Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die von § 131 LAG abweichende und von dem Bundesminister der Finanzen selbständig getroffene Billigkeitsmaßnahme in Tz. 6 der VAO zu § 131 LAG vom 10. Juli 1956 (Billigkeitserlaß gegenüber einer Person, der ein Nießbrauch unentgeltlich eingeräumt wurde) hat ihre rechtliche Grundlage in § 131 Abs. 2 AO. Bei der Ausübung des freien Ermessens in der Ausgestaltung dieser Billigkeitsanordnung ist in einem solchen Fall der Bundesminister der Finanzen nicht an § 131 LAG gebunden. Der Bundesminister der Finanzen hat nur die ihm im GG und nach § 2 StAnpG gesetzten Grenzen zu beachten.

Verwaltungsanordnungen schaffen keine Rechtsnormen, die den Abgabepflichtigen zu einem bestimmten Tun verpflichten oder ihm bestimmte Rechte einräumen. Lehnt eine Finanzbehörde die Gewährung einer in einer VAO zugestandenen Vergünstigung ab, so kann der Antragsteller die Gewährung der Vergünstigung bei den Gerichten nicht mit dem Vorbringen durchsetzen, er habe durch die VAO ein subjetives Recht erlangt.

Besteht Streit über die Anwendung einer in einer VAO getroffenen Anordnung, so haben die Steuergerichte zu prüfen, ob die Anordnung mit dem GG und dem einfachen Gesetz, insbesondere mit derjenigen Gesetzesvorschrift, die die Rechtsgrundlage der Anordnung bildet, oder mit § 2 StAnpG vereinbar ist. Verstößt die Anordnung dagegen, ist sie nicht anzuwenden. Ist sie mit dem GG und dem einfachen Gesetz vereinbar, liegt eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) und damit eine mißbräuchliche Anwendung des freien Ermessens der Finanzbehörde vor, wenn die Anordnung entgegen ihrem klaren Wortlaut nicht und damit von Fall zu Fall ungleichmäßig angewendet wird.

 

Normenkette

LAG § 131; AO § 131 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Eigentümer eines Mietwohngrundstücks sind drei Brüder und anstelle eines vierten, aber gefallenen Bruders seine Witwe und Tochter. An dem Grundstück besteht zugunsten der Mutter und Brüder ein im Grundbuch eingetragenes unbeschränktes Nießbrauchsrecht. Am Währungsstichtag war das Grundstück mit Grundpfandrechten belastet, aus denen zwei Abgabeschulden entstanden sind. Die Zins- und Tilgungsleistungen betragen 557,60 DM für die eine und 180,33 DM für die andere Abgabeschuld, fällig jeweils zum 1. Juni und 1. Dezember jeden Jahres. Diese Leistungen wurden von der Mutter als Nießbraucherin getragen. Ihr standen hierzu und zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts die Erträge zweier Grundstücke zur Verfügung, wovon eines dieser beiden das belastete Grundstück ist. Im Haushalt der Mutter lebte bis zu ihrem am 21. Februar 1955 erfolgten Tod ihr jüngster Sohn. Dieser hat sich am 25. Februar 1955 verheiratet.

Am 16. Dezember 1956 wurde für die verstorbene Mutter der Antrag gestellt, die HGA-Leistungen des Erlaßzeitraums 1953 bis 1955 wegen wirtschaftlicher Bedrängnis der Mutter zu erlassen. Das Finanzamt hat den Antrag abgelehnt. Die ursprüngliche Begründung der Ablehnung war unzutreffend, weil das Finanzamt die Verhältnisse eines anderen als des belastenden Grundstücks zugrunde gelegt hatte. Die Ablehnung wurde jedoch mit der Begründung aufrechterhalten, daß die Nießbraucherin während des Erlaßzeitraums verstorben und das Grundstück auf die nicht bedürftigen Erben übergegangen sei. Die Oberfinanzdirektion (Bfin.) hat sich dieser Begründung im wesentlichen angeschlossen und den Antrag ebenfalls abgelehnt.

