Leitsatz (amtlich)

Die im voraus zu treffenden Vereinbarungen zwischen der Kapitalgesellschaft und dem beherrschenden Gesellschafter müssen zivilrechtlich wirksam sein. Sie dürfen daher auch nicht unter Verletzung des § 181 BGB zustandegekommen sein.

 

Normenkette

KStG § 6 Abs. 1 S. 2; BGB § 181; StAnpG § 5 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.02.1974; Aktenzeichen I (I b) 74/72)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 08.03.1977; Aktenzeichen 1 BvR 1001/76)

 

Tatbestand

An der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, waren bis 27. Juli 1961 die Brüder O B mit 87,5 v. H. und A B mit 12,5 v. H. beteiligt. Am 27. Juli 1961 starb A B. In seinem Testament hatte er folgendes verfügt:

I. Aus meinem dereinstigen Nachlaß sollen unentgeltlich - soweit es sich um Erben handelt zum Voraus - erhalten:

a) meine Geschäftsanteile an der O B & Co. GmbH mein Bruder O B, und zwar mit Rücksicht darauf, daß die Anteile von ihm an mich früher schon abgegolten worden sind,

b) ...

II. Zu Erben meines dereinstigen Nachlasses setze ich hiermit ein:

a) meine Ehefrau,...

b) meinen Bruder B B,...

c) meine Schwester,...

d) meinen oben bereits genannten Bruder O B,...

Mit notariellem Vertrag vom 25. Juni 1968 übertrugen die Miterben ihren Anteil an der Klägerin auf O B. Schon vorher, aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung vom 1. Juli 1963, wurde das Gehalt des O B, des nunmehr alleinigen Geschäftsführers, von bisher 14 700 DM jährlich auf 60 000 DM jährlich vom 1. Juli 1963 an erhöht. Durch eine weitere schriftliche Vereinbarung zwischen der Klägerin und ihrem Geschäftsführer O B vom 7. Januar 1964 wurde das Gehalt auf 90 000 DM jährlich erhöht.

Nach der Übertragung der Geschäftsanteile am 25. Juni 1968 faßte O B als alleiniger Gesellschafter der Klägerin den Beschluß, den Gesellschaftsvertrag in der Weise zu ergänzen, daß O B von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit sein sollte und die Gesellschaft nachträglich den Einstellungsvertrag zwischen O B und der Klägerin samt den Änderungsverträgen vom 1. Juli 1963 und 7. Januar 1964 genehmigte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) behandelte die Gehälter des O B für 1962 bis 1968, soweit sie 14 700 DM jährlich überstiegen, als verdeckte Gewinnausschüttungen, da die Gehaltserhöhungen nach § 181 BGB unwirksam seien und die nachträgliche Genehmigung steuerrechtlich unbeachtlich sei.

Die Körperschaftsteuerbescheide 1962 bis 1966 wurden bestandskräftig, da die Klägerin die Klage gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1962 und die Revision gegen das klageabweisende Urteil des FG vom 19. Februar 1970 I 77/68 für die Jahre 1963 bis 1966 zurücknahm.

Die Klagen gegen die Körperschaftsteuerbescheide 1967 und 1968 waren erfolgreich. Das FG behandelte in dem Urteil vom 21. November 1972 I b (I) 192/70 die Klägerin bei wirtschaftlicher Betrachtung seit dem 28. Juli 1961 als Einmann-Gesellschaft, für deren Gesellschafter-Geschäftsführer die Beschränkungen des § 181 BGB nach neuerer Rechtsprechung des BGH nicht gelten.

Die auf die verdeckten Gewinnausschüttungen entfallenden Körperschaftsteuern 1962 bis 1964 erließ das FA, das den Erlaß vorher abgelehnt hatte, im Beschwerdeverfahren, da d ie schwebend unwirksamen Gehaltserhöhungen für eine gewisse Übergangszeit anzuerkennen seien. Die Klägerin nahm daraufhin die Beschwerde, auch soweit sie sich auf die Streitjahre 1965 und 1966 bezog, zurück.

