Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzbeschaffung eines funktionsgleichen Wirtschaftsguts grundsätzlich nur im selben Betrieb möglich

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die für die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung erforderliche Funktionsgleichheit des Ersatzwirtschaftsguts ist grundsätzlich nur erfüllt, wenn das neue Wirtschaftsgut in demselben Betrieb hergestellt oder angeschafft wird, dem das entzogene Wirtschaftsgut diente.

2. Ausnahmsweise ist die Übertragung stiller Reserven auf Wirtschaftsgüter eines anderen Betriebs des Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen der Ersatzbeschaffungsrücklage zulässig, wenn die Zwangslage durch Enteignung oder höhere Gewalt zugleich den Fortbestand des bisherigen Betriebs selbst gefährdet oder beeinträchtigt hat.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1; EStR 1993 R 35

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG (Entscheidung vom 27.09.2002; Aktenzeichen 1 K 266/00; EFG 2003, 75)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb 1983 einen Hof in A, Schleswig-Holstein, den er seinem Sohn zur Nutzung überließ. Nach einer im Jahr 1989 durchgeführten Betriebsprüfung versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die steuerliche Anerkennung des Pachtvertrags und ging stattdessen von einem Wirtschaftsüberlassungsvertrag aus. Entsprechend einer damals geltenden Rechtsauffassung wurden die Wirtschaftsgüter danach beim Nutzungsberechtigten bilanziert und der Kläger verzichtete fortan darauf, einen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft zu ermitteln.

Nachdem ein Brand am 17. Juli 1992 einen großen Teil der Wirtschaftsgebäude vernichtet und das zum Hof gehörende Wohnhaus beschädigt hatte, erhielt der Kläger im Jahr 1993 Versicherungsentschädigungen in Höhe von insgesamt 631 665 DM. Damit ließ er das Wohngebäude wiederherstellen, sah aber von einem Wiederaufbau der Wirtschaftsgebäude ab.

Nach einer im Jahr 1998 u.a. auch für die Streitjahre (1992 und 1993) durchgeführten Betriebsprüfung ging das FA entsprechend dem Urteil des Senats vom 23. Januar 1992 IV R 104/90 (BFHE 167, 84, BStBl II 1993, 327) davon aus, dass der zur Nutzung überlassene Grund und Boden sowie die Gebäude dem Kläger zuzurechnen waren. Daraufhin beantragte der Kläger, die durch den Schadensfall aufgedeckten stillen Reserven der Wirtschaftsgebäude in Höhe von 362 643 DM im Wirtschaftsjahr 1992/93 in eine Rücklage für Ersatzbeschaffung i.S. von Abschn. 35 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1990 einzustellen und diese auf Ersatzwirtschaftsgüter eines im Wirtschaftsjahr 1994/95 erworbenen landwirtschaftlichen Betriebs in B, Nordrhein-Westfalen, zu übertragen. Das FA lehnte dies ab und erließ die angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 1992 und 1993.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, im Streitfall scheide die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung sechs Jahre nach Ausscheiden der Wirtschaftsgüter und drei Jahre nach Anschaffung der vermeintlichen Ersatzwirtschaftsgüter aus, weil der erforderliche Finanzierungszusammenhang nicht gewahrt sei. Im Übrigen fehle es an einem Funktionszusammenhang zwischen ausgeschiedenem und Ersatzwirtschaftsgut, weil der Betrieb, in dem reinvestiert worden sei, 350 km vom Ursprungsbetrieb entfernt liege. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 75 veröffentlicht.

Mit seiner dagegen gerichteten, vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er trägt vor: Die Ersatzbeschaffungsrücklage habe auf die Wirtschaftsgüter des hinzuerworbenen Betriebs in B übertragen werden können, weil dieser als Ackerbaubetrieb mit dem alten Hof in A vergleichbar sei. Auch in Rechtsprechung und Schrifttum werde eine Rücklageübertragung auf Wirtschaftsgüter eines anderen Betriebs des Steuerpflichtigen für zulässig gehalten (Urteil des FG München vom 24. Juli 1973 II 219/70, EFG 1974, 4; Loose in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 5 EStG Anm. 597, und Blümich/Ehmcke, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 6 EStG Rz. 994).