Das Finanzgericht hat dem Antrag insoweit stattgegeben, als es einen Teilbetrag von 1.301,60 DM erließ. Es führt dazu aus: Nach dem für den Vermögensabgabeerlaß aus Billigkeitsgründen ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs III 221/58 U vom 17. April 1959 (BStBl 1959 III S. 258, Slg. Bd. 68 S. 681) bestünden keine Bedenken, die Verwaltungsanordnung zu § 131 des Lastenausgleichsgesetzes (VAO zu § 131 LAG) IV C/5 - LA 2623 - 3/56 vom 10. Juni 1956 (BStBl 1956 I S. 347) auf den vorliegenden Fall anzuwenden, da sie sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung halte. Grundsätzlich sei nur der Abgabeschuldner zur Stellung des Erlaßantrags berechtigt, da aber gemäß Tz. 6 der VAO zu § 131 LAG ein unentgeltlicher Nießbraucher dem Abgabeschuldner gleichgeachtet werde, stehe die Antragsberechtigung auch dem Nießbraucher zu. Erlösche das Nießbrauchsrecht durch den Tod des Nießbrauchers und falle das Nutzungsrecht auf die Grundstückseigentümer zurück, so müsse dies im Rahmen des Erlaßverfahrens so behandelt werden, wie der übergang des Eigentums am Grundstück auf andere Personen; denn das Erlöschen des Nießbrauchs bewirke ebenfalls eine änderung der Person des Schuldners der Abgabeleistungen bzw. der dieser gleichzuachtenden Person. Da der jüngste Sohn der verstorbenen Mutter mit ihr in Familieneinheit im Sinne der Tz. 26 der VAO zu § 131 LAG gelebt habe, sei im Zeitraum ihres Todes ein übergang sowohl auf Personen erfolgt, die zur Familieneinheit gehört hätten (jüngster Sohn), als auch auf Personen, die nicht zur Familieneinheit der Mutter gehört hätten (die übrigen Grundstückseigentümer). In diesem Fall bestimme Tz. 70 der VAO zu § 131 LAG, daß für die gesamten vor dem übergang fällig werdenden Abgabeleistungen, die anteilig auf zur Familieneinheit gehörende Personen entfallen, eine einheitliche Billigkeitsentscheidung getroffen werde. Da aber der jüngste Sohn in der Zeit seiner Zugehörigkeit zum Haushalt seiner verstorbenen Mutter nicht bedürftig gewesen sei, habe dies gemäß Tz. 24 der VAO zu § 131 LAG zur Folge, daß seine Einkünfte den Einkünften der Mutter bis zu ihrem Tode nicht zugerechnet und daher nicht als verfügbare Mittel angesehen werden dürften. Eine andere Auffassung, die sich auf eine in Karte 13 zu § 131 der LA-Kartei unter Buchstabe e Abs. 2 wiedergegebenen Meinung der Elften HGA-Besprechung stütze, sei nicht maßgebend, da sie zu keiner änderung der VAO zu § 131 LAG geführt habe. Zu den verfügbaren Mitteln während des Erlaßzeitraums 1953 bis 1955 seien dagegen diejenigen Einkünfte des jüngsten Sohnes zu rechnen, die er in der Zeit nach dem Tode der Mutter bis zum Ende des Erlaßzeitraums gehabt habe. Da der jüngste Sohn außerdem seit dem 25. Februar 1955 verheiratet und ab 1. März 1955 als Antragsteller anzusehen sei, seien auch die Lohneinkünfte seiner Frau zu den verfügbaren Mitteln zu rechnen. Auf Grund der VAO zu § 131 LAG ergäbe sich dann nur eine einzige mögliche Entscheidung, der gegenüber jede andere Entscheidung notwendig zu einem Ermessensfehler führe. Dementsprechend habe das Finanzgericht den Erlaßbetrag selbst ermittelt.

