Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Mitinhaber einer Krankenanstalt kann für seine ärztlichen Leistungen in der Krankenanstalt die Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 15 (b) UStG dann nicht in Anspruch nehmen, wenn die Krankenanstalt die Form einer juristischen Person hat oder zu den Mitinhabern Personen gehören, die keine unmittelbar der Krankenpflege dienenden Leistungen erbringen (Fortführung der Rechtsprechung im Urteil des BFH V 279/60 U vom 12. September 1963, BStBl 1963 III S. 587, Slg. Bd. 77 S. 729).

 

Normenkette

UStG § 4 Ziff. 11, § 4/14, § 4/15/b; UStDB § 42 Abs. 2; UStG § 4/16/b

 

Tatbestand

Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) ist Facharzt. Er betreut als leitender Arzt die Patienten eines Privatsanatoriums, das in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung dient ... Das Sanatorium gehört einer offenen Handelsgesellschaft, an der der Stpfl. selbst, seine Ehefrau und sein Schwiegervater beteiligt sind. ...

Vom Stpfl. wurden u. a. auch Patienten behandelt, die von einem Landesversorgungsamt im Rahmen der Kriegsopferversorgung in das Sanatorium oder in fremde Häuser eingewiesen worden waren und für deren Behandlungskosten diese Stelle aufkam. Für die Veranlagungszeiträume ... ist streitig, ob diese Entgelte von der Steuerbefreiung nach § 4 Ziff. 11 UStG erfaßt sind. Außerdem ist streitig, ob allgemein für die Umsätze dieser Jahre, die der Stpfl. aus der stationären Behandlung von Patienten im Sanatorium der OHG erzielt hat, die Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 15 (b) UStG in Frage kommt.

Im Gegensatz zum Finanzamt (FA) hat das Finanzgericht (FG) beide Streitfragen zugunsten des Stpfl. entschieden... Zur Begründung dieser Entscheidung hat das FG ausgeführt: § 4 Ziff. 11 UStG finde Anwendung, wenngleich die Versorgungsämter nicht zu den Kostenträgern gehörten, die in dieser Vorschrift und in den dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen (§ 39 Ziff. 2 bis 4 UStDB) erwähnt seien. Es liege eine Gesetzeslücke vor. Entsprechend der sozialpolitischen Absicht, die der Gesetzgeber mit den genannten Vorschriften verbunden habe, sei die Befreiung auch auf die Leistungen an die Versorgungsämter auszudehnen. Es seien deshalb nicht nur die vom Berufungs- (nunmehr Klage-) Antrag erfaßten Entgelte für die Behandlung von Patienten des Versorgungsamts im Sanatorium der OHG steuerfrei, sondern darüber hinaus auch die Entgelte, die dem Stpfl. für die Behandlung solcher Patienten in fremden Häusern zugeflossen seien.

Im übrigen seien alle Einnahmen aus der Behandlung von stationären Patienten im Sanatorium der OHG als steuerfreie Entgelte im Sinne des § 4 Ziff. 15 (b) UStG zu beurteilen, da die im besonderen Maße der minderbemittelten Bevölkerung dienende Krankenanstalt zum überwiegenden Teil dem Privatvermögen des Stpfl. und seiner Ehefrau zuzurechnen sei und der Stpfl. alle entscheidenden Funktionen in der Anstalt ausübe. Diese Entscheidung folge den vom BFH im Urteil V 148/56 U vom 5. Dezember 1956 (BStBl 1957 III S. 41, Slg. Bd. 64 S. 109) aufgestellten Grundsätzen.

Gegen diese Entscheidung hat der Vorsteher des FA Rb. eingelegt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb., die seit dem Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 als Revision zu behandeln ist (§§ 184 Abs. 2, 115 ff. FGO), ist begründet.

Die zum Vollzug des Bundesversorgungsgesetzes vom 20. Dezember 1950 (BGBl I S. 791 ff.) durch Gesetz vom 12. März 1951 (BGBl I S. 169) errichteten Versorgungsdienststellen (Versorgungsämter und Landesversorgungsämter) genießen nur die Befreiung gemäß § 39 Ziff. 1 UStDB, d. h. die ihrer eigenen Umsätze an die Versorgungsberechtigten oder an andere in der Bestimmung genannten Versicherungs- oder Fürsorgeträger. Dagegen sind Lieferungen oder Leistungen an sie nicht befreit. Solche Umsätze von der im Gesetz näher bestimmten Art sind nach § 4 Ziff. 11 UStG und § 39 Ziff. 3 und 4 UStDB nur dann umsatzsteuerfrei, wenn sie entweder an die gesetzlichen Träger der Sozialversicherung oder an die Landes- und Bezirksfürsorgeverbände erbracht werden. Die Umsätze an Versorgungsdienststellen sind nirgends begünstigt. Für eine erweiterte Auslegung der Ziff. 3 und 4 ist kein Raum. Es spricht nichts dafür, daß der Gesetzgeber die dort genannten Körperschaften nur als Beispiele für eine allgemeine Kategorie von Versorgungsträgern hätte nennen und damit die Ausdehnung der Vorschriften auf die Umsätze an andere Stellen hätte ermöglichen wollen. Auch von einer Gesetzeslücke, d. h. von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes, kann keine Rede sein. Vielmehr wird aus dem engen Zusammenhang der Regelungen in Ziff. 1 einerseits und in den Ziff. 3 und 4 des § 39 UStDB andererseits augenfällig, daß der Gesetzgeber die Umsätze an Versorgungsdienststellen bewußt in die Freistellung von der Umsatzsteuer nicht einbezogen hat. Aus dem vom FG zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen, zum Verzeichnis des § 57 Abs. 2 Ziff. 8 UStDB ergangenen Urteil des BFH V 293/58 U vom 26. Januar 1961 (BStBl 1961 III S. 197, Slg. Bd. 72 S. 541) kann für die hier zu treffende Entscheidung nichts gewonnen werden. Die strittigen Leistungen an das Versorgungsamt sind deshalb steuerpflichtig.

