Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung der LSt-Anmeldung durch den Arbeitnehmer; Zuführung einer Versorgungsrückstellung führt noch nicht zu Arbeitslohn

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Arbeitnehmer kann die Lohnsteuer-Anmeldung des Arbeitgebers aus eigenem Recht anfechten, soweit sie ihn betrifft (Anschluss an das Urteil des BFH vom 12. Oktober 1995 I R 39/95, BFHE 179, 91, BStBl II 1996, 87).

2. Behält der Arbeitgeber einen Beitrag vom Arbeitslohn ein und führt ihn einer Versorgungsrückstellung zu, fließt dem Arbeitnehmer (noch) kein Arbeitslohn zu.

 

Normenkette

AO 1977 § 37 Abs. 2, § 168; EStG §§ 11, 38 Abs. 2 Sätze 1-2, Abs. 3 S. 1, § 41a Abs. 1 S. 1; FGO §§ 68, 139 Abs. 4

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Urteil vom 16.10.2001; Aktenzeichen VI 108/00; EFG 2002, 343)

 

Tatbestand

I. Streitig ist im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsklage eines Arbeitnehmers gegen die Lohnsteuer-Anmeldung des Arbeitgebers, ob Arbeitslohn zufließt, wenn der Arbeitgeber aufgrund gesetzlicher Verpflichtung einen Teil des tarifvertraglich geschuldeten Arbeitslohnes einer Versorgungsrückstellung zuführt und nicht an den Arbeitnehmer auszahlt.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Arbeitnehmer einer Anstalt des Öffentlichen Rechts ―der Beigeladenen― (Arbeitgeber), deren Träger die Freie und Hansestadt Hamburg (Stadt) ist. Die Arbeiter und Angestellten der Stadt erhalten aufgrund landesgesetzlicher Regelung (Erstes Ruhegeldgesetz ―1.RGG― i.d.F. der Bekanntmachung vom 30. Mai 1995, Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt ―GVBl HA― 1995, 108) eine zusätzliche Altersversorgung, auf die jedoch keine Anwartschaft gewährleistet wird (§ 1 Abs. 3 1.RGG). Das 1.RGG ist nach tarifvertraglicher Regelung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers entsprechend anzuwenden.

Aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 1999 (Gesetz zur Änderung ruhegeldrechtlicher Vorschriften vom 14. Juli 1999, GVBl HA 1999, 148) haben die Arbeitnehmer einen Beitrag zu den Versorgungsausgaben zu leisten, der 1,25 v.H. beträgt. Die Bemessungsgrundlage ist in § 1c 1.RGG folgendermaßen geregelt: "Grundlage für die Erhebung des Beitrags ist das als Arbeitnehmer der Stadt erzielte steuerpflichtige Arbeitsentgelt. Der Beitrag wird vom Arbeitsentgelt einbehalten." Die einbehaltenen Beträge werden Sondervermögen oder Versorgungsrückstellungen zugeführt (§ 1d Abs. 1 1.RGG). Endet das Arbeitsverhältnis, ohne dass ein Anspruch auf die zusätzliche Altersversorgung entstanden ist, werden die früher vom Arbeitnehmer entrichteten Beiträge ohne Verzinsung erstattet (§ 1e 1.RGG).

Der Arbeitgeber des Klägers führte im Januar 2000 einen Anteil von 1,25 v.H. des tariflichen Bruttolohns des Klägers einer Versorgungsrückstellung zu. Diesen Betrag behandelte er als Bestandteil des steuerpflichtigen Arbeitslohnes und behielt anteilig Lohnsteuer ein, die er in der Lohnsteuer-Anmeldung für Januar 2000 berücksichtigte und an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) abführte.

Gegen die Lohnsteuer-Anmeldung legte der Kläger Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies. Während des dagegen gerichteten Klageverfahrens erließ das Wohnsitz-FA einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000, gegen den der Kläger Einspruch eingelegt hat.

