Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wann ein bebautes Grundstück, dessen Gebäude (nach dem Willen des Eigentümers) dem Verfall preisgegeben ist, als unbebautes Grundstück bewertet werden kann.

 

Normenkette

BewG 1934 § 53; BewDV 1935 §§ 33a, 45; BewG 1965 §§ 72, 82

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat 1972 das Grundstück A-Straße gekauft. Besitz, Nutzen und Lasten gingen am 1. Oktober 1972 auf die Erwerberin über.

Auf dem Grundstück befand sich beim Erwerb durch die Klägerin ein Mietwohnhaus, bestehend aus Vorderhaus, Seitenflügel und Quergebäude mit insgesamt 51 Wohnungen, sowie ein unbenutztes und zwischenzeitlich abgerissenes Gebäude. Die Gebäude befanden sich in einem sehr schlechten baulichen Zustand, da die Kriegsschäden von den Voreigentümern nur notdürftig beseitigt waren und seit Jahren keine Maßnahmen zur Erhaltung der Substanz getroffen worden waren. Nach dem insoweit nicht bestrittenen Sachvortrag der Klägerin waren die Gebäude von zahlreichen vertikalen und diagonalen Rissen durchzogen, hatten nur Notdächer, versottene Schornsteine und feuchte Wände mit starken Ausblühungen. Die Treppenhausfenster waren teilweise eingeschlagen oder nur notdürftig verklebt. Die Treppen waren ausgetreten, so daß ihre Benutzung nur mit großer Vorsicht möglich war, zumal auch die Treppengeländer nur teilweise festen Halt gaben. Der Putz war teilweise von der Wand gefallen und die Treppenhäuser nicht ordnungsgemäß beleuchtet. Bäder und Duschen waren nicht vorhanden, die Aborte auf den Fluren bzw. auf dem Hof waren verwahrlost.

Im Jahre 1973 war das Mietwohnhaus zu etwa 90 % zu Wohnzwecken vermietet. Die Sollmiete betrug rd. 73 000 DM. Durch Verfügung des Bauaufsichtsamtes wurden 1973 10 Wohnungen gesperrt. Auf Antrag der Klägerin erteilte das Landesamt für Wohnungswesen mit Verfügung vom 14. März 1974 die Genehmigung zum Abriß des Gebäudes unter der aufschiebenden Bedingung, daß die Wohnräume in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht frei seien. Zu diesem Zeitpunkt waren noch 33 Wohnungen überwiegend von Gastarbeitern benutzt.

Die Klägerin beantragte, zugleich mit der Zurechnungsfortschreibung eine Artfortschreibung als unbebautes Grundstück und eine Wertfortschreibung vorzunehmen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) rechnete das Grundstück der Klägerin auf den 1. Januar 1973 zu und nahm eine Artfortschreibung als "Betriebsgrundstück" vor. Den Antrag auf Artfortschreibung zum unbebauten Grundstück lehnte das FA mit der Begründung ab, daß die Wohnungen am Bewertungsstichtag noch benutzt worden seien. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Mit der Klage Begehrte die Klägerin erneut Artfortschreibung als unbebautes Grundstück.

Die Klage blieb ohne Erfolg. Die Entscheidung des FG ist in 1975 S. 2 (EFG 1975, 2) veröffentlicht.

Hiergegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin Verletzung materiellen Rechts, und zwar des § 53 BewG 1934 rügt. Sie ist der Meinung, daß der Begriff des unbebauten Grundstücks davon abhänge, daß am maßgebenden Stichtag benutzbare Gebäude noch nicht oder nicht mehr vorhanden seien. Als bebaut könne aber nur ein Grundstück angesehen werden, wenn auf die Dauer benutzbarer Wohnraum vorhanden sei. Die Benutzbarkeit sei nach der Verkehrsauffassung zu entscheiden. Das für die Bestimmung des Beginns der Benutzbarkeit eines Gebäudes maßgebende Kriterium der Zumutbarkeit müsse in gleicher Weise auch für die zeitliche Fixierung des Endes der Benutzbarkeit eines Gebäudes gelten. Hierbei könne man nicht nur auf den jeweiligen Stichtag abstellen. Der Verfall eines Gebäudes sei ein derart langjähriger Prozeß, daß ein Gebäude, das am 1. Januar 1974 keinen auf die Dauer benutzbaren Wohnraum mehr enthalte, auch schon am vorangegangenen Stichtag, 1. Januar 1973, nicht mehr auf die Dauer benutzbar gewesen sein könne. Die dargelegten Mängel am Zustand des Gebäudes seien nicht das Ergebnis der Entwicklung nur eines Jahres gewesen. Für den baulichen Zustand der Gebäude müsse zum hier maßgebenden Stichtag die gleiche Beurteilung Platz greifen wie zum Jahreswechsel 1973/1974. Das folge auch aus der Überlegung, daß auf Dauer nutzbarer Wohnraum nicht vorhanden sein dürfe, so daß bei kurzfristiger Nutzung nach dem Stichtag ein Abstellen nur auf den Stichtag zu falschen Ergebnissen führe.

