Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör wird verletzt, wenn das FG gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten des Beteiligten den Eindruck erweckt, es werde einen Termin nicht ohne ihn beginnen, und dann doch ohne ihn die Verhandlung durchführt und Beweis erhebt.

 

Normenkette

ZPO a.F. § 227; FGO § 119 Nr. 3

 

Tatbestand

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat in den Jahren 1968 bis 1973, für die Einkommensteuer- und Gewerbesteuermeßbetragsfestsetzungen streitig sind, im eigenen Namen in gemieteten Räumen einen Groß- und Einzelhandel betrieben.

Eine Steuerfahndungsprüfung hatte neue Tatsachen ergeben; in diesem Zusammenhang war auch festgestellt worden, daß keine ordnungsmäßige Buchführung vorlag sowie daß Umsätze und Einnahmen vom Kläger nicht erfaßt und nicht der Besteuerung unterworfen worden waren. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte - den Ergebnissen im Fahndungsbericht folgend - die Besteuerungsgrundlagen geschätzt, die Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 1968 bis 1971 sowie die Gewerbesteuermeßbescheide für die Veranlagungszeiträume 1969 bis 1971 berichtigt und für die Veranlagungszeiträume 1972 und 1973 die Einkommensteuer und die Gewerbesteuermeßbeträge erstmalig festgesetzt. Entsprechendes gilt für die Ergänzungsabgabe und den für das Jahr 1973 festgesetzten Stabilitätszuschlag.

Die Einsprüche des Klägers waren ohne Erfolg geblieben. Auf die Klage nahm das Finanzgericht (FG) unter Würdigung der Einwendungen des Klägers selbst eine Schätzung vor und setzte die Einkommensteuer - ausgenommen für das Jahr 1968 -, die Ergänzungsabgabe, den Stabilitätszuschlag und die Gewerbesteuermeßbeträge entsprechend den von ihm schätzungsweise ermittelten Besteuerungsgrundlagen herab.

Mit der Revision "wegen Einkommensteuer 1968 bis 1973" rügt der Kläger Verletzung des rechtlichen Gehörs und - jedenfalls im Ergebnis - eine zu hohe Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch das FG.

1. Die Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs begründet der Vertreter des Klägers wie folgt:

Er - der Prozeßbevollmächtigte - habe mit Schreiben vom 11. Juni 1976 die Verlegung des auf den 25. Juni 1976 anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragt, weil von ihm an diesem Tag bereits eine umfangreiche Terminsache vor dem Oberlandesgericht (OLG) X zu besorgen war. Einige Tage vor dem Termin habe der Vorsitzende des III. Senats des FG mitgeteilt, eine telefonische Rücksprache beim OLG X habe ergeben, daß die dort zu verhandelnde Sache wenig Zeit erfordern werde, so daß im Anschluß daran die Beweisaufnahme vor dem FG durchgeführt werden könne. Als Vertreter des Klägers habe er Zweifel daran geäußert, daß der Termin vor dem OLG kurzfristig erledigt werden könne, und darauf hingewiesen, daß er wegen eines unaufschiebbaren Termins bereits um 15.00 Uhr wieder in W zurück sein müsse. Der Vorsitzende habe daraufhin zugesagt, den Termin für den Fall kurzfristig abzusetzen, daß sich im Verlaufe der Verhandlung vor dem OLG herausstellen sollte, der Prozeßbevollmächtigte werde den Termin vor dem FG nicht wahrnehmen können. Um 11.20 Uhr habe er vom OLG aus das FG angerufen. Der Berichterstatter habe ihm erklärt, daß die Verhandlung in der Klagesache unterbrochen worden sei und nachmittags fortgesetzt werde. Auf den Hinweis, daß er nachmittags wegen anderweitiger Verpflichtung an der Prozeßvertretung gehindert sei, habe der Berichterstatter mitgeteilt, daß mit einer Absetzung des Termins nicht zu rechnen sei, nachdem die geladenen Zeugen erschienen seien. Tatsächlich sei die Beweisaufnahme in seiner Abwesenheit durchgeführt worden.

