Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmerbezogene Sanierung; Sanierungsabsicht
Leitsatz (NV)
1. Ein Sanierungsgewinn kann auch dann steuerfrei sein, wenn dem Schuldner durch den Erlaß eine schuldenfreie Liquidierung seines Unternehmens und der Aufbau einer Existenz in selbständiger oder nichtselbständiger Position ermöglicht werden.
2. Sanierungsabsicht ist gegeben, wenn beim Gläubiger die Absicht, die wirtschaftliche Gesundung des Unternehmens herbeizuführen, maßgeblich, wenn auch nicht allein entscheidend für einen Erlaß ist.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 66
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte zu 1 (Kläger) betrieb seit dem . . . 1977 in X einen Einzelhandel. Zum Ende des Jahres 1977 beteiligten sich die Schwägerin des Klägers Frau A (Klägerin zu 3) mit einer Einlage in Höhe von 50 000 DM und Frau B (Klägerin zu 2) mit einer Einlage von 20 000 DM an dem Handelsgewerbe des Klägers. Frau A sollte am Gewinn und Verlust des Handelsgewerbes mit 35 v. H. und Frau B mit 15 v. H. beteiligt sein.
Der Kläger erwirtschaftete ab Betriebseröffnung nur Verluste. Auf Antrag des Klägers eröffnete das Amtsgericht X mit Beschluß vom . . . April 1978 das Konkursverfahren über das Vermögen des Klägers wegen Zahlungsunfähigkeit.
Der Konkursverwalter veräußerte die im Eigentum des Klägers stehenden Waren bis Mai 1978 im Rahmen eines Räumungsverkaufs für insgesamt rd. 100 000 DM. Nach Abschluß des Räumungsverkaufs wurde der Geschäftsbetrieb eingestellt.
Als Konkursforderungen wurden Forderungen in Höhe von rd. 206 000 DM anerkannt, davon 31 000 DM an bevorrechtigten und rd. 175 000 DM an gewöhnlichen Konkursforderungen. Die größten Gläubiger des Klägers waren die Bank C mit einer Forderung in Höhe von knapp 69 000 DM und die Firma D mit einer Forderung von etwa 30 000 DM. Nach Abzug der Masseschulden verblieb eine Verteilungsmasse in Höhe von rd. 23 700 DM. Der Kläger stellte einen weiteren Betrag in Höhe von 20 000 DM zur Verfügung, die er von dritter Seite erhalten hatte. Auf der Gläubigerversammlung vom . . . November 1979 stimmten der ganz überwiegende Teil der Gläubiger mit Forderungen in Höhe von 167 546 DM für die Annahme eines vom Kläger unterbreiteten Vergleichsvorschlags, nach dem auf die festgestellten Forderungen eine Quote von 12 v. H. gezahlt und die restlichen Forderungen erlassen werden sollten. Durch Beschluß des Amtsgerichts X vom gleichen Tage wurde dieser Zwangsvergleich bestätigt.
Die Bank C stimmte in der Gläubigerversammlung dem Vergleichsvorschlag zu. Die Forderung der Bank war durch eine Bürgschaftserklärung der Ehefrau des Klägers über 50 000 DM gesichert. Vor Abschluß des Zwangsvergleichs verlangte die Bank von der Ehefrau des Klägers, daß diese in Höhe der übernommenen Bürgschaft zugunsten der Bank ein Schuldanerkenntnis gebe. Dies tat die Ehefrau des Klägers durch Erklärung vom . . . Mai 1979. Die Bank stundete dem Kläger die auf sie entfallende Vergleichsquote in Höhe von rd. 8 200 DM. Über diesen Betrag ließ sich die Bank ebenfalls eine Bürgschaftserklärung der Ehefrau des Klägers geben.
In der Erklärung zur gesonderten Feststellung der Einkünfte für den Veranlagungszeitraum 1979 wurde ein steuerfreier Sanierungsgewinn in Höhe von . . . DM geltend gemacht. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) kürzte diesen Betrag um die von der Ehefrau des Klägers übernommene Bürgschaft in Höhe von 50 000 DM und um die im Jahr 1978 und 1979 angefallenen Zinsen und rechnete den Restbetrag dem Kläger als steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn zu. Den laufenden Verlust rechnete das FA den Klägern entsprechend der Gewinnverteilungsabrede zu.
Auf den Einspruch des Klägers änderte das FA die Feststellung der Einkünfte dahingehend ab, daß es den laufenden Verlust allein dem Kläger zurechnete; es hielt daran fest, daß kein steuerfreier Sanierungsgewinn gegeben sei.
