Leitsatz (amtlich)

Führt ein Unternehmer ein Wirtschaftsgut, das am Schluß des Jahres 1967 zum ausländischen Anlagevermögen eines anderen Unternehmers gehört hat, im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zu, so kommt eine Milderung der Selbstverbrauchsbesteuerung nach Maßgabe des § 30 Abs. 9 UStG 1967 nicht in Betracht.

 

Normenkette

UStG 1967 § 30 Abs. 9

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der Fa. A KG (KG). Gegenstand des Unternehmens der KG war die Binnenschiffahrt. Die KG hatte für ihre inländischen Umsätze gemäß § 9 UStG 1967 auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 6 UStG 1967 verzichtet. Durch Kaufvertrag vom 17. März 1971 erwarb die KG von der Firma X in Antwerpen/Belgien das Tankmotorschiff W. Die Verkäuferin bestätigte mit Bescheinigung vom 6. Juli 1971, daß das Schiff am 31. Dezember 1967 zu ihrem Anlagevermögen gehört hat. Bei der Einfuhr des Schiffes wurde Einfuhrumsatzsteuer erhoben. Im April 1971 führte die KG das Schiff im Inland der Verwendung als Anlagevermögen zu. Sie behandelte diesen Vorgang in der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat April 1971 als Selbstverbrauch im Sinne des § 30 Abs. 2 UStG 1967 und errechnete unter Zugrundelegung der Anschaffungskosten und unter Anwendung eines Steuersatzes von 4 v. H. eine Selbstverbrauchsteuer von 34 480 DM (Bemesungsgrundlage 862 000 DM). In der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juni 1971 setzte die KG die "irrtümlich im April bezahlte Selbstverbrauchsteuer für Tankmotorschiff W" in der für den Milderungsbetrag gemäß § 30 Abs. 9 UStG 1967 vorgesehenen Zeile bei der Berechnung der zu entrichtenden Umsatzsteuer ab, so daß sich ein Überschuß im Sinne des § 18 Abs. 2 Satz 4 UStG 1967 in Höhe von 29 969,24 DM ergab. Dieser Betrag wurde an die KG ausgezahlt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) folgte im Anschluß an eine Umsatzsteuersonderprüfung der Auffassung des Prüfers, daß die durch die Besteuerung des Selbstverbrauchs eingetretene Belastung nicht durch einen Steuererlaß nach § 30 Abs. 9 UStG 1967 gemildert werden könne. Denn der Zweck der Vorschrift, die Doppelbelastung eines Wirtschaftsguts mit Umsatzsteuer alten Rechts und neuer Selbstverbrauchsteuer zu vermeiden, treffe für Wirtschaftsgüter, die am 31. Dezember 1967 nicht zu einem inländischen Anlagevermögen gehört hätten, nicht zu. Es setzte daher in Abweichung von der abgegebenen Voranmeldung die Umsatzsteuer für den Monat Juni durch Vorauszahlungsbescheid vom 27. September 1971 auf 4 510,76 DM fest. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde von der OFD mit Beschwerdeentscheidung vom 24. Januar 1972 als unbegründet zurückgewiesen.

Nunmehr erhob die KG Klage mit dem Antrag, den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für den Monat Juni aufzuheben und die Selbstverbrauchsteuer von 34 480 DM gemäß § 30 Abs. 9 UStG 1967 zu erlassen. Das FG hat die Klage aus den gleichen Gründen abgewiesen, die auch für die Entscheidung der Verwaltung maßgeblich waren.

