Leitsatz (amtlich)

Die Überlassung von Marktforschungsuntersuchungen, die die Vorstellungen inländischer PKW-Besitzer über einen PKW betreffen, an den auftraggebenden ausländischen Automobilproduzenten ist eine Überlassung von zur Auswertung im Ausland bestimmten gewerblichen Erfahrungen im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967.

 

Normenkette

UStG 1967 § 4 Nr. 3, § 8 Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt im Inland ein Institut für Demoskopie. Sie erhielt von der Automobilfirma A (A-Konzern) mit Sitz im Ausland, die seit 1968 zentral für Werbung und Forschung der Europäischen Tochtergesellschaften des A-Konzerns zuständig ist, Marktforschungsaufträge. Mit ihnen sollen bei Kraftfahrzeug (Kfz.)-Besitzern die bestmögliche Form neuer PKW-Modelle festgestellt und Verhaltensweisen, die mit dem Besitz eines PKW zusammenhängen, untersucht werden. Ihre Untersuchungsergebnisse bereitet die Klägerin in einer unternehmenseigenen EDV-Anlage auf und faßt sie in Tabellen zusammen, die dem A-Konzern übermittelt werden. Erforderlichenfalls werden die Tabellen von der Klägerin schriftlich oder mündlich erläutert. Der A-Konzern erarbeitet anhand der Marktforschungsuntersuchungen der Klägerin ihre Marketingpläne für den gesamten europäischen Bereich. Entsprechend einem Auftrag des A-Konzerns hatte die Klägerin bestimmte optisch wahrnehmbare Gestaltungen am Modell des "X-Pkw" zu beurteilen. Eine repräsentative Auswahl von Kfz.-Besitzern wurde befragt und das Ergebnis dieser Umfrage in EDV-Tabellen und letztlich in einem durch die EDV-Anlage aufbereiteten Gutachten ausgewertet. Das Untersuchungsergebnis der Klägerin trug dazu bei, daß der "X-Pkw" anders als ursprünglich geplant gebaut wurde. Einzelteile des auf den Markt gebrachten X-Modells werden in verschiedenen Ländern hergetellt; zusammengebaut wird das X-Modell in Z (Ausland) und anschließend durch die nationalen Tochtergesellschaften des A-Konzerns an die Abnehmer geliefert.

Für die Leistungen, die dem "X-Pkw"-Auftrag zugrunde lagen, begehrte die Klägerin in ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für Mai 1970 Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 3 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967. Die für diese Leistungen vereinbarten Entgelte betrugen ... DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte die Rechtsauffassung der Klägerin ab. Wegen dieser Meinungsverschiedenheiten wurde mit Zustimmung der Klägerin eine nach § 16 Abs. 4 UStG 1967 verkürzte und nach § 100 Abs. 2 AO vorläufige Veranlagung für den Zeitraum Januar bis Mai 1970 mit dem Ziele einer gerichtlichen Klärung vorgenommen. Entsprechend wurden die vorbezeichneten Leistungen zur Umsatzsteuer herangezogen. Mit Zustimmung des FA erhob die Klägerin gegen den Umsatzsteuerbescheid Sprungklage nach § 45 FGO, die ohne Erfolg blieb. Das Urteil des FG vom 23. Oktober 1972 ist in EFG 1973, 97 und Umsatzsteuer-Rundschau 1973 S. 55 veröffentlicht.