Das Finanzgericht (FG), das den Arbeitgeber beigeladen hat, wies die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 343 veröffentlichten Gründen ab.

Dagegen wendet sich die vom FG zugelassene Revision des Klägers. Er macht u.a. geltend, Arbeitslohn sei ihm nicht zugeflossen, weil er weder hinsichtlich der Versorgungsbezüge noch hinsichtlich seiner Beiträge einen unentziehbaren Rechtsanspruch erworben habe. Vorliegend würden die Beiträge den eigenen Versorgungsrückstellungen des Arbeitgebers zugeführt. Sie verblieben im Vermögen des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer könne darüber auch wirtschaftlich nicht verfügen, denn er erhalte auch kein Anwartschaftsrecht auf eine spätere Versorgung.

Der Kläger und die Beigeladene beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass die Lohnsteuer-Anmeldung vom 21. Januar 2000 für Januar 2000 und die Einspruchsentscheidung vom 10. April 2000 insoweit rechtswidrig sind, als darin für den vom Kläger gemäß §§ 1a, 1c 1.RGG geleisteten Betrag von 103,70 DM Lohnsteuer von 46,34 DM enthalten ist, und die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen dem FA aufzuerlegen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Im Streitfall gehe es nicht um die Behandlung von Arbeitgeberbeiträgen für eine Versorgungseinrichtung, sondern um die Beitragsleistung der Arbeitnehmer. Nach wirtschaftlicher Betrachtung liege eine Gehaltsverwendung vor, die auch so durchgeführt werde. Die Anwartschaft des Klägers auf die zusätzliche Altersversorgung sei aufgrund der Dauer seiner Beschäftigung unverfallbar. Da es sich bei dem Arbeitgeber um eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts handele, sei eine Gleichstellung mit dritten Rentenversicherungsträgern geboten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Den Arbeitnehmern fließt (noch) kein Arbeitslohn zu, wenn der Arbeitgeber einen Beitrag zu den Versorgungsausgaben einbehält und einer Versorgungsrückstellung zuführt.

1. Das FG hat die Zulässigkeit der Klage zu Recht bejaht. Der Kläger konnte die Lohnsteuer-Anmeldung des Arbeitgebers ―soweit sie ihn betrifft― aus eigenem Recht anfechten (Anschluss an das Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. Oktober 1995 I R 39/95, BFHE 179, 91, BStBl II 1996, 87). Denn als Arbeitnehmer hat er die Lohnsteuer rechtlich und wirtschaftlich zu tragen. Er ist Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―). Der Arbeitgeber hat sie für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung von seinem Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), wodurch sich der ausgezahlte Arbeitslohn entsprechend vermindert. Materiell-rechtlich handelt es sich bei den Lohnsteuer-Abzugsbeträgen um Vorauszahlungen auf die Jahreseinkommensteuer des Arbeitnehmers (vgl. BFH-Beschluss vom 29. April 1992 VI B 152/91, BFHE 167, 152, BStBl II 1992, 752, 753, unter 3. b der Entscheidungsgründe, m.w.N.).

Der Arbeitgeber hat die einzubehaltende Lohnsteuer beim FA anzumelden und abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Lohnsteuer-Anmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 der AbgabenordnungAO 1977―). Sie betrifft den jeweiligen Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer unmittelbar, weil er ihren Abzug vom Lohn zu dulden hat (vgl. Heuermann, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1998, 959, 960). Der Rechtsschutz des Arbeitnehmers macht es daher erforderlich, dass er die Anmeldung der Lohnsteuer anfechten kann. Entsprechend hat der BFH zur Kirchenlohnsteuer (BFH-Urteil vom 12. Juni 1997 I R 44/96, BFHE 185, 92, BStBl II 1998, 207, und BFH-Beschluss vom 15. Oktober 1993 I B 89/93, BFH/NV 1994, 292) und zur Steueranmeldung nach § 73e der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung ―EStDV―, § 50a EStG entschieden (BFH-Urteile vom 27. Juli 1988 I R 28/87, BFHE 155, 479, BStBl II 1989, 449; vom 16. Mai 1990 I R 113/87, BFHE 161, 358, BStBl II 1990, 983; BFH-Beschlüsse vom 13. September 1989 I B 23/89, BFH/NV 1990, 208, und vom 13. August 1997 I B 30/97, BFHE 184, 92, BStBl II 1997, 700).