Die Bfin. räumt in der von ihr eingelegten Rb. ein, daß die Entscheidung dem Wortlaut der Tz. 70, 27 der VAO zu § 131 LAG entspreche. Sie verstoße aber gegen Tz. 80 der VAO. Nach § 1 StAnpG bestehe ein allgemeiner, für alle Erbfälle gültiger Grundsatz, daß beim Erbübergang ein Erlaß nur bedürftigen Miterben zugute kommen dürfe. Man müsse entweder die Lebenshaltungskosten und verfügbaren Mittel des jüngsten Sohnes der verstorbenen Mutter für die Zeit vom 1. Januar 1953 bis 21. Februar 1955 einbeziehen oder lediglich nur von dessen Lebenshaltungskosten und verfügbaren Mitteln ausgehen. In beiden Fällen komme ein Erlaß nicht in Betracht. Während das Finanzgericht 1.301,60 DM erlassen habe, entfalle auf den jüngsten Sohn der verstorbenen Mutter von dem Erlaßzeitraum 1953 bis 1955 der fällig gewordenen gesamten Leistungen von 4.427,58 DM nur 1/4 Anteil in Höhe von 1.106,89 DM. Das Finanzgericht habe demnach mehr erlassen, als der jüngste Sohn gegenüber seinen anderen Brüdern im Innenverhältnis zu tragen habe. Der Mehrbetrag komme dadurch den Geschwistern zugute, die weder bedürftig seien noch zur Familieneinheit gehört hätten, aber für die HGA-Leistungen als Gesamtschuldner (ß 7 StAnpG) haften würden. Die vom Finanzgericht angewandte Methode könne deshalb nicht richtig sein.

Der Rb. der Bfin. ist der Bundesminister der Finanzen beigetreten. Er ist der Auffassung, daß man eine Entscheidung, die nach den verfügbaren Mitteln und den Lebensbedürfnissen ausschließlich der verstorbenen Mutter und ihres jüngsten Sohnes getroffen werde, nicht auf Leistungen erstrecken könne, für die letzten Endes andere Personen als die zur Familieneinheit gehörigen Personen in Anspruch zu nehmen seien. Aus der Summe der Abgabeleistungen müßten deshalb diejenigen Teilbeträge ausgeschieden werden, für die unter dem Gesichtspunkt der Gesamtschuldnerschaft die Geschwister mit Ausnahme des jüngsten Sohnes haften. Diese Auslegung sei selbstverständlich, obwohl sie im Wortlaut der VAO zu § 131 LAG nicht besonders erwähnt sei. Die einheitliche Entscheidung auf Grund der Tz. 70 erstrecke sich deshalb nur auf 1/4 der vor und der nach dem Tode fällig gewordenen Abgabeleistungen, demnach insgesamt nur auf Abgabeleistungen in Höhe von 1/4 von 4.427,58 DM = 1.106,89 DM. Der vom Finanzgericht ermittelte überschuß an verfügbaren Mitteln von 2.019,08 DM würde dann die Entrichtung der Abgabeleistungen von 1.106,89 DM gestatten. Würde man der Meinung der Bfin. folgen und neben den verfügbaren Mitteln sowie dem Lebensbedarf der verstorbenen Mutter bis zu ihrem Tode auch die verfügbaren Mittel und den Lebensbedarf des jüngsten Sohnes und seiner Ehefrau für den gesamten Erlaßzeitraum 1953 bis 1955 mit Einschluß der Zeit, in der die Mutter noch lebte, ansetzen, dann würde sich als überschuß an verfügbaren Mitteln ein wesentlich höherer Betrag als 2.019,08 DM ergeben. Die Hinzurechnung der verfügbaren Mittel und des Lebensbedarfs des die Familieneinheit fortsetzenden jüngsten Sohnes für den ganzen Erlaßzeitraum ohne Rücksicht darauf, ob er als bedürftiger Angehöriger anzusehen gewesen sei, rechtfertige sich deshalb, weil er als Selbstschuldner auch der im ersten Teil des Erlaßzeitraums fällig gewordenen Abgabeleistungen anzusehen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Erhöhung des Erlaßbetrags.