Das FG habe zwar zutreffend auf die nicht hochgeschraubten Anforderungen abgestellt, die vom Durchschnitt der Bevölkerung in stark kriegsbeschädigten und noch nicht voll wiederaufgebauten Großstädten wie B. an die Benutzbarkeit von Wohnraum gestellt würden. Der überwiegende Teil der Mieter sei aber bereits vor dem 1. Januar 1973 ausgezogen, weil er die Wohnungen als unbewohnbar angesehen hätte. Lediglich ein finanziell schwacher Bevölkerungsteil sei bereit gewesen, eher die unzumutbaren Wohnverhältnisse vorübergehend in Kauf zu nehmen, als für andere Wohnungen höhere Mieten zu zahlen. Daß der tatsächliche Zustand aber auch von ihnen nicht gebilligt worden sei, hätten ihre ständigen und berechtigten Klagen gezeigt. Schließlich sei die Tatsache, daß ein Grundstück noch Mieterträge einbringe, für die Frage, ob auf die Dauer benutzbarer Wohnraum vorhanden sei, ohne Bedeutung. Die Klägerin habe weder tatsächlich noch rechtlich die Möglichkeit gehabt, vor dem hier maßgebenden Stichtag die Räumung aller Wohnungen durchzuführen.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und das beklagte FA für verpflichtet zu erklären, als Art des Grundstücks "unbebautes Grundstück" festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Klage zulässig ist, weil die Klägerin durch die Ablehnung ihres Antrags auf Artfortschreibung des Grundstücks als unbebautes Grundstück im Hinblick auf die steuerlichen Auswirkungen beschwert ist.

2. Die begehrte Artfortschreibung ist im Streitfall noch nach bisherigem Recht zu beurteilen. Das BewG 1934 enthielt keine Begriffsbestimmung des unbebauten Grundstücks. In § 53 BewG 1934 war lediglich gefordert, daß unbebaute Grundstücke mit dem gemeinen Wert zu bewerten sind. Die Begriffsbestimmung für das unbebaute Grundstück ergab sich nur aus der Unterscheidung zwischen unbebautem und bebautem Grundstück. Hierzu bestimmte § 33 a BewDV 1935, daß ein bebautes grundstück dann vorlag, wenn das Gebäude bezugsfertig war. Nur dann, wenn es sich um ein Gebäude handelte, dessen Zweckbestimmung gegenüber der Zweckbestimmung des Grund und Bodens von untergeordneter Bedeutung war, konnte das Grundstück gemäß § 45 BewDV 1935 als unbebautes Grundstück behandelt werden. Das FG hat hierzu zutreffend ausgeführt, daß nach § 45 BewDV 1935 allein auf die Zweckbestimmung des Gebäudes abzustellen war, so daß nur Kioske, Schuppen und ähnliche Bauwerke, ggf. auch noch Sommerhäuser trotz ihrer Gebäudeeigenschaft im Einzelfall gegenüber der Zweckbestimmung des Grund und Bodens von untergeordneter Bedeutung sein konnten. Dies ist bei dem hier streitigen Grunstück, das mit massiven Gebäuden bebaut ist, die ursprünglich 51 Wohneinheiten aufwiesen, offensichtlich nicht der Fall. Bei objektiver Betrachtung kann nach der Verkehrsauffassung hier unter keinen Umständen von einem unbedeutenden Bauwerk gesprochen werden, dessen Zweckbestimmung gegenüber der Zweckbestimmung des Grund und Bodens von untergeordneter Bedeutung ist.

Soweit in § 33 a BewDV 1935 für das Vorhandensein eines bebauten Grundstücks auf die Bezugsfertigkeit des Gebäudes abgestellt war, wurde hierunter nur der Beginn der Benutzbarkeit verstanden. Es gab keine Vorschrift dafür, nach welchen Kriterien das Ende der Benutzbarkeit beurteilt werden sollte. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung hat hierzu keine Auslegungsgrundsätze aufgestellt.

