Leitsatz (amtlich)

Im Erstjahr einer unternehmerischen Betätigung wird die Steuer entsprechend § 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 UStG 1980 nicht erhoben, wenn der Gesamtumsatz dieses Jahres voraussichtlich 20 000 DM nicht übersteigen wird.

 

Normenkette

UStG 1980 § 19 Abs. 1, 4

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin eröffnete am 1. April 1980 einen Lohnbetrieb. Sie schätzte den Umsatz ihres Unternehmens im Jahre 1980 auf 60 000 DM. Der Gesamtumsatz betrug im Jahr 1980 60 703 DM. Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuer 1980 unter Berücksichtigung abziehbarer Vorsteuerbeträge auf 4 070 DM fest.

Mit der ohne Vorverfahren erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt, von der Erhebung der Umsatzsteuer gemäß § 19 Abs. 1 UStG 1980 abzusehen. Das Finanzamt hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin das Klagebegehren weiter. Sie rügt Verletzung des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980.

Der Bundesminister der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

1. Die Entscheidung des Finanzgerichts ist von der Rechtsauffassung getragen, § 19 Abs. 1 UStG 1980 enthalte keine ausdrückliche Regelung der Frage, unter welchen Voraussetzungen Unternehmern im Erstjahr ihrer unternehmerischen Betätigung ein Recht auf Nichterhebung der Steuer für ihre im Erhebungsgebiet bewirkten Umsätze zustehe. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift beschränke sich ein solcher Steuerverzicht auf Unternehmer, deren Gesamtumsatz im Erstjahr voraussichtlich 20 000 DM nicht übersteigen werde.

Diese Rechtsansicht des Finanzgerichts trifft zu.

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 wird die für Umsätze im Erhebungsgebiet geschuldete Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn der in § 19 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980 bezeichnete Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 20 000 DM nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 100 000 DM voraussichtlich nicht übersteigen wird. Die eingangs genannte Vorschrift verweist auf den in § 19 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980 bezeichneten Gesamtumsatz. Dieser Begriff ist in § 19 Abs. 4 Satz 1 UStG 1980 erläutert und setzt voraus, daß im vorangegangenen Kalenderjahr ein Unternehmen bestanden hat. Denn steuerbare Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UStG 1980 können nur von einem Unternehmer bewirkt werden. § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 erfaßt somit nach seinem Wortlaut nicht Unternehmen, die im vorangegangenen Kalenderjahr noch gar nicht bestanden haben. Diese Unterscheidung ist auch nach ihrem Sinngehalt verständlich und gerechtfertigt.

Ein Unternehmer, dessen Gesamtumsatz im vorangegangenen Kalenderjahr 20 000 DM nicht überstiegen hat, existiert bereits begrifflich wegen seines nachweisbar niedrigen Umsatzes als Kleinunternehmer. Eine entsprechende Aussage ist für ein noch zu gründendes Unternehmen nicht möglich. Vergleichbar mit einem solchen Kleinunternehmer wäre allenfalls ein Unternehmen, das bei fiktiver Betrachtung - wäre es im vorangegangenen Kalenderjahr bereits gegründet worden - in diesem keinesfalls einen 20 000 DM übersteigenden Gesamtumsatz erzielt hätte. § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 weist demnach für neu gegründete Unternehmen eine Regelungslücke auf.

Es widerspräche allerdings der Steuergerechtigkeit und den Wertungen des Gesetzes, einen Unternehmer allein wegen eines fehlenden Vorjahresumsatzes stets der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes zu unterwerfen. Andererseits aber verlangt die Praktikabilität der Besteuerung, insbesondere wegen der Frage, ob der Unternehmer Rechnungen mit besonderem Steuerausweis erteilen darf und zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, daß bereits bei Aufnahme der unternehmerischen Betätigung wegen der bedeutsamen Folgewirkungen der einzelnen Besteuerungsformen hinreichende Gewißheit darüber bestehen muß, welcher Besteuerungsform der Unternehmer im Erstjahr unterliegt. Es kann daher nicht der im Erstjahr tatsächlich erzielte Gesamtumsatz maßgeblich sein, sondern nur der voraussichtliche Gesamtumsatz des Erstjahres, ggf. nach Umrechnung in einen Gesamtjahresumsatz entsprechend § 19 Abs. 4 Satz 3 und 4 UStG 1980.