I. -

Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 LAG in der auch für den Erlaßzeitraum 1953 bis 1955 geltenden Fassung des Zwölften und Sechzehnten Gesetzes zur änderung des Lastenausgleichsgesetzes (12. und 16. ändGLAG) können fällige Leistungen (§§ 106, 129 Abs. 10 und § 134) insoweit gestundet oder erlassen werden, daß dem aus der öffentlichen Last (ß 111) verpflichteten Eigentümer des Grundstücks der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag verbleibt; das Nähere hierüber bestimmt der Bundesminister der Finanzen.

Die aus der öffentlichen Last verpflichteten Eigentümer des Grundstücks sind die drei Brüder und die Witwe und Tochter des vierten Bruders. Sie gelten nach § 126 LAG für die Erhebung der Abgabe als Abgabeschuldner, ihnen obliegt deshalb nach § 111 LAG die Entrichtung der fälligen Leistungen. Nur wenn in ihrer Person bei Entrichtung der fälligen Leistungen der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag nicht verbleiben würde, können ihnen diese Leistungen gestundet oder erlassen werden. Demgegenüber sieht Tz. 6 der VAO zu § 131 LAG vor, daß dem Schuldner der Abgabeleistungen für die Anwendung der VAO zu § 131 LAG Personen gleichgeachtet werden, die über einen verbleibenden Grundstücksüberschuß unter Ausschluß des Grundstückseigentümers zu ihrem eigenen Nutzen verfügen, wozu u. a. der unentgeltliche Nießbraucher gehört. Nach Tz. 6 Abs. 2 der Verwaltungsanordnung zu § 131 LAG in der ab 1. Januar 1959 gültigen Fassung (im folgenden VAO 1959) IV C/4 - LA 2623 - 5/62 vom 25. Mai 1962 (BStBl 1962 I S. 834) ist Zweck dieser Anordnung, eine mittelbare Inanspruchnahme des bedürftigen Nießbrauchers abzuwenden. Im Ergebnis wird deshalb, wenn bei Entrichtung der fälligen Leistungen durch den Nießbraucher in dessen Person der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag nicht verbleibt, dem Eigentümer des Grundstücks die Abgabeleistung erlassen, auch wenn in seiner Person bei Entrichtung der Leistungen der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag verbleiben würde. Die Anordnung in Tz. 6 der VAO zu § 131 LAG ändert an der öffentlich-rechtlichen Haftung des Eigentümers für die während der Dauer seines Eigentums fälligen Leistungen nach § 111 LAG nichts. Es ist deshalb nicht zutreffend, wenn das Finanzgericht ausführt, das Erlöschen des Nießbrauchs bewirke eine änderung der Person des Schuldners der Abgabeleistungen. Durch die Bestellung des Nießbrauchs wie durch dessen Erlöschen tritt keine änderung in der Eigenschaft des Eigentümers als Abgabeschuldner ein.

Der Fall, daß bei Entrichtung der fälligen Leistungen der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag nicht verbleibt, ist einer der Härtefälle, die bei Erhebung der Abgaben nach dem LAG entstehen können. Der Gesetzgeber hätte die Bestimmung der Voraussetzungen, bei deren Vorliegen eine Billigkeitsmaßnahme zu treffen ist, dem Bundesminister der Finanzen überlassen können, da nach § 203 Abs. 1 und 5 LAG die Vorschrift des § 131 AO auch für das LAG gilt. Der Gesetzgeber hat dies nicht getan, weil ihm, soweit erkennbar, dieser Härtefall wegen seiner sozialen Bedeutung so wichtig erschien, daß er es für angebracht hielt, die Voraussetzungen, unter denen eine Billigkeitsmaßnahme in Betracht kommen sollte, selbst gesetzlich festzulegen.

