Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlaß von Säumnis- und Verspätungszuschlägen nach dem Tod des Steuerpflichtigen?

 

Leitsatz (NV)

1. Mit dem Tode des Steuerpflichtigen gehen die von ihm verwirkten Säumniszuschläge und die gegen ihn festgesetzten Verspätungszuschläge auf den Erben über.

2. Es widerspricht nicht den Wertungen des Gesetzgebers, wenn Säumnis- und Verspätungszuschläge auch noch nach dem Tode des Steuerpflichtigen erhoben werden. Ein Erlaß der Zuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen ist jedenfalls nicht deshalb geboten, weil der Steuerpflichtige verstorben ist. Es bleibt dem Erben allerdings unbenommen, einen Erlaßantrag auf solche sachlichen Billigkeitsgründe zu stützen, die sich auf die Person des Erblassers beziehen.

 

Normenkette

AO 1977 § 227 Abs. 1, § 45 Abs. 1, § 37 Abs. 1, § 3 Abs. 3, §§ 152, 240

 

Tatbestand

Der Streit geht um die Frage, ob Säumnis- und Verspätungszuschläge zu erlassen sind, wenn der Steuerpflichtige verstorben ist.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die frühere Ehefrau und Erbin des im Juni 1979 verstorbenen X.

Dieser hatte in der Zeit vom 1. Mai 1977 bis zu seinem Tode eine Gastwirtschaft betrieben. Da er keine Steuererklärungen abgegeben hatte, setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) Verspätungszuschläge in Höhe von insgesamt 4666 DM gegen ihn fest. Im Hinblick darauf, daß er die - auf der Grundlage von Schätzungen festgesetzten - Steuervorauszahlungen und Steuern nicht entrichtete, verwirkte er außerdem Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 12376 DM.

Nach dem Tode ihres Ehemannes reichte die Klägerin die ausstehenden Steuererklärungen nach. Das FA erließ hierauf einen Teil der Verspätungs- und Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen. Die nicht erlassenen Beträge von insgesamt 10388,77 DM wurden durch Verrechnung mit Erstattungsansprüchen ausgeglichen.

Den Antrag der Klägerin, die durch Verrechnung entrichteten Verspätungs- und Säumniszuschläge zu erstatten, lehnte das FA ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) als unbegründet zurück.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob den ablehnenden Bescheid des FA und die Beschwerdeentscheidung der OFD auf und verurteilte das FA, über den Billigkeitsantrag der Klägerin erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG zu entscheiden. Nach Ansicht des FG haben das FA und die OFD bei ihrer in ihr pflichtgemäßes Ermessen gestellten Entscheidung über den Erstattungsantrag ,,nicht alle zu berücksichtigenden Gesichtspunkte beachtet". Daß die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres Ehemannes gemäß § 45 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auch für Verspätungs- und Säumniszuschläge einstehen müsse, entspreche zwar dem Wortlaut der Vorschrift. Die Finanzverwaltung sei aber nicht auf die Frage eingegangen, ob dieses Ergebnis auch der Zielsetzung des Gesetzes entspreche; das den Finanzbehörden eingeräumte Entscheidungsermessen sei nicht vollständig ausgeschöpft worden. Bei der erneuten Entscheidung sei zu berücksichtigen, daß Verspätungs- und Säumniszuschläge Druckmittel eigener Art seien, die dazu dienten, den rechtzeitigen Eingang der Steuererklärung und die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuern zu sichern. Als Druckmittel versagten Verspätungs- und Säumniszuschläge aber nicht nur dann, wenn der Steuerpflichtige mittellos und zahlungsunfähig sei, sondern auch, wenn er verstorben sei und die Erben ihren ererbten Steuerpflichten unverzüglich nachkämen.

Mit der - wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassenen - Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Die Klägerin erklärt, daß sie einen Erlaß von Säumnis- und Verspätungszuschlägen nur noch in Höhe von 9990 DM begehre. Die Revision könne unter diesen Umständen nicht zugelassen werden, da der Wert des Streitgegenstandes jetzt 10000 DM nicht mehr übersteige.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Antrag der Klägerin, die Revision nicht zuzulassen, kann schon deshalb im gegenwärtigen Verfahren nicht mehr berücksichtigt werden, weil über die Zulassung der Revision bereits mit Beschluß des Senats vom 19. September 1989 entschieden worden ist. Mit diesem Beschluß hat der Senat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache gemäß § 115 Abs. 2 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen. Der Beschluß ist unanfechtbar.

2. Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Der Auffassung des FG, das FA und die OFD hätten bei ihrer Entscheidung über den Erlaßantrag ,,nicht alle zu berücksichtigenden Gesichtspunkte beachtet" und hätten daher ihr Billigkeitsermessen nicht vollständig ausgeschöpft, kann nicht gefolgt werden. Der Senat teilt insbesondere nicht die Ansicht des FG, daß Verspätungs- und Säumniszuschläge grundsätzlich zu erlassen sind, wenn der Steuerpflichtige gestorben ist und die Erben ihren ererbten Steuerpflichten unverzüglich nachkommen.

a) Gemäß § 227 Abs. 1 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen rechnen auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie Verspätungs- und Säumniszuschläge (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 AO 1977).

Die Entscheidung über ein Erlaßbegehren ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach § 102 FGO ist die gerichtliche Prüfung des den Erlaß ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

b) Ein Erlaß von Säumnis- und Verspätungszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen kann geboten sein, wenn die Einziehung dieser Zuschläge den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. August 1991 V R 78/86, BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906); dagegen rechtfertigen Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands einer steuerrechtlichen Vorschrift bewußt in Kauf genommen hat, keinen Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen (BFH-Urteil vom 24. September 1976 I R 41/75, BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127).

c) Säumniszuschläge sind nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zu entrichten, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt worden ist. Die Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll (BFH-Beschluß vom 8. Dezember 1975 GrS 1/75, BFHE 117, 352, BStBl II 1976, 262).