Mit der Revision gegen diese Entscheidung rügt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der KG die Verletzung materiellen Rechts (§ 30 Abs. 9 UStG 1967). Sie trägt im wesentlichen vor: Da der Gesetzgeber nur in den §§ 28, 30 Abs. 2 UStG 1967, nicht aber auch in § 30 Abs. 9 UStG 1967 auf das Inland Bezug nehme, sei die Anwendung der Milderungsregelung nicht davon abhängig, daß das Wirtschaftsgut am 31. Dezember 1967 zu einem im Inland belegenen Anlagevermögen gehört habe. Für eine solche Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 30 Abs. 9 UStG 1967 hätte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft, weil nach der Definition des Unternehmensbegriffs im deutschen Umsatzsteuerrecht das Unternehmen nicht an der Grenze ende. Nur diese nach dem Gesetzeswortlaut gebotene Auslegung werde der vom Umsatzsteuergesetz und von der Ersten EWG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuer (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1967 S. 1301) angestrebten Wettbewerbsneutralität gerecht (so Romberg in Umsatzsteuer-Rundschau 1970 S. 280 - UStR 1970, 280 -), zumal das Motorschiff mit belgischer Umsatzsteuer kumulativ belastet gewesen sei. Die Belastung mit Umsatzsteuer müsse ohne Rücksicht auf die jeweilige Belegenheit am 31. Dezember 1967 berücksichtigt werden. Andernfalls werde derjenige Unternehmer benachteiligt, der einen Gegenstand aus dem Ausland eingeführt und nach dem 31. Dezember 1967 seinem Anlagevermögen zugeführt habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FA unter Aufhebung seiner ablehnenden Entscheidung zu verpflichten, die Selbstverbrauchsteuer in Höhe von 34 480 DM zu erlassen. Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 30 Abs. 9 UStG 1967 kann die durch die Selbstverbrauchsteuer eintretende steuerliche Belastung auf Antrag des Unternehmers unbeschadet der Vorschrift des § 131 AO durch Steuererlaß angemessen gemildert werden, wenn ein Wirtschaftsgut am Ende des Jahres 1967 in fertigem oder unfertigem Zustand zum Anlagevermögen eines Unternehmers gehört hat und dafür ein Vorsteuerabzug nach § 28 UStG 1967 nicht in Anspruch genommen worden ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, wie das FG bei der Überprüfung der Entscheidung der OFD (deren Handeln gemäß § 44 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 FGO dem beklagten FA zuzurechnen ist) zutreffend ausgeführt hat.

1. Die vorbehaltlose Annahme der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juni 1971 und die Auszahlung des Überschußbetrags im Sinne des § 18 Abs. 2 Satz 4 UStG 1967 durch das FA stellen wegen der Vorläufigkeit des Voranmeldungsverfahrens keine Entscheidungen über den Erlaßantrag nach § 30 Abs. 9 UStG 1967 zugunsten der Klägerin dar. Sie stehen daher den (ablehnenden) Entscheidungen, wie sie durch das FA und durch die OFD als Beschwerdeinstanz getroffen worden sind, nicht entgegen.