Der Bundesminister der Finanzen hat, wie sich aus Tz. 1 der VAO zu § 131 LAG ergibt, den ihm erteilten Auftrag des Gesetzgebers, das Nähere zu bestimmen, offenbar dahin aufgefaßt, daß er berechtigt sei, das Gesetz nicht nur auszulegen, d. h. zweifelhafte Fragen und Auslegungsfragen von allgemeiner Bedeutung zu klären, um eine einheitliche Anwendung des § 131 LAG durch die Behörden der Finanzverwaltung herbeizuführen und sicherzustellen, sondern auch andere Härtefälle, die sich nicht aus § 131 LAG unmittelbar ergeben, durch eine Billigkeitsanordnung zu regeln. Die in Tz. 6 der VAO zu § 131 LAG angeordnete Billigkeitsmaßnahme stellt einen zusätzlichen Billigkeitsbestand dar, der aus der Billigkeitsregelung des § 131 LAG nicht hergeleitet werden kann. Die Ermächtigung, für weitere Härtefälle von gleichgelagerter Art Richtlinien aufzustellen, ergibt sich nicht aus § 131 LAG, sondern aus § 131 Abs. 2 AO. Rechtsgrundlage der Billigkeitsanordnung in Tz. 6 der VAO zu § 131 LAG ist somit, ohne daß darauf ausdrücklich Bezug genommen werden mußte, § 131 Abs. 2 AO.

Nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ist die Rechtsprechung an das Gesetz, nicht aber an Anordnungen der Finanzverwaltungsbehörden gebunden. Die Rechtsetzungsbefugnis der Verwaltung beschränkt sich auf Rechtsverordnungen. Sie stehen Gesetzen gleich, wenn sie auf einer verfassungsmäßig einwandfreien Ermächtigung beruhen und in der dafür vorgesehenen Form ergehen (Art. 80 GG). Verwaltungsanordnungen schaffen dagegen keine Rechtsnormen, die den Bürger zu einem bestimmten Tun verpflichten oder bestimmte Rechte einräumen. Sie binden, wenn sie von den Obersten Verwaltungsbehörden erlassen werden, kraft Weisungsbefugnis nur die nachgeordneten Dienststellen. Eine Billigkeitsanordnung des Bundesministers der Finanzen auf Grund des § 131 Abs. 2 AO ist demnach von den nachgeordneten Dienststellen der Finanzverwaltung bei der Bearbeitung der Billigkeitsanträge zu beachten, die Finanzgerichte bindet sie nicht. Sie kann auch von diesen nicht ausgelegt werden. Lehnt eine Finanzbehörde die Gewährung der in einer Verwaltungsanordnung zugestandenen Vergünstigung ab, so kann der Antragsteller die Gewährung der Vergünstigung bei den Gerichten nicht mit dem Vorbringen durchsetzen, er habe durch die Verwaltungsanordnung ein subjektives Recht erlangt. Der Antragsteller kann sich aber darauf berufen, daß eine ungleichmäßige Anwendung der Verwaltungsanordnung mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar wäre und daß deshalb eine Ablehnung, die sich nicht aus der Verwaltungsanordnung ergäbe, oder ihr entgegen ausgesprochen werden, eine Ermessensverletzung darstelle (vgl. dazu Urteile des Bundesfinanzhofs VI 72/56 U vom 22. November 1957, BStBl 1958 III S. 44, Slg. Bd. 66 S. 111; V z 181/57 U vom 27. März 1958, BStBl 1958 III S. 248, Slg. Bd. 66 S. 647; I 39/57 U vom 14. August 1958, BStBl 1958 III S. 409, Slg. Bd. 67 S. 354; VII 185/57 U vom 28. Oktober 1958, BStBl 1959 III S. 11, Slg. Bd. 68 S. 27; Kruse, Steuer und Wirtschaft 1960 Spalte 477).

