Leitsatz (amtlich)

Ein Referendar, der als freier Mitarbeiter eines Rechtsanwalts die Erfolgsaussichten von Klagen und Rechtsmitteln prüft, Gutachten erstellt, Entwürfe für Schriftsätze fertigt und als Unterbevollmächtigter vor Gericht auftritt, ist jedenfalls dann ähnlich wie ein Rechtsanwalt tätig, wenn er bereits die in § 53 Abs. 4 BRAO erwähnte Mindestzeit des Vorbereitungsdienstes abgeleistet hat. Seine Einkünfte aus dieser Tätigkeit sind deshalb nicht nach § 34 Abs. 4 EStG tarifbegünstigt.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 4

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1968, ob der Kläger und Revisionsbeklagte, der Steuerpflichtige, für seine Einkünfte als freier Mitarbeiter einer Rechtsanwaltsgemeinschaft die Tarifvergünstigung für Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 4 EStG beanspruchen kann.

Der Steuerpflichtige war im Jahre 1968 Gerichtsreferendar und hatte als solcher Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er war außerdem als freier Mitarbeiter für eine Anwaltsgemeinschaft tätig, und zwar in der Weise, daß er in schwierigen Fällen und in Fällen aus entlegenen Rechtsgebieten die einschlägige Rechtsprechung und Literatur ermittelte, Rechtsgutachten erstellte und die Erfolgsaussichten für Klagen und Rechtsmittel in Zivil- und Strafsachen beurteilte. Er fertigte ferner Entwürfe für Schriftsätze an. Er besaß jedoch weder ein Zeichnungsrecht noch beriet er Mandanten noch führte er Strafverteidigungen durch. Etwa zehnmal trat er in Zivilsitzungen des Amtsgerichts und in mündlichen Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht als Unterbevollmächtigter auf. Seine Arbeit verrichtete der Steuerpflichtige zu Hause oder in Büchereien, da ihm bei der Anwaltsgemeinschaft kein Arbeitsplatz zur Verfügung stand. Für seine Tätigkeit bekam er eine monatliche Vergütung, die der Höhe nach von dem jeweils bewältigten Arbeitspensum abhing. Insgesamt erhielt er im Jahre 1968 X DM.

In seiner Einkommensteuererklärung für 1968 beantragte der Steuerpflichtige, seine Einkünfte aus der Tätigkeit für die Anwaltsgemeinschaft gemäß § 34 Abs. 4 EStG als Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit mit einem ermäßigten Steuersatz zu versteuern. Das FA lehnte diesen Antrag ab, weil es sich bei der vom Steuerpflichtigen neben der nichtselbständigen Arbeit ausgeübten Tätigkeit um einen der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten freien Berufe handele (Abschn. 202 Abs. 1 letzter Satz EStR). Der Einspruch blieb erfolglos. Der Klage des Steuerpflichtigen gab das FG statt. Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt: Unstreitig sei die Tätigkeit des Steuerpflichtigen selbständig gewesen (Urteil des BFH VI R 228/67 vom 22. März 1968, BFH 92, 99, BStBl II 1968, 455). Sie sei auch wissenschaftlich gewesen, denn einer Tätigkeit, die wie die eines Rechtsanwalts wissenschaftliche Vorbildung und Kenntnisse verlange, könne man den wissenschaftlichen Charakter nicht absprechen. Allerdings könne die praktische Berufsarbeit bei den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten freien Berufen nicht der wissenschaftlichen Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG gleichgestellt werden. Der Steuerpflichtige sei jedoch nicht als Rechtsanwalt oder in einem ähnlichen Beruf tätig gewesen. Zwar wiesen die Arbeiten, die er verrichtet habe, typische Merkmale des Anwaltsberufs auf. Er sei aber weder als Rechtsanwalt zugelassen gewesen noch habe er die hierzu erforderliche zweite juristische Staatsprüfung besessen. Er sei nur im Vorfeld anwaltschaftlicher Tätigkeit, gleichsam als Gehilfe des Anwalts tätig gewesen.

Mit der Revision beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das FA rügt, das FG habe zu Unrecht die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG gewählt.

