwendungen gegen die zur Aufrechnung gestellte Forderung ausschließen.

Das FG konnte im Streitfall --wie oben ausgeführt-- über den Bestand der Aufrechnungsgegenforderung als einer Vorfrage des bei ihm anhängigen Rechtsstreits auch ohne Aussetzung des Verfahrens selbst entscheiden, da es bei der Aufrechnung gegenüber der Klägerin als Zessionarin der Hauptforderung nach § 406 BGB insoweit nicht zu der Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs.2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gegenüber dem an dem Verfahren nicht beteiligten Zedenten (Steuerpflichtigen) und dem Land Berlin kommen kann. Das Gericht hat aber, wie die vorausgegangene Aussetzung des Verfahrens zeigt, von einer eigenständigen abschließenden Entscheidung über das Bestehen der Gegenforderung zum Zeitpunkt der Aufrechnung abgesehen. Zwar hat es ausgeführt, daß das FA das Entstehen und den Fortbestand der Aufrechnungsgegenforderung substantiiert dargetan habe. Es hat dann aber die Einwendungen der Klägerin gegen den Fortbestand der übergeleiteten Unterhaltsforderungen (fehlender Nachweis negativer Beitreibungsmaßnahmen) nicht nach eigener Prüfung für unbegründet erklärt, sondern sie lediglich wegen der unterlassenen Feststellungsklage vor dem Zivilgericht nach --falsch beurteilten-- objektiven Beweislastgrundsätzen zurückgewiesen. Damit steht eine abschließende Entscheidung über das Bestehen der Aufrechnungsgegenforderung zum Zeitpunkt der Aufrechnung noch aus. Die Sache ist insoweit nicht spruchreif (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).

5. Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie nach den vorstehend ausgeführten Rechtsgrundsätzen fehlerhaft ist.

a) Das FG wird nach der Zurückverweisung darüber zu entscheiden haben, ob es selbst eine abschließende Entscheidung über das Bestehen der Aufrechnungsgegenforderung trifft, oder ob es nach erneuter Aussetzung des Verfahrens dem FA als aufrechnenden Beteiligten aufgibt, das Bestehen der übergeleiteten Unterhaltsansprüche zivilgerichtlich feststellen zu lassen. Sollte im letztgenannten Falle innerhalb der gesetzten Frist keine Feststellungsklage erhoben werden, so könnte das FG nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast --allerdings zuungunsten des FA-- entscheiden.

b) Für den Fall, daß sich die Aufrechnung im Ergebnis als unwirksam erweisen sollte, weist der Senat schließlich noch darauf hin, daß gemäß § 46 Abs.4 Satz 1 AO 1977 der geschäftsmäßige Erwerb von Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen zum Zwecke der Einziehung oder sonstigen Verwertung auf eigene Rechnung nicht zulässig ist. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift nicht für die Fälle der Sicherungsabtretung. Sollte im Streitfall von der Klägerin eine Sicherungsabtretung behauptet worden sein, so wird das FG unter Beachtung der hierfür im Urteil des Senats vom 13.Oktober 1983 VII R 146/82 (BFHE 139, 491, BStBl II 1984, 183, 184) aufgestellten Rechtsgrundsätze zu prüfen haben, ob eine solche vorliegt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62192

BStBl II 1988, 500

BFHE 152, 317

BFHE 1988, 317

BB 1988, 1738-1739 (LT1)

HFR 1988, 344 (LT1)

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