Leitsatz (amtlich)

Für die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung genügt es, wenn der Betroffene kraft öffentlichen Zwanges gehalten ist, seine privatrechtliche Entschließungsfreiheit aufzugeben. Das trifft indessen bei der Geltendmachung eines vereinbarten Wiederkaufsrechtes durch eine Behörde nicht zu.

 

Normenkette

EStR Abschn. 35; EStG §§ 5-6

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb 1962 von der Gemeinde W ein unbebautes Grundstück für 18 507,90 DM, das er vertragsgemäß zur Errichtung eines Betriebes zum Straßen- und Tiefbau innerhalb von zwei Jahren verwenden sollte. Der Vertrag sah ein Rückkaufsrecht der Gemeinde für den Fall der Nichterfüllung oder Zuwiderhandlung vor.

Der Kläger errichtete 1964 und 1965 auf dem als Lagerplatz genutzten Grundstück lediglich eine Lagerhalle. Die Gemeinde war der Ansicht, daß der Kläger den Vertrag nicht erfüllt habe, und trat 1967 vom Vertrag zurück. Als der Kläger die Rückauflassung verweigerte, erhob die Gemeinde Klage vor dem Landgericht.

Das Verfahren endete mit einem außergerichtlichen Vergleich, in dem sich der Kläger bereit erklärte, das Grundstück an die Eheleute J zu verkaufen. In Erfüllung dieser Verpflichtung veräußerte der Kläger durch Vertrag vom 9. Mai 1968 das Grundstück an die Eheleute J für 80 000 DM.

In der Bilanz zum 31. Dezember 1968 bildete der Kläger eine Rücklage nach § 6 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 45 948,45 DM, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Rahmen der bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerveranlagung 1968 anerkannte. Anläßlich einer Betriebsprüfung 1971 stellte sich heraus, daß die Voraussetzungen des § 6 b EStG nicht vorgelegen hatten. Der Kläger begehrte nunmehr, die von ihm gebildete Rücklage nach Abschn. 35 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) anzuerkennen, da das Grundstück zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs an die Eheleute J verkauft worden sei. Das FA vertrat demgegenüber die Ansicht, daß die Gemeinde bei Ausübung des Rückkaufsrechts zivilrechtlich und nicht hoheitlich tätig geworden sei. Dementsprechend versagte das FA in dem Berichtigungsbescheid die begehrte Rücklage für Ersatzbeschaffung.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es ist der Meinung, daß die Voraussetzungen des Abschn. 35 EStR nicht vorlägen, da das Grundstück nicht gegen den Willen des Klägers durch höhere Gewalt oder durch behördlichen Eingriff aus seinem Betriebsvermögen ausgeschieden sei. Es fehle auch an einem drohenden behördlichen Eingriff. Der in der Literatur vertretenen Meinung (Der Betrieb 1957 S. 1186 - DB 1957, 1186 -; DB 1969, 1676; Déon in Neue Wirtschafts-Briefe - NWB - Fach 17 a S. 167), wonach stille Rücklagen auf ein Ersatzwirtschaftsgut bei zivilrechtlicher Wahrnahme öffentlicher Interessen übertragen werden könnten, folge das FG nicht. Diese Ansicht sei weder mit dem Wortlaut noch dem Sinn der in Abschn. 35 Abs. 2 EStR getroffenen Regelung zu vereinbaren. Es fehle schon an einer unmittelbaren Einwirkung - Eingriff - aufgrund einer behördlichen Maßnahme. Der behördliche Eingriff könne schließlich auch nicht darin gesehen werden, daß die Gemeinde dem Kläger keine Aufträge mehr erteilt habe.

Mit seiner Revision hält der Kläger an seiner Meinung fest, daß die Gemeinde W mit Abschluß des Vertrages hoheitliche Aufgaben erfüllt habe. Die Gemeinde sei aus Gründen der Gemeindefinanzen daran interessiert gewesen, die Eheleute J als potente Steuerzahler in der Gemeinde zu behalten. Da diese sein Grundstück nicht mit privatrechtlichen Mitteln hätten erwerben können, hätten sie sich der Gemeinde bedient, um Druck auszuüben. Wenn ein Bürger sich unter dem Zwang der Verhältnisse dazu entschließe, einem Vermittlungsvorschlag eines Landgerichts in der Hoffnung zuzustimmen, daß damit ein drohender behördlicher Eingriff vermieden werden könne, seien die Voraussetzungen des Abschn. 35 EStR erfüllt.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Einkommensteuer 1968 unter Anerkennung einer Rücklage nach Abschn. 35 EStR in Höhe von 45 948 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Mit der Vorentscheidung ist davon auszugehen, daß die Voraussetzungen für die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. Die Rechtsprechung hat diese Rücklage dann zugelassen, wenn ein Wirtschaftsgut infolge höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs aus dem Betriebsvermögen ausscheidet (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Oktober 1975 I R 134/73, BFHE 117, 441, BStBl II 1976, 186).

