Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1965 unterliegt nur der Teil nachgezahlter Nutzungsvergütungen und Zinsen, der auf einen über drei Jahre hinausgehenden Zeitraum entfällt.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EStG § 24 Ziff. 3, § 34 Abs. 2 Ziff. 3

 

Tatbestand

Der steuerpflichtigen Ehefrau wurden im Jahre 1959 auf Grund eines Kaufvertrages in Verbindung mit dem Gesetz über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung (Landbeschaffungsgesetz - LBG -) vom 23. Februar 1957 (BGBl 1957 I S. 134) rund 200.000 DM Zinsen für die Zeit vom 5. Mai 1955 bis 26. Juni 1959 gezahlt. Streitig ist, in welchem Umfang dieser Betrag nach § 34 Abs. 1 EStG tarifbegünstigt versteuert werden kann.

Das Finanzamt (FA) und das Finanzgericht (FG) sind unter Hinweis auf den Wortlaut des neu eingefügten § 34 Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1965 der Meinung, die Begünstigung gelte nur für den Teil der Zinsen, der auf einen über drei Jahre hinausgehenden Zeitraum entfällt. Die Steuerpflichtige (Stpfl.) hält diese Auffassung für unrichtig und beantragt mit der - jetzt als Revision zu behandelnden - Rechtsbeschwerde, die Zinsen in vollem Umfang tariflich zu begünstigen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Versteuerung von Nachzahlungen, die bei der Inanspruchnahme von Grundstücken durch die öffentliche Hand für mehrere Jahre in einer Summe gezahlt wurden, hat den BFH schon früher beschäftigt. Die Entscheidung VI 216/61 U vom 14. Juni 1963 (BStBl 1963 III S. 380, Slg. Bd. 77 S. 169) betraf Nutzungsentschädigungen bei Beschlagnahme von Grundstücken. Der Senat entschied damals, es handle sich um unmittelbar unter § 21 Abs. 1 Ziff. 1 EStG fallende Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung; daß sie für mehrere Jahre in einem Betrag nachgezahlt würden, mache sie nicht zu einer Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG. Die Zusammenballung könne allerdings wegen der Tarifprogression zu Härten führen; das sei aber bei den Einkünften, die im Jahre des Zufließens (§ 11 Abs. 1 EStG) versteuert werden, im Gesetz selbst begründet, an das die Steuergerichte nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) gebunden seien, solange der Gesetzgeber nicht eine änderung dieses Rechtszustandes für erforderlich halte. Die Entscheidung des BFH IV 97/63 U vom 3. September 1964 (BStBl 1964 III S. 643, Slg. Bd. 80 S. 467) betraf - ähnlich wie im gegenwärtigen Streitfall - nachgezahlte Zinsen aus § 17 Abs. 4 LBG. Auch hier wurde die Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 1, 2 Ziff. 2 EStG abgelehnt, weil die Verzinsung eines Kapitalanspruchs kein Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen und damit keine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 a EStG sei.

Das Urteil des BFH VI 216/61 U (a. a. O.) löste Maßnahmen des Gesetzgebers aus, durch die dem § 24 EStG und dem § 34 Abs. 2 EStG jeweils eine neue Ziff. 3 angefügt wurde. Die Ergänzung geschah durch Art. 1 Ziff. 11 und Ziff. 13 b des Steueränderungsgesetzes vom 14. Mai 1965 - StändG 1965 - (BStBl 1965 I S. 217), die nach § 52 Abs. 18 EStG (Fassung von Art. 1 Ziff. 20 StändG 1965) auch für frühere, noch nicht rechtskräftig veranlagte Zeiträume gelten (siehe jetzt die §§ 24 Ziff. 3, 34 Abs. 2 Ziff. 3 und 52 Abs. 19 EStG 1965 in der Fassung vom 10. Dezember 1965, BStBl 1965 I S. 686).

§ 24 Ziff. 3 EStG 1965 betrifft "Zinsen ... auf Entschädigungen, die mit der Inanspruchnahme von Grundstücken für örtliche Zwecke zusammenhängen". Dieser Tatbestand ist hier für die Zinsen erfüllt. Unerheblich ist, daß kein formelles Enteignungsverfahren (§§ 10 f. LBG) durchgeführt wurde, sondern daß der Grunderwerb sich durch Kaufvertrag vollzog. Dieses Verfahren ist im ersten Teil des LBG (§§ 1 bis 9) vorgesehen. Im übrigen hat der Vertreter der Bundesrepublik im Eingang der Kaufurkunde ausdrücklich erklärt, daß der zu kaufende "Grundbesitz für die Errichtung von Besatzungsanlagen in Anspruch genommen worden ist"; es handele sich um einen Fall des § 64 Abs. 2 und 3 LBG. Somit steht fest, daß es sich um Zinsen aus Entschädigungen handelt, die mit der Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke "zusammenhängen".