Nach den Akten des FG ist der Schriftsatz des Prozeßvertreters vom 11. Juni 1976 dem FG am 14. Juni 1976 zugegangen. Er hat folgenden Wortlaut:

"In dieser Sache ist Termin anberaumt auf den 25. Juni 1976. Ich bitte um kurzfristige Verlegung des Termins, da ich an diesem Tage vormittags bereits einen Termin vor dem Oberlandesgericht X wahrzunehmen habe (s. Ablichtung der Ladung).

Die Verlegung des Oberlandesgerichtstermins ist nicht tunlich. Einmal sind zu diesem Termin eine ganze Anzahl von Personen geladen, zum andern wurde diese mündliche Verhandlung bereits einmal verlegt."

Der Vermerk über das Telefongespräch lautet:

"Es wurde dem Prozeßvertreter mitgeteilt, daß der Termin vorläufig nicht abgesetzt wird. Sollte sich der Termin am OLG X länger hinziehen, so daß der Prozeßvertreter den hiesigen Termin entweder nicht rechtzeitig od. überhaupt nicht wahrnehmen kann, dann wurde ihm in Aussicht gestellt, entweder auf ihn zu warten oder den Termin abzusetzen."

Die mündliche Verhandlung, bei der der Kläger selbst anwesend war, hat laut Niederschrift am 25. Juni 1976 um 10.50 Uhr begonnen. Nach der Zeugenbelehrung verließen diese den Sitzungssaal.

"Der Berichterstatter trug den wesentlichen Inhalt der Akten vor.

Der Vorsitzende erörterte die Streitsache mit den Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Sicht.

Hierauf erhielten die Beteiligten das Wort.

Der Kläger übergab dem Gericht verschiedene Unterlagen.

Der Kläger wies darauf hin, daß bei der Berechnung des Übergangsgewinns von einem zu niedrigen Warenbestand ausgegangen worden ist. Es sei von einem Warenbestand von ca. 100 000-120 000 DM auszugehen.

Weiter seien, wie vorgetragen, die privaten Kfz-Kosten, der Privatanteil für Licht und Heizung und die Unterhaltsleistungen für seinen Sohn herabzusetzen.

Bei der Schätzung seien diese Punkte zu berücksichtigen und der Reingewinn entsprechend niedriger und auch die Steuern niedriger festzusetzen.

Der Vertreter des beklagten Finanzamts beantragte, die Klage abzuweisen.

Er übergab dem Gericht die Steuerakten betreffend die Eheleute H für die Jahre vor 1968 und für die Zeugin für die Zeit danach. Der Vorsitzende verkündete folgenden Beschluß: 'Die Bilanzakten werden zum Verfahren beigezogen.'

Der Senat trat in die Beweisaufnahme ein mit der Vernehmung der Zeugin H. Die Zeugin erschien um 11.35 Uhr."

Nach den Angaben zur Person, der Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht begann die Einvernahme der Zeugin. Die Sitzung wurde um 11.45 Uhr bis 14.05 Uhr unterbrochen und um 14.05 Uhr mit der weiteren Vernehmung der Zeugin fortgesetzt.

Unmittelbar im Anschluß an diese Zeugeneinvernahme setzte das Gericht um 15.20 Uhr die Beweisaufnahme mit der Vernehmung des Zeugen I fort. Die Beweisaufnahme wurde um 15.50 Uhr abgeschlossen, die Sitzung wurde zur Beratung um 15.50 Uhr unterbrochen. Sie wurde um 16.05 Uhr fortgesetzt. Um 16.10 Uhr wurde die mündliche Verhandlung geschlossen.

2. Das FG hat eine Reingewinnschätzung vorgenommen.

Der Kläger, der "wegen Einkommensteuer 1968-1973" Revision einlegte, beantragt insoweit sinngemäß die Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.

II.

Die Vorentscheidung, die auch über die Festsetzungen der Ergänzungsabgabe, des Stabilitätszuschlags und der einheitlichen Gewerbesteuermeßbescheide befunden hat, ist nur insoweit angefochten, als sie die Einkommensteuerfestsetzungen der Veranlagungszeiträume 1968- 1973 betrifft, denn der Kläger hat "wegen Einkommensteuer 1968-1973" Revision eingelegt. Auf die Bitte des Vorsitzenden des Senats um Klarstellung des Revisionsantrags hat der Bevollmächtigte des Klägers, der Rechtsanwalt ist, nicht geantwortet, auch nicht auf die Erinnerung an die Beantwortung der Anfrage. Der Senat sieht sich daher an die Worte "wegen Einkommensteuer 1968-1973" gebunden.