Mit der Revision macht die Klägerin im wesentlichen folgendes geltend: Die demoskopischen Umfrageergebnisse seien dem A-Konzern als gewerbliche Erfahrungen überlassen und von dieser auch im Ausland ausgewertet worden. Die Begriffe der Auswertung und Ausnutzung hätten nicht die gleiche Bedeutung, wie schon die Verschiedenheit ihrer Wortstämme, nämlich "Nutzen" und "Wert", erwiesen. Das FG irre, wenn es meine, der vom Gesetzgeber gewählte Begriff der Auswertung ließe sich nur dadurch erklären, daß geistige Produkte nur ausgewertet werden könnten. Die deutsche Sprache verwende im Gegenteil den Ausdruck des Nutzens dann, wenn ein materieller oder immaterieller Erfolg einer gemachten Erfahrung wiedergegeben werden solle. Erfahrungen würden genutzt oder man mache sie sich zunutze; aber keinesfalls spreche man in diesem Fall davon, daß sie ausgewertet würden. Es sei daher von der bei Eckhardt-Weiß (Kommentar zum Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer - 1967, § 8 Tz. 20 a) vertretenen Auslegung des Begriffs der Auswertung auszugehen, nicht zuletzt auch wegen der im Hinblick auf Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vertretbaren Folge einer abweichenden Auffassung, die in der Ausschließung vom Wettbewerb bestehe. Eine andere als die von ihr vertretene Auffassung ergebe im übrigen, daß demoskopische Leistungen auch dann besteuert werden müßten, wenn nur ein geringer Teil der auf Grund der überlassenen Erfahrungen produzierten Waren im Inland umgesetzt würden. In diesem Zusammenhang müsse gerügt werden, daß das FG ohne entsprechende Ermittlungen in seinem Urteil davon ausgegangen sei, daß die weitaus größte Zahl der XPKW im Inland verkauft worden wäre. Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG Hamburg vom 23. Oktober 1972 den vorläufigen Steuerbescheid vom 20. Juli 1972 dahin zu ändern, daß von der Klägerin vereinbarte Entgelte von ... DM steuerfrei bleiben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es teilt nicht die Auffassung des FG und der Klägerin, daß die Überlassung von Umfrageergebnissen demoskopischer Institute eine Überlassung von gewerblichen Erfahrungen im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967 sei. Nach seiner unter Heranziehung von Plückebaum-Malitzky (Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, 10. Auflage, § 8 Rz. 10) vertretenen Meinung sind gewerbliche Verfahren und Erfahrungen lediglich Ergebnisse aus der Wertung und Würdigung von Tatsachen technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Art, die nicht für jeden Dritten zugänglich oder wahrnehmbar sind. Auch könne das, was beim leistenden Unternehmer nicht Verfahren oder Erfahrung ist, nicht allein deshalb durch die Übermittlung zum Verfahren oder zur Erfahrung werden, weil der Leistungsempfänger seine Entscheidungen an den Umfrageergebnissen orientiere. Im übrigen teilt das FA die vom FG vertretene Auffassung, daß eine Auswertung im Ausland nicht vorliege.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und anderweitigen Festsetzung der Umsatzsteuer Januar bis Mai 1970.

Steuerfrei gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967 ist die Überlassung von gewerblichen Verfahren und Erfahrungen sowie die Datenverarbeitung, wenn die Leistungen zur Auswertung im Ausland bestimmt sind. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die von der Klägerin als einem demoskopischen Institut auf dem Gebiete der Marktforschung ermittelten und dem A-Konzern übermittelten Erkenntnisse als steuerbare Leistung im Inland und als Überlassung von gewerblichen Erfahrungen im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967 zu beurteilen sind. Bei der Demoskopie (Meinungsforschung) handelt es sich um ein sozialwissenschaftliches Verfahren zur Ermittlung der Meinungsverteilung in der Gesellschaft, das auch auf dem Gebiete der Marktforschung eingesetzt wird. Die wesentlichen Elemente einer demoskopischen Erhebung sind die Konstruktion der Fragebogen, die Interviewerorganisation, die Stichprobenauswahl, die statistische Aufbereitung des Materials (d. h. die Analyse mit Hilfe mathematisch-statistischer Verfahren der Datenverarbeitung) und die Festlegung des Interpretationsrahmens (vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 6, Seite 427, sowie Noelle-Neumann, daselbst Seite 421). Die auf Grund dieses Verfahrens gewonnenen Ergebnisse einer Meinungsumfrage auf dem Gebiete der Marktforschung stellen, wenn sie, wie im vorliegenden Falle, einem Automobilproduzenten zur Verfügung gestellt werden, die Überlassung einer gewerblichen Erfahrung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967 dar, da sie ihrer Art nach geeignet sind, technische oder wirtschaftliche Verwendung in einem Gewerbe zu finden (vgl. Eckhardt-Weiß, a. a. O., § 8 Tz. 16; so im Ergebnis zu § 27a UStDB 1951 bereits Hartmann-Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 5. Auflage, § 4 Ziff. 3 E 33).

Die von der Klägerin gegenüber dem A-Konzern erbrachten Leistungen sind auch zur Auswertung im Ausland bestimmt. Entgegen der Auffassung des FG ergibt sich bereits aus der im Vergleich zu § 27a UStDB 1951 veränderten Wortfassung (Auswertung statt Ausnutzung) eine andere Auslegung. Nach dieser grammatischen Auslegung ist, wie Eckhardt-Weiß (a. a. O., § 8 Tz. 20 a) zutreffend ausführen, Auswertung gegenüber Ausnutzung der engere Begriff. Auswerten heißt, den Wert ermittelter Tatsachen bestimmen, sie ordnen und für Überlegungen nutzbar machen. Ausnützen (oder verwerten) ist die nächste Stufe und bedeutet, sich das Ergebnis der Auswertung wirtschaftlich nutzbar machen. Der Sinn dieser grammatischen Differenzierung bestätigt sich bei Anwendung auf den vorliegenden Fall. Der A-Konzern wertet das ihm überlassene Ergebnis der Meinungsumfrage dahin aus, ob und wie der neue PKW zu bauen ist. Damit ist der auf der Meinungsumfrage basierende Entscheidungsprozeß abgeschlossen. Die Meinungsumfrage ist ausgewertet. Ausgenutzt wird diese Entscheidung erst dann, wenn der neue PKW tatsächlich produziert und verkauft wird. Hier wird der unternehmerische Entscheidungsprozeß nach außen hin sichtbar und zur Umsatzsteuer herangezogen.