Trifft der Bundesminister der Finanzen eine Billigkeitsanordnung nach § 131 Abs. 2 AO, so hat er bei der Ausübung seines freien Ermessens nur die ihm im GG und nach § 2 StAnpG gesetzten Grenzen zu beachten. In diesem Rahmen steht die Einzelausgestaltung seiner Anordnung in seinem freien Ermessen. Die Billigkeitsanordnung in Tz. 6 der VAO zu § 131 LAG beschränkt sich nur auf die Gleichsetzung des unentgeltlichen Nießbrauchers mit dem Abgabeschuldner. Außerdem ist in Tz. 17 der VAO zu § 131 LAG dem Nießbraucher ein Antragsrecht zugebilligt. Obwohl die Billigkeitsanordnung in Tz. 6 der VAO zu § 131 LAG eine Reihe von Zweifelsfragen zur Folge hat, ist der Bundesminister der Finanzen auf diese Zweifelsfragen nicht eingegangen. Entsprechend der Stellung der Tz. 6 in der VAO zu § 131 LAG ist der Bundesminister der Finanzen offenbar der Auffassung, daß sie entsprechend anzuwenden ist. Damit ist für die Entscheidung der Härtefälle nach Tz. 6 die VAO zu § 131 LAG die gleichmäßig anzuwendende Richtlinie, deren Nichtanwendung im Einzelfall wegen Verletzung des Gleichheitssatzes einen Ermessensmißbrauch darstellen würde.

II. - Bei der Entscheidung der Frage, ob im vorliegenden Streitfall die Ablehnung eines Erlasses durch die Bfin. einen Ermessensverstoß darstellt, kommt es darauf an, ob die VAO zu § 131 LAG aus dem Gesichtspunkt einer geichmäßigen und unterschiedslosen Anwendung einen Erlaß im vorliegenden Fall vorsieht.

Wenn der Bundesminister der Finanzen in seiner Stellungnahme zu dem Streitfall bei der Erlaßentscheidung diejenigen Teilbeträge ausgeschieden wissen will, durch deren Nachentrichtung unter Berücksichtigung der bürgerlich-rechtlichen Ausgleichspflicht nicht endgültig der jüngste Sohn belastet werde, so kann ihm hierin nicht gefolgt werden. Der Bundesminister der Finanzen gibt zu, daß die VAO zu § 131 LAG die Ausgleichung nicht vorsieht, er hält sie aber für selbstverständlich. Mit seiner Begründung, man könne eine Entscheidung, die ausschließlich nach den verfügbaren Mitteln und den Lebensbedürfnissen zu treffen sei, nicht gut auf Leistungen erstrecken, für die letzten Endes andere Person als die zur Familieneinheit gehörigen Personen in Anspruch genommen werden können, wird im Ergebnis die Billigkeitsanordnung in Tz. 6 der VAO zu § 131 LAG rückgängig gemacht. Die Besonderheit dieser Anordnung ist gerade darin zu erblicken, daß die Billigkeitsmaßnahme trotz der unverändert fortbestehenden Haftungspflicht des Eigentümers zu gewähren ist. Wenn die Anordnung in Tz. 6 der VAO zu § 131 LAG nur mit dieser Auslegung zu verstehen wäre, hätte sie keinen Sinn. Aber selbst wenn die Ausführungen des Bundesministers der Finanzen nur den Fall der Haftung nach dem Tode des Nießbrauchers im Auge hätten, so wäre die Haftung nicht so zwingend, daß sie als selbstverständlich anzusehen wäre. Entscheidend ist aber, daß die VAO zu § 131 LAG eine Anordnung dieser Art nicht enthält und deshalb eine gleichmäßige Handhabung nicht ermöglicht werden kann. Eine Ablehnung, die mit dieser Begründung ausgesprochen würde, wäre deshalb ein Ermessensverstoß.

Auch der Hinweis des Bundesministers der Finanzen auf die andersartige Regelung unter Buchst. e der Karte 13 zu § 131 der LA-Kartei ist nicht geeignet, die Ablehnung eines Erlasses ohne Ermessensverstoß zu rechtfertigen, da es sich dabei um überlegungen der HGA-Referenten handelt, die entgegen dem System der VAO zu § 131 LAG anhand eines Einzelfalles angestellt wurden, aber sich nicht zu einer allgemeinen Anordnung verdichtet haben. Die andersartige Möglichkeit einer Regelung hat deshalb auch keinen Niederschlag in der VAO zu § 131 LAG gefunden.