Der Steuerpflichtige beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH umfaßt der Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG regelmäßig nicht die praktische Berufsarbeit der Angehörigen eines in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich aufgeführten freien Berufs oder eines diesen Berufen ähnlichen Berufs. Einkünfte aus der Ausübung eines in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten freien Berufs, wie z. B. des Berufs eines Rechtsanwalts oder aus der Ausübung eines diesem Beruf ähnlichen Berufs, sind deshalb nicht tarifbegünstigt (vgl. z. B. BFH-Urteile IV 330/65 vom 4. Februar 1971, BFH 102, 39, BStBl II 1971, 483; IV 150/62 U vom 22. Oktober 1964, BFH 81, 39, BStBl III 1965, 14; IV 359/61 U vom 20. Juni 1962, BFH 75, 325, BStBl III 1962, 385, mit weiteren Nachweisen). Der erkennende Senat sieht keinerlei zwingende Gründe, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Wenn der Steuerpflichtige meint, die Rechtsprechung postuliere hier eine im Gesetz nicht vorgesehene Ausnahme, so verkennt er, daß das EStG bei Bezeichnung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit in § 18 EStG die "wissenschaftliche Tätigkeit" der "Berufstätigkeit der Ärzte, RÄ usw." gegenüberstellt; hieraus muß geschlossen werden, daß auch der Begriff der "wissenschaftlichen Tätigkeit" im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG im Gegensatz zur Berufstätigkeit der Ärzte, Rechtsanwälte usw. steht und diese nicht mitumfaßt (so bereits BFH-Urteil IV 171/55 U vom 6. Dezember 1956, BFH 64, 338, BStBl III 1957, 129). Über die rechtspolitische Berechtigung dieser damit verbundenen Einschränkung des Anwendungsbereichs für eine Tarifermäßigung hat allein der Gesetzgeber zu befinden.

Für die Entscheidung des Streitfalls kommt es somit darauf an, ob der Steuerpflichtige im Streitjahr neben seinem Hauptberuf als Gerichtsreferendar selbständig einen Beruf ausübte, der dem des Rechtsanwalts ähnlich ist. Entgegen der Ansicht der Vorentscheidung ist dies zu bejahen.

Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein ähnlicher Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG immer dann gegeben, wenn die Tätigkeit in wesentlichen Punkten mit der freien Berufsarbeit eines der namentlich aufgeführten Berufe übereinstimmt.

Der Steuerpflichtige erstellte Rechtsgutachten, prüfte die Erfolgsaussichten von Klagen und Rechtsmitteln an Hand der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur, fertigte Entwürfe von Schriftsätzen und trat als Unterbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht und vor dem Arbeitsgericht auf. Diese Art der Betätigung ist typisch für einen Rechtsanwalt. Dies gilt auch für die Erstellung von Rechtsgutachten (vgl. z. B. BFH-Urteil IV R 111/69 vom 8. Oktober 1970, BFH 100, 499, BStBl II 1971, 132). Die Tätigkeit des Steuerpflichtigen umfaßte allerdings nicht den gesamten Arbeitsbereich eines Rechtsanwalts. Für die Annahme eines ähnlichen Berufs genügt es jedoch, daß der ausgeübte Beruf in wesentlichen Punkten mit der praktischen Berufsarbeit eines Rechtsanwalts übereinstimmt, sich also auf Teilgebieten mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts deckt (vgl. BFH-Urteil I 415/62 U vom 19. Oktober 1965, BFH 83, 530, BStBl III 1965, 692). Diesem Erfordernis ist im Streitfall genügt, weil die Erstellung von Rechtsgutachten, die Beurteilung der Erfolgsaussichten von Klagen und Rechtsmitteln, die Anfertigung von Schriftsätzen und die Wahrnehmung von Terminen zur mündlichen Verhandlung wesentliche Punkte der praktischen Berufsarbeit eines Rechtsanwalts sind.

Die selbständige Berufsausübung des Steuerpflichtigen stimmte allerdings insofern nicht mit der Berufsausübung eines Rechtsanwalts überein, als der Steuerpflichtige in keinerlei Rechtsbeziehungen zu den Rechtsuchenden trat, sondern stets nur im Auftrag der Anwaltsgemeinschaft beschäftigt war. Hierauf kann es jedoch nicht ankommen, denn wenn, wie einleitend ausgeführt, entscheidendes Kriterium für die Ähnlichkeit der Berufe die Vergleichbarkeit der Tätigkeit ist, so muß grundsätzlich außer Betracht bleiben, in wessen Auftrag der Berufsausübende jeweils tätig wird. Dies gilt um so mehr, als zum Berufsbild eines Rechtsanwalts auch gehört, daß er für einen anderen Anwalt tätig wird.