Nach § 34 Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1965 gelten die ermäßigten Steuersätze für Zinsen im Sinne des § 24 Ziff. 3 EStG 1965 "soweit sie für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt werden". Dieser Satzteil kann nicht anders verstanden werden, als daß die Begünstigung nur die Zinsen erfaßt, die für den über drei Jahre hinausgehenden Zeitraum gezahlt werden. In dem Wort "soweit" liegt eine Abgrenzung, die zwischen einzelnen Teilen des Zuflusses unterscheidet. Das Wort enthält keine Bedingung, die die Zinszahlung als Ganzes erfassen würde. Die Vorschrift spricht nicht von Zinsen, "sofern" oder "wenn" sie für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt werden. Es spricht nichts dafür, daß der Gesetzgeber die in dem Gebrauch des Wortes "soweit" liegende Einschränkung nicht erkannt und gewollt hat.

Gegenüber dem klaren, aus sich verständlichen und deshalb nicht auslegungsbedürftigen Gesetzeswortlaut kann der Hinweis der Stpfl. auf den Bericht des Finanzausschusses des Bundestags (Verhandlungen des Deutschen Bundestags, Anlagen zu den stenografischen Berichten, Band 97, Drucksache VI/3189) nicht durchgreifen. In der Anlage zu dieser Drucksache wird im Begleitbericht zum Entwurf des StändG 1965 auf S. 8 gesagt:

"Zu Nummer 11 - § 24 EStG Der Ausschuß hat im Rahmen seiner Beratungen geprüft, ob es im Hinblick auf die Ausführungen in dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. Juni 1963 (BStBl 1963 III s. 380) gerechtfertigt ist, durch eine gesetzliche Regelung für Nutzungsvergütungen, die bei der Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke für mehrere Jahre in einem Betrag nachgezahlt werden, eine tarifliche Sonderbehandlung zu schaffen. Diese Frage wurde von dem Ausschuß mit Rücksicht darauf bejaht, daß sich des öfteren aus Gründen, die nicht von den Empfängern zu vertreten sind, die Nutzungsvergütungen in einem Kalenderjahr zusammenballen und daß dann infolge der Progression des Einkommensteuertarifs Härten eintreten können. Demzufolge schlägt der Finanzausschuß vor, die Nutzungsvergütungen unter § 24 Ziff. 1 und § 34 Abs. 2 EStG aufzuführen und den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG bei einer Nachzahlung für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren zu gewähren. Da bei Zinsen, die auf Nutzungsvergütungen und auf Entschädigungen für die Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke nachgezahlt werden, vergleichbare Verhältnisse vorliegen, schlägt der Ausschuß vor, solche Zinsen in die tarifliche Sonderregelung einzubeziehen".

Bei der Fassung des vorletzten Satzes dieser Ausführungen könnte man allerdings auf den Gedanken kommen, daß Nachzahlungen schlechthin nach § 34 EStG begünstigt werden sollten. Der zitierte Teil des Berichts betrifft aber die Ergänzung zu § 24, die das Wort "soweit" nicht enthält, sondern nur von Zinsen spricht, "die mit der Inanspruchnahme ... zusammenhängen". Tatsächlich durfte das Wort "soweit" im § 24 Ziff. 3 EStG nicht erscheinen; denn eine Ausnahme an dieser Stelle hätte bedeutet, daß die Nutzungsvergütungen und Zinsen für die ersten drei Jahre nicht zu den Einkünften im Sinne des § 21 Abs. 1 bzw. des § 20 Abs. 1 EStG gehörten. Zu einer solchen Regelung gaben die BFH- Entscheidungen VI 216/61 U und IV 97/63 U (a. a. O.) keinen Anlaß; sie wäre auch systemwidrig. Mit der für den § 24 Ziff. 3 EStG gewählten Formulierung wurde dem Gedanken Rechnung getragen, daß § 24 EStG keine selbständige Bedeutung hat, sondern die Vorschrift ihre Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit § 34 EStG gewinnt; denn durch den § 24 EStG werden bestimmte Zuflüsse aus den übrigen Einnahmen der betreffenden Einkunftsart nur "besonders herausgehoben ... mit dem vorwiegenden Zweck, nach § 34 Abs. 1, 2 EStG tariflich begünstigt zu werden" (BFH-Entscheidung IV 223/58 S vom 17. Dezember 1959, BStBl 1960 III S. 72, Slg. Bd. 70 S. 195). Die Art und der Umfang der Steuerermäßigung werden dagegen im § 34 EStG bestimmt. Tatsächlich wird das Wort "soweit", auch im Entwurf des StändG 1965 erst in der Ziff. 3 zu § 34 Abs. 2 a. a. O. gebraucht. Im Bericht des Finanzausschusses ist "Zu Nr. 13 - § 34 EStG -" unter b lediglich gesagt: "Auf die Ausführungen zu Nr. 11 - § 24 EStG - wird Bezug genommen". Mit der vom Finanzausschuss vorgeschlagenen Einschränkung im § 34 Abs. 2 Ziff. 3 EStG ist der Entwurf im Bundestag debattenlos als Gesetz beschlossen worden. Siehe den Bericht über die 175. Sitzung des Bundestags vom 25. März 1965 S. 8734 (8808. 8824 linke und rechte Spalte). Daraus ergibt sich, daß der Bundestag und der Bundesrat der Anregung des Senats in der Entscheidung VI 216/61 U (a. a. O.) zwar mit dem neuen § 24 Ziff. 3 EStG grundsätzlich entsprochen, in der neuen Ziff. 3 des § 34 Abs. 2 EStG aber nur in beschränktem Masse verwirklicht haben. Der Unterschied in der Wortfassung der beiden Gesetzeszusätze gebietet, das Wort "soweit" als Einschränkung zu verstehen, wie es seinem Wortsinn entspricht. Jedenfalls ist nicht zwingend festzustellen, daß der Gesetzgeber mit § 34 Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1965 etwas anderes gewollt hat, als der Wortlaut ausspricht.