Im Übrigen habe der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass selbst größere Entfernungen zwischen einzelnen Betriebsstätten das Gesamtbild eines einheitlichen Betriebs nicht hinderten (BFH-Urteil vom 10. April 1997 IV R 48/96, BFH/NV 1997, 749). Die Bewirtschaftung von Großbetrieben im Beitrittsgebiet zeige, dass die Bewirtschaftung von Ackerflächen auch über Entfernungen von mehreren hundert Kilometern durch einen landwirtschaftlichen Unternehmer möglich sei. Nachdem die Hofstelle ihre prägende Bedeutung für den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb verloren habe, bestehe auch keine Notwendigkeit für eine nur betriebsbezogene Reinvestition, zumal die Rücklage für Ersatzbeschaffung eine personenbezogene Steuervergünstigung sei (Plewka/Schmidt in Lademann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz § 5 Anm. 1503).

Schließlich folge aus der Vergleichbarkeit der Ersatzbeschaffungsrücklage mit der Rücklage nach § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG), dass die Bildung der Rücklage für Ersatzbeschaffung auch noch nach Ablauf der Reinvestitionsfrist möglich sei (BFH-Urteil vom 24. März 1998 I R 20/94, BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272).

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die gesonderten Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 1992 und 1993 vom 18. Juli 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Juli 2000 mit der Maßgabe zu ändern, dass der Gewinn für das Jahr 1992 mit ./. 16 448 DM und für das Jahr 1993 mit ./. 13 780 DM festgestellt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat im Ergebnis zu Recht eine Übertragung der durch den Brand aufgedeckten stillen Reserven der Wirtschaftsgebäude abgelehnt, soweit der Kläger mit der Brandentschädigung keine funktionsgleichen Wirtschaftsgüter angeschafft oder hergestellt hat; insoweit fehlte es bereits an der für eine Rücklagebildung erforderlichen Ersatzbeschaffungsabsicht.

1. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten und von der Finanzverwaltung in Abschn. 35 EStR 1990 bzw. R 35 EStR 1993 übernommenen Grundsätzen zur Übertragung stiller Reserven bei Ersatzbeschaffung kann eine Gewinnrealisierung durch Aufdeckung stiller Reserven ausnahmsweise dann vermieden werden, wenn ein Wirtschaftsgut aufgrund höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird (ständige Rechtsprechung seit der Grundsatzentscheidung des Reichsfinanzhofs ―RFH― vom 2. April 1930 VI A 514/30, RStBl 1930, 313, 314; s. auch Senatsurteil vom 29. April 1999 IV R 7/98, BFHE 188, 390, BStBl II 1999, 488, m.w.N.).

a) Kann das zerstörte oder entzogene Wirtschaftsgut nicht in dem Wirtschaftsjahr seines Ausscheidens aus dem Betriebsvermögen ersetzt werden, so können die stillen Reserven in eine Rücklage für Ersatzbeschaffung eingestellt und im Folgejahr (oder einem späteren Jahr) auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Ersatzwirtschaftsguts übertragen werden. Voraussetzung für die Bildung der Rücklage ist jedoch, dass die Absicht der Ersatzbeschaffung besteht; andernfalls bleibt es bei der Rechtsfolge der Gewinnrealisierung (BFH-Urteil vom 19. Dezember 1972 VIII R 29/70, BFHE 108, 326, BStBl II 1973, 297; s. auch Senatsurteile vom 17. Oktober 1991 IV R 97/89, BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392, und in BFHE 188, 390, BStBl II 1999, 488, beide zur Auflösung einer Rücklage wegen Wegfalls der Reinvestitionsabsicht).

b) Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und den Senat daher bindenden Tatsachenfeststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) ließ der Kläger zwar das zerstörte Wohngebäude nach dem Brand reparieren, baute aber die Wirtschaftsgebäude nicht wieder auf. Diese Feststellungen erlauben im Streitfall ohne weiteres den Schluss, dass es von vornherein an einer auf die zerstörten Wirtschaftsgebäude bezogenen Ersatzbeschaffungsabsicht fehlte. Die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung war daher schon insoweit ausgeschlossen.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers war die Bildung einer Ersatzbeschaffungsrücklage aber auch nicht im Hinblick auf die Anschaffung des neuen Hofs zulässig, der etwa 350 km von dem alten, dem Sohn zur Nutzung überlassenen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb entfernt liegt. Schon die große Entfernung beider Betriebe voneinander und ihre unterschiedliche Nutzung widersprechen der Vorstellung des Klägers, es könne sich um einen einheitlichen Betrieb handeln.

a) Die im Zuge dieses Erwerbs angeschafften Wirtschaftsgebäude sind keine Ersatzwirtschaftsgüter für die in A durch Feuer zerstörten Wirtschaftsgebäude. Selbst wenn der Kläger bereits bei Empfang der Versicherungsentschädigung die Absicht gehabt haben sollte, den Betrieb in B zu erwerben, könnte dies die Bildung der Rücklage daher nicht rechtfertigen. Die Ersatzbeschaffungsabsicht muss sich nämlich auf ein funktionsgleiches Wirtschaftsgut beziehen.

b) Die bei Erwerb des Betriebs in B neu angeschafften Wirtschaftsgebäude sind keine den zerstörten Wirtschaftsgebäuden entsprechende, funktionsgleiche Wirtschaftsgüter. Sie dienen nicht dem Verpachtungsbetrieb, dem die Wirtschaftsgebäude durch Brand entzogen wurden. Das Erfordernis der Funktionsgleichheit der Ersatzwirtschaftsgüter bedingt zugleich, dass die neuen Wirtschaftsgüter im selben Betrieb hergestellt oder angeschafft werden. Der erkennende Senat hat deshalb die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung auch schon deshalb abgelehnt, weil die Entschädigungsleistungen für ein zerstörtes landwirtschaftliches Gebäude und das zerstörte Inventar zur Herstellung eines gewerblich genutzten Gebäudes verwendet worden waren (Urteil vom 3. Oktober 1985 IV R 16/83, BFH/NV 1986, 208).

c) Der Senat folgt nicht der im Schrifttum vertretenen Auffassung, das Ersatzwirtschaftsgut könne auch für einen anderen Betrieb desselben Steuerpflichtigen angeschafft werden (Loose in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 5 EStG Anm. 597, und Blümich/ Ehmcke, a.a.O., § 6 EStG Rz. 994). Diese nicht näher begründete Auffassung scheint von der Rücklage für Ersatzbeschaffung als personenbezogener Vergünstigung, ähnlich der Reinvestitionsrücklage des § 6b EStG, auszugehen (s. auch Plewka/Schmidt in Lademann, a.a.O., § 5 Anm. 1503).

Jene Ansicht wird dem Zweck der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Übertragung stiller Reserven bei Ersatzbeschaffung nicht gerecht. Die Rücklage für Ersatzbeschaffung ist eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Ausnahme von den allgemeinen, in § 4 Abs. 1 EStG zum Ausdruck kommenden Gewinnrealisierungsgrundsätzen. Damit soll dem Steuerpflichtigen, der ohne seinen Willen in eine Zwangslage geraten ist, die Entschädigung ungeschmälert für eine Ersatzbeschaffung zur Verfügung stehen (BFH-Urteil vom 11. Dezember 1984 IX R 27/82, BFHE 143, 46, BStBl II 1985, 250). Diese Erwägung rechtfertigt es, dass an die Stelle der zerstörten Wirtschaftsgüter Ersatzgegenstände treten, die "in einem gewissen Grade als mit den vernichteten identisch zu betrachten" sind und daher eine Übertragung stiller Reserven nahe legen (RFH-Urteil in RStBl 1930, 313, 314). Dieser Surrogationsgedanke weist aber bereits darauf hin, dass die Grundsätze zur Ersatzbeschaffungsrücklage betriebsbezogen anzuwenden sind.