Das besondere Gewicht des Gesichtspunktes, daß bereits beim Beginn der unternehmerischen Betätigung feststehen soll, ob der Unternehmer der Besteuerung als Kleinunternehmer im Sinn des § 19 Abs. 1 UStG 1980 unterliegt oder nicht, erhält seine Bestätigung aus der Entstehungsgeschichte der genannten Vorschrift. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 8/1779) machte die Erhebung der Steuer vom Überschreiten einer bestimmten Umsatzhöhe im laufenden Kalenderjahr abhängig und knüpfte damit, abweichend von § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967/1973, an ein bereits in § 7a Abs. 1 bis 3 UStG 1951 vorgesehenes Merkmal an (BGBl I 1979, 1953). Diese Regelung hätte, wäre sie Gesetz geworden, auch für neugegründete Unternehmen unmittelbare Bedeutung gehabt. Der Deutsche Bundestag hielt es indessen für dringend geboten, auf den Umsatz des vorangegangenen Kalenderjahres abzustellen, weil ein Unternehmer bereits zu Beginn eines Kalenderjahres wissen müsse, ob von ihm eine Steuer gefordert werde und ob er Steuer in Rechnung stellen könne oder nicht (vgl. Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zu § 19 UStG 1980, BTDrucks. 8/2827). Zwar ergab sich mit der Änderung des Regierungsentwurfs für Neugründungen die bereits erwähnte Regelungslücke. Der für diese Änderung maßgebenden Überlegung des Gesetzgebers, daß der Unternehmer bei Jahresbeginn Gewißheit über die in seinem Fall geltende Besteuerungsform haben müsse, ist jedoch bei Füllung dieser Lücke Rechnung zu tragen.

Es bleibt noch die Frage zu entscheiden, ob für die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG 1980 bei Neugründungen auf einen Gesamtumsatz von voraussichtlich nicht mehr als 20 000 DM oder von voraussichtlich nicht mehr als 100 000 DM abzustellen ist. Der Senat ist mit dem Finanzgericht der Ansicht, daß allein die zuerst bezeichnete Alternative einer dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprechenden Auslegung Rechnung trägt.

Der Gesetzgeber hat für bereits bestehende Unternehmen in § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 auf die beiden Merkmale eines bestimmten Vorjahresumsatzes und eines die Grenze von 100 000 DM voraussichtlich nicht übersteigenden Umsatzes im laufenden Kalenderjahr aus Gründen abgestellt, die auch hinsichtlich des zweiten Merkmals auf Neugründungen nicht übertragen werden können. Ihm kam es bei dieser neugeschaffenen Obergrenze für bereits bestehende Unternehmen ersichtlich darauf an, Unternehmern die Berufung auf den niedrigen Vorjahresumsatz zu versagen, denen wegen des zu erwartenden Gesamtumsatzes im beginnenden Jahr mit hinreichender Gewißheit der Status eines Kleinunternehmens verlorengehen würde. Kleinunternehmer, denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Qualifikation eines Kleinunternehmers berechtigt zuteil geworden war, sollten diesen Vorzug somit nicht automatisch schon deswegen verlieren und damit sogleich die Besteuerungsform wechseln müssen, wenn anzunehmen war, daß der Umsatz des laufenden Jahres voraussichtlich 20 000 DM übersteigen werde. Dieser Verlust sollte erst für das Folgejahr eintreten, wenn sich für das laufende Jahr ein tatsächlicher Gesamtumsatz von mehr als 20 000 DM ergab, während der Vorteil der Nichterhebung der Steuer weiterhin erhalten bleiben sollte, wenn dieser Gesamtumsatz entgegen der Voraussicht 20 000 DM im laufenden Kalenderjahr nicht überstieg.

Hieraus folgt: Entscheidendes Merkmal der Trennung zwischen Erhebung und Nichterhebung der Steuer bei Kleinunternehmern ist allein die Umsatzgrenze von 20 000 DM, die im Wege der Rechtsanalogie auch bei Neugründungen anzuwenden ist. Die Obergrenze von 100 000 DM ist nur in ihrer Koppelung mit der Vorjahresgrenze und damit als ein Schutz für bestimmte Kleinunternehmer vor einem sofortigen Wechsel der Besteuerungsform verständlich. Auf Neugründungen eines Unternehmens läßt sich ein solches Merkmal sinnvoll nicht übertragen (s. auch Weiß in UR 84, 84).

II. Die Klägerin hat ihren voraussichtlichen Umsatz für 1980 auf 60 000 DM geschätzt. Für sie lagen demgemäß die Voraussetzungen einer Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG 1980 nicht vor, ohne daß es einer zusätzlichen Umrechnung auf einen voraussichtlichen Gesamtjahresumsatz bedarf.

 

Fundstellen

BStBl II 1985, 142

BFHE 1985, 316

NJW 1985, 1360

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