Mit Schreiben vom 14. Oktober 1971 beantragte die Klägerin erneut den Erlaß der auf die verdeckten Gewinnausschüttungen entfallenden Körperschaftsteuern 1965 und 1966. Diesen Antrag lehnte das FA ab, die Beschwerde blieb ohne Erfolg. Die OFD vertrat die Auffassung, daß durch die Zurücknahme der Beschwerde die den Erlaß ablehnende Verfügung des FA hinsichtlich der Streitjahre 1965 und 1966 bestandskräftig geworden sei. Der Erlaßantrag sei auch sachlich nicht begründet, weil die Körperschaftsteuern nach geltendem Recht zutreffend festgesetzt worden seien. Der Gesellschafter-Geschäftsführer O B sei zur Zeit seiner steuerrechtlich nicht anerkannten Gehaltserhöhungen nicht Alleingesellschafter gewesen. Die Geschäftsanteile seines Bruders hätten zu dessen Nachlaß gehört.

Auch die Klage blieb erfolglos.

Das FG hat ausgeführt, die Körperschaftsteuerbescheide 1965 und 1966 seien nicht offensichtlich fehlerhaft. Zwar sprächen Umstände dafür, daß der Gesellschafter O B seit dem Tod seines Bruders wirtschaftlich Alleineigentümer von dessen Geschäftsanteilen und damit Alleingesellschafter gewesen sei. Es sei aber nicht allgemeine Überzeugung gewesen, daß die Gesellschafter von Einmann-Gesellschaften von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit gewesen seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der geltend gemacht wird, die Gehaltserhöhungen vom 1. Juli 1963 und 7. Januar 1964 seien entgegen den Feststellungen des FG nicht rückwirkend vereinbart worden. Die Hinzurechnung der verdeckten Gewinnausschüttungen hätten steuerliche Belastungen zur Folge, die über 100 v. H. der Zurechnungsbeträge lägen. Es unterliege keinem Zweifel, daß es sachlich unbillig sei, Steuern in dieser Höhe aufgrund eines überhaupt nicht vorhandenen Steuertatbestandes und abweichend von der Behandlung in den anderen Jahren zu erheben.

Die Klägerin beantragt, die Körperschaftsteuern 1965 und 1966 in Höhe von 63 094 DM aus Billigkeitsgründen zu erlassen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FA und die OFD haben den Antrag auf Erlaß der Körperschaftsteuern 1965 und 1966 ohne Ermessensfehler abgelehnt (§ 102 FGO).

Steuern können erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des Einzelfalles aus sachlichen oder persönlichen Gründen unbillig wäre (§ 131 AO). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

1. a) Sachlich unbillig kann es sein, Steuern einzuziehen, obwohl in dem zugrunde liegenden Steuerbescheid die Sach- und Rechtslage offensichtlich falsch beurteilt worden ist (Urteil des BFH vom 3. März 1970 II 135/64, BFHE 99, 8, BStBl II 1970, 503). Im Streitfall hat das FG durch rechtskräftiges Urteil vom 19. Februar 1970 I 77/68 die Klage insoweit abgewiesen, als diese gegen die Hinzurechnung der verdeckten Gewinnausschüttungen durch die Gehaltserhöhungen vom 1. Juli 1963 und 7. Januar 1964 gerichtet war. Es kann auf sich beruhen, ob sich ein Steuerpflichtiger unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Unbilligkeit auf Unrichtigkeit eines gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Urteils berufen kann. Denn das Urteil des FG vom 19. Februar 1970 I 77/68 ist nicht offensichtlich falsch. Es geht zutreffend davon aus, daß nach ständiger Rechtsprechung Leistungen einer Kapitalgesellschaft an den beherrschenden Gesellschafter steuerrechtlich nur dann keine verdeckten Gewinnausschüttungen sind, wenn sie auf einer im voraus getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarung beruhen (BFH-Urteil vom 10. Juli 1974 I R 205/72, BFHE 113, 218, BStBl II 1974, 719). Daraus folgt auch, daß die im voraus getroffene Vereinbarung zivilrechtlich wirksam sein muß. Eine unter Verletzung des § 181 BGB getroffene Vereinbarung kann steuerrechtlich nicht anerkannt werden (BFH-Urteil vom 5. Juni 1962 I 221/60 U, BFHE 75, 407, BStBl III 1962, 416). Insoweit tritt § 5 Abs. 3 StAnpG hinter das Erfordernis der im voraus getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarung zurück (vgl. BFH-Urteil vom 1. Februar 1973 IV R 49/68, BFHE 108, 197, BStBl II 1973, 307, für die ähnlich gelagerte Frage der steuerrechtlichen Anerkennung eines Gesellschaftsvertrags).