Die Vorinstanz hat zutreffend als Grund für die Veräußerung des betrieblich genutzten Grundstücks eine drohende Enteignung ausgeschlossen. Weder ist ersichtlich, aufgrund welcher gesetzlichen Vorschriften Enteignungsmaßnahmen hätten vorgenommen werden können noch läßt sich ersehen, daß die Enteignung ernstlich drohte (BFH-Urteile vom 3. September 1957 I 315/56 U, BFHE 65, 402, BStBl III 1957, 386, und vom 12. März 1969 I 97/65 U, BFHE 95, 178, BStBl II 1969, 381).

Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und BFH würde es für die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung allerdings auch genügen, wenn der Betroffene kraft öffentlichen Zwanges gehalten ist, seine privatrechtliche Entschließungsfreiheit aufzugeben (RFH-Urteil vom 3. Mai 1944 VI 11/44, RStBl 1944, 619, und BFH-Urteil I R 134/73). In der Literatur (vgl. oben) wird hierzu die Meinung vertreten, die Geltendmachung eines vereinbarten Wiederkaufsrechts durch eine Behörde sei wirtschaftlich einer Entziehung durch einen behördlichen Eingriff gleichzustellen, weil der Weiterverkauf dazu diene, die Entziehung zu vermeiden. Diese Ansicht ist rechtsirrig. Sie verkennt, daß der Betroffene in einem solchen Fall in seiner Entschließungsfreiheit nicht durch behördlichen Zwang beeinträchtigt worden ist. Seine Verpflichtung zur Rückübertragung beruht vielmehr auf der zuvor ausgeübten freien Entschließung, sich bei Abschluß des Kaufvertrages mit der Gemeinde zur Rückübertragung bei Nichteinhalten bestimmter Auflagen zu verpflichten. Das Bestehen der Gemeinde auf Einhalten der vertraglichen Verpflichtungen beruht dann nicht auf behördlichem Zwang, sondern auf vertraglicher Grundlage (so im Ergebnis auch Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 4 EStG, Anm. 68 e am Ende).

Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem Sinn und Zweck der durch Abschn. 35 Abs. 2 EStR verfolgten Regelung, die eine gewinnmäßige Erfassung stiller Rücklagen verhindern will, wenn ohne Zutun eines Steuerpflichtigen Wirtschaftsgüter aus seinem Betriebsvermögen ausscheiden. Das trifft dann nicht zu, wenn der Steuerpflichtige durch einen ohne äußeren Zwang abgeschlossenen Vertrag verpflichtet ist, das Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen auszuscheiden. So liegt der Fall auch hier. Der Kläger hat das Grundstück an die Eheleute J nicht deshalb übereignet, weil die Gemeinde einen behördlichen Zwang gegen ihn hätte ausüben können, sondern weil er wegen der Nichterfüllung des Vertrages zur Rückübertragung an die Gemeinde verpflichtet war. Daß das Grundstück nicht erst an die Gemeinde, sondern gleich an die Eheleute J übereignet wurde, ändert an dieser rechtlichen Beurteilung nichts, wie auch die Beweggründe für diese Veräußerung ohne Bedeutung sind.

Das FG hat des weiteren zutreffend darauf hingewiesen, daß ein behördlicher Eingriff auch nicht in der Versagung weiterer behördlicher Aufträge erblickt werden könne. Der Senat kann offenlassen, ob nicht auch Fälle denkbar sind, bei denen die Versagung von Aufträgen einer Behörde als Ausübung behördlichen Zwanges i. S. von Abschn. 35 Abs. 2 EStR angesehen werden muß. Der vom FG hierzu festgestellte Sachverhalt bietet keinen Anlaß für eine solche Annahme, zumal der Kläger selbst nur vorgetragen hat, daß die Gemeinde die Möglichkeit gehabt habe, ihm den Aufenthalt dort unmöglich zu machen, und daß erste Ansätze hierfür darin bestanden hätten, weil ihm zunächst die Aufträge entzogen worden seien, die er bis dahin uneingeschränkt erhalten habe.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72774

BStBl II 1978, 428

BFHE 1979, 39

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