Das Finanzgericht (FG) änderte auf die Klage der Kläger die Gewinnfeststellung dahin, daß ein Veräußerungsgewinn in Höhe von . . . DM als Sanierungsgewinn steuerfrei bleibt. Das FG führt aus, die Voraussetzungen für einen steuerfreien Sanierungsgewinn nach § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien alle gegeben.
Mit der Revision rügt das FA unzutreffende Anwendung des § 3 Nr. 66 EStG. Zur Begründung führt es aus, § 3 Nr. 66 EStG begünstige nur eine unternehmensbezogene, nicht eine unternehmerbezogene Sanierung. Der Kläger sei überdies nicht sanierungsbedürftig gewesen. Die Sanierungsbedürftigkeit des Schuldners müsse im Zeitpunkt des Schulderlasses vorliegen. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger ein Jahresgehalt von zumindest 60 000 DM als Geschäftsführer bezogen. Die Gläubiger hätten auch nicht in Sanierungsabsicht gehandelt. Zwar habe sich eine deutliche Mehrheit der Gläubiger bereiterklärt, auf Forderungen ganz oder teilweise zu verzichten. Gleichwohl könne nicht von Sanierungsabsicht der Gläubiger die Rede sein. Sie hätten vielmehr nur das kleinere Übel gewählt, wenigstens noch eine kleine Auszahlungsquote zu erhalten. Das ergebe sich auch aus dem vom FG herangezogenen Schreiben des Konkursverwalters vom 3. September 1979, wenn man es im Zusammenhang lese.
Die Kläger halten daran fest, daß alle Voraussetzungen für einen steuerfreien Sanierungsgewinn im Streitfall gegeben sind.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 3 Nr. 66 EStG sind Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstehen, daß Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden, von der Einkommensteuer befreit.
Die Steuerfreiheit setzt im einzelnen voraus, daß das Unternehmen sanierungsbedürftig ist, daß die Schuld oder die Schulden ganz oder teilweise erlassen werden, daß die Gläubiger in der Absicht handeln, die geschäftliche und finanzielle Gesundung des Schuldners herbeizuführen, und daß der Schulderlaß geeignet ist, das sanierungsbedürftige Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. November 1983 VIII R 14/81, BFHE 140, 521, BStBl II 1984, 472, m. w. N.; vom 22. Januar 1985 VIII R 37/84, BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501; vom 20. Februar 1986 IV R 172/84, BFH/NV 1987, 493; vom 28. Februar 1989 VIII R 303/84, BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.
2. Zu Recht hat das FG entschieden, daß das Unternehmen des Klägers sanierungsbedürftig war.
Bei der Prüfung dieser Frage sind insbesondere die Ertragslage, die Höhe des Betriebsvermögens, die Kapitalverzinsung durch die Erträge des Unternehmens, das Verhältnis der flüssigen Mittel zur Höhe der Schuldenlast, die Gesamtleistungsfähigkeit des Unternehmens und ggf. die Höhe des Privatvermögens zu untersuchen. Maßgebend sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Schuldenerlasses (BFH-Urteil in BFHE 140, 521, BStBl II 1984, 472 m. w. N.). Mehrfach ist in der Rechtsprechung ausgesprochen worden, daß die Sanierungsbedürftigkeit unbedenklich angenommen werden kann, wenn ein Konkursverfahren oder ein Vergleichsverfahren eingeleitet worden ist (BFH-Urteil vom 24. April 1986 IV R 282/84, BFHE 146, 549, BStBl II 1986, 672).
Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, daß das Unternehmen des Klägers sanierungsbedürftig war. Diese Auffassung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Entgegen den Ausführungen des FA in der Revisionsbegründung hat das FG bei seiner Prüfung die Verhältnisse im Zeitpunkt des Schulderlasses, nämlich den Zeitpunkt des Abschlusses des Zwangsvergleichs, zugrunde gelegt. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des BFH durch das FG ist nicht erkennbar.
Nicht zu beanstanden sind auch die Ausführungen des FG, daß es dem Kläger in absehbarer Zeit nicht möglich gewesen wäre, die vorhandenen Verbindlichkeiten einschließlich der damit verbundenen Zinsverpflichtungen von seinem Gehalt zu tilgen. Die gegenteilige Auffassung des FA teilt der Senat nicht.