Die in § 181 BGB vorgesehene "Gestattung" des Selbstkontrahierens kann auch durch nachträgliche Genehmigung erklärt werden, die auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurückwirkt (§ 184 BGB). Gegen die steuerrechtliche Anerkennung dieser zivilrechtlichen Rückwirkung bestehen aber erhebliche Bedenken, die sich aus den im BFH-Urteil I R 205/72 angeführten Gründen für das Erfordernis der im voraus getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarung herleiten lassen. Jedenfalls ist es nicht offensichtlich falsch, wenn das FG im Streitfall die Rückwirkung der am 25. Juni 1968 beschlossenen Genehmigung der Gehaltserhöhungen vom 1. Juli 1963 und 7. Januar 1964 nicht anerkannt hat.

In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, daß das FG in dem erwähnten Urteil vom 19. Februar 1970 I 77/68 wie auch in dem mit der gegenwärtigen Revision angefochtenen Urteil nicht verkannt hat, daß sich die Gehaltserhöhungen vom 1. Juli 1963 und 7. Januar 1964 nach ihrem Inhalt keine rückwirkende Kraft beigelegt haben. Die steuerrechtlich schädliche Rückwirkung hat das FG damals wie jetzt in der rückwirkenden Genehmigung vom 25. Juni 1968 gesehen. Daher liegt in dieser Beurteilung kein Verstoß gegen den Inhalt der Akten.

Das FG ist in seinem Urteil vom 19. Februar 1970 I 77/68 allerdings von der damaligen Rechtsprechung des BGH ausgegangen, daß auch der Einmann-Gesellschafter einer GmbH ohne Gestattung im Gesellschaftsvertrag nicht mit sich selbst im Namen der Gesellschaft Vereinbarungen treffen könne (BGH-Urteil vom 6. Oktober 1960 II ZR 215/58, BGHZ 33, 189). Diese Rechtsprechung hat der BGH inzwischen aufgegeben (BGH-Urteil vom 19. April 1971 II ZR 98/68, BGHZ 56, 97). Entgegen der Ansicht der Klägerin folgt aber aus der neueren Rechtsprechung des BGH für den Streitfall nicht, daß das Urteil des FG vom 19. Februar 1970 I 77/68, mit dem auch die Klagen bezüglich der Streitjahre 1965 und 1966 abgewiesen wurden, "offensichtlich falsch" ist. Denn es bestehen Bedenken gegen die Ansicht, O B sei seit dem Tod seines Bruders A B für die Anwendung des § 181 BGB als Alleingesellschafter zu behandeln, obwohl er hinsichtlich der Anteile seines verstorbenen Bruders zunächst nur Vorausvermächtnisnehmer gewesen sei (§§ 2150, 2174 BGB). Der Senat braucht darauf nicht weiter einzugehen. Denn die Frage, ob das Urteil des FG vom 19. Februar 1970 "offensichtlich falsch" war, ist nach der zur Zeit dieses Urteils herrschenden Rechtsauffassung zu beurteilen. Eine Änderung der Rechtsprechung rechtfertigt es nicht, ein rechtskräftiges Urteil im Wege eines Erlasses von Steuern nach § 131 AO zu korrigieren (vgl. auch § 222 Abs. 2 AO).

b) Eine sachliche Unbilligkeit liegt auch nicht darin, daß die Gehaltserhöhungen vom 1. Juli 1963 und 7. Januar 1964 in den Streitjahren 1965 und 1966 als verdeckte Gewinnausschüttungen beurteilt worden sind, während in den folgenden Jahren 1967 und 1968 die Annahme verdeckter Gewinnausschüttungen, begründet durch die Gehaltserhöhungen, abgelehnt und für die Jahre 1962 bis 1964 wenigstens der Erlaß der auf diese verdeckten Gewinnausschüttungen entfallenden Körperschaftsteuern ausgesprochen worden ist. Denn es gibt bei Abschnittsteuern kein Recht darauf, daß eine Rechtsfrage in jedem Steuerabschnitt gleich behandelt werde.

2. Eine persönliche Unbilligkeit kann nicht darin erblickt werden, daß die Hinzurechnung der verdeckten Gewinnausschüttungen zum Einkommen der Klägerin zusammen mit der Besteuerung der verdeckten Gewinnausschüttungen beim Gesellschafter mehr als 100 v. H. der Zurechnungsbeträge ausmacht. Denn das ist eine regelmäßige Folge der steuerrechtlichen Erfassung verdeckter Gewinnausschüttungen, die das Gesetz in Kauf nimmt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72107

BStBl II 1977, 15

BFHE 1977, 200

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