Auch die Ablehnung eines Erlasses unter Berufung auf die Tz. 78 und 80 der VAO zu § 131 LAG durch die Bfin. ist als Ermessensverstoß anzusehen. Die Begründung der Ablehnung durch das Finanzamt, daß beim Tode der Nießbraucherin das Eigentum an dem Grundstück auf die Erben übergegangen sei, ist zwar unrichtig, kann aber auf sich beruhen, da die VAO zu § 131 LAG jedenfalls sinngemäß angewandt werden soll. Sowohl der Bundesminister der Finanzen wie die Bfin. räumen ein, daß ein Fall vorliegt, der nach Tz. 70 der VAO zu § 131 LAG zu entscheiden sei. Im Gegensatz zu der Anordnung in Tz. 72 der VAO zu § 131 LAG, in der ausdrücklich angeordnet wird, daß nach den Tz. 78 bis 80 der VAO zu § 131 LAG zu entscheiden ist, enthält die Tz. 70 der VAO zu § 131 LAG mit Recht keine Verweisung auf diese Tz. Denn wenn in dieser Tz. angeordnet wird, daß unter den dort angegebenen Voraussetzungen eine einheitliche Billigkeitsentscheidung zu treffen ist, so würde die Anordnung ihren Sinn verlieren, wenn die Tz. 78 bis 80 der VAO zu § 131 LAG anzuwenden wären. Die beiden Anordnungen in Tz. 70 und in Tz. 78 bis 80 der VAO zu § 131 LAG schließen sich gegenseitig aus. Wenn die Bfin. auf § 1 StAnpG hinweist, so ist nicht zu erkennen, wie durch diesen Hinweis, solange beide Anordnungen unverändert bestehen und anzuwenden sind, der Widerspruch aufgelöst werden kann. In Tz. 75 der VAO 1959 hat der Bundesminister der Finanzen die Anordnung so getroffen, daß nur dann der allgemeine Erlaßzeitraum maßgebend bleibt, d. h. eine einheitliche Billigkeitsentscheidung zu treffen ist, wenn das Eigentum auf solche Personen übergeht, die sämtlich in einem Erlaßverfahren zugunsten des bisherigen Eigentümers zu berücksichtigen sind und die Familieneinheit mit Ausnahme des Erblassers in Erbfällen untereinander fortsetzen. Geht dagegen das Eigentum teils auf die in Tz. 75 der VAO 1959 bezeichneten, und teils auf andere Personen über, so spaltet sich der Erlaßzeitraum mit der Folge, daß dann die Tz. 90 bis 92 der VAO 1959 (Versagung des Erlasses bei Veräußerung und Erbübergang) anzuwenden sind (Tz. 77 der VAO 1959). Die VAO 1959 gilt aber nach Tz. 1 für Erlaßzeiträume, die nach dem 31. Dezember 1958 beginnen, kann demnach für den hier maßgebenden Erlaßzeitraum 1953 bis 1955 nicht angewendet werden. Da eine rückwirkende Anwendung eine Verböserung zur Folge hätte und deshalb eine Ermessensverletzung entstünde, kommt die Anwendung der Tz. 75 und 77 der VAO 1959 im vorliegenden Streitfall nicht in Betracht. Eine Ablehnung eines Erlasses auf Grund der Tz. 90 bis 92 der VAO 1959 würde somit der Tz. 70 der VAO zu § 131 LAG widersprechen. Dadurch würde von der VAO zu § 131 LAG abgewichen werden und die darin enthaltenen Anordnungen ungleichmäßig gehandhabt werden. Dies wäre aber eine Ermessensverletzung.