Das FG hat es zu Recht dahingestellt sein lassen, ob insoweit die Vorschriften des § 72 Abs. 1 und 3 BewG 1965 auf den Streitfall Anwendung finden können. Die Vorschrift des § 72 Abs. 1 BewG 1965 stellt darauf ab, daß sich auf dem Grundstück keine benutzbaren Gebäude befinden. Der Begriff Nichtvorhandensein benutzbarer Gebäude bedeutet ein "Nochnichtvorhandensein" oder ein "Nichtmehrvorhandensein" (vgl. Gürsching-Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, § 72 BewG Anm. 2 und Rössler-Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 72 BewG Anm. 2). Das FG ist im Streitfall zu dem Ergebnis gekommen, daß die auf dem Grundstück der Klägerin stehenden Gebäude am Stichtag noch benutzbar waren. Soweit das FG darauf abstellte, daß die Gebäude noch benutzt waren und noch beträchtliche Mieteinnahmen erzielt wurden, könnte ihm der erkennende Senat nicht folgen. Die Tatsache der Vermietung und der Erzielung von Einnahmen ist zwar ein starkes Indiz dafür, daß ein Gebäude noch benutzbar ist. Sie reicht aber nicht aus, um in jedem Falle ein Gebäude schon oder noch als benutzbar zu behandeln. Das FG hat aber im Streitfall in seiner Entscheidung auch auf den Bauzustand der Gebäude abgestellt und hierbei die insoweit nicht bestrittenen Angaben der Klägerin, die sie durch Vorlage eines Gutachtens eines vereidigten Bausachverständigen belegte, als zutreffend unterstellt. Insoweit handelt es sich um die Feststellung tatsächlicher Verhältnisse, an die der BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, da in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht werden. Das FG konnte auf Grund der ihm nach § 96 Abs. 1 FGO zustehenden freien Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommen, daß die Gebäude der Klägerin am 1. Januar 1973 noch benutzbar waren. Der bauliche Zustand der Gebäude weist zwar erhebliche Mängel auf, von einer Unbenutzbarkeit kann aber erst dann gesprochen werden, wenn eine baupolizeiliche Auflage zur sofortigen Räumung sämtlicher Wohnungen wegen Baufälligkeit oder Verwahrlosung vorliegt. Nach den Feststellungen des FG erging eine derartige behördliche Auflage erst im Jahr 1973 für nur 10 Wohneinheiten. Es mag zutreffen, daß, wie die Klägerin vorträgt, die Bewohnbarkeit nur noch bei geringen Anforderungen als gegeben angenommen werden kann. Solange jedoch die Gebäude unter den vorgenannten Voraussetzungen noch bewohnt werden und die Räumung nicht angeordnet ist, kann eine Bewertung als unbebautes Grundstück nicht in Betracht kommen. Der Einwand, daß eine Beseitigung der Schäden oder Wiederherstellung eines Zustandes, der eine Benutzbarkeit bei höheren Anforderungen an den Wohnkomfort entsprechen würde, nur durch Aufwendung erheblicher Mittel möglich wäre, ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung für die Frage, ob das Grundstück als bebaut oder unbebaut zu bewerten ist. Das bisherige Bewertungsrecht sah in § 37 BewDV 1935 ausdrücklich vor, daß bestehende Mängel am Gebäude durch Abschläge berücksichtigt werden können. In ähnlicher Weise hat das neue Bewertungsrecht in § 82 BewG 1965 eine Ermäßigung des Grundstückswerts für den Fall behebbarer Mängel und Bauschäden vorgesehen.

Schließlich hat die Vorinstanz zutreffend darauf abgestellt, daß die bloße Absicht der Klägerin, die Gebäude dem Verfall preiszugeben, nicht zu einer Artfortschreibung führen kann. Dies könnte auch nicht unter entsprechender Anwendung des § 72 Abs. 3 BewG 1965 geschehen, da auch diese Vorschrift verlangt, daß der Verfall schon so weit fortgeschritten ist, daß die Gebäude auf die Dauer nicht mehr benutzt werden können. Auch hierfür wäre die Anordnung der baupolizeilichen Aufsichtsbehörde zur sofortigen Räumung der Grundstücke erforderlich. Nach Auffassung des Senats wird erst hierdurch das Ende der Benutzbarkeit ausreichend objektiviert, wie es für eine gleichmäßige Einheitsbewertung im Rahmen eines Massenverfahrens gefordert werden muß. Eine Räumungsanordnung lag aber am Stichtag unstreitig nicht vor. Die spätere Entwicklung des Bauzustands kann entgegen der Meinung der Klägerin im Hinblick auf das für die Einheitswertfeststellung maßgebende Stichtagsprinzip auch bei Verfall eines Gebäudes nicht berücksichtigt werden. Der Antrag der Klägerin auf Artfortschreibung des Grundstücks als unbebautes Grundstück erweist sich sonach als unbegründet. Da das FG den Sachvortrag über den baulichen Zustand des Grundstücks als wahr unterstellt hat, war auch eine weitere Beweiserhebung, insbesondere eine Augenscheinseinnahme durch das Gericht, nicht erforderlich.

Nach alledem ist die Revision unbegründet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71526

BStBl II 1975, 803

BFHE 1976, 397

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