Ohne Bedeutung ist, daß der Steuerpflichtige seinen Nebenberuf naturgemäß nur vorübergehend ausübte. Auch eine Tätigkeit, die nur relativ kurze Zeit in bestimmter Form ausgeübt wird, kann einer Tätigkeit, die im Regelfall ein Lebensberuf ist, ähnlich sein, denn notwendig ist nur eine Vergleichbarkeit in wesentlichen Punkten, nicht aber eine Gleichartigkeit in jeder Hinsicht (vgl. RFH-Urteil IV R 194/70 vom 28. Januar 1971, BFH 102, 367, BStBl II 1971, 684).

Zu Unrecht hat das FG seine Entscheidung darauf abgestellt, daß der Steuerpflichtige die zweite juristische Staatsprüfung noch nicht abgelegt hatte und noch nicht als Rechtsanwalt zugelassen war. Allerdings muß nach der Rechtsprechung dann, wenn der zu vergleichende, im Gesetz aufgeführte Beruf eine wissenschaftliche Ausbildung verlangt, auch der ähnliche Beruf auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen (vgl. z. B. BFH-Entscheidung IV 54/61 U vom 12. Dezember 1963, BFH 78, 349, BStBl III 1964, 136). Hieraus folgt aber naturgemäß nicht, daß nur derjenige ähnlich wie ein Rechtsanwalt tätig sein kann, der als Rechtsanwalt zugelassen ist, denn andernfalls würde das Kriterium der Ähnlichkeit im Sinne der Gleichartigkeit verstanden und wäre leerlaufend (vgl. auch BFH-Urteil I 349/61 U vom 24. Februar 1965, BFH 82, 46, BStBl III 1965, 263). Ebensowenig folgt hieraus, daß nur derjenige ähnlich wie ein Rechtsanwalt tätig sein kann, der die zweite juristische Staatsprüfung abgelegt hat. Der Steuerpflichtige geht selbst davon aus, daß er wissenschaftlich tätig war. Für den Streitfall kann offenbleiben, ob die ihrer Natur nach der Berufsarbeit eines Rechtsanwalts entsprechende Betätigung eines Gerichtsreferendars in jedem Falle auf wissenschaftlicher Grundlage beruht, hierfür also lediglich erforderlich ist, daß die erste juristische Staatsprüfung erfolgreich abgelegt ist. Nach Auffassung des Senats ist die Betätigung auf wissenschaftlicher Grundlage jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Gerichtsreferendar, wie dies im vorliegenden Falle unstreitig zutrifft, bereits einen erheblichen Teil seiner Vorbereitungszeit abgeleistet hat. Das FA weist zu Recht darauf hin, daß nach § 53 Abs. 4 BRAO Referendare, die eine bestimmte Mindestzeit im Vorbereitungsdienst beschäftigt sind, zu allgemeinen Vertretern eines Rechtsanwalts bestellt werden können. Für Referendare, die den zeitlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift genügen, läßt sich nicht in Frage stellen, daß sie über die wissenschaftliche Qualifikation verfügen, die Grundlage der praktischen Berufsarbeit eines Rechtsanwalts ist. Beschäftigen sich derartige Referendare selbständig mit Aufgaben, die einen wesentlichen Teil der Berufsarbeit eines Rechtsanwalts ausmachen, so sind sie ähnlich wie ein Rechtsanwalt tätig.

Entgegen der Ansicht des Steuerpflichtigen spricht auch der Zweck des § 34 Abs. 4 EStG nicht für eine Gewährung der beantragten Tarifvergünstigung. Die Vorschrift bezweckt nicht, einzelnen Steuerpflichtigen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Referendare, die als freie Mitarbeiter für Rechtsanwälte tätig sind, stehen aber mindestens mit solchen Rechtsanwälten, die erst einen eigenen Mandantenkreis aufbauen müssen und bis dahin teilweise für andere Rechtsanwälte tätig sind, im Wettbewerb. Die Steuerbegünstigung ihrer Einkünfte müßte deshalb zu Wettbewerbsvorteilen führen, die nicht der Zielsetzung des § 34 Abs. 4 EStG entsprechen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413220

BStBl II 1972, 615

BFHE 1972, 370

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