Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweisgrundsätze bei Durchführung privater Lernarbeitsgemeinschaften

 

Leitsatz (NV)

1. Auch wenn es allgemeiner Erfahrung entspricht, daß bei Arbeitsgemeinschaften im häuslichen Bereich von den Teilnehmern regelmäßig private Interessen von nicht untergeordneter Bedeutung mitverfolgt werden, ist im Einzelfall der Nachweis einer ausschließlich beruflichen Veranlassung nicht ausgeschlossen.

2. Das FG darf den Antrag des FA, die Teilnehmer zum Stattfinden und Ablauf der Arbeitsgemeinschaft als Zeugen zu vernehmen, nicht wegen erfolgter schriftlicher Äußerungen übergehen.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 1, § 12 Nr. 1; FGO § 76 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Streitjahr 1990 als Versicherungskauffrau nichtselbständig tätig. Zum Zwecke ihrer weiteren Qualifizierung in dem von ihr ausgeübten Beruf absolvierte sie ein Kollegstudium zur Vorbereitung auf die Prüfung zum Versicherungsfachwirt. In der Einkommensteuererklärung 1990 machte sie u. a. Aufwendungen für eine dieses Kollegstudium begleitende Lern-Arbeitsgemeinschaft mit zwei weiteren Kollegstudenten als Werbungskosten zum Abzug geltend. Die Arbeitsgemeinschaften sollen jeweils elfmal in den Wohnungen der Teilnehmer in K und in W stattgefunden haben.

Im Einkommensteuerbescheid 1990 lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die mit der Lern-Arbeitsgemeinschaft im Zusammenhang stehenden Aufwendungen (Fahrtkosten und Verpflegungsmehraufwendungen) mit der Begründung ab, die Kosten der privat organisierten Lern-Arbeitsgemeinschaft unterlägen dem Abzugs- und Aufteilungsverbot des § 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte im wesentlichen mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 770 veröffentlichten Gründen Erfolg.

Mit der Revision begehrt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das Finanzgericht (FG) zurückzuverweisen. Dazu trägt es im wesentlichen vor: Der Bundesfinanzhof (BFH) habe durch Urteil vom 5. März 1993 VI R 82/91 (BFH/NV 1993, 533) ausgeführt, es spreche ein allgemeine Erfahrung für eine private Mitveranlassung, wenn Arbeitsgemeinschaften im häuslichen Bereich stattfänden. Unter Anwendung dieses allgemeinen Erfahrungssatzes hätte das FG ohne weitere Feststellungen zur Klageabweisung kommen müssen. Im übrigen habe das FG das rechtliche Gehör des FA und seine Sachaufklärungspflicht verletzt. Auf diesen Verfahrensfehlern beruhe die Vorentscheidung. Das FA habe in der mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragt, die Arbeitsgemeinschaftsteilnehmer A und B zu der Anzahl der Fahrten und dem Inhalt der Arbeitsgemeinschaft als Zeugen zu vernehmen. Mit den Aussagen der Zeugen wäre zu beweisen gewesen, ob die Voraussetzungen für den Werbungskostenabzug gegeben gewesen seien. Man habe in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ohne weitere Sachaufklärung der begehrte Werbungskostenabzug nicht anerkannt werden könne.

Anlaß zu Zweifeln am klägerischen Vortrag hätte sich bereits aus dem Stundenverteilungsplan ergeben, nach welchem z. B. am 11. und 25. August 1990 der gemeinsame Unterricht in K bis 13 Uhr stattgefunden habe und danach die Klägerin zum Zwecke der Arbeitsgemeinschaft ins 70 km entfernte W gefahren sei.

Die Klägerin tritt der Revision entgegen. Dazu trägt sie vor, das Urteil des BFH in BFH/NV 1993, 533 habe einen anders gelagerten Sachverhalt betroffen. Dort habe es sich um eine Arbeitsgemeinschaft von bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Arbeitskollegen gehandelt. Im vorliegenden Streitfall seien die Arbeitsgemeinschaftsteilnehmer bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt gewesen, so daß die Möglichkeit, die gemeinsame Arbeitsgemeinschaft am Arbeitsplatz abzuhalten, von vornherein ausscheide. Das FG habe dem Beweisantrag nicht nachzukommen brauchen, da die beiden Zeugen im Vorverfahren schriftlich bestätigt hätten, daß die Arbeitsgemeinschaft an den betreffenden Tagen zur Vorbereitung auf die Prüfung stattgefunden hätte. Es hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, daß die beiden Kommilitonen unglaubwürdig seien. Eine Vernehmung der beiden Zeugen hätte keine neuen Erkenntnisse gebracht, so daß die Sache im Sinne des Ergebnisses der Vorentscheidung entscheidungsreif gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Entgegen der Auffassung des FA war die Klage nicht etwa unter Anwendung der Grundsätze des Senatsurteils in BFH/NV 1993, 533 abzuweisen. In diesem Urteil hatte der Senat zwar ausgeführt, es entspreche allgemeiner Erfahrung, daß bei Arbeitsgemeinschaften von Berufskollegen im häuslichen Bereich die Verfolgung privater Interessen der Teilnehmer regelmäßig nicht von untergeordneter Bedeutung sei. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, daß die Aufwendungen für derartige Arbeitsgemeinschaften regelmäßig dem Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG unterliegen. Ob dies der Fall ist, ist stets eine Frage der Einzelfallwürdigung. Dabei kommt der Zeugenvernehmung zu Inhalt und Ablauf der Arbeitsgemeinschaften besondere Bedeutung zu.

2. Die Sache ist unter Aufhebung der Vorentscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen, weil das FG dadurch, daß es den Beweisantrag des FA übergangen hat, seiner Amtsermittlungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO nicht nachgekommen ist. Das FG ist grundsätzlich verpflichtet, angebotene Beweise zu erheben. Es kann von einer Beweiserhebung nur absehen, wenn diese nicht entscheidungserheblich ist oder das Gericht die Behauptungen einer Partei als wahr unterstellt (BFH-Urteil vom 29. Juni 1994 I R 108/93, BFH/NV 1995, 320, unter 2. b der Entscheidungsgründe, m. w. N.). Der Beweisantrag des FA auf Vernehmung der Teilnehmer der Arbeitsgemeinschaft war nicht unsubstantiiert und damit nicht etwa als nicht entscheidungserheblich unbeachtlich. Zum einen hat das FA bei privaten Arbeitsgemeinschaften, deren Stattfinden und Ablauf für das FA schwer zu durchschauen ist, ein legitimes Interesse, die Teilnehmer vom FG vernehmen zu lassen. Zum anderen gaben gerade die Arbeitsgemeinschaften am 11. und 25. August 1990 Veranlassung zu weiterer Aufklärung. Es erscheint in der Tat ungewöhnlich, daß an diesen beiden Samstagen nach einer bis 13 Uhr dauernden Vorlesung in K die Arbeitsgemeinschaften nicht -- wie es nahegelegen hätte -- in der Wohnung eines der Teilnehmer in K, sondern im 70 km entfernten W stattgefunden haben sollen.

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG auch der Frage nachzugehen haben, ob der Klägerin ein Verpflegungsmehraufwand an fünf Arbeitsgemeinschaftstreffen erwachsen ist. Dabei wird zu klären sein, bei welcher Verpflegungssituation ein Verflegungsmehraufwand angefallen sein könnte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65856

BFH/NV 1997, 349

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