Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Anwendbarkeit des § 79 BVerfGG richtet sich hinsichtlich der Folgewirkungen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts nach der im Zeitpunkt des Ergehens dieses Urteils bestehenden Rechtslage.

 

Normenkette

AO §§ 150-152, 222/1/1, §§ 258, 247; FGO § 105/1; FGO § 105/2

 

Tatbestand

Die Bfin. ist für die Veranlagungszeiträume 1951, 1953, 1954 und 1955 im Wege der vereinfachten Veranlagung ohne Bescheiderteilung zur Umsatzsteuer veranlagt worden. In den veranlagten Steuerbeträgen war auch Herstellerzusatzsteuer (ß 58 UStDB 1951) enthalten. Die Veranlagungen sind nicht geändert oder berichtigt worden.

Mit Schreiben vom 12. Februar 1959 beantragte die Bfin., ihr die in den streitigen, rechtskräftig gewordenen Veranlagungen enthaltene Zusatzsteuer im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (BGBl 1958 I S. 154, BStBl 1958 I S. 83) gemäß §§ 150 ff. AO zu erstatten. Das Finanzamt hat den Antrag abgelehnt.

Einspruch und Berufung wurden als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht hat ausgeführt, daß die Voraussetzungen des § 151 AO nicht vorlägen, da die Umsatzsteuerfestsetzungen weder aufgehoben, zurückgenommen oder geändert worden seien. Auch § 152 AO treffe nicht zu; danach bestehe ein Erstattungsanspruch dann, wenn eine Steuer zu Unrecht beigetrieben worden sei, weil der Steueranspruch erloschen sei; als erloschen sei der Steueranspruch anzusehen, wenn die Steuer bezahlt, verjährt oder erlassen sei. Im Streitfalle gehe es vielmehr darum, welche Folge die Feststellung der Nichtigkeit einer Steuerrechtsnorm durch das Bundesverfassungsgericht für die auf der nichtigen Norm beruhenden Steuerbescheide und für die auf Grund dieser Steuerbescheide geleisteten Zahlungen habe. Hier aber treffe § 79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) die besondere Regelung, daß die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen unberührt blieben.

 

Entscheidungsgründe

Der Rb. ist der Erfolg zu versagen.

Die Vorentscheidung läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Der Senat verkennt nicht, daß § 8 UStG in Verbindung mit § 58 UStDB 1951 als Rechtsgrundlage der Heranziehung zur Herstellerzusatzsteuer von Anfang an nichtig war. Gleichwohl hat sich der Gesetzgeber im § 79 BVerfGG für den Grundsatz der Rechtssicherheit entschieden, dem Verfassungsrang zukommt (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 678/57 vom 12. Dezember 1957, BStBl 1958 I S. 52, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 194). Der Senat ist - wie auch das Finanzgericht - der Auffassung, daß im Streitfalle die Anwendung des § 79 BVerfGG auch für den Fall des § 13 Nr. 11 BVerfGG und der Verfassungsbeschwerde geboten ist, weil sich die Folgewirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1958 nur nach dem im Zeitpunkt dieses Urteils bestehenden Rechtszustand richten kann. Wenn die Rb. demgegenüber ausführt, daß das Urteil, welches den Weg für den Rückforderungsanspruch auch in formeller Hinsicht freimache, die Durchsetzung dieses Anspruchs zugleich endgültig vereiteln würde, so trifft dies doch nur für die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen zu. Bei allen Entscheidungen, die im Zeitpunkte des Ergehens des Urteils vom 5. März 1958 noch anfechtbar waren oder bereits angefochten worden waren, ist dem Urteil dagegen Rechnung zu tragen. Entscheidungen, die in diesem Zeitpunkt bereits in Rechtskraft erwachsen waren, sollen aber nach dem eindeutig geäußerten Willen des Gesetzgebers im Interesse der Rechtssicherheit unberührt bleiben. Daß auch das Bundesverfassungsgericht selbst diese Ansicht teilt, geht aus seinem oben angeführten Beschluß vom 12. Dezember 1957 hervor, der die Streitjahre 1949 bis 1952 betrifft und eine Verfassungsbeschwerde zum Gegenstand hatte. Es kann nicht angenommen werden, daß das Bundesverfassungsgericht die von der Bfin. angesprochene Frage übersehen hätte. Es muß deshalb auch eine entsprechende Anwendung der §§ 150 ff. AO außer acht bleiben. Inwiefern die Verweigerung einer Berichtigungsveranlagung, wie die Rb. meint, auf eine Beseitigung der Rechtsfolgen des Urteilsspruches des Bundesverfassungsgerichts hinauslaufen soll, ist nicht ersichtlich, da doch eine Berichtigungsveranlagung nach den Vorschriften der AO mangels der gesetzlichen Voraussetzungen des § 222 AO oder einer anderen Vorschrift, wie bisher nicht streitig war, gar nicht in Betracht kam.

Schließlich kann die Bfin. auch nichts daraus herleiten, daß die hier zu beurteilenden Veranlagungen im vereinfachten Verfahren entsprechend den Jahressteuererklärungen durchgeführt worden sind, wobei die Bfin. ausdrücklich auf einen Steuerbescheid und auf ein Rechtsmittel verzichtet hat. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung die im Wege der vereinfachten Veranlagung durchgeführten Steuerfestsetzungen ohne Rücksicht auf das jeweilige fiskalische Ergebnis rechtskräftigen Veranlagungen gleichgestellt. Besondere Umstände, die im Einzelfalle den Verzicht auf die Bescheiderteilung und den gleichzeitig ausgesprochenen Rechtsmittelverzicht als unwirksam erscheinen lassen könnten, sind im Streitfalle nicht erkennbar. Die Bfin. hat im Steuererklärungsvordruck diesen Verzicht auch nicht übersehen. Die im Vordruck nicht passenden Worte sind von ihr durchgestrichen worden. Im übrigen nimmt der Rechtsmittelverzicht im Vordruck einen besonderen, in der überschrift durch Fettdruck hervorgehobenen Abschnitt ein. Sein Wortlaut ist eindeutig und klar; er ist von der Bfin. auch richtig verstanden worden, andernfalls hätte sie in ihrem Erstattungsantrage vom 12. Februar 1959 die Veranlagungen nicht ausdrücklich als rechtskräftig bezeichnet. Die Rechtslage ist also nicht anders zu beurteilen als in Fällen, in denen förmliche Steuerbescheide erteilt worden sind. Bei rechtskräftigen Entscheidungen der Verwaltungsbehörden verbietet aber nach den obigen Ausführungen § 79 Abs. 2 BVerfGG die Berichtigung mit dem Ziele der Erstattung der auf einer für nichtig erklärten Norm beruhenden Steuern.

Die auf § 258 AO gestützte Verfahrensrüge ist nicht begründet. Beide Vorentscheidungen lassen bei klar und ohne Aktenverstoß festgestelltem Sachverhalt erkennen, welche rechtlichen Erwägungen zu dem Urteilstenor geführt haben. Aus § 258 AO ist nicht zu entnehmen, daß sich die Begründung des Urteils mit jeder einzelnen Behauptung, noch weniger mit jeder einzelnen rechtlichen Argumentation auseinanderzusetzen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410663

BStBl III 1963, 51

BFHE 1963, 143

BFHE 76, 143

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