Für diese einschränkende Begünstigung sprechen auch sachliche Gründe. Wollte man nämlich der Auffassung der Stpfl. folgen, so käme z. B. der Empfänger von Zinsen für drei Jahre und fünf Tage voll in den Genuß der Begünstigung, während der Zinsempfänger, dem an den drei Jahren fünf Tage fehlen, voll nach dem Normaltarif besteuert würde. Der letzterwähnte Empfänger müßte oft eine höhere Steuer selbst dann erbringen, wenn sein Zinsbetrag gegenüber dem erstgedachten Empfänger nennenswert geringer ist. Ein solches Ergebnis ist mit dem Sinn und Zweck steuerlicher Gerechtigkeit und Gleichbehandlung kaum zu vereinbaren.

Dazu kommt noch die folgende überlegung: Der Senat hat wiederholt, vor allem aber im Urteil VI 216/61 U (a. a. O.) ausgeführt, daß das Gesetz grundsätzlich keine Möglichkeit bietet, Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG), aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) und sonstige Einkünfte (§ 22 EStG) tariflich zu begünstigen, wenn sie dem Steuerpflichtigen ohne oder sogar gegen seinen Willen in einem Kalenderjahr zusammengeballt für mehrere abgelaufene Jahre zufließen. Eine Sonderregelung gilt nach § 34 Abs. 3 EStG nur für die Entlohnung aus einer Tätigkeit, die sich über mehrere Jahre erstreckt hat; für diese Fälle ist eine begrenzte Tarifbegünstigung vorgesehen. Die Versagung der Tarifbegünstigung in den erwähnten anderen Fällen führt bei den heutigen hohen Steuersätzen und der scharfen Progression des Einkommensteuertarifs oft zu umso größeren Härten, je länger der Nachzahlungszeitraum ist und je weniger der Steuerpflichtige auf eine frühere Zahlung Einfluß nehmen konnte. Wenn z. B. ein Grundeigentümer jahrelang einen Prozeß um die Höhe der Mieten oder ein Kapitalgläubiger um die Hypothekenzinsen führen mußte, und dann die geforderten Beträge für mehrere Jahre zusammen in einer Summe ausgezahlt erhält, ist seine Lage wirtschaftlich meist nicht anders als die eines Arbeitnehmers, der auf Jahre zurück eine Lohnnachzahlung erhält. Ebenso steht er nicht anders als die Steuerpflichtigen, für die jetzt eine Sonderregelung in § 34 Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1965 getroffen worden ist, weil allen diesen Fällen gemeinsam ist, daß zwangsläufig zusammengeballte Leistungen für mehrere Jahre in Rede stehen, die im allgemeinen infolge der steilen Tarifprogression eine höhere Steuer auslösen, als wenn sie in den einzelnen Jahren, zu denen sie wirtschaftlich gehören, versteuert worden wären. Weil der Gesetzgeber im EStG 1965 nicht diesen Gesamtkomplex neu geregelt, sondern nur den Sonderfall der Inanspruchnahme durch die öffentliche Hand herausgegriffen hat, ist die auch dem Wortlaut entsprechende sachlich einschränkende Auslegung der neuen Vorschrift auch deshalb gerechtfertigt, weil andernfalls eine noch schärfere Ungleichbehandlung wirtschaftlich im wesentlichen gleichartiger Sachverhalte eintreten würde. Der Senat nimmt auch unter diesem Gesichtspunkt an, daß der Gesetzgeber, der unter dem Gebot der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen steht (Art. 3 Abs. 1 GG), die einschränkende Fassung der neueren Vorschrift bewußt gewählt hat, um die Ungleichbehandlung ähnlicher Sachverhalte wenigstens in vertretbaren Grenzen zu halten.

Nach allem legt der Senat den § 34 Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1965 entsprechend seinem Wortlaut mit dem FG dahin aus, daß Zinsnachzahlungen für eine Zeit bis zu drei Jahren nicht tarifbegünstigt sind, während Nachzahlungen für mehr als drei Jahre den begünstigten Tarif nur für den Zeitraum erhalten, der über drei Jahre hinausgeht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412084

BStBl III 1966, 460

BFHE 1966, 448

BFHE 85, 448

StRK, EStG:34/2 R 52

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