Neben seiner Funktion als Druckmittel eigener Art hat der Säumniszuschlag auch noch den Zweck, eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung zu sein. Die Regelung über die Säumniszuschläge (§ 240 AO 1977) steht im systematischen Zusammenhang mit den Vorschriften über die Zinspflicht bei der Gewährung von Stundung (§ 234 AO 1977) und bei der Aussetzung der Vollziehung (§ 237 AO 1977). Nach diesen Vorschriften können die Finanzbehörden von dem in den §§ 240 und 361 Abs. 1 AO 1977 enthaltenen Grundsatz, daß festgesetzte Steuerschulden bei Fälligkeit zu zahlen sind, nicht ohne eine Gegenleistung des Zahlungspflichtigen absehen. Bei nicht rechtzeitiger Zahlung sollen daher entweder Stundungszinsen (§ 234 Abs. 1 AO 1977) oder Aussetzungszinsen (§ 237 AO 1977) oder Säumniszuschläge anfallen; verwirkte Säumniszuschläge treten an die Stelle von Stundungs- und Aussetzungszinsen (BFH-Urteil in BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906).

Diesen Wertungen des Gesetzgebers widerspricht es nicht, wenn verwirkte Säumniszuschläge auch noch nach dem Tode des Steuerpflichtigen erhoben werden. Mit dem Tode des Steuerpflichtigen gehen kraft Gesetzes (§ 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -, § 45 Abs. 1 AO 1977) seine Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Erben als Gesamtrechtsnachfolger über. Der Erbe tritt als Gesamtrechtsnachfolger materiell- und verfahrensrechtlich grundsätzlich in die gesamte abgabenrechtliche Rechtsstellung des verstorbenen Steuerpflichtigen ein (vgl. BFH- Beschluß vom 25. April 1969 III 127/65, BFHE 96, 93, BStBl II 1969, 622, und BFH-Urteil vom 10. August 1972 VIII R 1/67, BFHE 107, 195, BStBl II 1973, 9; Brockmeyer in Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 45 Anm.1, Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 45 AO 1977 Anm.9). Von dem Übergang der ,,Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis" bei der Erbfolge sind ausdrücklich nur die Zwangsgelder (§§ 328, 329 AO 1977) ausgenommen (§ 45 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Die übrigen ,,steuerlichen Nebenleistungen" (§ 3 Abs. 2 AO 1977), nämlich die Verspätungszuschläge (§ 152 AO 1977), Zinsen (§§ 233 bis 237 AO 1977), Säumniszuschläge (§ 240 AO 1977) und Kosten (§ 178, §§ 337 bis 345 AO 1977), gehen kraft Gesetzes auf den Erben über (so auch Offerhaus, a.a.O., § 45 AO 1977 Anm.13).

Die wortlautgemäße Einbeziehung der Säumniszuschläge in die auf den Erben übergehenden Verbindlichkeiten des Steuerpflichtigen führt zu keinen sinnwidrigen Ergebnissen. Wenn bei dem Steuerpflichtigen bis zu seinem Tode kein Grund für einen sachlichen Billigkeitserlaß (wie etwa Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit; vgl. BFH-Urteil vom 8. März 1984 I R 44/80, BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415) vorlag, dann kann dies auch nicht bei dem in die Rechtsposition des Erblassers einrückenden Erben der Fall sein. Der Erbe muß sich insbesondere entgegenhalten lassen, daß der Säumniszuschlag auch bezweckt, eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung zu sein.

Es bleibt dem Erben allerdings unbenommen, den Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen, auf den Erblasser bezogenen Billigkeitsgründen geltend zu machen (BFH-Urteil vom 19. Januar 1989 V R 98/83, BFHE 156, 8, BStBl II 1990, 360). Solche Billigkeitsgründe sind indessen im Streitfall nicht erkennbar.

d) Verspätungszuschläge können nach § 152 AO 1977 gegen denjenigen festgesetzt werden, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt. Der Verspätungszuschlag ist ein besonderes Druckmittel der Steuerverwaltung zur Sicherung eines ordnungsgemäßen Veranlagungsverfahrens (BFH-Urteil vom 18. August 1988 V R 19/83, BFHE 154, 23, BStBl II 1988, 929).

Auch die Verpflichtung zur Zahlung des Verspätungszuschlags geht auf den Erben als Gesamtrechtsnachfolger über (§ 45 Abs. 1 Satz 1 AO 1977); Verspätungszuschläge sind ebenso wie Säumniszuschläge vom Übergang kraft Gesamtrechtsnachfolge nicht ausgenommen (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).

Der Umstand, daß der Verspätungzuschlag mit dem Tode des Steuerpflichtigen diesem gegenüber seine Wirkung als Druckmittel verliert, ist kein Grund für einen sachlichen Billigkeitserlaß. Denn der Verspätungszuschlag knüpft an ein in der Vergangenheit liegendes schuldhaftes Verhalten des Steuerpflichtigen an; er soll u.a. dem Ausgleich der aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile dienen (vgl. § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Bei dieser Sachlage führt die Erhebung des gegen den Erblasser festgesetzten Verspätungszuschlags beim Erben auch dann nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis, wenn der Erbe die bisher versäumten Erklärungspflichten nunmehr unverzüglich erfüllt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418979

BFH/NV 1993, 455

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