Das gleiche gilt für die Leistungen des Stpfl., die dieser allgemein als leitender Arzt des Sanatoriums erbracht hat. Sie fallen nicht unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 15 (b) UStG. Zwar hat der Senat die vom FG für die gegenteilige Auffassung angeführte Rechtsprechung (V 148/56 U vom 5. Dezember 1956, a. a. O.) durch das Urteil V 279/60 U vom 12. September 1963 (BStBl 1963 III S. 587, Slg. Bd. 77 S. 729) noch erweitert. Nach dieser Entscheidung gilt nämlich der Grundsatz, daß die Befreiungsvorschrift auch die im Rahmen der Krankenanstalt bewirkten Leistungen des Anstaltsinhabers umfaßt, auch dann, wenn die Krankenanstalt mehreren in ihr tätigen ärzten gehört. Die ärzte betätigten sich nach dem Sachverhalt dieser Entscheidung bei der Behandlung der stationären Patienten als Einzelunternehmer, beim Betrieb des Krankenhauses jedoch als GdbR.. Der Grundsatz, daß die Umsätze einer Personenvereinigung und die Umsätze ihrer Mitglieder umsatzsteuerrechtlich scharf voneinander zu trennen sind, konnte den Senat bei dieser Entscheidung nicht hindern, die Krankenhausumsätze der Mitglieder wie die Umsätze der GdbR zu behandeln, da die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung im Gesetz objektiv umschrieben sind ("Umsätze aus der Tätigkeit von Krankenanstalten") und die ärztlichen Bemühungen zu den typischen Leistungen von Krankenanstalten gehören. Der Senat hat in diesem Vergleichsfall aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese steuerliche Behandlung der ärztlichen Umsätze nicht ohne weiteres auf Fälle ausgedehnt werden könne, in denen zu den Mitinhabern der Krankenanstalt Nichtärzte gehören oder die Krankenanstalt die Form einer juristischen Person hat.

In dem hier zu entscheidenden Fall ist die volle Identität, die im Vergleichsfall zwischen den Trägern der Krankenanstalt und den Verantwortlichen für die ärztlichen Leistungen gegeben war, nicht gewahrt, mag auch der Stpfl. als leitender Arzt in einem beachtlichen Umfange Miteigentümer des Sanatoriums sein. Die erneute Prüfung der sich aus § 4 Ziff. 15 (b) UStG ergebenden Rechtsfragen führt den Senat zu der überzeugung, daß die Anwendung der Vorschrift auf die Leistungen eines selbständigen Arztes in einer Krankenanstalt diese Identität voraussetzt. Denn in allen Fällen, in denen die Krankenanstalt entweder eine selbständige juristische Person ist, oder von einer Personenvereinigung getragen wird, der Nichtärzte angehören, kann sie in ihrer Gesamtheit eine ärztliche Tätigkeit nur mehr durch angestellte, ihr selbst und nicht den Patienten unmittelbar verantwortliche ärzte entfallen. Ein in ihrem Hause selbständig tätig werdender Arzt kann aber eine Tätigkeit "der Krankenanstalt" nicht ausüben, auch wenn er der Personenvereinigung als Mitglied angehört oder an der juristischen Person mit seinem Vermögen beteiligt ist. Eine solche Krankenanstalt verzichtet, wenn sie in ihrem Hause ärzte selbständig tätig werden läßt, zugunsten dieser ärzte auf einen Teil ihrer steuerbegünstigten Tätigkeit. Die ärztlichen Leistungen des Mitinhabers sind dann nicht anders zu behandeln, wie die eines selbständigen Krankenhausarztes dem kein Anteil am Vermögen seiner Anstalt zusteht.

Der im Urteil des BFH V 68/60 U vom 9. April 1963 (BStBl 1963 III S. 274, Slg. Bd. 76 S. 752) Ziff. 3 ausgesprochene Grundsatz, daß die in § 42 Abs. 2 UStDB als steuerfrei aufgeführten Umsätze der Krankenanstalten zwar in der Krankenanstalt, aber nicht vom Inhaber der Krankenanstalt bewirkt sein müßten, kann entgegen der Meinung des FG nicht für die Steuerfreiheit der im Krankenhaus selbständig tätigen ärzte herangezogen werden. Der Senat hat mit diesem Grundsatz nur zum Ausdruck gebracht, daß eine Krankenanstalt als Voraussetzung für die Anwendung des § 4 Ziff. 15 (b) UStG auch dann gegeben sei, wenn sich ein Betrieb nur auf einem Teilgebiet der in § 42 Abs. 2 UStDB genannten Aufgaben selbst betätige, die übrigen für seine Krankenanstalt wesensnotwendigen Leistungen aber durch andere Unternehmer (selbständige ärzte) erbringen lasse. Dieser Grundsatz besagt nicht, daß die Tätigkeit der selbständigen ärzte in diesem Falle den Begriff der "Tätigkeit von Krankenanstalten" des § 4 Ziff. 15 UStG erfülle. Er hat im Gegenteil zur Voraussetzung, daß auf dem Gebiet der ärztlichen Leistungen keine Tätigkeit der Krankenanstalt gegeben ist.

Aus diesen Erwägungen ist das Urteil des FG aufzuheben und die Berufung (nunmehr Klage) gegen die angefochtenen Steuerbescheide ... abzuweisen. ...

 

Fundstellen

Haufe-Index 412080

BStBl III 1966, 472

BFHE 1966, 270

BFHE 86, 270

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