Die Übertragung stiller Reserven auf Wirtschaftsgüter eines anderen Betriebs des Steuerpflichtigen nach den das Realisationsprinzip einschränkenden Grundsätzen der Ersatzbeschaffungsrücklage kann daher allenfalls zulässig sein, wenn die Zwangslage durch Enteignung oder höhere Gewalt zugleich den Fortbestand des bisherigen Betriebs selbst gefährdet oder beeinträchtigt hat. So verhielt es sich in dem Fall, der dem Urteil des FG München in EFG 1974, 4 zu Grunde lag. Denn dort wurde dem Kläger die Eröffnung einer neuen Gaststätte auf einem Ersatzgrundstück behördlich untersagt, nachdem er enteignet worden war. Er war daher gezwungen, dort einen Betrieb mit verändertem Betriebszweck zu eröffnen. Als Beleg für eine unbeschränkte, an die Reinvestitionsvergünstigung des § 6b EStG angelehnte personenbezogene Anwendung der Ersatzbeschaffungsgrundsätze taugt die Entscheidung des FG München nicht. Denn anders als nach jenem Sachverhalt war im Streitfall eine Ersatzbeschaffung in dem durch Feuer beschädigten Verpachtungsbetrieb objektiv möglich.

Dementsprechend hat die Rechtsprechung eine allgemeine Begünstigung der Ersatzbeschaffung stets ebenso abgelehnt (z.B. BFH-Urteile vom 12. März 1969 I 97/65, BFHE 95, 178, BStBl II 1969, 381, und in BFHE 143, 46, BStBl II 1985, 250; s. auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Mai 1988 1 BvR 273/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1989, 317; Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz 1975, § 5, Rückl. R. 2) wie eine Analogie zur Reinvestitionsvergünstigung des § 6b EStG, mit der vor allem wirtschaftslenkende Zwecke verfolgt werden (Senatsurteil in BFHE 188, 390, BStBl II 1999, 488, zu 2.d der Gründe, m.w.N.).

3. Fehlt es im Streitfall danach an einer auf funktionsgleiche Wirtschaftsgüter gerichteten Ersatzbeschaffungsabsicht, so bedarf es auch keiner Entscheidung des Senats, ob die Bildung einer Ersatzbeschaffungsrücklage auch noch nachträglich möglich ist, wenn ―wie im Streitfall― die Gewinnermittlung erst sechs Jahre nach dem Schadensereignis und auf Veranlassung des FA durchgeführt wird. Ebenso wenig bestand Veranlassung, den in der Vorentscheidung entwickelten Gedanken eines Finanzierungszusammenhangs aufzugreifen, den der XI. Senat des BFH zur Auslegung des § 7g Abs. 3 EStG (sog. Ansparrücklage) entwickelt hat (BFH-Urteil vom 14. August 2001 XI R 18/01, BFHE 198, 415). Auch insoweit gilt, dass die seit langem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Ersatzbeschaffungsrücklage keiner Analogie zu einer erst später geschaffenen wirtschaftslenkenden Norm zugänglich sind, die wie § 7g EStG die Wettbewerbssituation kleiner und mittlerer Betriebe dadurch verbessern soll, dass deren Liquidität und Eigenkapitalbildung unterstützt und deren Investitions- und Innovationskraft gestärkt werden (BTDrucks 10/336, 13, 25, 26; BTDrucks 11/257, 8 f.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1123081

BFH/NV 2004, 711

BStBl II 2004, 421

BFHE 2004, 168

BFHE 205, 168

BB 2004, 1047

BB 2004, 706

DB 2004, 849

DB 2005, 11

DStR 2004, 547

DStRE 2004, 431

HFR 2004, 513

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