2. Zu Recht hat das FG entschieden, dass der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 nicht nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden ist, weil es an der "Nämlichkeit" beider Bescheide fehlt. Denn diese stimmen weder hinsichtlich der Verfahrensbeteiligten überein ―im Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren: Betriebsstätten-FA und Arbeitgeber, im Einkommensteuer-Festsetzungsverfahren: Wohnsitz-FA und Arbeitnehmer― noch besteht inhaltlich Übereinstimmung. Gegenstand der Lohnsteuer-Anmeldung ist die insgesamt vom Arbeitgeber für den Anmeldungszeitraum zu entrichtende Lohnsteuer, während im Einkommensteuerbescheid die vom Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Besteuerungsgrundlagen geschuldete Steuer festzusetzen ist.

3. Zutreffend ist das FG von einer Erledigung der Hauptsache nach Erlass des Einkommensteuer-Jahresbescheids 2000 ausgegangen. Denn der Einkommensteuerbescheid bildet einen neuen Rechtsgrund für die Steuerzahlung, der die Erstattung der Lohnsteuer gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 ausschließt (BFH-Urteil in BFHE 179, 91, BStBl II 1996, 87).

4. Der Kläger hat darüber hinaus ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der gerügten Rechtswidrigkeit des Lohnsteuerabzugs gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO, wie das FG zu Recht angenommen hat. Die zu entscheidende Rechtsfrage ist auch für die folgenden Lohnsteuer-Anmeldungen bis zur Beendigung des aktiven Dienstverhältnisses des Klägers von Bedeutung.

5. Nicht zu folgen ist jedoch der Ansicht des FG, dass dem Kläger Arbeitslohn zugeflossen ist, soweit der Arbeitgeber aufgrund des 1.RGG Beiträge zu den Versorgungsausgaben einbehalten und einer Versorgungsrückstellung zugeführt hat.

a) Die Lohnsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG). Dementsprechend knüpft der Lohnsteuerabzug nicht an das Innehaben von Ansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber an. Maßgeblich ist der Zufluss, der regelmäßig mit der Erfüllung des Anspruchs zusammenfällt (BFH-Beschluss vom 23. Juli 1999 VI B 116/99, BFHE 189, 403, BStBl II 1999, 684). Damit übereinstimmend hat die Rechtsprechung die Zusage des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer künftig Leistungen zu erbringen, auch dann nicht als Zufluss angesehen, wenn der Arbeitgeber interne Maßnahmen getroffen hat, um den entsprechenden Anspruch des Arbeitnehmers finanziell abzusichern (BFH-Urteil vom 27. Mai 1993 VI R 19/92, BFHE 172, 46, BStBl II 1994, 246; vgl. auch BFH-Beschluss vom 16. September 1998 VI B 155/98, BFH/NV 1999, 457).

b) Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber mit seinen Leistungen dem Arbeitnehmer einen unmittelbaren und unentziehbaren Rechtsanspruch gegen einen Dritten verschafft (BFH-Beschluss in BFHE 189, 403, BStBl II 1999, 684). Aber auch in diesem Fall kommt es nicht auf den Anspruch, sondern auf den Zufluss an. Der Lohnzufluss liegt dabei in den gegenwärtigen Beiträgen des Arbeitgebers, mit denen dieser dem Arbeitnehmer am Markt Leistungen ―z.B. Versicherungsschutz― verschafft. Die spätere Erfüllung der Ansprüche, die der Dritte dem Arbeitnehmer eingeräumt hat, beruht dann nicht mehr auf dem Dienstverhältnis und ist somit auch kein Arbeitslohn (BFH-Beschluss in BFHE 189, 403, BStBl II 1999, 684).

