Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Vollmachtsnachweis durch Kopie der Vollmachtsurkunde -- Unwirksamkeit der Fristsetzung für Vollmachtsnachweis

 

Leitsatz (NV)

1. Der Nachweis der Bevollmächtigung ist durch Vorlage der Originalurkunde zu führen, durch welche die Vollmacht erteilt worden ist (Anschluß an das BFH-Urteil vom 28. November 1995 VII R 63/95).

2. Die Verfügung nach § 62 Abs. 3 FGO gilt bei Verstoß gegen § 3 Abs. 2 VwZG als nicht zugestellt, soweit durch die Zustellung die Frist in Lauf gesetzt würde.

 

Normenkette

FGO § 53 Abs. 1-2, § 62 Abs. 3, § 118 Abs. 3; VwZG § 3 Abs. 2, § 9 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) begehrt den Teilerlaß gegen ihn vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) festgesetzter Säumniszuschläge zur Einkommensteuer. Zusammen mit der Eingangsbestätigung für seine Klage ist seinem Prozeßbevollmächtigten vom Finanzgericht (FG) eine Frist zur Vorlage einer schriftlichen Prozeßvollmacht unter Hinweis auf § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und auf die Folgen der Versäumung der Frist gesetzt worden. Die Zustellung dieser Verfügung mit Postzustellungsurkunde ist vom Vorsitzenden angeordnet worden; eine Postzustellungsurkunde befindet sich jedoch nicht bei der Akte.

Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat innerhalb der ihm gesetzten Frist die ihm von dem Kläger erteilte schriftliche Prozeßvollmacht per Telefax übermittelt. Das Original der Vollmacht ist erst zwei Tage nach Ablauf der Frist bei dem FG eingegangen.

Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil das Original der Vollmachtsurkunde nicht innerhalb der Ausschlußfrist des § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO vorgelegt worden sei.

Mit der vom FG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, es müsse genügen, daß die Vollmacht per Fax dem Gericht prüfbar vorliege. Die Übereinstimmung des Telebriefes mit dem nachgereichten Original lasse sich auch später nachprüfen. Vernünftige Zweifel an der Echtheit der mit Fax übermittelten Vollmacht dürften auch in aller Regel nicht bestehen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das Urteil des FG verletzt § 62 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 FGO.

1. Allerdings hat das FG § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO richtig ausgelegt. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers konnte den ihm abverlangten Nachweis seiner Vollmacht nicht durch Übermittlung der Vollmachtsurkunde per Telefax erbringen.

Durch das Nachreichen der Vollmacht nach dieser Vorschrift soll die sich aus § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO ergebende Verpflichtung des Bevollmächtigten erfüllt werden, seine Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen. Unter einem solchen Nachweis der Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht ist ein Nachweis durch eine Urkunde zu verstehen, aus der sich ergibt, wer von wem wofür bevollmächtigt worden ist, in der also die Bevollmächtigung schriftlich niedergelegt ist. Der Nachweis mittels einer Urkunde kann jedoch nur dadurch geführt werden, daß sie im Original vorgelegt wird (§ 155 FGO i. V. m. § 420 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu § 80 Abs. 1 ZPO, der § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO gleicht. Schriftstücke, die lediglich einen durch technische Übertragungsverfahren hergestellten Abdruck der Originalurkunde darstellen, wie Telefaxe oder Fotokopien, sind nicht geeignet, die Erteilung der schriftlichen Vollmacht nachzuweisen (BGH-Urteil vom 23. Juni 1994 I ZR 106/92, BGHZ 126, 266).

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich dieser Rechtsprechung des BGH bereits mit Urteil vom 28. November 1995 VII R 63/95, BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105 angeschlossen.

2. Gleichwohl kann das Urteil des FG keinen Bestand haben. Denn der Bevollmächtigte des Klägers hat seine Vollmacht ausreichend durch Übersendung des Vollmachtsoriginals nachgewiesen. Die Berücksichtigung der nach Ablauf der ihm dafür vom Gericht aufgegebenen Frist eingegangenen Vollmachtsurkunde ist nicht ausgeschlossen; denn eine Ausschlußfrist nach § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO ist nicht in Lauf gesetzt worden.