 

Entscheidungsgründe

III.

Die auf die Einkommensteuer beschränkte Revision des Klägers ist begründet.

Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Deshalb beruht die Vorentscheidung insoweit auch auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

a) Soweit die Finanzgerichtsordnung keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind - soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen - die Vorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) sinngemäß anzuwenden. Auf die Fragen der Terminbestimmung und Terminänderung sind infolgedessen die Vorschriften der §§ 216, 227 ZPO sinngemäß anwendbar. Der Grundsatz der Amtsermittlung schränkt den Einfluß der Beteiligten auf den Gang des Verfahrens einerseits ein und bürdet andererseits dem Gericht eine besondere Fürsorge für sie auf. Deshalb können auch sinngemäß anwendbare Vorschriften je nach den Umständen ganz, teilweise oder nur angepaßt anzuwenden sein. Das gilt auch für die Vorschriften der Terminverlegung und der Vertagung.

b) Jedermann hat im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften das Recht, sich in allen Rechtsangelegenheiten durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten vertreten zu lassen (§ 3 Abs. 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO -). Dem Prozeßbevollmächtigten obliegt es, im Verhältnis zum Vollmachtgeber so zu handeln, daß er dessen Rechte durchsetzt. Der Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör bedeutet in diesem Zusammenhang, daß dieser Anspruch vom Rechtsanwalt wahrgenommen werden kann. Das FG hat hier seine Pflicht, dem Kläger rechtliches Gehör zu gewähren, dadurch verletzt, daß es dieses Recht dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers vorenthalten hat. Das FG hat dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers auf dessen antrag, den Termin zu verlegen, einerseits zwar mitgeteilt, der Termin werde vorläufig nicht abgesetzt, aber zugleich den Eindruck erweckt, das FG werde auf ihn warten und den Termin absetzen, wenn der Termin vor dem OLG die Wahrnehmung des Termins vor dem FG hindere. Tatsächlich hat das FG aber entgegen seiner Ankündigung nicht gewartet, sondern die mündliche Verhandlung eröffnet und mit der Beweisaufnahme begonnen, ohne daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erschienen war und ohne Kenntnis davon, ob der Termin vor dem OLG bereits beendet war oder nicht. Damit wurde der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der Wahrnehmung der Belange seines Mandanten behindert.

Darauf, ob weitere Gründe für eine Terminverlegung oder nach Beginn der mündlichen Verhandlung für eine Vertagung bestanden oder ob sich der Prozeßbevollmächtigte - wie hier - hinsichtlich der von ihm für den Nachmittag behaupteten, aber nicht dargelegten Verhinderung infolgedessen zu Unrecht auf das Vorliegen erheblicher Gründe berufen hat, kommt es unter diesen Umständen nicht mehr an. Denn die einmal eingetretene Verletzung der Gewährung des rechtlichen Gehörs wurde durch ein etwa ungerechtfertigtes Verhalten des Rechtsanwalts nicht beseitigt oder vor dem Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils geheilt.

Da der Prozeßbevollmächtigte des Klägers auf Grund der Erklärungen des Vorsitzenden vom 14. Juni 1976 wegen des Termins vor dem OLG der mündlichen Verhandlung vor dem FG im Vertrauen darauf fernbleiben durfte, diese mündliche Verhandlung werde nicht ohne ihn durchgeführt werden, und aus diesem Grunde in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war, ist es unerheblich, daß in der mündlichen Verhandlung die Nichtverlegung des Termins oder seine Vertagung nicht gerügt worden ist.

Es ist dem Senat unter diesen Umständen verwehrt zu prüfen, ob das Begehren des Klägers nach dem bisher erkennenbaren Sachverhalt Aussicht auf Erfolg hat.

Das Urteil beruht auf dem Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs; es mußte deshalb, soweit es die Einkommensteuer betrifft, aufgehoben und die Sache insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73242

BStBl II 1979, 702

BFHE 1979, 310

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