Das Finanzgericht hat im Gegensatz dazu mit Ausnahme der Tz. 23 die VAO zu § 131 LAG nach ihrem klaren Wortlaut angewendet. Es hat dabei nicht sein Ermessen an die Stelle des freien Ermessens der Verwaltungsbehörde gesetzt, sondern es hat die VAO zu § 131 LAG, in der das Recht des Bundesministers der Finanzen auf freie Ermessensgestaltung seinen Niederschlag gefunden hat und nach der die nachgeordneten Finanzbehörden einheitlich und gleichmäßig zu verfahren haben, angewendet. Das Finanzgericht hat auch mit Recht die Lebenshaltungskosten und die verfügbaren Mittel des nicht bedürftigen jüngsten Sohnes bis zum Tode der Mutter nicht in seine Berechnung aufgenommen. Dies ist ausdrücklich in Tz. 24 in Verbindung mit Tz. 27 der VAO zu § 131 LAG vorgesehen. Dem Finanzgericht kann aber insoweit nicht gefolgt werden, als es den jüngsten Sohn ab 1. März 1955 als Antragsteller angesehen und in der Erlaßberechnung auch den Lebensbedarf und die verfügbaren Mittel der Ehefrau des jüngsten Sohnes aufgenommen hat. Dafür, daß der jüngste Sohn und Bruder als Antragsteller aufgetreten ist, liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Nach Tz. 23 der VAO zu § 131 LAG wird nur der Ehegatte des Antragstellers mit seinen Lebenshaltungskosten und eigenen verfügbaren Mitteln berücksichtigt. Als Antragsteller gilt aber im Streitfall nur die Mutter als Nießbraucherin, nicht aber der jüngste Sohn. Dessen Ehefrau gehört zwar nach Tz. 26 der VAO zu § 131 LAG von dem Zeitpunkt der Verheiratung ab zur Familieneinheit des jüngsten Sohnes. Da sie aber nicht bedürftig ist, kann sie in die Erlaßberechnung nicht einbezogen werden. Sie ist auch nicht Gesamtschuldnerin für die HGA-Schuld, so daß auch die Tz. 56 bis 58 der VAO zu § 131 LAG nicht zur Anwendung kommen.

Aus den vom Finanzgericht errechneten verfügbaren Mitteln in Höhe von ---------- 11.789,08 DM müssen deshalb diejenigen der Ehefrau des jüngsten Sohnes wieder ausgeschieden werden, das sind --------- 2.435,45 DM, so daß nur ----------------------------------- 9.353,63 DM verbleiben.

Dementsprechend sind aus der Summe der Lebenshaltungskosten in Höhe von ------- 9.750,00 DM

der für die Ehefrau eingesetzte Betrag von --------------- 750,00 DM

abzusetzen, so daß noch ------------------- 9.000,00 DM verbleiben.

An verfügbaren Mitteln kommen in Betracht ----------------------------- 353,63 DM

an Leistungen sind nach Tz. 70 der VAO zu § 131 LAG zu entrichten ---------------------------- 3.320,68 DM,

so daß ein ungedeckter Betrag von ------------------------------------- 2.967,05 DM verbleibt, der nach Tz. 21 der VAO § 131 LAG zu erlassen ist.

Da bei Anwendung der VAO zu § 131 LAG jede andere Entscheidung begriffsnotwendig zu einem Ermessensfehler führen würde, sieht sich der erkennende Senat in der Lage, die Entscheidung selbst zu treffen (Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277). Aus diesem Grunde war auch nicht erforderlich, die Bfin. vor Ergehen des Urteils darauf hinzuweisen, daß mit einer Entscheidung zum Nachteil der Verwaltung zu rechnen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs I 235/59 U vom 11. Juni 1963, BStBl 1963 III S. 390, Slg. Bd. 77 S. 200). Auf den Einwand der Bfin., daß dadurch mehr erlassen wird, als auf den Anteil des jüngsten Sohnes entfällt, braucht nicht eingegangen zu werden, da diese überlegung aus der Regelung der VAO zu § 131 LAG nicht gerechtfertigt werden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411449

BStBl III 1965, 73

BFHE 1965, 205

BFHE 81, 205

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