2. Bei Nachprüfung des von der Finanzverwaltung ausgeübten Ermessens ist das FG zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß sich die Milderungsregelung des § 30 Abs. 9 UStG 1967 nur auf die am Schluß des Jahres 1967 zu einem inländischen Anlagevermögen gehörenden Wirtschaftsgüter erstreckt. Es hat sich mit dieser Auslegung nicht, wie die Klägerin meint, über den Wortlaut des Gesetzes hinweggesetzt. Zwar enthält § 30 Abs. 9 UStG 1967 nicht ausdrücklich diese Beschränkung. Sie ergibt sich jedoch eindeutig aus der Zielsetzung dieser Vorschrift, insbesondere aus ihrer sachlichen Begrenzung auf die am Schluß des Jahres 1967 zum Anlagevermögen gehörigen Wirtschaftsgüter und die Verknüpfung mit § 28 UStG 1967, der lediglich am selben Stichtag im Inland vorhandene Wirtschaftsgüter des Vorratsvermögens von Umsatzsteuer alten Rechts entlastet. Aus hier nicht näher interessierenden finanz- und steuerpolitischen Überlegungen hat der Gesetzgeber vorgesehen, die Wirtschaftsgüter des Vorratsvermögens nach dem Stand vom 31. Dezember 1967 in bestimmtem Umfang von der auf ihnen ruhenden kumulativen Allphasenumsatzsteuer alten Rechts zu entlasten (§ 28 UStG 1967), dagegen eine gleichartige Entlastung für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nicht durchzuführen. Werden Wirtschaftsgüter, die am 31. Dezember 1967 dem Vorratsvermögen angehört haben und gemäß § 28 UStG 1967 von alter Umsatzsteuer entlastet worden sind, nach dem vorbezeichneten Zeitpunkt der Verwendung und Nutzung als Anlagevermögen zugeführt, so entspricht ihre Belastung mit Selbstverbrauchsteuer der von § 30 UStG 1967 beabsichtigten Zielsetzung. Haben Wirtschaftsgüter jedoch zum Anlagevermögen gehört und deswegen keine Entlastung nach § 28 UStG 1967 erfahren, würde die Erhebung von Selbstverbrauchsteuer zu einer doppelten Belastung mit alter Umsatzsteuer und mit Selbstverbrauchsteuer führen. Zweck der Regelung des § 30 Abs. 9 UStG 1967 ist es, die durch eine Doppelbesteuerung mit alter Umsatzsteuer und Selbstverbrauchsteuer entstehenden Härten in angemessener Weise zu beseitigen (vgl. u. a. Stenografische Berichte des Deutschen Bundestages, 5. Wahlperiode, 102. Sitzung, S. 4781). Aus dem Zusammenwirken beider Vorschriften ergibt sich nach Auffassung des Senats, daß der Anwendungsbereich des § 30 Abs. 9 UStG 1967 auf diejenigen Wirtschaftsgüter begrenzt ist, bei denen sich aus § 28 UStG 1967 bestimmt, ob sie zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung einer Entlastungsmaßnahme zugänglich sind. Daß damit Wirtschaftsgüter, die am 31. Dezember 1967 zu einem im Ausland belegenen Anlagevermögen gehört haben, von der Milderungsregelung ausgeschlossen sind, entspricht allgemeiner Auffassung (so Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, 6. Aufl., Erl. 56/1 zu § 30 UStG 1967; Peter, Umsatzsteuer und Mehrwertsteuer, Kommentar, § 30 UStG 1967, Rdnr. 61 c; Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, Bd. III, § 30 Anm. 135; Wätzig, UStR 1971, 308).

Der Senat vermag nicht der Auffassung der Klägerin beizutreten, daß diese Auslegung der vom Umsatzsteuergesetz 1967 und von der Ersten EWG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuer angestrebten Wettbewerbsneutralität widerspreche. Es obliegt nicht dem deutschen Gesetzgeber, einen aus dem Ausland eingeführten Gegenstand aus Gründen der Wettbewerbsneutralität von ausländischer Umsatzsteuer zu entlasten. Nach dem für die Erhebung von Umsatzsteuer international maßgeblichen Bestimmungslandprinzip (vgl. Eckardt/Weiß, Umsatzsteuergesetz 1967, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Tz. 1 ff., § 4 Nr. 1 Tz. 1 ff.), von dem auch die maßgeblichen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. Art. 96, 97) und der Zweiten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (2. EWG-Richtlinie) vom 11. April 1967 (ABlEG 1967, 1303) ausgehen (vgl. Art. 10 und 11 der 2. EWG-Richtlinie), ist es Sache des Ursprungslandes, die Ausfuhrwaren von der im Ursprungsland eingetretenen Belastung mit Umsatzsteuer zu entlasten. Es ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht der Schluß gerechtfertigt, daß das Motorschiff bis zur Ausfuhr im April 1971 noch kumulativ mit belgischer Umsatzsteuer alten und neuen Rechts belastet war. Das belgische Umsatzsteuerrecht, das am 1. Januar 1971 auf der Grundlage der 2. EWG-Richtlinie in Kraft trat, hatte den Vorgang der Ausfuhr des Motorschiffes von der Umsatzsteuer zu befreien. Inwieweit eine weitergehende Entlastung von alter belgischer Umsatzsteuer beim Übergang zum neuen Umsatzsteuersystem am 1. Januar 1971 in Betracht zu ziehen war, hatte allein der belgische Gesetzgeber zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72162

BStBl II 1977, 130

BFHE 1977, 310

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