Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt der Gewinnrealisierung bei Praxisverkauf zum Jahreswechsel

 

Leitsatz (amtlich)

Wird im Vertrag über den Verkauf einer freiberuflichen Praxis vereinbart, daß der Erwerber die Praxis "mit Wirkung vom 1.Januar des Jahres 02" übernehmen soll, und findet auch die Übergabe vereinbarungsgemäß zu Beginn des Jahres 02 statt, so entsteht der Veräußerungsgewinn regelmäßig nicht bereits im Jahre 01.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr (1983) als praktischer Arzt tätig. Bis zum 30.September 1983 betrieb er seine Praxis in einem gemischt genutzten Gebäude, das ihm zusammen mit der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), seiner Ehefrau, gehörte. Am 1.Oktober 1983 wurde das betreffende Grundstück verkauft. Die Praxis verlegte der Kläger in benachbarte, angemietete Räume.

Mit Vertrag vom 31.Oktober 1983 veräußerte der Kläger seine Praxis an Frau Dr.A. In dem Vertrag vereinbarten die Beteiligten u.a. folgendes:

"Mit dem Ende des IV.Quartals 1983 beabsichtigt Herr Dr.B, seine Praxis aufzugeben und auf die kassenärztliche Zulassung zu verzichten.

I.

Frau Dr. A übernimmt mit Wirkung vom 1.Januar 1984 die Praxis des Herrn Dr. B einschließlich der Praxisräume, der Einrichtungsgegenstände sowie der Patienten-Kartei. ...

III.

... Die Übergabe erfolgt zum 1.Januar 1984. ..."

Die Praxis wurde einem entsprechenden Protokoll zufolge am 2.Januar 1984 übergeben. Den Kaufpreis in Höhe von 85 000 DM, wovon 55 000 DM auf den ideellen Wert und 30 000 DM auf die Praxiseinrichtung entfielen, zahlte die Erwerberin --wie im Kaufvertrag vereinbart-- am 13./15.Januar 1984.

Mit Schreiben vom 28.Dezember 1983 hatte der Kläger zuvor dem seinerzeit zuständigen Finanzamt C mitgeteilt:

"Ich gebe meine Praxis am 31.12.1983 unter Verzicht auf meine Zulassung als Kassenarzt auf. Mit Wirkung vom 1.1.1984 ist Frau Dr. A meine Praxisnachfolgerin. ..."

Diesem Schreiben war ein "Bescheid über Eintragungen im Arztregister" vom 5.Dezember 1983 beigefügt, ausweislich dessen der Kläger zum 31.Dezember 1983 auf die Zulassung als Kassenarzt verzichtet hatte.

Die Kläger erklärten den Veräußerungsgewinn aus dem Praxisverkauf in der Steuererklärung für das Jahr 1984. Der durch Wohnsitzwechsel der Kläger zuständig gewordene Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vertrat demgegenüber die Auffassung, daß der Veräußerungsgewinn im Jahre 1983 zu erfassen sei.

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte insoweit Erfolg.

Hiergegen richtet sich die vom Finanzgericht (FG) zugelassene Revision des FA, mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das FG angenommen hat, der Kläger habe seine Praxis im Jahre 1984 veräußert.

Bei einer Betriebsveräußerung kommt es nach den für zweiseitige Rechtsgeschäfte allgemein geltenden Regeln zur Gewinnverwirklichung, wenn der jeweilige Vertrag vom Veräußerer wirtschaftlich erfüllt ist. Entscheidend ist, von wann an der Erwerber nach dem Willen der Vertragspartner wirtschaftlich über das erworbene Betriebsvermögen verfügen kann (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30.Oktober 1973 I R 38/70, BFHE 111, 235, BStBl II 1974, 255, 258).

Wird eine freiberufliche Praxis in der Weise übertragen, daß ein Teil des Kaufpreises für die Praxiseinrichtung und ein anderer Teil für den Praxiswert gezahlt wird, und vereinbaren die Vertragsschließenden, daß der Veräußerer dem Erwerber die Einrichtungsgegenstände und die Patientenkartei zu übertragen hat (§ 292 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--), so kommt es für die Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht auf den Zeitpunkt der Übergabe an. Die Übergabe stellt entgegen der Ansicht des FA keine bloße Formalie dar. Ihr Zeitpunkt ist maßgeblich für den Übergang der Nutzungsmöglichkeit sowie für die Beantwortung der Frage, ob sich die Einrichtungsgegenstände in dem vertraglich vereinbarten Zustand befinden (§ 446 Abs.1 BGB).

