Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensaussetzung bei Anfechtung eines Änderungsbescheides

 

Leitsatz (NV)

Wird ein Änderungsbescheid angefochten, ist das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid auch dann bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Änderungsbescheid auszusetzen bzw. zum Ruhen zu bringen, wenn der gegen den Änderungsbescheid ergriffene Rechtsbehelf offenkundig unbegründet ist.

 

Normenkette

FGO §§ 68, 74

 

Tatbestand

Die Klägerin erhob gegen den Einkommensteuerbescheid 1985 Klage wegen unwirksamer Bekanntgabe dieses Bescheides sowie wegen des Grundfreibetrags und der Kinderfreibeträge. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens änderte das FA den Einkommensteuerbescheid; es erhöhte die Kinderfreibeträge nach Maßgabe des Steueränderungsgesetzes 1991 und erklärte den Bescheid wegen des Grundfreibetrags für vorläufig. Auf den von der Klägerin gegen diesen Änderungsbescheid erhobenen Einspruch änderte das FA den Einkommensteuerbescheid erneut dahin, daß der Vorläufigkeitsvermerk entfalle. Auch gegen diesen Änderungsbescheid erhob die Klägerin jedoch Einspruch.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung seines Urteils führte es aus, die Klage sei unzulässig geworden. Ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe nicht mehr. Es sei nicht erkennbar, in welcher Weise die Klägerin noch in ihren Rechten verletzt sein könnte. Der noch unerledigte Einspruch gegen den (zweiten) Änderungsbescheid des FA sei mangels einer geltend gemachten Beschwer offensichtlich unbegründet. Es be stehe daher keine Veranlassung, das Klageverfahren gemäß § 74 FGO bis zu einer Entscheidung über diesen Einspruch auszusetzen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von dem erkennenden Senat zugelassene Revision, die damit begründet wird, das FG hätte das Verfahren aussetzen müssen und nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Zurückverweisung der Sache (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Bei dem vom FA während des Klageverfahrens erlassenen (zweiten) Änderungsbescheid, durch den der dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid beigefügte Vorläufigkeitsvermerk aufgehoben worden ist, handelt es sich um einen Änderungsbescheid i. S. des § 68 FGO (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 9. August 1991 III R 41/88, BFHE 166, 1, BStBl II 1992, 219). Nach der Rechtsprechung des BFH nimmt ein solcher Änderungsbescheid den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsgehalt mit auf; solange der Änderungsbescheid Bestand hat, entfaltet der ursprüngliche Bescheid keine Wirkung. Dieser ist vielmehr in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen ist, suspendiert und bleibt dies für die Dauer der Wirksamkeit des Änderungsbescheids. Der ursprüngliche Bescheid tritt jedoch wieder in Kraft, wenn der Änderungsbescheid -- insbesondere etwa aus formellen Gründen -- aufgehoben wird (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ergibt sich daraus, daß bei einer Anfechtung des Änderungsbescheides abgewartet werden muß, ob er bestehen bleibt. Das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid kann grundsätzlich solange nicht endgültig abgeschlossen werden, bis eine rechtskräftige Entscheidung über den Änderungsbescheid ergangen ist. Das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid ist deshalb auszusetzen oder -- bei entsprechendem übereinstimmenden Antrag der Beteiligten -- zum Ruhen zu bringen (BFH-Urteil vom 5. Mai 1992 IX R 9/87, BFHE 168, 213, BStBl II 1992, 1040). Daran hat sich nichts dadurch geändert, daß der Antrag, den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens gegen den ursprünglichen Bescheid zu machen, nach dem § 68 FGO durch das FGO- Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2109) angefügten Satz 2 innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Änderungsbescheides zu stellen ist (Beschluß des erkennenden Senats vom 11. Februar 1994 III B 127/93, BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 658).

Die Auffassung des FG, eine Aussetzung des Verfahrens habe im Streitfall gleichwohl zu unterbleiben, weil der von der Klägerin gegen den Änderungsbescheid ergriffene Rechtsbehelf offenkundig unbegründet sei, vermag der erkennende Senat nicht zu teilen. Die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides ist in dem diesen betreffenden Verfahren zu klären; sie ist nach der Rechtsprechung des BFH keine Frage, die in dem Verfahren gegen den geänderten Bescheid inzident geklärt werden kann und von deren Beantwortung dessen Fortführung abhängt. Denn auch wenn das mit der Überprüfung des geänderten Bescheides befaßte Gericht Rechtsmängel des Änderungsbescheides nicht zu erkennen vermag, läßt sich nicht völlig ausschließen, daß der Beteiligte gleichwohl dessen Aufhebung oder die Feststellung seiner Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit im Einspruchsverfahren oder in einem daran anschließenden Klageverfahren erstreitet. Käme es jedoch in diesem Falle zur Beseitigung der Rechtswirkungen des Änderungsbescheides (im Streitfall: der Änderungsbescheide), so wären dem Beteiligten seine materiell- rechtlichen Einwendungen gegen den ursprünglichen Bescheid abgeschnitten, wenn das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid vor Bestandskraft des Änderungsbescheides abgeschlossen werden würde.

Da das FG von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist, ist sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie ist an das FG zurückzuverweisen, damit dieses Gelegenheit erhält, das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen, bis die Bestandskraft des Änderungsbescheides geklärt ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421857

BFH/NV 1997, 573

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