Diese grammatische Auslegung befindet sich im Einklang mit der Gestzessystematik, dem Sinn und Zweck des Gesetzes sowie seiner Entstehungsgeschichte. In systematischer Hinsicht verhindert diese Auslegung eine Steuerkumulierung, eines der Hauptanliegen des Systemwechsels. Die Erhebung von Steuer auf Steuer wäre jedoch zwangsläufig, wenn Leistungen der von der Klägerin erbrachten Art nicht nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967 von der Umsatzsteuer freigestellt würden. Andernfalls würde nämlich die auf derartigen Leistungen lastende Umsatzsteuer bei fehlender Berechtigung des ausländischen Leistungsempfängers zum Vorsteuerabzug in dessen Fertigungs- und Fertigungsgemeinkosten eingehen und damit die Preisgestaltung beeinflussen. Das im Ausland hergestellte Produkt würde bei seinem Absatz im Inland mit einer Umsatzsteuer belastet, die von einer um diese Kostenfaktoren erhöhten Bemessungsgrundlage auszugehen hätte. Diese Konsequenz wäre - vom Sinn und Zweck des Gesetzes aus betrachtet - um so befremdlicher, als sie den inländischen Unternehmer als Anbieter der hier in Rede stehenden Leistungen in einer durch den Systemwechsel veränderten Wettbewerbssituation träfe. Gegenüber einem ausländischen Anbieter beträgt die vom inländischen Unternehmer auf Grund des Systemwechsels zu beachtende Steuersatzdifferenz statt bisher 4 v. H. nunmehr in der Regel 11 v. H. Hinzu kommt, daß sich die insoweit nicht unbeträchtlich verschärfte Wettbewerbssituation lediglich gegenüber denjenigen ausländischen Auftraggebern auswirkt, die nicht nach § 15 UStG 1967 zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Bei Leistungen an vorsteuerabzugsberechtigte ausländische Auftraggeber spielt in der Regel die Frage der Steuerpflicht und die Höhe des Steuersatzes keine Rolle. Es entspricht somit auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes, den Vorgang der Auswertung auch wirtschaftlich entsprechend dem Wortsinne auszulegen. Das Auswertungsergebnis wird, sofern es wirtschaftlich nutzbar gemacht wird, in Form der im Inland bewirkten Umsätze zur Umsatzsteuer herangezogen.

Diese Auslegung wird gestützt durch folgende Erwägungen. Die am ausländischen Sitz des A-Konzerns auf Grund der Meinungsumfrage getroffene Entscheidung über die Konstruktion des X-Modells (d. h. die Auswertung) ist nicht nur für die unternehmerische Betätigung des A-Konzerns im Inland relevant, sondern betrifft insonderheit alle europäischen Länder, für die dieser Wagen konstruiert worden ist. Würde man die Auswertung der Meinungsumfrage erst im PKW-Verkauf im Inland sehen, wäre zu prüfen, ob auch bei einem zahlenmäßig unbedeutenden Inlandsanteil an verkauften PKW die Steuerfreiheit des § 8 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967 zu versagen wäre. Würde man bejahendenfalls diesem von der Klägerin als sinnwidrig bezeichneten Ergebnis dadurch ausweichen wollen, daß man nur einen nicht unbeträchtlichen inländischen Anteil am Gesamt-PKW-Verkauf als steuerschädliche Auswertung im Inland ansähe, so ergäbe sich das schwer lösbare Problem, wie dieser bei einem sich mitunter über Jahre hinziehenden Verkauf des PKW-Modells zu bemessen sei.

Letztlich kann auch entgegen der Auffassung des FG aus der Entstehungsgeschichte nichts für die von ihm vertretene Auffassung hergeleitet werden. Es ist zutreffend, daß es in § 7 Abs. 1 Nr. 2 des Regierungsentwurfs (Bundestags-Drucksache IV/1590) statt "Ausnutzung" (so § 27a UStDB 1951) nunmehr "Verwertung und Nutzung" heißt und die Amtliche Begründung ausführt, die neue Fassung entspreche inhaltlich dem § 27a UStDB 1951. Zur zum Gesetz gewordenen Fassung, die auf den Begriff der Auswertung umstellte, läßt der Schriftliche Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages (Bundestags-Drucksache V/1581) eine entsprechende Bemerkung vermissen. Der Folgerung des FG, der Gesetzgeber habe, weil er geschwiegen habe, keine sachliche Änderung treffen wollen, läuft schon das dargestellte Verhalten der Bundesregierung im Falle des Regierungsentwurfs zuwider.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70796

BStBl II 1974, 259

BFHE 1974, 375

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