3. Nach der Rechtsprechung sind unter einer Sanierung Maßnahmen zu verstehen, die geeignet sind, ein Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Es muß eine bestimmte Maßnahme aller oder einzelner Gläubiger zugrunde liegen, die zwar an keine Form gebunden ist, sich aber im Weg eines allgemeinen Akkords, eines Vergleichs oder einzelner Vereinbarungen als ein Erlaß i. S. des § 397 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) darstellt (BFH-Urteile in BFHE 140, 521, BStBl II 1984, 472 m. w. N.; in BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501; vom 31. Januar 1985 IV R 149/82, BFHE 143, 267, BStBl II 1985, 365).
Das FG hat zu Recht entschieden, daß diese Voraussetzungen im Streitfall gegeben sind. Das Konkursverfahren über das Vermögen des Klägers wurde mit einem Zwangsvergleich abgeschlossen, dem der ganz überwiegende Teil der Gläubiger des Klägers zugestimmt hat. Diese Gläubiger haben den von dem Kläger vorgeschlagenen Zwangsvergleich angenommen, wonach der Kläger auf die Konkursforderungen eine Quote von 12 v. H. zu zahlen hat, während ihm die restlichen Forderungen zu erlassen sind.
An diesem allgemeinen Erlaß hat sich auch die Bank C beteiligt. Dem steht nicht entgegen, daß die Forderungen der Bank gegenüber dem Kläger durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft seiner Ehefrau und später zusätzlich durch ein abstraktes Schuldanerkenntnis gesichert waren. Entscheidend ist, daß mit Abschluß des Zwangsvergleichs dem Kläger selbst 88 v. H. seiner Verbindlichkeiten gegenüber der Bank erlassen worden sind.
4. Zu Recht hat das FG entschieden, daß die Gläubiger in Sanierungsabsicht gehandelt haben. Sanierungsabsicht ist gegeben, wenn beim Gläubiger die Absicht, die wirtschaftliche Gesundung des Unternehmens herbeizuführen, maßgeblich, wenn auch nicht allein entscheidend für einen Erlaß ist. Der Gläubiger wird regelmäßig in der Absicht handeln, die Restforderung zu retten oder die Geschäftsverbindung auch für die Zukunft zu erhalten. Der konkursfest gesicherte Gläubiger wird dabei andere Überlegungen anstellen als der nicht gesicherte Gläubiger. Solche Erwägungen sind unschädlich, sofern die Sanierungsabsicht mitentscheidend war (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs vom 14. Juli 1937 VI A 298/37, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1937, Nr. 462). An das Vorliegen einer Sanierungsabsicht sind nach der Rechtsprechung keine strengen Anforderungen zu stellen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 1988 III R 257/84, BFH/NV 1989, 436 m. w. N.).
Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, daß die Gläubiger in Sanierungsabsicht gehandelt haben. Diese Auffassung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Ausführungen des FA in der Revisionsbegründung geben dem Senat keinen Anlaß zu einer anderen Beurteilung. Das FG konnte aus dem Hinweis des Konkursverwalters im Schreiben vom 3. September 1979, daß dem Kläger durch den Abschluß des Zwangsvergleichs ermöglicht werden sollte, wieder in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen zu leben, mit Recht folgern, daß die Absicht, die wirtschaftliche Gesundung des Klägers herbeizuführen, bei Abschluß des Zwangsvergleichs für die Gläubiger mitbestimmend gewesen ist. Das gilt auch für die Bank C. Ein Handeln in Sanierungsabsicht ist - entgegen der Auffassung des FA - nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Bank an der Bürgschaftsverpflichtung der Ehefrau festhielt und sich für die Stundung der auf die Bank entfallenden Vergleichsquote eine weitere Bürgschaft der Ehefrau einräumen ließ. Die Stundung der Vergleichsquote in Höhe von rd. 8 200 DM durch die Bank weist im Gegenteil darauf hin, daß diese dem Kläger die wirtschaftliche Wiedereingliederung nicht erschweren, sondern möglichst erleichtern wollte.
5. Zutreffend ist die Auffassung des FG, daß ein Sanierungsgewinn auch dann steuerfrei sein kann, wenn dem Schuldner durch den Erlaß eine schuldenfreie Liquidierung seines Unternehmens und der Aufbau einer Existenz in selbständiger oder nichtselbständiger Position ermöglicht wird. Der I. Senat des BFH hat in den Urteilen vom 14. März 1990 I R 64/85 (BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810) und I R 106/85 (BFHE 161, 34, BStBl II 1990, 813) entschieden, daß es für die Sanierungseignung genügt, wenn der Forderungserlaß einem Einzelunternehmer ermöglicht, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiterbestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein. Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsauslegung in seinem Urteil vom 18. Dezember 1990 VIII R 40/86, BFHE 163, 200, BStBl II 1991, 232, angeschlossen.
Fundstellen