c) Danach ist der Bestandteil des tarifvertraglich geschuldeten Arbeitslohns, den der Arbeitgeber aufgrund des 1.RGG der Versorgungsrückstellung zugeführt hat, dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Einbehaltung noch nicht zugeflossen. Denn damit erhält er keinen unmittelbaren und unentziehbaren Rechtsanspruch gegen einen Dritten.

Darin liegt der Unterschied zur Einbehaltung des Arbeitnehmeranteils am Sozialversicherungsbeitrag. Im Streitfall verbleibt es bei der unveränderten Zusage des Arbeitgebers auf eine zusätzliche Altersversorgung in entsprechender Anwendung des 1.RGG. Dem entspricht es, dass die spätere Auszahlung der Versorgungsbezüge zu Arbeitslohn ―in Gestalt von Einnahmen aus dem früheren Dienstverhältnis― führt, wovon auch das FA ausgeht.

Daran kann sich weder durch die Unverfallbarkeit der Versorgungsansprüche noch durch die Rechtsform des Arbeitgebers als Körperschaft des Öffentlichen Rechts etwas ändern. Deshalb kommt es in diesem Zusammenhang entgegen der Auffassung des FA darauf nicht an.

d) Unerheblich für die steuerliche Beurteilung ist, dass der "Beitrag vom Arbeitsentgelt einbehalten" wird (§ 1c Satz 2 1.RGG). Nach dieser gesetzlichen Regelung ist zwar der Arbeitnehmer durch den Beitrag belastet, weil sich das ausgezahlte Arbeitsentgelt entsprechend vermindert. Der Zufluss muss jedoch nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen (§ 38 Abs. 2 Satz 2, § 11 EStG) beurteilt werden. Im wirtschaftlichen Ergebnis bewirkt die Einbehaltung des Versorgungsbeitrags (§ 1c 1.RGG) eine Lohnkürzung, weil der Arbeitnehmer ―vom Fall der Beitragserstattung bei vorzeitiger Beendigung des Dienstverhältnisses abgesehen (§ 1e 1.RGG)― keine zusätzlichen Ansprüche erwirbt. Seine Altersversorgung verbessert sich nicht. Lohn fließt daher mit der Zuführung zur Versorgungsrückstellung noch nicht zu.

Das wird durch die vom FG erwähnten Fälle der Entgeltumwandlung bestätigt, in denen der Arbeitslohn zugunsten der Altersversorgung herabgesetzt wird. Wirtschaftlich belasten die entsprechenden Beiträge in diesen Fällen ebenfalls den Arbeitnehmer, ohne dass ein Zufluss von Arbeitslohn angenommen wird (vgl. Küttner/Macher, Personalbuch 2004 "Betriebliche Altersversorgung" Rz. 96 f.; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 19 Rz. 50 "Versorgungszusage").

e) Die Beitragserstattung bei vorzeitiger Beendigung des Dienstverhältnisses rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Denn sie führt ―wie die Auszahlung der Versorgungsbezüge im Normalfall― zum Zufluss des vorher einbehaltenen Arbeitslohns. Der vorher bestehende, durch die vorzeitige Beendigung des Dienstverhältnisses bedingte Anspruch bewirkt dagegen noch keinen Zufluss (siehe oben unter 5. a und b).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1407220

BFH/NV 2005, 1939

BStBl II 2005, 890

BFHE 2005, 571

BB 2005, 1944

DB 2005, 2164

DStR 2005, 1489

DStRE 2005, 1112

DStZ 2005, 618

HFR 2005, 1089

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