Nach § 53 Abs. 1 FGO sind Anordnungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, den Beteiligten zuzustellen. Zugestellt wird gemäß § 53 Abs. 2 FGO nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Wenn durch die Post mit Zustellungsurkunde zugestellt werden soll, ist nach § 3 Abs. 2 VwZG die Zustellung von dem Postbediensteten zu beurkunden und die Zustellungsurkunde an die Behörde zurückzuleiten. Hier ist eine Zustellung nach § 3 VwZG durch die Post mit Zustellungsurkunde verfügt worden. Die Zustellung ist jedoch entweder nicht durchgeführt oder nicht beurkundet worden oder die Postzustellungsurkunde ist nicht zur Akte gelangt.

Dieser Verstoß gegen eine bei der Zustellung zu beachtende Vorschrift hat zur Folge, daß eine Ausschlußfrist nach § 62 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 FGO nicht lief. Zwar gilt nach § 9 Abs. 1 VwZG ein Schriftstück, das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat; der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat eine Ausfertigung der Verfügung nach § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO offenkundig -- und zwar rechtzeitig vor Ablauf der gesetzten Frist -- erhalten. In den von § 9 Abs. 2 VwZG erfaßten Fällen ist jedoch Absatz 1 der Vorschrift nicht anzuwenden. Hierzu zählt nach der Rechtsprechung des BFH auch der Fall, daß mit der Zustellung eine Frist nach § 62 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 FGO beginnt (BFH-Urteil vom 29. April 1982 IV R 52/81, BFHE 136, 179, BStBl II 1982, 715). Ungeachtet der Frage, ob ohne Vorliegen einer Zustellungsurkunde überhaupt von einer wirksamen Zustellung der Verfügung nach § 62 Abs. 3 FGO gesprochen werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 29. Oktober 1986 I R 2/83, BFHE 148, 404, BStBl II 1987, 223, und vom 24. Oktober 1986 VI R 70/82, BFH/NV 1987, 211), gilt danach jedenfalls die Verfügung des FG als nicht zugestellt, soweit durch die Zustellung die Frist des § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO in Lauf gesetzt würde.

Der erkennende Senat hat den Zustellungsmangel zu berücksichtigen, obwohl ihn der Kläger nicht gerügt hat. Es kann dahinstehen, ob die Abweisung der Klage wegen vermeintlich nicht rechtzeitiger Vollmachtsvorlage einen materiell-rechtlichen oder einen Verfahrensmangel darstellt, der grundsätzlich nur berücksichtigt werden könnte, wenn er gemäß § 118 Abs. 3 FGO geltend gemacht worden wäre (vgl. u. a. BFH-Beschlüsse vom 27. Februar 1986 IV B 6/85, BFHE 146, 204, BStBl II 1986, 492, und vom 24. Mai 1988 IV B 125/87, BFH/NV 1989, 175). Denn die Rechtzeitigkeit des Nachweises der Prozeßvollmacht gehört zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen, von denen die Zulässigkeit des auf eine sachliche Entscheidung gerichteten Verfahrens als solchen und im ganzen abhängt (vgl. u. a. BFH-Urteile vom 15. Mai 1981 VI R 212/78, BFHE 133, 344, BStBl II 1981, 678; vom 30. November 1988 I R 168/84, BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514, und vom 2. Juli 1985 VII K 16/84, BFH/NV 1986, 39); sie betrifft die Wirksamkeit der Klageerhebung und damit eine Grundvoraussetzung für den Erlaß einer Sachentscheidung. Unbeschadet der Beschränkung der Prüfung des Revisionsgerichts auf die geltend gemachten Verfahrensmängel durch § 118 Abs. 3 FGO ist ein Verfahrensmangel dieser Art nach der ständigen Rechtsprechung des BFH von Amts wegen zu berücksichtigen (siehe z. B. BFH-Urteil vom 24. September 1985 IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268, m. w. N.).

Da die Sache nicht spruchreif ist, geht sie zurück an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 421318

BFH/NV 1996, 621

NJW 1996, 3366

NVwZ 1997, 520

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