Demgemäß hat der BFH entschieden, daß das im Jahre 01 vereinbarte Veräußerungsgeschäft in der Bilanz zum 31.Dezember dieses Jahres nicht ausgewiesen werden darf, wenn ein Betrieb aufgrund eines Veräußerungsvertrages vereinbarungsgemäß am 1.Januar 02 übergeben und der Veräußerungspreis erst nach der Übergabe gezahlt wird. Das gilt auch dann, wenn alle Vorbereitungen für die Geschäftsübergabe bereits im Vorjahr 01 getroffen worden sind (BFH-Urteil vom 10.August 1961 IV 192/59, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961, 268, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 282; Herrmann/ Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 16 Einkommensteuergesetz Anm.176; Söffing in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 16 Rdnr.131; Hörger in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 16 EStG Rdnr.135; Blümich/ Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, § 16 Rdnr.273).

Nach diesen Grundsätzen ist das FG zu Recht davon ausgegangen, daß der streitige Veräußerungsgewinn nicht bereits im Jahre 1983 zu erfassen war. Insbesondere kann entgegen der Auffassung des FA nichts anderes aus der Formulierung hergeleitet werden, die Übergabe erfolge "zum 1.Januar 1984". Bei der Übergabe der Patientenkartei und der Praxiseinrichtung handelt es sich nicht um einen bloßen Rechtsübergang, der --wenn so vereinbart-- in einer "logischen Sekunde" stattfinden könnte. Hierfür ist vielmehr eine reale Handlung erforderlich, die entweder am 31.Dezember 1983 oder am 1.Januar 1984 stattfinden mußte (insoweit zutreffend FG Berlin, Urteil vom 23.März 1987 VIII 491/85, Entscheidungen der Finanzgerichte 1987, 505). Aus dem Vertrag ergibt sich, daß der Kläger --wie dann auch tatsächlich geschehen-- mit dem Ende des IV.Quartals 1983 auf seine Zulassung verzichten wollte. Daraus konnte das FG herleiten, daß er am 31.Dezember 1983 über das verkaufte Betriebsvermögen noch wirtschaftlich verfügen und von Rechts wegen als Kassenarzt noch bis 31.Dezember 1983, 24.00 Uhr von Patienten in Anspruch genommen werden konnte. Daß die Übergabe nach dem Willen der Vertragsschließenden nicht vor dem 1.Januar 1984 stattfinden sollte, ergibt sich insbesondere aus dem Übergabeprotokoll, das vom 2.Januar 1984 datiert.

Aus dem BFH-Urteil vom 2.Mai 1984 IV R 47/73 (BFHE 113, 195, BStBl II 1974, 707) kann kein anderes Ergebnis hergeleitet werden. In diesem Urteil hatte der Senat entschieden, daß bei Wirksamwerden der Übertragung eines Gesellschaftsanteils im Jahreswechsel, d.h. im Schnittpunkt der Kalenderjahre, unter Würdigung aller Umstände zu entscheiden sei, welchem Feststellungszeitraum der Veräußerungsgewinn zuzurechnen sei. Wie vorstehend dargestellt, liegt im Streitfall keine Übertragung im Schnittpunkt der Jahre vor, da die wirtschaftliche Verfügungsmacht erst mit der Übergabe im Januar 1984 auf die Erwerberin übergegangen ist.

Der Senat folgt nicht der vom FG Berlin (a.a.O.) vertretenen Auffassung, derzufolge ein "vom 1.Januar an" vereinbarter Praxisübergang auf den 31.Dezember des Vorjahres zurückzubeziehen ist. Das FG Berlin hat seine Auffassung damit begründet, daß der Praxiserwerber in dem von ihm entschiedenen Fall auch in laufende Verträge, die zwischen dem Veräußerer und Dritten abgeschlossen waren, eingetreten sei und daß dieser Eintritt im Schnittpunkt der beiden Jahre stattgefunden habe. Es mag sein, daß auch im Streitfall die Erwerberin in bestehende Verträge eingetreten ist. Hierfür hat sie jedoch nach dem Praxiskaufvertrag kein eigenes Entgelt entrichtet. Daher ist es nicht gerechtfertigt, wegen des Eintritts in derartige Vertragsverhältnisse die Gesamtumstände dahingehend zu würdigen, daß die Veräußerung insgesamt dem Vorjahr zuzuordnen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64246

BFH/NV 1992, 43

BStBl II 1992, 525

BFHE 167, 78

BFHE 1992, 78

BB 1992, 1700

BB 1992, 1700-1701 (LT)

DB 1992, 1390 (L)

DStR 1992, 784 (KT)

DStZ 1992, 408 (KT)

HFR 1992, 403 (LT)

StE 1992, 306 (K)

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